Rekonstruktion der Künste heißt eine Reihe, die von Carsten-Peter Warncke und Gerd Unverfehrt bei Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) herausgegeben wird und kunstgeschichtlich interessante Dissertationen und Projekte verschiedener Fachbereiche vorstellt.
- Nils Büttner, Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels, Göttingen 2000
- Sven Lüken, Die Verkündigung an Maria im 15. und frühen 16. Jahrhundert, Göttingen 2000
- Ulrich Heinen/ Andreas Thielemann (Hg.), Rubens Passioni. Kultur der Leidenschaften im Barock. Göttingen 2001
- Irmgard Müsch, Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel des Johannes Jakob Scheucher, Göttingen 2000
- Peter Bessin. Der Regent als Architekt. Schloß Richmont und die Lustschlossbauten, Göttingen 2001
- Michael Thimann, Lügenhafte Bilder. Ovids favole und das Historienbild in der italienischen Renaissance, Göttingen 2002.
Die drei im Folgenden kurz vorgestellten Bücher bearbeiten Kunst aus dem 15. und 16. Jahrhundert, alle drei haben auf die eine oder andere Weise auch Bezug zum Verhältnis von Kunst und Religion bzw. Theologie und Ästhetik. Bei allen drei hätte man sich einen "elektronischen Anhang" mit hochauflösenden Bildern für vertiefende Studien und die Überprüfung des Dargelegten gewünscht. Hoffentlich wird derartiges bald Standard.
Landschaften
Nils Büttner, Die Erfindung der Landschaft. Kosmographie und Landschaftskunst im Zeitalter Bruegels, Göttingen 2000. Zahlr. Abb.
Dem Aufkommen der Landschaftsdarstellungen und der Kosmographie im 16. Jahrhundert widmet sich Nils Büttner in seiner aufschlussreichen Arbeit, einer Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen. Wie kann überhaupt ein Markt für Landschaftsdarstellungen entstehen und inwiefern hängt dieser mit der Erschließung/Eroberung der Welt, mit der Entwicklung der Städte und den kriegerischen Auseinandersetzungen der damaligen Zeit zusammen? Und warum konnte aus der Landschaftsdarstellung schließlich sogar ein Massenphänomen werden, das eine eigene Bildgattung entstehen ließ?
Büttner schildert wie im Zuge der Entdeckung der Seewege der Bedarf an Landschaftskunst erwächst, wie die Künstler als Kartographen engagiert werden und vielfältig im Auftrag der Städte tätig sind, um dann schließlich ihre Werke auch als Wandschmuck ausarbeiten. Dass die Zuwendung zur Landschaftsmalerei keinesfalls eine Abwendung vom religiösen Bild bedeutet, zeigt der abschließende Abschnitt des Buches:
"Für einen Rezipienten, aber auch für einen Künstler des 16. Jahrhunderts, waren in jeder Darstellung der den Menschen umgebenden Natur die Werke Gottes gezeigt. Mithin war ein Landschaftsbild per se nicht "sinnfrei", sondern ein Ausweis göttlichen Geistes und göttlicher Macht ... Auch das 'Theatrum orbis terrarum' des Abraham Ortelius konnte in diesem Sinne betrachtet werden. Das Blättern im Atlas konnte zur Andacht werden, da er dem Betrachter die großartigen Werke Gottes vor Augen führte ... Durch das Betrachten einer Landkarte und wohl auch durch das Anschauen chorographischer Bilder ließen sich 'die großen Werke Gottes erkennen'. Die Tatsache, dass ein wissenschaftliches Werk wie der Atlas des Abraham Ortelius der Kontemplation dienen konnte, mag verdeutlichen, dass es zur Konstituierung des theologischen Bildsinns einer Landschaftsdarstellung keinesfalls der religiösen Staffage bedurfte. Gott war überall, und auch das Wirken der Heiligen war kein legendäres oder abstraktes Geschehen, sondern hatte seinen Platz im Leben." [191]
Fabeln
Michael Thimann, Lügenhafte Bilder. Ovids favole und das Historienbild in der italienischen Renaissance, Göttingen 2002.
Zur Problematik und impliziten Aufgabenstellung seiner Arbeit schreibt der Verfasser einleitend: "Parmigianinos um 1523/24 in der Rocca Sanvitale in Fontanellato ausgeführte Freskendekoration mit der Darstellung der favola von Diana und Actaeon nach den 'Metamorphosen' des Ovid, die der Ausgangspunkt dieser Studie war, ist ohne Zweifel ein spektakuläres Werk der neuzeitlichen Profanmalerei. Die grundsätzliche Entscheidung für die klassische Form der Werkmonographie führte jedoch zwangsweise zu Schwierigkeiten bei der Darlegung von größeren problemgeschichtlichen Zusammenhängen der Mythosrezeption, so wie auch umgekehrt eine Studie zu bildlichen Rezeptionsformen der favole Ovids im frühneuzeitlichen Italien viele wichtige Aspekte und interessante Details des Einzelwerks hätte außer Betracht lassen müssen. Der Komplexitätsanspruch des Werkes sollte jedoch grundsätzlich gewahrt bleiben. Zur rein formalen Gliederung des Stoffs bot sich daher die Trennung eines exemplarischen Abschnitts der Werkinterpretation von einem allgemeinen Teil an, der die Sprache, in der sich die beabsichtigte Deutung bewegen sollte, erst zu rekonstruieren hatte."[9] Dementsprechend geht Michael Thimann im ersten Teil seiner Studie "Ovids favole als Darstellungsproblem in der italienischen Renaissance" nach. Seine Fragestellungen lauten: Wie wird Mythologie in der frühen Neuzeit definiert und wie werden die favole Ovids in dieser Zeit erschlossen. [19-90] Im zweiten Teil seiner Studie widmet sich Thimann dann explizit Parmigianinos Fresken in Fontanellato "als mythologisches Exempel im Spiegel der Gattungen". [91-160] Abgeschlossen wird diese Erarbeitung mit einer "Werkbesichtigung um 1524 - Parmigionos camerino in der Sicht des zeitgenössischen Betrachters", also einer imaginierten rezeptionsästhetischen Perspektive: "'Denke an deinen Tod!' So wie Acteon vom unglücklichen Schicksal in der gemalten favola überrascht wurde, so sollte auch der Betrachter darauf achten, in jeder Situation des Lebens mit der Möglichkeit einer plötzlichen Wende in das Unglück zu rechnen." [157]
Räume
Sven Lüken, Die Verkündigung an Maria im 15. und frühen 16. Jahrhundert, Göttingen 2000
Ein wenig irreführend ist der Titel dieser Studie schon, denn ihr Verfasser hat sich eigentlich zur Aufgabe gemacht, zu untersuchen, "was Tafelbilder an Erkenntnissen zur Erforschung profaner spätmittelalterlicher Innenräume beitragen können. Die Untersuchung erfolgte anhand des Bildthemas der Verkündigung an Maria; sie beschränkt sich ... auf die in Deutschland entstandenen Tafelbilder der Zeit zwischen 1435 und 1525" [14]. Immerhin untersucht der Verfasser dazu 827 Verkündigungsdarstellungen! Auf 312 Seiten Text plus 130 Seiten Anmerkungen plus 54 Seiten Quellen- und Literaturverzeichnis nebst 98 z.T. farbigen Abbildungen erschließt der Verfasser sein Material, gliedert es nach Regionen und Darstellungstypen. Das ist in der Fülle oft ermüdend und akademisch, an manchen Stellen aber auch durchaus anregend und interessant. Und der Verfasser schließt seine Forschungsarbeit mit dem beziehungsreichen Satz: "das Verkündigungsgemälde (entspricht) einem Hochglanzfoto aus der Zeitschrift 'Schöner Wohnen'." [312]
Die dem Buch beigegebene CD ist in ihren Möglichkeiten eigentlich mehr als unzureichend ausgenutzt worden, enthält sie doch gerade mal den 1 Megabyte umfassenden Text-Katalog der untersuchten Bilder im PDF-Format. Die restlichen 649 Megabyte hätten gut und gerne mit farbigen Abbildungen der doch urheberrechtsfreien Kunstwerke gefüllt werden können, was dann auch den doch nicht geringen Preis des Werkes gerechtfertigt hätte. Ein simples Grafik-Freeware-Programm hätte es dem Betrachter so ermöglicht, durch die in der Arbeit erschlossenen Räume spazieren zu gehen. Zudem hätte man sich die kostenintensiven Abbildungen im Buch selbst sparen können.
© Andreas Mertin 2002
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Magazin für Theologie und Ästhetik 20/2002 https://www.theomag.de/20/am70.htm
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