Der Beobachter-GottNiklas Luhmann beobachtet Gott, die Welt und den TeufelJörg Löffler |
|||||
Sinn-AngeboteNiklas Luhmanns Buch "Die Religion der Gesellschaft"[1] steht in einer prominenten Reihe von Monographien, in denen er die einzelnen Funktionssysteme der modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft untersucht.[2] Wie die Bände zu Politik und Erziehung ist "Die Religion der Gesellschaft" allerdings aus dem Nachlass publiziert und nicht in einer Weise ausgearbeitet, wie man es von einem Autor gewohnt war, dessen Zettelkasten legendär geworden ist. Dies betrifft jedoch eher die Tiefenschärfe in Einzelheiten als die generellen Thesen. Aufbau und Begrifflichkeit folgen dem in den anderen Studien bereits ausgearbeiteten systemtheoretischen Modell. Weil Luhmann seine Terminologie nicht voraussetzt, sondern immer wieder sorgfältig definiert, ist der Vorwurf des Hermetischen nicht gerechtfertigt, dem sich sein Diskurs oft ausgesetzt sieht. Religion erscheint in seiner Perspektive zuallererst als Sinnform - ein aufgeladener Begriff, der hier jedoch quer zur alteuropäischen Tradition gebraucht wird. Sinn ist nichts Ganzheitliches, sondern das Resultat einer bedeutungserzeugenden Unterscheidung: Dies und nichts anderes. Ein Beobachter entscheidet sich für eine Sicht der Dinge und lässt anderes dabei notwendigerweise aus der Acht. Auch sich selbst kann er im Akt der Unterscheidung nicht beobachten. Damit entsteht ein Raum des Unbeobachtbaren - und genau für diesen Raum ist die Religion zuständig. Innerhalb einer Theorie, die auf Differenzen abgestellt ist, wäre es jedoch falsch zu sagen, dass die Religion diesen Raum positiv besetzt. Transzendenz ist nicht beobachtbar - es sei denn in der Form einer Unterscheidung: "Es geht nicht um die eine oder die andere Seite dieser Unterscheidung, sondern um ihre Form: um die Unterscheidung selbst. [...] Sinnformen werden als religiös erlebt, wenn ihr Sinn zurückverweist auf die Einheit der Differenz von beobachtbar und unbeobachtbar und dafür eine Form findet." [S. 14f.] Mit anderen Worten: Religion findet eine Form für das Abwesende, das Ausgeschlossene, das bei Sinnsetzungen unvermeidlich entsteht. Gleichzeitig verweist sie auf die Kontingenz jeder Sinngebung: Man könnte auch anders unterscheiden. Als Reflexionsfigur für kontingenten Sinn nimmt die Religion einen Platz in der Luhmannschen Systemarchitektur ein, dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Code und ProgrammDoch erschöpft sich die Funktion der Religion nicht im Aufweisen von Kontingenz und Paradoxie. In Abgrenzung zu dekonstruktiven Positionen, die er gleichwohl an vielen Stellen heranzitiert und als fruchtbare Anregung nutzt, geht es Luhmann um die Frage, wie Sinn-Systeme funktionieren können - und das trotz paradoxer Ausgangsbedingungen. Eine Möglichkeit, dies zu erklären, ist die Annahme eines binären, aber asymmetrischen Codes und seiner Programmierung. Der Code der Religion ergibt sich aus ihrer Sinnform und besitzt die beiden Werte Immanenz und Transzendenz. Luhmann postuliert, "dass eine Kommunikation immer dann religiös ist, wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet. Dabei steht Immanenz für den positiven Wert, für den Wert, der Anschlussfähigkeit für psychische und kommunikative Operationen bereitstellt, und Transzendenz für den negativen Wert, von dem aus das, was geschieht, als kontingent gesehen werden kann." [S. 77] Programme sind Vorschriften zur Erzielung "positiver Werte", die im Fall der Religion aber nicht ohne den Bezug auf Transzendentes zu haben sind (das sich jedoch nie beobachten lässt). Programmierbar wird Religion unter anderem durch die Indienstnahme der Moral. Weil deren Code gut vs. schlecht aber nicht weniger Paradoxien ausgesetzt ist als die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz, ist die Überzeugungskraft der Moral als Heilsanweisung mehr als unsicher. Wegweisend ist dagegen die Personalisierung des Gottesbilds, die mit der moralischen Umcodierung einhergeht: "Die transzendente Seite des Codes wird entsprechend personalisiert, so dass man begreifen kann, dass Gott (oder der im Götterbereich dominierende Gott) das Gute will." [S. 97] Der Beobachter-GottDie tendenzielle Unbeweglichkeit eines zweiwertigen Codes lässt sich also nicht einfach durch Programme in Bewegung bringen, die sich an systemfremden Leitdifferenzen orientieren und von dort aus ihre eigene Widersprüchlichkeit mitbringen. Erfolgversprechender ist die Einführung einer Kontingenzformel, eines steuernden Prinzips, das die Anschlussfähigkeit erhöht, ohne weitergehende Sinnverweisungen abzukappen. Im Wirtschaftssystem ist dies etwa das Postulat der Knappheit, in der Politik das der Legitimität. Für die Religion lautet die Formel schlicht - Gott. Und hier kommt die Personalisierung des Gottesbilds wieder ins Spiel, die ähnlich wie die These von der Sinnförmigkeit geradezu auf eine Komplizenschaft von Religion und Systemtheorie hinausläuft: "Gott wird als Person definiert, weil ihn das als Beobachter etabliert. [...] Vor allem aber gibt es einen Sonderstatus dieses Beobachters Gott, der mit dem Transzendenzwert des Religionscodes korreliert. Gott braucht keinen 'blinden Fleck'. Er kann jedes Unterscheidungsschema als Differenz und als Einheit des Unterschiedenen zugleich realisieren." [S. 157-159] Wahrlich ein Deus ex Machina, den Luhmann hier auftreten lässt, um die Differenzen doch noch zur Einheit zu bringen! Das einheitsstiftende Prinzip funktioniert aber ausdrücklich nur innerhalb des Systems. Ein Beobachter zweiter Ordnung - natürlich Luhmann selbst - kann dann wieder sehen, wie die Einheit nur eine zugrundeliegende Differenz kaschiert. Zur KritikAn dieser Stelle ist noch ein Wort der Kritik angebracht - trotz oder gerade wegen der hohen internen Plausibilität des Modells. Wie sein Gott gibt sich Luhmann als Beobachter höherer Ordnung, dem so leicht nichts entgehen kann. Mit Differenzen historischer oder systematischer Art geht er weniger kritisch als usurpatorisch um: Er beobachtet sie mit geradezu polyhistorischem Weitblick, um sie dann seinem System restlos einzuverleiben. Auch wenn er seine "Neubeschreibung" der Religion in bester konstruktivistischer Absicht nur als "Wechsel der Metaphorik" [S. 13] verstanden wissen möchte: Der Hegel-Preisträger Luhmann hat das Denken in Systemen in höchst ambivalenter Weise ins 20. Jahrhundert hinübergerettet. Nirgends wird dies deutlicher als im Fall des eben beschriebenen Beobachter-Gotts. Luhmann will diese "Hypothese" unterschieden wissen von allen "inhaltlichen Analogien" [S. 157] zwischen Mensch und Gott, die im alteuropäischen Denken die Personalität Gottes begründen halfen. Und sei sie auch nur strukturell - eine Analogie bleibt der Beobachter-Gott dennoch, nur orientiert sie sich nicht mehr am Menschen, sondern an Luhmanns Konstruktion des sinnkonstituierenden (beobachtend-unterscheidenden) Systems. So anregend und erklärungskräftig die systemtheoretische Beobachtung der Religion auch sein mag, so selbstreferentiell sind ihre Kategorien. In diesem Sinn hat die Systemtheorie doch etwas Hermetisches - und muß es auch haben, würde Luhmann argumentieren (doch hier droht der autopoietische Regelkreis schon wieder mit Schließung). Der Beobachter-TeufelAber vielleicht ist der 'Erkenntnis-Hochmut' der Systemtheorie bei diesem Gegenstand noch weniger zu vermeiden als sonst. Gott, den Beobachter, zu beobachten, ist ebenso gefährlich wie unvermeidbar. Denn der "erste Beobachter des Beobachtens Gottes" [S. 167] ist niemand anderes als der Teufel: "Aber wie kann man dann, anders als der Teufel, der die biblisch verbotene Frucht nicht selber isst(!), wie kann man dann den Hochmut des Besserwissens vermeiden?" [S. 164] Anmerkungen
|