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Magazin für Theologie und Ästhetik



Pavel Brail: Shoes for Europe, Kulturbahnhof - Documenta11

Am Hauptbahnhof Kassel halten nur noch Züge regionaler Bedeutung, den Fernzügen ist längst ein neuer Bahnhof errichtet worden. Gleis 1 im Hauptbahnhof wird von allerlei Pflanzen überwuchert.

Betritt man vom Bahnsteig aus die documenta-Dependence Kulturbahnhof , erwarten einen gleich in der ersten black box wieder Züge: in der DVD-Projektion von Pavel Braila "Shoes for Europe". Bevor man in den dunklen Bildern etwas erkennen kann, umfangen einen die akustischen Signale: Scheppern, Klopfen, quietschende Bremsen. Langsam gewöhnen sich die Augen, wir befinden uns auf einem Bahnhof, da werden bei Nacht Züge rangiert. Irgendwo in Südosteuropa, an der Grenze von Rumänien zu Moldawien, wie einem später erklärt wird. Und da kommen Fernzüge: Moskau, Bukarest heißen die fernen Destinationen. Das Problem ist nur: In Moldawien fahren die Züge auf breiteren Schienen als in Rumänien: "The difference between the two trails is 85 mm" wird uns im Epilog erklärt.
An dieser Grenze werden aber nicht etwa die Passagiere gebeten, von einem Zug in den anderen umzusteigen. Nein, die Fahrgestelle werden von den Waggons gelöst, die Waggons mit Kränen hochgehoben, neue Fahrgestelle untergeschoben und befestigt.

Diesen langwierigen Vorgang zeigt Braila in ruhigen, langsamen Bildern. Mit versteckter Kamera musste er filmen (was den Bildern kaum anzusehen ist), da an dieser Grenze - wie an so vielen - Filmen verboten ist. Es sind düstere, nächtliche Bilder, die sich dem Betrachter einprägen, allenfalls einmal ein gleißender Scheinwerfer. Zu Beginn rollt ein Fernzug ein, Passagiere sind nur verschwommen durch die Fenster zu beobachten, am Ende entfernt sich wieder ein Zug. Dazwischen liegt die Arbeit von Menschen und Maschinen: Da werden Fahrgestelle von Hand geschoben, Lokomotiven an- und ab-gekoppelt, Kräne heben und senken die Waggons, Arbeiter verrichten ihre schwere, präzise Arbeit, kommen und gehen, gesprochen wird kaum.

Schuhe für Europa: gehört zusammen, was zusammenwachsen soll? Der Film lässt jene Distanz spüren, jene Grenzen zwischen Ost- und Westeuropa, jene mühsame Übersetzungsarbeit in einer angeblich globalisierten Welt. Die tonnenschweren Eisenbahnschienen lassen sich eben nicht ohne weiteres gegenseitig anpassen, internationale "Standards" sind nicht einfach dekretieren, mit einem Tastendruck kann da eben nichts "konvertiert" werden.

Nur auf diesem Bahnhof - irgendwo in Südosteuropa - liegen die Schienen mit ihren verschiedenen Spurbreiten ineinander. Beträgt der Unterschied wirklich nur 85 mm? [Dietmar Adler]