Heilige Dinge und andere GegenständePraktisch-theologische Anmerkungen zu einer Lehrstelle theologischer Reflexionvon Inken Mädler |
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1. Ein Besen und andere HeiligtümerAnlässlich zweier katholischer Großereignisse, des 89. Deutschen Katholikentages und der Aachener Heiligtumsfahrt, die im Jahre 1986 zeitgleich in Aachen stattfanden, haben Jugendliche des Bistums in der Aachener Neuen Galerie eine Ausstellung der etwas anderen Art organisiert. Unter dem Titel "Das ist mir heilig" haben sie ihre ganz persönlichen Heiligtümer aus der geschützten Sphäre des privaten Zuhauses heraus geholt und als befristete Leihgabe den neugierigen Blicken anderer zur Verfügung gestellt. Vom Teddybären über Briefe und Familienphotos, vom Rennrad über das Poesiealbum und die Uhr, von der Gitarre über die Turnschuhe bis hin zum Reisigbesen reihten sich daraufhin die individuellen Heiligtümer vor den Augen der verdutzten Ausstellungsmacher und der nicht minder verdutzten Ausstellungsbesucher. Das also soll 'heilig' sein? Die Reaktionen reichten vom Schock bis zur Überraschung, und die grundsätzliche Ambivalenz angesichts der Exponate hat Bischof Hemmerle in seiner Eröffnungsrede wie folgt pointiert: "Heiligtümer und Jugendliche, das klingt zunächst fast wie ein Gegensatz. Jugendliche, so das Vorurteil, haben keine Heiligtümer mehr. Wir sehen aber, dass dieses Vorurteil nicht stimmt. Wenn wir freilich feste Vorstellungen gewohnter Art mitbringen, dann kann es schon sein, dass wir schockiert sind. Bleiben wir mit diesen 'Heiligtümern' nicht in der bekannten Welt der Jugendlichen und des Alltags? Ist es nicht gefährlich, hier mit dem Wort 'Heiligtümer' zu jonglieren?"[1] Die Verunsicherung des Gewohnten vollzieht sich hier gleich in zweifacher Weise. Zunächst wird ein gängiges Vorurteil überführt und außer Kraft gesetzt durch die Tatsache, dass die Jugendlichen Gegenstände zeigen, welche für sie als Heiligtümer fungieren. Sodann aber wird diese Einsicht erneut erschüttert in dem wachsenden Bewusstsein, dass es sich bei den meisten Exponaten um durchaus profane Alltagsgegenstände handelt, denen zum Teil explizit instrumentelle Funktion zukommt, wie beispielsweise dem besagten Reisigbesen. Was wiederum die Verunsicherung noch verstärkt: Lobpreis des Schöpfers oder blasphemische Gotteslästerung? Sakralisierung des Profanen oder Profanisierung des Sakralen? Nun haben die beiden Ausstellungsmacher Ulrich Deller und Roland Wentzler bewusst darauf verzichtet, die Jugendlichen nach explizit religiösen Exponaten zu fragen. Ihre Zurückhaltung gründet in der als wachsend empfundenen Spannung zwischen den Lehren der offiziellen Kirche und der Lebens- und Glaubenswelt Adoleszenter. Und in dem Ziel, "das ganze Spektrum 'zwischen Teddybär und Kreuz' sichtbar zu machen und für Jugendliche und Erwachsene eine gegenseitige Übersetzungshilfe ... was ihnen der Begriff 'heilig' bedeuten kann" zu geben; weshalb der Begriff des Heiligen, wie ihn die kirchliche Lehre definiert, explizit ausgesetzt wurde.[2] Angesichts dessen entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn einige der beteiligten Jugendlichen darin eine unheilige Allianz sahen und die Bezeichnung 'heilig' lieber durch 'wichtig' ersetzt hätten. Die einen begründeten dies mit der grundsätzlichen Ablehnung des religiösen Begriffs des Heiligen, die anderen mit dem Hinweis auf die Gefahr, dieser könne verwässert werden. 'Heilig', so ihre Argumentation, sei nur Gott. Weshalb die Ausweitung des Begriffs auf materielle Gegenstände, die nicht in explizit liturgischen Zusammenhängen stünden und solcherart geheiligt würden, einer Vergötzung des Materiellen Vorschub leiste: "Dekadenz 86: Tote Gegenstände werden beseelt, da der Mensch schon tot ist". Die Ausstellungsmacher jedoch haben an diesem - so polarisierend wirkenden - Begriff des 'Heiligen' festgehalten in der Absicht, "einen Stein des Anstoßes zum Nachdenken" zu legen. Aber auch sie konnten der geschilderten Ambivalenz nicht entkommen. Denn einerseits betonen sie, dass 'heilig' mehr sei als nur 'wichtig', und dass es ihnen just auf diesen Überschuss ankäme. Andererseits jedoch suchen sie die hier anklingende Mächtigkeit der Dinge dahingehend zu depotenzieren, dass sie betonen, die Heiligtümer der Jugendlichen seien "keine gegenständlichen Fetische oder Götzen", sondern "'lediglich' Zeichen für sehr persönliche, zum Teil intime Erfahrungen, Erlebnisse, Empfindungen".[3] Das kleine Wort 'lediglich' entlarvt die Ambivalenz. Wie gering auch immer es um den materiellen Wert der Dinge bestellt sei, als "Symbole für subjektive, verinnerlichte Lebensgeschichte, Beziehungserfahrungen und Ideale, die den einzelnen tragen" komme ihnen höchste individuelle Wertigkeit zu.[4] Doch diese dürfe letztlich nicht jene Intensität annehmen, die allein das in und durch Gott Geheiligte zu charakterisieren vermag. In seiner bereits zu Anfang erwähnten Eröffnungsrede hat Bischof Hemmerle die individuelle Wertigkeit der Gegenstände als den eigentlichen Grund für diese Ambivalenz markiert. Denn der Unterschied zu traditionellen Heiligtümern liege vor allem darin begründet, dass "frühere Zeiten" einen durchaus "gemeinsamen Zugang zum Geheimnis des Heiligtums kannten", wogegen die gegenwärtige Erfahrung des Heiligen "zurückgeworfen" sei auf "das Intime, das ganz Persönliche" infolge der tiefgreifenden Individualisierungs- und Differenzierungsprozesse der Moderne. Die Individualität des Zugangs aber könne den Blick auf jenen "Ursinn für das Heilige" verdecken, der sich sowohl hier wie dort artikuliere und in dem beständigen "Ringen" mit jenem bestehe, das "uns zu groß" sei. Denn auch jene Heiligtümer, die in Heiligtumsfahrten und Wallfahrten verehrt würden, seien ursprünglich ganz alltägliche, ja geradezu banale Gegenstände gewesen wie Knochen, Stofffetzen oder anderes, was vom "Allermenschlichen des Menschen" übrig geblieben sei. Ihre herausragende Bedeutung sei diesen Gegenständen somit nicht aufgrund einer ihnen eigenen und darin objektivierbaren Qualität zu gekommen, sondern allein dadurch, dass sie sich in einer "lebendigen, geschichtlichen Beziehung" befänden. Verstehe man Heiligtümer in diesem Sinne als "Knotenpunkte gelebter Beziehung", ließen sich auch die Heiligtümer der Jugendlichen als solche deuten. In ihren drei Aspekten als Heiligtümer der Erinnerung, welche die eigene - unverfügbare - Lebensgeschichte memorieren, als Heiligtümer der Beziehung, in welchen der - unfassbare - Andere Gestalt gewinnt und als Heiligtümer des Wertmaßstabs, in denen sich Ideale und Ziele verkörpern, könnten diese, in ihrer augenscheinlichen Alltäglichkeit so fremd anmutenden Heiligtümer als echt erkannt werden und der säkularisierten Welt die Tür zum Heiligen öffnen.[5] Noch einen Schritt weiter geht diesbezüglich Wolfgang Becker von der Neuen Galerie - Sammlung Ludwig, der die Thematik der Ausstellung ganz allgemein im Rahmen des künstlerischen Ausdrucks situiert und darin der weiteren Interpretation die Richtung weist. Unter Rückgriff auf eine Kunstgattung der frühen Avantgarde, das 'objet trouvé', situiert er die Heiligtümer der Jugendlichen im Rahmen jener "Verschiebung in der Wirklichkeit", durch welche ein Gegenstand "verwandelt" und somit "belebt", ja gar "beseelt" werden könne, da er jenen Prozess der "energetischen Projektion" zurückstrahle, mit dem er - in den Verschiebungs- und Verdichtungsprozessen als kreativen Akten - aufgeladen worden sei.[6] Die Thematik des Heiligen wird hier insgesamt in den Zusammenhang der Sinndeutung gestellt. Und die ausgestellten Heiligtümer werden im Rahmen ihrer zeichentheoretischen Rekonstruktion als etwas begriffen, das unter diesen Umständen in einem so und nicht anders gearteten Bezug zu einem jemand steht, der dieses als jenes interpretiert und sich diesen Prozess der Sinngebung am betreffenden Gegenstand ebenso zu vergegenständlichen vermag wie er sich selbst durch ihn adäquat zum Ausdruck gebracht weiß. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Marion hat den Aachener Ausstellungsmachern ihr Heiligtum überlassen, einen - noch unbenutzten - Reisigbesen, der durch seine Schleife am Stiel deutlich erkennbar als ein Geschenk gekennzeichnet ist. An dieser Schleife wiederum hat sie eine Karte aufgehangen, auf der sie ihre Geschichte mit diesem Besen und die ihm daraus erwachsene, individuelle Bedeutsamkeit schildert: "Dieser Besen ist mir 'heilig', weil ich ihn vor Jahren von einer Freundin geschenkt bekam mit dem Rat, 'auch mal vor meiner eigenen Tür zu kehren'. Wichtig ist mir dieses Erlebnis aus zwei Gründen: 1. Durch dieses Geschenk habe ich zum ersten mal bewusst erlebt, dass ein anderer an meiner Person sehr ernste Kritik übte, ohne mir gleichzeitig das Gefühl zu geben, mir etwas Böses zu wollen. Hier lernte ich, dass Kritik nicht vernichtend sein muss, sondern eine Hilfe sein kann. 2. Dieses Geschenk war der Ursprung für eine sehr intensive und enge Freundschaft".[7] Die Bedeutsamkeit ihres Besens erklärt Marion mit Bezug auf eine bestimmte Begebenheit, die sie als ein einschneidendes, aus dem gewöhnlichen Alltagsleben heraus fallendes Erlebnis empfunden hat, dem Ursprungscharakter aneignet: Ursprung ihrer Kritikfähigkeit sich selbst gegenüber und Ursprung ihrer engen Beziehung zu ihrer Freundin. Als das in jener Situation mit kritischem Unterton überreichte Geschenk verbindet der Besen seither beide Beteiligten miteinander, stellt diese längst vergangene Situation in Kontinuität zur Gegenwart und vermittelt disparate Gefühle zu einer ambivalenten und dennoch in sich kohärenten Einheit. Als Sinnbild all dieser Zusammenhänge und der in ihnen inhärenten Gefühlsqualitäten ist seine Bedeutung eine in hohem Maße verdichtete und mehrfach aufeinander geschichtete. Denn der Besen fungiert stets sowohl als anschauliches Modell von jener Situation als auch als Modell für jene Situation, wie sie von den beiden Freundinnen imaginiert worden ist beziehungsweise memoriert wird. Und sein Modellcharakter gründet in charakteristischer Entsprechung zwischen diesem Gegenstand und jener Situation. So steht der Besen hinsichtlich einiger seiner charakteristischen Merkmale in struktureller Analogie mit bestimmten Merkmalen, wie sie jene Situation kennzeichnen und ist zunächst als das im kreativen Akt gestaltete Sinnbild eines an sich schon bildlichen Sprachgebrauchs zu konkretisieren. Metaphorisch gesprochen heißt 'vor der eigenen Tür kehren', Selbstkritik zu üben. Und diese Aufforderung wollte die Freundin Marion nicht nur mitteilen, sondern ihr anschaulich - mit ihrem Besen - vor Augen stellen. Indem sie an diesen Besen als Sinnbild ihrer kritischen Aufforderung eine hübsche Schleife gebunden und ihn somit als von Herzen kommendes Geschenk gekennzeichnet hat, eignet dem hübsch geschmückten, an sich jedoch borstig kratzigen Reisigbesen jene Ambivalenz, wie sie ihre Gefühlslage kennzeichnet: Kritik üben zu wollen ohne zu sehr zu verletzen. Derart ein ambivalentes Modell abgefederter Kritik, dient der Reisigbesen Marion seither als Modell der grundsätzlichen Ambivalenz von Kritik, die Schmach und Hilfe ist in einem. Insofern diese am und im Reisigbesen vergegenständlichte, durchaus ambivalente und emotional hoch besetzte Begebenheit im Laufe der Zeit zu einer engen Freundschaft geführt hat, zeichnet der Besen sowohl für die - unverfügbare - Ursprungssituation als auch für die - ebenso unverfügbare - Kontinuität dieser intensiv erlebten Beziehung. Derart in komplexen Sinnzusammenhängen verdichtet und emotional hoch besetzt erwächst dem Besen im Laufe der Zeit jene Aura an Wertschätzung und Bedeutung, die ihn zu einem besonderen und darin quasi außeralltäglichen Alltagsobjekt macht. Niemals würde Marion diesen Besen dazu benutzen, um ihre Terrasse zu fegen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit steht dieser Besen zudem bei ihr zuhause an einem besonderen Ehrenplatz und wird weder verrückt noch angefasst. Und in dieser Betrachtungsweise erscheint der Besen durchaus als heilig, als 'sanctus' im Sinne von 'sancire', was soviel heißt wie begrenzen, umschließen, sprich einen besonderen Bereich von seiner gewöhnlichen Umgebung absondern. 2. Von der reflexiven Leerstelle zur theologischen LehrstelleDer Bereich der materiellen Kultur, dem der Besen, die Uhr, der Teddy, das Bett, die Turnschuhe, die Marionette, das Tagebuch, die Münze, das Fahrrad, die Jeansjacke, die Gitarre, das Kletterseil und all die anderen Heiligtümer der Aachener Jugendlichen entstammen, ist in der Evangelischen Theologie gegenwärtig eine reflexive Leerstelle und wird - wenn überhaupt - in Form sozialethischer Kritik thematisiert. Denn in ihrer industriellen Fertigung und ihrer, auf dem Konsumgütermarkt im Medium Geld erfolgenden Bewertung werden diese Dinge der materialistisch ausgerichteten 'Un-Kultur' zugerechnet. Hergestellt unter den Bedingungen massenhafter Produktion, entbehren sie ab ovo jener 'Aura', die Walter Benjamin dem singulären Kunstwerk zugesprochen hat. Erworben unter den Bedingungen einer relativ egalisierten Kaufkraft, fehlt es ihnen an differenzierender Kompetenz, ungeachtet dessen, dass sich - so die Erkenntnisse Pierre Bourdieus - in verfeinerten, ästhetischen Schematisierungen nach wie vor 'feine soziale Unterschiede' vergegenständlichen.[8] Und einmal in Gebrauch genommen, verlieren sich die Dinge im Handlungsgeflecht des Alltags, um letzten Endes - wenn die Gebrauchsspuren Überhand nehmen - als 'Undinge' zu enden, um mit Vilém Flusser zu sprechen.[9] Diese stillschweigende Apostrophierung der Sachkultur als 'Un-Kultur' kommt in dem von der EKD initiierten Konsultationsprozess zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur beispielsweise so zum Ausdruck, dass Kultur als die "Gesamtheit des menschlichen Lebens und Handelns ... sofern es durch menschliche Zeichenbenutzung bestimmt und durch symbolische Kommunikation reproduziert" definiert und auf jene Bereiche begrenzt wird, in denen " Sprache und Ausdruckshandeln die Leitmedien sind" mit der Konsequenz, dass "Kultur" sich vom "Bereich der Wirtschaft mit dem Leitmedium Geld" unterscheide.[10] Käuflich zu erwerbende und massenhaft hergestellte Sachgüter kommen als mögliche Medien eines symbolischen Ausdruckshandelns somit gar nicht erst in den Blick, was hinsichtlich der Bedeutung, die auch den industriell gefertigten Dingen im Zuge der individuellen Aneignung zukommen kann, einen blinden Fleck erzeugt. Eine Nicht-Beachtung der Dinge, die ihrerseits in der spezifisch deutschen Dichotomie von geistiger Kultur und technisch-materieller Zivilisation[11] eine längere Tradition hat. Norbert Elias hat in seinen kulturtheoretischen Analysen darauf hingewiesen, dass sowohl das englische wie das französische Konzept der 'civilisation' - anders als die deutsche 'Kultur' - die Prozesse der Industrialisierung und der Kommerzialisierung von Anfang an als kulturelle zu erfassen suchte, weshalb man sich in beiden Sprachräumen weniger schwer damit getan hat, 'material studies' als 'material culture studies' zu verhandeln, die Sachkultur als Medium menschlichen Zeichenhandelns in ihrer symbolischen Dimension zu explorieren und Kulturanalyse als synchrone und diachrone Analyse von Objektsystemen zu betreiben. Nun hat sich die theologische Reflexion Mitte der neunziger Jahre dieser Thematik zwar insofern neu zugewandt, als sie die materielle Kultur im Fokus der Vermarktungsprozesse, denen die Dinge im Rahmen der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft unterliegen, analysiert hat. Allerdings tat sie dies ohne eine vertiefte Betrachtung der Dinge selbst, die ja im Zentrum der analysierten Marketingkampagnen stehen. Die Frage, in welcher Relation ein so oder so beworbener Gegenstand zu derjenigen symbolischen Mehrwertigkeit zu stehen kommt, wie sie ihm im Rahmen seiner Werbekampagne zugeschrieben wird und in welcher Relation letztere wiederum zu den individuellen Aneignungsprozessen durch potentielle Nutzer steht, diese Frage ist - von Ausnahmen abgesehen[12] - nicht gestellt worden. Möglicherweise hat dieser Sachverhalt auch damit zu tun, dass die kulturkritischen Bestseller zur Thematik der Werbung - beispielsweise Vance Packards Verdikt über die 'geheimen Verführer'[13] oder Wolfgang F. Haugs Postulat einer leeren Hülle des ästhetischen Scheins, die über ein beliebiges Produkt gestülpt wird[14] - nach wie vor wirkmächtig sind. Zwar hat sich die innertheologische Kontroverse hinsichtlich der kapitalistischen Vermarktung der Dinge vorrangig am Phänomen des selbst ernannten 'Kult-Marketing'[15] entzündet, das Mitte der neunziger Jahre mit Recht den theologischen Widerspruch heraus gefordert hat.[16] Dennoch lässt die innertheologische Auseinandersetzung mit diesem Phänomen, das inhaltlich als des Teufels Gaukelspiel oder als schöpferische Kraft der Menschen durchaus kontrovers bestimmt wird, eine durchgängige Gemeinsamkeit erkennen: nach den in den Marketingkampagnen beworbenen Dingen wird nicht einmal gefragt. Und auch diese Tatsache, dass die Dinge keine Rolle spielen, wird von niemandem hinterfragt. Sowohl die zur Gänze[17] als auch die in Teilen[18] vorgenommene, theologische Dekonstruktion des Kult-Marketings scheint die Irrelevanz der je beworbenen Dinge wie selbstverständlich voraus zu setzen. Und diese Sicht - beziehungsweise Nicht-Sicht - der Dinge erinnert insofern an Haugs Konzept der Warenästhetik, als es auch dort dieser Frage nicht bedarf, insofern die beworbenen Dinge letztlich als austauschbar und ihre ästhetische Umhüllung als das eigentlich relevante Thema postuliert werden. Den symbolischen Mehrwert der Waren, ihre ästhetisch ansprechende Hülle, sieht Haug in keiner inneren Beziehung zu dem, was sie verpackt; eine problematische Dichotomie, die ihrerseits im gängigen Konzept jener stets verachteten Doxa begründet ist, die Bernhard Waldenfels in phänomenologischer Perspektive als den genuinen Ort des jeweiligen Zur-Erscheinung-Kommens reformuliert wissen will. Gegen das Missverständnis des Scheinbaren als etwas, das etwas Eigentliches locker umhülle und darin den Blicken verschleiere, setzt er Schein als den Ursprung phänomenologischer Erkenntnis. Es gibt keine Hülle an sich, sondern nur Hüllen, die am so oder so verhüllten Gegenstand zur Erscheinung kommen.[19] Haugs als Kultkritik zu apostrophierende Kulturkritik aber hat die in der Werbung inszenierte Bedeutungsaufladung von Gegenständen ins Zentrum ihrer Betrachtungen gestellt und hinsichtlich der anonymisierten Fertigung, der seriellen Vervielfältigung und des expliziten Warencharakters der Dinge postuliert, dass diese Art der Produktion die individuelle Aneignung derselben verhindere, weshalb die Werbung über diesen unbefriedigenden Zustand hinweg täuschen und die jeweiligen Dinge als symbolisierbar inszenieren müsse. Das sogenannte 'Gebrauchswertversprechen' der Waren wird somit als ein in der Kategorie des ästhetischen Scheins gründender Betrug interpretiert. Das magische 'Quidproquo', das nach Marx den Waren hinsichtlich ihres Tauschwerts zukomme[20], gründe in jener ästhetischen Verhüllung, die das dem Gebrauchswert des Produkts entsprechendem Bedürfnis von seiner symbolischen Ausdrucksform trenne, um diesen Ausdruck als eine Art leere Hülle emotional aufzuladen und seinerseits gegen das ursprüngliche Bedürfnis zu richten. Neben diesem problematischen Verständnis des ästhetischen Scheins als nicht-relationaler Kategorie liegt Haugs Argumentation zudem ein normatives Konzept von Gegenständlichkeit zugrunde, das allein den in instrumenteller Funktion bestimmten Gebrauchswert der Dinge anerkennt. Ihre rationale bestimmbare Zweckmäßigkeit als nützliche Gegenstände liege demnach in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, was dem 'Mängelwesen Mensch' das Dasein erleichtere.[21] Sobald diese dienende Funktion jedoch überschritten werde, sei auch der legitime Umgang mit den Dingen überschritten, jenseits dessen es nicht mehr mit rechten Dingen zugehe, wenn es um die Dinge geht. In dieser zweckrational verkürzten Perspektive kommt jeder Umgang mit den Dingen, der andere als die erwähnten 'objektiven' Zwecke erfüllt, als pathologisches Symptom eines verdinglichten Denkens in den Blick. Solche Beschränkung auf die instrumentelle Funktion der Dinge aber ist blind für die Fülle an symbolischen Funktionen, die im postindustriellen Zeitalter als die eigentlich relevanten zu Tage treten, und die so manches Konsumgut im Zuge seiner individuellen Aneignung letztlich auch aus der Sphäre des rationalen Gebrauchs und Verbrauchs herauszuheben vermag. Dass die materielle Kultur der Gegenwart im Kontext gesättigter Märkte zu betrachten ist und die symbolische Ausdrucksfunktion der Dinge gegenwärtig zugenommen hat, ist inzwischen auch innerhalb der theologischen Debatten zur Thematik als Konsens auszumachen. Die innertheologische Kontroverse entzündet sich primär an der Frage, wie diese Entwicklung zu beurteilen ist. Wer sie als Ausdruck der schöpferischen Phantasie des Menschen deutet, empfiehlt die Kunst der Inszenierung zum Wohl der eigenen religiösen Symbole. Und wer sie als teuflisches Gaukelspiel empfindet, sucht im Rückgriff auf Bilder- und Fremdgötterverbot die zum 'Fetisch' mutierten Dinge als Götzen zu entlarven. Ungeachtet dieser Kontroverse jedoch besteht eine stillschweigende Einigkeit darüber, dass Marketingkampagnen unabhängig von der Gegenständlichkeit der in ihnen vermarkteten Produkte thematisiert werden können. Und in dieser impliziten Voraussetzung scheint nach wie vor Haugs Modell der Warenästhetik wirksam zu sein, wonach die symbolische Aufladung von Gegenständen durch jene Kunst der Inszenierung geschieht, die den Dingen eine von ihnen unabhängige, äußerliche Hülle überstülpt und so - einem Zauber gleich - die an sich rationalen Gebrauchsgegenstände mit irrationaler Wertigkeit auflädt. Unter dieser erkenntnisleitenden Prämisse jedoch kann der symbolische Umgang mit den Dingen weder angemessen wahrgenommen noch adäquat beurteilt werden. Sowohl die zweckrationale Verkürzung des Blickwinkels als auch die Dichotomie von Hülle und dem, was sie umhüllt, sind wenig geeignet, die Haltung der phänomenologischen Reduktion zu induzieren, die den Beobachter fremd anmutender Phänomene auszeichnet. Befangen im Bewusstsein der zweckgerichteten Verwendung von Gegenständen, innerhalb derer die Dinge nach dem Motto - ein Besen ist zum Fegen da - gebraucht werden, mutet der andere Umgang mit ihnen als etwas an, dessen Irrationalität sich einer quasi höheren Macht verdankt. Seit Haug wird diese Macht der Werbung zugeschrieben, und das selbsternannte Kult-Marketing hat eben diese Zuschreibung pointiert in der Hoffnung, sich die Apostrophierung tatsächlich anzueignen. Woraus ersichtlich ist, dass sie über die zugeschriebene Mächtigkeit keineswegs verfügt, wohl aber um sie weiß und gerne über sie verfügen würde. Denn wenn es ihr durch Werbekampagnen gelingen könnte, den Besen der Firma X, die an sich zum Fegen da sind - um in diesem Bild zu bleiben - nur einen Hauch jener symbolischen Wertigkeit zuzueignen, wie ihn Marions Besen auszeichnet, so hätte sie ihr höchstes Ziel erreicht. Das Problem jedoch ist just das des Zu-Eignens. Zu-Eignen darf nicht mit einem Zu-Sprechen oder Zu-Schreiben verwechselt werden, sondern ist eng mit dem Phänomen der An-Eignung verbunden, was keiner besser weiß als das Marketing selbst. Denn dass die Zu-Eignung symbolischen Mehrwerts in und aus den Prozessen der individuellen wie der kollektiven An-Eignung erwächst, und dass diese organische Metapher des Er-Wachsens zudem den Kern dessen markiert, worauf es jenseits der Dichotomie von Hülle und Umhüllten ankommt, ist eine Einsicht, welche die Experten des Konsums im Zuge ihrer qualitativ-empirischen Forschung gewonnen haben, die nach dem Sitz im Leben der Dinge sucht. Von daher ist es auch wenig verwunderlich, dass die religiös relevanten Facetten im Umgang mit den Exponaten der materiellen Kultur derzeit weniger von der Theologie als von den Konsumwissenschaften thematisiert werden, allen voran dem US-amerikanischen consumer research. So hat beispielsweise das interdisziplinär besetzte Forscherteam um Russel W. Belk im Rahmen ausgedehnter Feldforschung das Konsumverhalten hinsichtlich der Kaufmotive untersucht und ist dabei auf prinzipiell unverkäufliche Gegenstände gestoßen, die es unter Rückgriff auf religionswissenschaftliche Kategorien als genuin 'sakral' interpretiert hat.[22] Die Werbung, so ist an dieser Stelle festzuhalten, macht demnach nicht vor, sondern nach. Sie sucht in ihren ästhetischen Inszenierungen jene Prozesse nachzubilden und wiederum anzuregen, im Verlauf derselben unscheinbare, prinzipiell verwechselbare und im Medium Geld prima vista egalisierte Gegenstände zu höchst bedeutsamen Dingen, ja zu ganz persönlichen Heiligtümern aufgeladen werden. Um ein Beispiel zu nennen: Patek Philippe empfiehlt eine Uhr, "die über Generationen hinweg Bestand haben soll" mit dem Hinweis, dass ein Uhrmacher am Werk war, "den es seit Generationen gibt". Dieser Hinweis ist vor dem Bild eines Vaters zu sehen, der mit seinem kleinen Sohn, dem diese Uhr dereinst vererbet werden wird, Schach spielt, und thematisiert jene Form der Aneignung, die sich als Sinnzusammenhang im Medium des Gegenständlichen verdichtet und in einem Sinnbild objektiviert, das die Lebensspanne von Individuen immanent transzendiert. 3. Das 'be-dingte Leben'[23] in seiner religiösen RelevanzWenn Hersteller derart am Sitz im Leben der von ihnen produzierten Gegenstände Anteil zu erhalten suchen, ist zweierlei auseinander zu halten. Zum einen dass sie das tun. Und zum anderen das, was die Werbung für ein bestimmtes Produkt ästhetisch zur Anschauung bringt: dass nämlich die Dinge im Prozess ihrer individuellen Aneignung einen spezifischen Sitz im Leben gewinnen können, der sie zu etwas ganz anderem macht, als man zunächst erwarten würde. Und nur dieses zweite ist hier von Relevanz, denn diese Thematik ist durch die nahezu ausschließliche Fokussierung der theologischen Reflexion auf das erste Themenfeld bislang nicht angemessen in das Blickfeld der Forschung gekommen. Nun ist die Aachener Ausstellung der 'Heiligtümer Jugendlicher' auch im protestantischen Bereich nicht ohne Echo geblieben und hat seinerzeit einen Nachhall erzeugt, der vor allem in der Religionspädagogik bis heute nachklingt. Auch wenn protestantische Christen über keine Heiligtümer in traditionellen Sinne des Wortes verfügen und die in und mit der Aachener Ausstellung aufgegriffene Thematik auf den ersten Blick eine spezifisch katholische zu sein scheint, haben weitere Projekte gezeigt, dass auch die Jugendlichen evangelischer Konfession über Gegenstände von höchster Wertigkeit verfügen, die man heilig nennen könnte. Kennzeichnend für diese Projekte im interkonfessionellen Raum ist zunächst einmal ihre unterrichtspraktische Ausrichtung, welche die religionspädagogischen Modelle - angeleitet durch das Aachener Experiment - in der Mehrzahl der Fälle unter das Vorzeichen eines schulischen oder kirchlichen Praxisprojekts stellt, das in eine Ausstellung mündet. Von Ulrike Bahrdts Unterrichtsreihe zur Frage 'Was ist Kindern und Jugendlichen heilig?'[24] bis hin zu der von Jürgen Heumann wissenschaftlich beratenen Aktion megakultig@angetörnt[25] des Landesjugendpfarramts der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg zieht sich die praktische Exploration, die in der Fülle ihrer Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung vielfach noch harrt.[26] Mit der Konzentration auf das Praxisprojekt 'Ausstellung' aber geht nun auch das zweite Kennzeichen dieser Art der Beschäftigung mit heiligen Dingen und anderen Gegenständen der materiellen Kultur einher. Es besteht darin, dass die genannten Projekte die einzelnen Dinge aus dem materiellen Sitz im Leben der privaten Wohnung herauslösen und im Rahmen einer Ausstellung zu einer neuen Konstellation zusammenfügen. Analog zu an sich ortlosen "objects trouvés" werden sie in der Ausstellung zu einem jener "tableaux piège", als die Daniel Spoerri seine "Fallenbilder" tituliert hat, die das zufällige und darin höchst kontingente Nebeneinander der Objekte, so wie sie sich an einem bestimmten Ort zu einem Zeitpunkt zufällig vorfinden, festhält, in einer 'Falle' gefangen.[27] Mit diesem Vorgehen aber erhalten die den Jugendlichen heiligen Dinge im Rahmen der Ausstellung ein Maß an Zufälligkeit, das ihnen im privaten Wohnraum mit hoher Wahrscheinlichkeit so gerade nicht zukommt. Gefangen in dem neuen "tableau piège", das Spoerri auch als "Topographie des Zufalls" charakterisiert hat, werden ihre hoch besetzten Gegenstände in das Nebeneinander mit anderen Gegenständen gestellt und in einen anderen als den ursprünglichen, individuellen Deutungskontext überführt: Nicht in den individuellen des je eigenen Erlebens, auch nicht in den des gemeinsamen Erlebens als eine Schulklasse, sondern in die mehr oder weniger zufällige Aneinanderreihung analoger, aber unübertragbar individueller Erlebnisse. Daher sprechen die schweigsamen Dinge über ihre Herkunft vor allem im Medium von Untertiteln; in jenen Zetteln, welche die Jugendlichen ihren heiligen Dingen mitgegeben haben, zur Erläuterung der ursprünglichen Bedeutung. Insofern sind es letztlich die Zettel, sprich die verbalen Sinnzuschreibungen an die Dinge und nicht die Dinge selbst, die in ihrer religiös relevanten, da identitätsbildenden und -stabilisierenden Relevanz in den Blick gelangen.[28] Dies jedoch ist im privaten Wohnraum anders. Anstelle einer "Topographie des Zufalls", die sich in alltäglich genutzten Räumen zwar immer wieder findet, lässt sich angesichts des individuell eingerichteten und durch Wohnen angeeigneten Raumes dennoch eher von einer 'Topographie des Notwendigen' sprechen. Die Tiefe der Sinnkristallisation in und an den Gegenständen wird an deren Einbettung in den privaten, selbst strukturierten und darin individuell ein- und aus-gerichteten Wohnraum noch einmal mehr ersichtlich. In den räumlichen Verhältnissen der Über-, Unter- oder Nebenordnung mit anderen mehr oder weniger heiligen Gegenständen gewinnt das Schweigen der Dinge seine eigene Aussagekraft. Und auch in ihrer Handhabung erschließt sich ein Deutungskosmos, der weit über den verbalisierten und verbalisierbaren Sinn der Dinge hinaus weist. Es scheint, als ob derartige Gegenstände vor allem auch in ihrer physis, in ihrer räumlichen Ausdehnung und in ihrer Schwere als Dinge von Gewicht wirksam werden. Denn sie gewichten den privaten Raum und das Dasein derer, die ihn bewohnen. Eine isolierte Analyse der vereinzelten Gegenstände jedoch kann ihre religiös relevanten Dimensionen nur bedingt erfassen. Im Rahmen eines qualitativ-empirischen Habilitationsprojekts zur materiellen Kultur der Gegenwart am Beispiel des häuslichen Ambientes von Frauen habe ich in Fallstudien nach persönlich bedeutsamen und hoch besetzten Gegenständen dort gesucht, wo diese heiligen Dinge wohnen, wo sie ihren - zumeist - unverrückbaren Ort haben. Dabei zeigte sich, dass es mitten im alltäglichen Lebensraum abgesonderte Bereiche gibt, die strukturell einer Sonderung des Profanen vom Sakralen entsprechen. Obwohl nicht explizit nach heiligen Dingen befragt, haben die interviewten Frauen individuell bedeutsame Dinge genannt, die einen eigenen Bereich markieren, der dem alltäglichen Lebensraum entzogen ist. Ihre Wohnräume unterteilen sich in Bereiche alltäglicher Handlungen und Handhabungen und in solche mit Dingen markierte Bereiche, die dem entzogen sind, die etwas Außeralltägliches im Alltag zu markieren scheinen. Derart als heilig apostrophierbare Orte finden sich zwar im Zusammenhang des Alltagslebens vor, sie markieren jedoch innerhalb des alltäglichen Lebensraums eine durchaus besondere Sphäre.[29] Sowohl im architektonischen Raum als auch im Handlungsraum bilden sie einen Bereich des Abgeschnittenen, des 'templum' im wahrsten Sinne des Wortes. Die an ihnen angesammelten Dinge sind zum einen dem Tausch respektive Verkauf entzogen, zum anderen erhalten sie einen Ehrenplatz, und nicht zuletzt sind sie jeder praktischen Nutzung explizit enthoben. Sie sind, wie eine der Frauen es auf den Punkt brachte, 'tabu'. Nun ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Wort 'tabu', wenn es in diesen Zusammenhängen fällt, im umgangssprachlichen und nicht im religiös qualifizierten Sinn gebraucht wird und ganz allgemein eine verbotene Zone konnotiert. Und dennoch zeigt dieser Sprachgebrauch ein tiefes Verständnis für die eigenartige Andersartigkeit jener Dinge, die im Zuge der individuellen Aneignung zu einzigartigen, unersetzbaren, emotional hoch besetzten und eng mit der eigenen Person verbundenen Gegenständen geworden sind. Solcherart den Sphären der Nutzung, des Tauschs und Verkaufs enthoben und zu individuell geheiligten Dingen geworden, sammeln sich diese an ausgezeichneten Orten des persönlichen Lebensraumes an. Meist sind es Geschenke, Erinnerungs- und Erbstücke, Mitbringsel und Sammelobjekte, die sich an gesonderten Plätzen in der eigenen Wohnung aufhäufen, sich dort regelrecht zusammen ballen und so in all ihrer Schwere den personalen Lebensraum gewichten und spezifisch ausrichten. Als individuell geheiligte Dinge könnten und sollten sie auch theologisch neu gewichtet werden, und zwar im Licht der Schwere Gottes, welcher die Erden-Schwere korrespondiert: "Du hast ihn um ein weniges geringer gemacht als das Göttliche, du hast ihn gekrönt mit 'kabod' und Herrlichkeit", so lautet mit Psalm 8 der alttestamentliche Lobpreis auf die Würde und Ehre des menschlichen Geschöpfs im Verhältnis zu seinem Schöpfer. Es ist der Grad an 'kabod', an 'Schwere' und 'Ehre' zugleich, der Geschöpf und Schöpfer unterscheidet. Denn das hebräische Wort 'kabod', meint 'Gewichtigkeit' im physikalischen Sinne ebenso wie wie 'Wichtigkeit' und 'Bedeutung' im kulturellen Sinne, und hat diese Doppelseitigkeit semantisch bewahrt.[30] 'Ehre' und 'Schwere', 'schwer' und 'respektiert' gehen im Hebräischen auf die gleiche Wurzel qbd zurück. 'Masse', 'Kraft' und 'Reichtum', 'Besitz' und 'Fülle' einerseits; 'Ehre', 'Respekt', 'Autorität', 'Glanz' und 'Herrlichkeit' andererseits; alle diese Wortfelder konnotieren ihren Ursprung im Phänomen der Schwere. Die göttliche Schwere unterscheidet sich von der menschlichen darin, dass sie seine Grund und Grenze bildet und jene von ihr erdrückt werden kann, in schierer Massivität und Gravität. Von daher erklärt sich auch der Doppelaspekt, wie er dem göttlichen 'kabod' eigen ist, seine wirksame Anziehungskraft und die damit einhergehende Gefährdung für alle leichteren Körper. Gottes 'kabod' korreliert die Ambivalenz von Furcht und Ehrfurcht. Und gemäß dem Prototyp aller menschlichen Versuchung, sein zu wollen wie Gott selbst, besteht des Teufels Spiel darin, den Wunsch nach Gottes Schwere wachzurufen, was auch dazu führen kann, sich mit Erden-Schwerem zu überhäufen. Das So-Schwer-Sein-Wollen-Wie-Gott kann uns Menschen auch unter der Last der von uns angesammelten Dinge zusammenbrechen lassen. Und hierin liegt die bleibende Berechtigung aller theologischen Warnungen, heiligen Dingen und anderen Gegenständen kein allzu großes Gewicht zu geben. Und dennoch: Indem wir uns wechselseitig mit heiligen Dingen und anderen Gegenständen beschweren, machen wir uns schwer, ehren uns selbst und einander.[31] Indem wir uns beschweren, verleihen wir uns Be-Stand, stellen dem Fragilen unserer Existenz das Stabile, das Schwere entgegen in einer Welt von Gewicht und Gewichtung. Vor allem die Dinge, die uns heilig sind, stellen somit eine Hommage an unsere Erden-Schwere dar, an den in Schwerpunkten verdichteten Erlebnis-Raum der Menschen. Und darin können sie auch als Lobpreis Gottes fungieren, dessen ausgezeichnete Charakteristik in seiner unübertroffenen Schwere und Schwer-Kraft besteht. Dies tun die von uns geheiligten Dinge vor allem dann, wenn sie weniger - in all ihrer Anziehungskraft - auf sich verweisen als über sich selbst hinaus weisen, wie beispielsweise Marions Besen. Er ist ein Versuch, das Unbegreifliche der unverfügbaren Ursprungssituation und der ebenso unverfügbaren Kontinuität einer engen Freundschaft im wahrsten Sinne zu begreifen. Wüssten wir, an welchem Ort in ihrem Zimmer er sich befunden hat und von welchen anderen Gegenständen er umgeben war, so könnten wir mit dem Schwerpunkt ihres Wohnraumes auch den Ort ihres eigenen Gleichgewichts noch besser verorten. Anmerkungen
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