Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik



Mona Hatoum: "Homebound", Installation, verschiedene Materialien, Größe variabel, Fridericianum - documenta11

Nähert man sich im zweiten Obergeschoss des Fridericianums aus dem Dunkel der Filmprojektionen fast reglos dastehender Berliner Bürger von Fiona Tan dem nächsten Raum, so empfängt einen Tageslicht, das aus den drei Fenstern des Mezzaningeschosses eindringt - eine große Ausnahme auf der D11. Irritiert stellt man fest, dass einem der Zugang zu dem lichten Ambiente durch scheinbar elektrifizierte horizontale Drahtseile wie zu einem Hochsicherheitstrakt versperrt wird. Warum muss das so harmlose, ärmliche und altmodische Mobiliar einer Wohnung mit Küchen- Schlafzimmer- und Wohnzimmerbereich, wie man es vielleicht vor 50 Jahren in einem Flüchtlingshaushalt antreffen konnte, derartig gesichert werden? Alle Möbel und Einrichtungsgegenstände sind aus Metall, seien es nun die zahlreichen Küchengegenstände wie Sieb, Reibe, Durchschlag, Dampfeinsatz, Knoblauchpresse auf dem Küchentisch, Vogelkäfig, Vorrats- und Fliegenschränke, Kinderspielzeug am Boden, der Nachttopf unter dem Gitter-bettchen oder die heimelige Lampe neben der eisernen Couch.

Eigentlich eine Atmosphäre von umsorgter Häuslichkeit, wäre da nicht das in Intervallen auftauchende, bedeutungsvolle Aufleuchten der vertrauten Gegenstände, begleitet von einem bedrohlich an- und abschwellenden Brummton, der wie ein Warnsignal auf Gemüt und Ohr schlägt. Schnell erkennt man, dass die Alltagsgegenstände im Raum sämtlich mit pinkfarbenen Kabeln und metallenen Klammern miteinander verbunden sind und das ihr Aufleuchten durch versteckte Glühbirnen- besonders schön bei den durchlöcherten Küchengeräten wie Sieb und Reibe, aber auch ironisch beim Nachttopf unter dem Kinderbett - bewirkt wird. Der Alltag hat seine Normalität verloren und haarscharf daneben zeigt sich eine andere Realität. Hier droht vielleicht Gefahr, beim Berühren der Geräte vom elektrischen Schlag getroffen zu werden.

Homebound heißt "Ans Haus gebunden": aus weiblicher Sicht - sowohl europäischer wie arabischer - deutet sich damit die Ambivalenz an, die sich einstellt bei dem Verlangen nach Gebor-genheit und Häuslichkeit, nach familiärer Umsorgung einerseits und der gleichzeitigen Gefahr, darin gefangen zu sein, nicht mehr aus dem privaten Umfeld und dem "trauten Heim" ausbrechen zu können andererseits. Die verführerische Ästhetik und eigentümliche Sinnlichkeit der Installation - metallisches Glänzens, Aufblitzen der Geräte, Farbigkeit des Mobiliars sowie des Kabels und rhythmischer Sound - steigern fast wie im Märchen die Begehrlichkeit des Ortes. Die drei Fenster, aus denen man sehnsuchtsvoll in die Ferne schaut, werden zu Symbolen unerreichbarer Freiheit.

In einem umfassenderen Sinn lässt sich der Titel aber auch mit "Heimat verbunden" übersetzen und erhält vor dem Hintergrund der Biografie Mona Hatoums seine Bedeutung. Die 1952 in Beirut als Tochter palästinensischer Flüchtlinge geborene Künstlerin, besuchte 1975 London, wo sie vom Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon überrascht wurde. Er verhinderte ihre Rückkehr in den Libanon und London wurde zum zweiten Exil für sie. Es begann eine lange leidvolle Zeit der Trennung von Familie und Wahlheimat, in der die Kommunikation fast vollständig zum Erliegen kam. So gesehen wird der Raum in seiner ambivalenten Wertigkeit vielleicht zum nostalgischen unerreichbaren Ort der Erinnerung. [Vera Leuschner]