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Magazin für Theologie und Ästhetik


Intakt und Ekstase

Praktisch-theologische An- und Vorschläge zum Rhythmus. Eine reflexive Suite [1]

Harald Schroeter-Wittke

Rhythm-Session I (Uli Moritz):[2] Body-Percussion (Warm up)

1. Gemeindekulturpädagogik (92)[3]

Einer der tiefsinnigsten theologischen wie musikalischen Begriffe heißt: Crossover. Genau dies, den Crossover, versucht eine Gemeindekulturpädagogik, in dem sie die Grenzen in der Kirche zwischen E- und U-Kultur und zwischen Hochkirchlichkeit und Niederschwelligkeit zu überwinden trachtet. Es kann daher nur eine Gemeindekulturpädagogik geben, die auch und insbesondere der Popkultur Aufmerksamkeit schenkt. Dabei lässt sich Gemeindekulturpädagogik[4] in dreifacher Weise verstehen:

  • Sie fokussiert die ästhetische Wendung der Praktischen Theologie der letzten 15 Jahre gemeindepädagogisch.
  • Sie stellt die kulturell verantwortlich gestaltete Pointe gemeindepädagogischer und missionarischer Anstrengungen in der Kirche dar.
  • Sie verortet die kulturpädagogischen Implikationen der Postmoderne in den Gemeinden.

In dieser dreifachen Dimensionierung kann Gemeindekulturpädagogik verschiedene Kompetenzen in Theorie und Praxis fruchtbar miteinander ins Gespräch bringen. Ich werde versuchen entsprechend eine experimentelle Komposition einer Theologie des Rhythmus[5] zu skizzieren.

Rhythm-Session II (Definition[6]): Terri Lyne Carrington: Jazz Is

"Jazz, can you hear it? Jazz is a spirit. Perpetual moments of pure creativity, jazz is abandonment within boundaries, the logical undoing of what you think it's supposed to be. Jazz is collective storytelling expressing the history and experience of a people. Jazz means no category, allowing for continuous progression. Jazz is a spirit. Can you hear it?"[7]

2. Rhythmus (80)

Intakt und Ekstase - das sind die beiden Pole, zwischen denen unser Rhythmusthema hin und her schwingt. Aber zwischen diesen beiden Polen spielt nicht nur die Musik, sondern dazwischen spielt sich unser Leben ab.

Intakt und Ekstase - das bezeichnet auf der einen Seite Ordnung: Alles ist intakt. Wir sind eingebunden in einen Rhythmus, der uns umgibt. Es gibt eine Struktur, die funktioniert und uns hält. Und es bezeichnet auf der anderen Seite den Verlust der Ordnung als Lust an der Überwindung von Zwängen: Ekstase. Das griechische Wort ekstasis heißt übersetzt: herausstehen, heraustreten, außer sich sein. Wir treten aus uns heraus. Wir sind nicht mehr bei uns selbst. Wir sind außer uns, total aus dem Häuschen, wie man so schön sagt. Wir verlassen uns - auf wen auch immer. Wir leben grundlos. Wir schweben.

Auch das Wort Rhythmus kommt aus dem Griechischen[8] und stammt von dem Verb Fließen.[9] Das Rhythmische bezeichnet die Wahrnehmung einer gleichmäßig fließenden Bewegung. Im Wort Rhythmus selbst also sind wir auf jene Grundspannung des Lebens verwiesen zwischen Ordnung und Unordnung. Rhythmen strukturieren die Zeit als Fluss. Sie inszenieren Wiederholung als eine Struktur, in der Leben wandeln und sich wandeln kann. Rhythmus bezeichnet so einen Grundvorgang des Lebens, den Prozess der Umordnung, dessen Aufhören den Tod markiert.

Neben dieser Spannung des lebenslangen Umordnens bzw. Lernens zeigt sich im Phänomen Rhythmus eine weitere grundlegende Spannung, nämlich die Spannung zwischen Natur und Kultur. Auf der einen Seite leben wir in vielfältigen sog. natürlichen Rhythmen: Die unterschiedlichen Rhythmen von Sonne und Mond, von Tag und Nacht sowie von Jahreszeiten, aber auch von Herzschlag, Atmung, Verdauung und Fruchtbarkeit. Diese Vielfalt der Rhythmen würde uns zerreißen, wenn wir ihr Zusammenspiel nicht koordinieren würden. An der Vielfalt solcher Rhythmen würden wir Menschen zerbrechen, wenn wir sie nicht sozial gestalten würden. So werden sog. natürliche Rhythmen veränderbar, um ein sozialverträgliches Leben zu ermöglichen. Solche Veränderungen lassen sich z.B. zeigen an der Geschichte der Zeit bzw. des Kalenders oder auch an der Geschichte des Körpers.

Rhythmen sind daher menschliche Setzungen, humane Impulse, kulturelle Erscheinungen, die der ständigen Veränderung unterliegen, ohne dass wir ihre Steuerung beherrschen könnten. Denn wir sind den Rhythmen unterlegen - als Subjekte, als Unterworfene, sub-iectum. Subjekte werden im Rhythmus des Vonwoandersher geboren: Der Rhythmus der Kopulation ist unser Ur-Sprung, der sich weiter entwickelt im Hören des Herzschlags und der Darm- und Magengeräusche der Mutter. Das Ohr nämlich ist unser erstes ausgebildetes Wahrnehmungsorgan. Subjekte werden im Rhythmus der Anderen geboren und konstituieren sich zugleich als eigener Rhythmus. Eine der wesentlichen Konfliktkonstellationen jeder Geburt besteht bekanntlich in dem Zusammenspiel der beiden eigenständigen Rhythmen von Mutter und Kind.

Was also ist Rhythmus?
  • Rhythmus ist als Strukturierung von Zeit Ermöglichung von Leben.
  • Rhythmus ist fließendes Einschwingen in die uns umgebenden Rhythmen.
  • Rhythmus ist die Einübung in das Maß des Umordnens zwischen Ordnung und Chaos.
  • Rhythmus ist eine kulturelle Setzung zwischen Natur und Technik.

In der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen gibt es ein Bild von Piet Mondrian (1872-1944), welches die Komplexität des Rhythmus anschaulich macht: Rhythmus aus schwarzen Linien von 1935/42.

Eine weiße Fläche - tabula rasa von Raum und Zeit - strukturiert durch schwarze Linien - kreuz und quer. Keine Linie gleicht der anderen. Sie sind unterschiedlich dick. Sie begegnen in unterschiedlichen Abständen. Nicht alle Linien führen von einem Bildrand zum anderen. Die erst 7 Jahre später nachträglich eingefügten drei Farbflächen blau, gelb und rot gewichten das Bild, verleihen ihm Spannung. Das Bild fällt aus dem Rahmen. Nicht nur, dass es selber ohne Rahmung bleibt, seine Linien kommen fast alle von woanders her und führen wieder aus den Verknotungen über den Rand hinaus. An den Knotenpunkten begegnet uns optische Täuschung. Im Vorbeihuschen der Augen sieht man in den schwarzen Kreuzungspunkten helle Punkte. Die Leinwand dieses Bildes steht leicht erhöht auf zwei weiteren nach außen abgestuften Flächen. Das Bild ist eine dreidimensionale Skulptur, in der Rhythmus eine Fläche - tabula rasa von Raum und Zeit - strukturiert und hervorhebt. Die Analyse der Gitterstruktur führt uns die Einzigartigkeit jeder einzelnen kleinen Bildfläche vor Augen. Gleichwohl strahlt das Bild eine ungeheuer hohe Stimmigkeit aus. Es befindet sich in einem eigenartigen spannungsreichen Gleichgewicht, obwohl es völlig unsymmetrisch, ja, fast ist man geneigt zu sagen, unrhythmisch aufgebaut ist. So bringt es Ordnung in Fluss und Fluss in Ordnung. Wie sich an den rissigen Stellen der weißen Untergrundfarbe erkennen lässt, nagt an jedem Rhythmus der Zahn der Zeit - trotz aller Konservierungsbemühungen der Denkmalschützer. Rhythmus hat es mit Zeit zu tun, weshalb auch die Vergänglichkeit zu einem der Themen gehört, die durch den Rhythmus anklingen, denn das Aufhören von Rhythmus bedeutet Tod.

Rhythm-Session III (Bild): Uli Moritz: Body-Percussion II (zu Piet Mondrian)

3. Abendland - Afrika - Amerika (66)

Im Horizont ethnologischer Musikforschungen stellt die Musik des Abendlandes in vielerlei Hinsicht einen Sonderfall dar.[10] Dies betrifft insbesondere die Entwicklung seiner rhythmischen Strukturen. Wie in vielen Kulturen entwickelt sich auch die Rhythmusvorstellung der abendländischen Musik aus dem Versrhythmus. Ab dem 12. Jh. jedoch ist eine Entwicklung zu beobachten, in der man "den Rhythmus auf den Takt als kurzperiodische Maßeinheit zu beziehen"[11] beginnt. Rhythmus wird nun nicht mehr additiv, sondern divisiv verstanden, nicht mehr als eine Abfolge unterschiedlicher Perioden, sondern in der Maßeinheit von Ganzen, Halben, Achteln etc., die nun in zwei Systeme unterteilt werden: gerade und ungerade Zählzeiten. Gleichzeitig mit den aufkommenden Revolutionen in den Wissenschaften wird nun auch beim Rhythmus vor allem gezählt. Die Fokussierung des Rhythmus auf den Takt hängt mit der spezifischen Schriftlichkeit der Musiknotation und -komposition im Abendland zusammen. Größere periodische Einheiten gelten nun nicht mehr als Rhythmus, sondern als musikalische Form. Rhythmischer Wechsel bedeutet jetzt Systemwechsel. Die Vielfalt der Rhythmen wird zurückgedrängt und in ein Zählsystem gezwängt. Der Vorteil dieses Verfahrens, in der sich das Gehirn nun nicht mehr auf das sehr schwierige Verfolgen des Nacheinanders musikalischer Prozesse konzentrieren muss, besteht darin, dass es sich nun beim Hören auf das konzentrieren kann, was gleichzeitig passiert, nämlich die Harmonik. So erfahren Harmonik, Melodik und Instrumentierung in der abendländischen Musik eine einzigartige Blüte.[12] Körperbezogene rhythmisch komplexe Musik wandert aus dem Alltag aus und bleibt allein auf den Tanz beschränkt, der zunehmend nur noch in Kunstformen existiert, sei es als höfischer Tanz oder als bürgerliches Ballett.[13]

Zu Beginn des 20. Jh. geschieht hier ein radikaler Umbruch,[14] sowohl in der E-Musik - man denke nur an Strawinskys Sacre du printemps - als auch in der Musik, die als Vorläufer der Popmusik betrachtet werden muss, in den frühen Formen des Jazz, die nun zunehmend auch in Europa adaptiert werden. In Amerika war es nämlich mittlerweile durch den Kontakt der weißen mit den schwarzen Kulturen zu einer neuen Musik gekommen. Die schwarzen Sklaven hatten ihr afrikanisches Erbe nach Amerika mitgebracht. Dieses bestand musikalisch vor allem darin, dass die Trommeln und damit der Rhythmus das schlechthin entscheidende musikalische Paradigma war, dem sich alle anderen Paradigmen wie Melodik, Harmonik oder Instrumentierung unterordnen. Da die Weißen den Sklaven allerdings ihre Trommeln wegnahmen, transponierten die Schwarzen ihre Musik, d.h. v.a. ihre Rhythmen auf ihre Körper oder auf andere Instrumente, deren sie habhaft konnten, z.B. Waschbretter, aber auch Klaviere, die z.B. beim Boogie Woogie oder beim Ragtime als Schlaginstrumente gebraucht werden.

Über mehrere Vermittlungen und Vermischungen, die ich hier nicht weiter verfolgen kann, setzte sich dieses grundlegende musikalische Paradigma des Rhythmus nicht nur in der black music, sondern auch in der weißen Popkultur durch. Diese Musikkonzeption, die immer schon z.B. auch mit dem Gebrauch von bewusstseinserweiternden Mitteln verknüpft war, räumt dem Körper eine Bedeutung ein, die von den abendländischen Zivilisationsstrategien, an denen sich insbesondere die Kirchen rege beteiligt hatten, als Bedrohung empfunden wurde - aber auch als Befreiung aus den Zwängen der Rationalität, gemeinhin auch Sachzwänge genannt. Denn im Rhythmus als Ekstase und als Regression bricht sich die Verheißung Bahn, wieder an den Quellen des Lebens Anteil zu haben und aus ihnen schöpfen zu können. Rhythmus und Schöpfung sind Geschwister.

Das rhythmische Paradigma der Popmusik hat längst auch im klassischen Bereich Einzug gehalten - und wie ich finde, sehr überzeugend und faszinierend, wenn ich da z.B. an die Behandlung des Klaviers als Schlaginstrument bei Vladimir Ashkenazys Beethovensonaten denke oder an John Eliot Gardiners Einspielungen oder - weil ich hier in Hannover bin - an die Beethoven-Symphonien der Hannover Band, die mit ihrer kleinen Original-Besetzung die rhythmischen Strukturen deutlich zur Geltung bringt. Die Kirche und ihre Musik hat mit ihrer Körperfeindlichkeit bzw. Rhythmusvergessenheit hier noch großen Nachholbedarf.

Als gelungenes Beispiel eines Crossover beider Musiktraditionen stelle ich nun die Ouvertüre aus Händels Messias vor, die in der Version von Mervyn Warren "a partial history of black music" darstellt.

Rhythm-Session IV (Afro-Amerika): Handel's Messiah - A Soulful Celebration (1992), No. 1

Rhythm-Session V (Sprache): Lesung in Fremdsprache[15]

4. Bibel (40)

Meine Bibelkunde zum Rhythmus beginne ich mit einem rhythmischen Phänomen der hebräischen Sprache. Für den Rhythmus einer Kultur ist die Poesie einer Sprache grundlegend, weil in ihr oft die rhythmischen Strukturen entwickelt werden. Für die hebräische Poesie ist es grundlegend, dass etwas immer in zweifacher Weise bestimmt wird. Gott ist einer, nicht aber der Mensch. Für die hebräische Hermeneutik gilt Ps 62,12 als Grundsatz: "Eines hat Gott gesprochen, zwei sind's, die ich gehört habe."[16]

Daher gibt es im Hebräischen den sog. parallelismus membrorum: Alle Sachen werden auf verschiedene Weise mindestens zweifach beschrieben. So auch in unserem Psalm: Hier begegnet der parallelismus membrorum[17] zweimal, einmal in Richtung der Menschen auf Gott hin und das andere mal von Gott her auf die Menschen zu:

"Lobet Jahwe, alle Völker!
Preiset ihn, alle Nationen!
Denn über uns ist mächtig seine Huld,
und Jahwes Treue währt ewiglich.
Hallelujah!"[18]

Der Sprachrhythmus als Hörgrammatik des Glaubens ermöglicht allererst die Generierung von Sinn, und diese gestaltet sich im Hebräischen überraschend: Menschen können weder Gott auf den Punkt bringen noch das, was von Gott her auf sie zukommt. Menschen können von Gott nur angemessen reden, wenn sie es nicht eindeutig tun, sondern mindestens zweideutig, zweifach. Oder anders, noch pointierter gesagt: Der Rhythmus des Hebräischen gibt nicht dem Einfältigen, sondern dem Zweifel immer schon einen Raum in der grammatischen Struktur des Betens. Beten aber stellt den elementaren Vollzug von Theologie dar.

Der 2. Punkt meiner Bibelkunde zum Rhythmus bezieht sich auf die Schöpfung. In der 1. Schöpfungsgeschichte wird berichtet, wie Gott in 7 Tagen Himmel und Erde schafft mit dem 7. Tag, dem Schabbat, als Zielpunkt der gesamten Schöpfung. Es ist für Schöpfungsgeschichten in den Religionen sehr ungewöhnlich, dass auch die Zeit bzw. der Rhythmus in ihnen geschaffen wird. Und so gehört der 7-Tage-Rhythmus der Woche zu den Einmaligkeiten des Judentums, die sich bis heute historisch nicht aus seiner Umwelt herleiten lassen. Er entbehrt aller natürlichen Grundlagen und ist religiös-kulturell-göttliche Setzung, so wie die Schöpfung insgesamt eine Setzung Gottes ist, unbegründbar. Mit der Schöpfung gibt Gott den Impuls für einen Rhythmus dieser Welt, der als Setzung bewusst bleibt. Denn dieser Rhythmus, ebenso wie die Schöpfung, sind tatsächlich Ur-Sprung, ein Sprung, auf dem wir uns niemals befinden, sondern den wir immer schon hinter uns haben. An das Ur des Sprungs werden wir niemals gelangen. Signifikanterweise beginnt denn auch die Bibel im Hebräischen mit "b" "bereschit" - und nicht wie im Deutschen mit A: Am Anfang. Und was für alle Schöpfungswerke Gottes gilt, gilt auch für den Rhythmus: Er hat keine Offenbarungsqualität und ist deshalb sehr gut, denn er ist dazu da, dass Menschen ihn zu ihrem Wohl gebrauchen. Und dieses Wohl darf durchaus körperorientiert, lustvoll und rauschhaft sein, wie die musikalische Rhythmuspraxis der Bibel zeigt, die ich in einem dritten Punkt kurz vorstellen will:

An 2 Stellen wird die musikalische Ekstase im Alten Testament deutlich kritisiert: Beim Tanz ums goldene Kalb (Ex 32) und bei den Baalspriestern beim Gottesurteil auf dem Karmel (1. Kön 18). Diese Stellen haben eine verheerende Wirkungsgeschichte insbesondere im Christentum gehabt. Dabei blieb aber die weitere Musikpraxis im Alten Testament weitgehend unbedacht.[19] Denn diese zeigt sehr wohl ekstatische Züge, z.B. wenn David vor Freude vor der Bundeslade tanzt, die feierlich nach Jerusalem hereingetragen wird (2. Sam 6), oder wenn uns Elia mit den Zügen eines ekstatischen Mantikers geschildert wird 1. Kön 18,41-46). Bei diesen Phänomenen spielen insbesondere die Frauen eine große Rolle, die regelmäßig zur Trommel greifen, wenn es um Siegeslieder geht, so etwa bei Mirjam nach dem Durchzug durchs Rote Meer (Ex 15,20), bei Jeftahs Tochter (Ri 11,34), bei Davids Siegen über die Philister (1. Sam 18,6f) oder bei Judith (Jud 15,16). Schließlich weisen die Musikinstrumente darauf hin, dass es sich hier um ekstatische Musikpraktiken gehandelt haben muss. Was glauben Sie wohl, was man mit so schönen Instrumenten wie einer Rahmentrommel[20] oder mit metallenen Zimbeln, Becken und Rasseln, flankiert von Blasinstrumenten wie das Schophar und Trompeten, die durchaus zu Hyperventilationen führen können, und Doppeloboen, wie wir sie auch aus dem orgiastischen Dionysoskult kennen?

Bei allen ekstatischen Musikpraktiken darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass es in der jüdisch-christlichen Tradition immer schon mit großen Schwierigkeiten verknüpft war, wenn diese im Zusammenhang mit Sexualität auftrat, wie es beim Baals- und Ascherenkult üblich war.[21] An diese Frage wird seit dem beginnenden 20. Jh. mit der Wiederentdeckung des Rhythmus in unüberhörbarer Weise gerührt. Das beginnt etwa mit den Traditionen des Shakerns, setzt sich fort etwa über den Rock'N'Roll, wenn man bedenkt das to rock eindeutig sexuell konnotiert ist, zumal es hier auch noch im Zusamennhang mit to roll geschieht, und ist gegenwärtig z.B. bei den Love-Parades unübersehbar.

Nicht nur die Popmusik stellt diese Fragen neu, sondern auch die sog. E-Musik mit ihrer Wiederentdeckung indigener Rhythmen im Osten und Norden Europas und Asiens bei Strawinsky und Bartok etwa. Schließlich war auch der Dadaismus in dieser Richtung wirksam. Ich möchte daher nun ein Stück eines der interessantesten Komponisten des 20. Jh. spielen, von Erwin Schulhoff,[22] einem großen Bewunderer von George Grosz. Schulhoff wurde 1894 in Prag geboren und starb 1942 im Internierungslager Wülzburg. Das Stück entstammt seiner dadaistischen Phase in Dresden.[23]

Rhythm-Session VI (Sex): Erwin Schulhoff: Sonata erotica für Solo-Müttertrompete[24]

5. Rock'N'Roll (144)

Schulhoffs Stück ist unrhythmisch, aber es hat einen Rhythmus zur Grundlage, den wir nicht hören. Das Stück bringt den isolierten Effekt von Rhythmus zu Gehör. Dieser heißt Lust und Unvernünftigkeit bzw. Unsinn. Genau darin aber besteht m.E. das Hauptproblem für eine Theologie des Rhythmus, ob sie nämlich in der Lage ist, diese 3 Kategorien als notwendige und willkommene Lebenskategorien zu würdigen: Sex, Lust und Unsinn - oder um es poppiger zu sagen: Sex & Drugs & Rock'N'Roll. Ich will hier nicht weiter in die Tiefe gehen und versuche es daher mit einem Gedicht von Robert Gernhardt:

Rhythm-Session VII (UnSinn): Robert Gernhardt:

Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs[25]

"Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
dass wer Sonnette schreibt. Dass wer den Mut
hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, dass so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut
darüber, dass so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.
Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen."[26]

6. Percussion (176)

"Muss nicht jede noch so gelungene Eurhythmie mit Fremdartigem rechen, das den Rhythmus stört, indem es aus der Reihe tanzt?"[27] So fragt der Bochumer Philosoph Bernhard Waldenfels in seiner Phänomenologie des Rhythmus der Sinne. Anhand des menschlichen Spracherwerbs, der sich zunächst nicht durch Sinnverstehen, sondern durch Wiedererkennen von Lautgestalten und Schriftbildern vollzieht, zeigt Waldenfels, dass Rhythmus anderes ist als Takt und Sinn. "Rhythmus und Sinn durchdringen sich, aber sie decken sich nicht."[28]

Gerade in dem Moment der Wiederholung, welche Rhythmus als Rhythmus allererst konstituiert, macht Waldenfels eine Amivalenz namhaft, die zugleich ordnungserhaltend als auch ordnungsbildend, d.h., umordnend ist. Denn wer eine neue Ordnung bildet, bildet eine alte um. Wiederholung ist die Wiederkehr des Ungleichen als eines Gleichen. Die "Wiederholung macht gleich, was nicht gleich ist."[29] Rhythmus hat es daher immer auch mit dem Spiel von Ab- und Anwesenheit zu tun, denn Wiederkehren kann nur etwas, was zuvor fort war. Gleichzeitig aber ist etwas nur dadurch, dass und indem es sich wiederholt. "So beruht jede Wiederkehr auf einer originären Vergangenheit. Der erste Takt ist immer schon verklungen. Einen ersten Ton gibt es ebensowenig wie ein erstes Wort. Jeder Ton ist bereits Echo eines anderen Tons."[30] Soweit der Philosoph Waldenfels. Oder um es mit dem Bochumer Alttestamentler Jürgen Ebach zu sagen: "Die Bibel beginnt mit "b""[31]. So kommt Waldenfels zu dem Schluss: "Wenn uns etwas vor der lähmenden Monotonie oder dem erzwungenen Gleichschritt bewahrt, so sind es arhythmische Störungen, Abweichungen, Stolpersteine, Einbrüche des Ungeregelten, infolge deren die Gangart sich ändert."[32]

Sich von diesem Anderen - manche Theologen wie z.B. Karl Barth haben es Gott genannt - sich von diesem Anderen aus dem Tritt und Trott bringen zu lassen, diesem Anderen zu antworten, hat sich das Konzept der Responsivität und Responsibilität verschrieben, welches Dieter Mersch jüngst in seiner Ästhetik des Performativen vorgestellt hat. Sein Plädoyer, "vom Anderen her zu denken statt auf es zu"[33], ist daher von hoher theologischer Dignität.

Was bedeutet dies für eine Anthropologie des Rhythmus? Wo und wie kommt der Mensch im Klang des Rhythmus zustande? Peter Sloterdijk hat die Frage gestellt: "Wo sind wir, wenn wir Musik hören?"[34] Seine Antwort lautet: In der Perkussion. Der Schlag der uns umgebenden Welten durchzittert uns. Rhythmus lässt uns im Erzittern erleben, dass wir keinen Überblick haben können, dass wir uns nicht ausnehmen oder auswechseln können, dass wir also immer schon in die Welt verstrickt sind. Sloterdijk wehrt sich damit gegen den Versuch Descartes', klanglos, und d.h. körperlos zu denken.

In seiner Phänomenologie der Gesten hat Vilém Flusser die Geste des Musikhörens als "akustische Massage"[35] beschrieben: "Musik bringt nicht nur den Hörnerv, sondern den ganzen Körper zum Schwingen. [...] Beim Musikhören wird der Körper Musik und die Musik wird Körper. [...] Beim Hören von Musik wird der Mensch in ganz physischem (nicht in übertragenem) Sinn von der Botschaft "ergriffen"."[36] Musik geht unter die Haut, welche das wichtigste Organ dieser akustischen Massage ist. Denn die akustischen Schwingungen durchdringen die Körperhaut nicht nur, sondern bringen sie auch zum Mitschwingen: "Die Haut, jenes Niemandsland zwischen Mensch und Welt, wird dadurch aus Grenze zu Verbindung. Beim Musikhören fällt die Trennung zwischen Mensch und Welt, der Mensch überwindet seine Haut oder, umgekehrt, die Haut überwindet ihren Menschen. Die mathematische Schwingung der Haut beim Musikhören, die sich dann auf die Eingeweide, aufs "Innere" überträgt, ist "Ekstase", ist das "mystische Erlebnis". Es ist die Überwindung der Hegelschen Dialektik."[37] Musikhören lässt die Haut zur Membrane werden.[38] So werden Menschen zu Personen, durch die etwas hindurchklingt: Per-Sonare. Günter Bader hat in seinen Überlegungen zu Affekten als Klängen das Hören als "gänzliches Durchdringen und Durchdrungenwerden: Innen als Außen, Außen als Innen" beschrieben und theologisch gezeigt, dass der Mensch dadurch zum Instrument wird: "Ein Instrument wird geblasen [...]. Der geblasene, angewehte und so zum Instrument gewordene Mensch ist Mittelpunkt aller Vorstellungen von Inspiration. Ein Instrument wird aber auch geschlagen [...]. So ist es der geschlagene, gebeutelte, erschütterte, erzitternde Mensch, der zum Instrument wurde, diesmal Saiten-, nicht Blasinstrument. Organologisch treten sich Inspiration und Perkussion völlig gleichberechtigt zur Seite."[39]

Rhythm-Session VIII (Körper): Uli Moritz: Body-Percussion III (Rhythmus ist schwer!)

"Rhythmus ist ein Phänomen,
Mancher kann ihn einfach so,
Auch wenn man alles gut erklärt,
dann heißt das nicht, dass jedermann,
nur rational nicht zu verstehen.
mancher wir mit ihm nicht froh.
ganz genau, kein Wort verkehrt,
der zugehört hat, hinterher auch Rhythmus kann.
Dennoch sag ich laut und klar:
(Alle durcheinander:): Rhythmus ist schwer...
Leute, es ist wirklich wahr:
aber lernbar!
Rhythmus gibt es überall,
Die kleinste Zelle pulst im Beat,
Auch wir sind rhythmischer Natur,
Man übt, man spielt, bis alles swingt,
im Herzschlag und im Weltenall.
und jeder Fixstern singt sein Lied.
doch Trommelrhythmen sind Kultur.
je länger, desto besser klingt's:
Also sag ich laut und klar:
(Alle durcheinander:): Rhythmus ist schwer...
Leute, es ist wirklich wahr:
aber lernbar!
Rhythmus, das ist körperlich: .
Sei locker und dabei exakt,
Doch man weiß: Jede Bewegung
auch die Zellen, unsre grauen,
Komm, rüttel dich und schüttel dich
dann hast du Spaß in jedem Takt.
wird ausgelöst durch Hirnerregung;
wollen das System durchschauen.
Und sag ich laut und klar:
(Alle durcheinander:): Rhythmus ist schwer...
Leute, es ist wirklich wahr:
aber lernbar!
Bereits vor langer, langer Zeit
In jeder Höhle tönt der Grovve
Die Trommel spricht, der Rhythmus dröhnt,
Man tanzt, man singt, der Stamm ist froh,
wusste die Menschheit schon Bescheid.
bei des Schamanen lauten Ruf.
die bösen Geister sind versöhnt.
das war schon in der Steinzeit so.
Auch damals war es allen klar:
(Alle durcheinander:): Rhythmus ist schwer...
Leute, es ist wirklich wahr:
aber lernbar!" (Uli Moritz, 2003)
7. Kirche (72)

Was bedeutet eine Theologie des Rhythmus für die Praxis der Kirche, für eine gemeindekulturpädagogische Weiterarbeit? Ich stelle meine Assoziationen dazu vor:

  1. Eine Kirche, die das Phänomen Rhythmus würdigen will, braucht ein unverkrampftes Verhältnis zu den drei Dingen, die besonders thematisiert sind: Körper, Lust, Sexualität. Sie braucht zudem ein Gespür dafür, dass nicht alles Sinn machen muss, sondern bisweilen auch nur Spaß zu machen braucht. In dieser Richtung hat sie die befreienden Qualitäten von Rhythmus zur Geltung zu bringen, die insbesondere in der afro-amerikanischen Spielart dieses Phänomens hörbar werden. Von hieraus ließe sich z.B. nach der Bedeutung des Rap als einem rhythmischen Besprechen von Welt für die Predigt fragen, aber auch nach neuen Formen des Tanzes und der Bewegungsfreiheit in liturgischen Zusammenhängen.
  2. Die Gemeinden vor Ort, aber auch Kirchenkreise und Landeskirchen haben die Aufgabe, der zunehmenden Entrhythmisierung unseres Lebens[40] etwas entgegenzusetzen. Dafür steht ihnen in der kirchlichen Tradition reiches Material zur Verfügung, z.B. mit dem Kirchenjahr. Dieses darf aber nicht rückwärtsgewandt verwaltet werden, sondern muss mit den vorrangigen situativen Bedürfnissen des bürgerlichen Gemeindejahres ins Spiel gebracht werden.[41] Aber auch die Arbeit an und mit der Liturgie kann nicht geschehen, ohne die Kraft der Rhythmen religionspädagogisch zu nutzen.[42]
  3. 3. Eine vom Rhythmus geprägte Kirche denkt vom Anderen her statt auf es zu. Sie wird weniger den Takt zu einer Tugend erheben,[43] sondern die überraschende Performance,[44] die uns so unterhält, dass sich unsere Gangart ändern kann. Was das für die Gestaltung gemeindekultureller Projekte bedeutet, muss vor Ort bei den dafür Kompetenten ausgehandelt werden. Die Bedeutung von Tempo- und Rhythmusfragen für Paarbeziehungen haben Alfons Vansteenwagen und Ingeborg Roessler gewinnbringend erörtert, indem sie auf die unhintergehbare Unterschiedlichkeit von Rhythmen aufmerksam machen, der durch einfachen Takt nicht beizukommen ist.[45]

Welche Zukunft hat der Rhythmus? Dazu will ich abschließend eine weitere Komposition von Erwin Schulhoff aus dem Jahre 1919 vorstellen aus seinen 5 Pittoresken für Klavier op. 31, das einen bedeutsamen Wendepunkt im kompositorischen Schaffen Schulhoffs ausmacht.[46] Denn in diesem Werk übernimmt er zum erstenmal als einer der ersten europäischen Komponisten deutliche Jazzelemente, was ihn die nächsten 10 Jahre kompositorisch prägen wird.[47] Während es sich bei den Stücken 1 und 2 sowie 4 und 5 um ganz normale Klavierkompositionen handelt, stellt das 3. Stück vor ein Rätsel:

Rhythm-Session IX (Pause): Erwin Schulhoff: In futurum[48]

8. Himmel (208)

In futurum - eine säkulare Eschatologie? Wenn man bedenkt, dass Schulhoff nach seiner Wendung zum Kommunismus in den 30er Jahren das Kommunistische Manifest vertont hat, wird man hier nicht zuviel religiöse Bedeutung hineinlegen. Das Zeitmaß zeitlos, die verrückten Taktarten, Ausrufe- und Fragezeichen sowie Smileys als Notationen stellen vor unerhörte Schwierigkeiten. Dennoch macht dieses Stück auch Sinn, wenn man die Stelle mit den 4 Ausrufezeichen betrachtet, wo der Pazifist Schulhoff von der Generalpause her dem Marschall eine Pause verordnet.

In futurum - ich frage als Theologe: Gibt es im Himmel noch Rhythmus, wenn es dort keine Zeit mehr gibt?

In futurum - ich frage als Pianist: Wie kann dieser zentraler Mittelsatz der 5 Pittoresken aufgeführt werden?

In futurum - ich frage das Auditorium: Wie viel Pausen machen einen Rhythmus? Oder macht der Rhythmus Pause?

Rhythm-Session X (Lee/hre): Uli Moritz: Body-Percussion IV (zu Schulhoff: In futurum)

Anmerkungen
  1. Um Anmerkungen erweiterte Fassung eines Vortrags am 22.02.2003 auf einer Tagung zum 10-jährigen Jubiläum von "Jazz-Rock-Pop in der Kirche" in Hannover.
  2. Vgl. dazu Ulrich Moritz: Body-Beat! Bodypercussion und Trommeln. Ein Lese- und Übungsbuch für alle Rhythmus-Begeisterten. Mit vielen Tips für die rhythmuspädagogische Arbeit, Berlin o.J. (zu beziehen über: Ulrich Moritz: Paulsborner Str. 82, 10709 Berlin); zur Arbeit mit Rhythmen in der Kultursozialarbeit vgl. auch Hartmut Gruber: Rhythmus und Trommeln; in: Birgit Jank / Uwe Reyher (Hg.): Ganz Aug' und Ohr. Die andere art einer ästhetischen uns sozialen Praxis, Obertshausen 1994, 210-215.
  3. Vor jedem Satz wird auf dem Metronom die angegebene Zahlenangabe eingestellt, welche dann als tonloses Blinklicht vom Auditorium zu sehen sein wird.
  4. Zu diesem von Henning Schröer kreierten Begriff vgl. grundlegend Gotthard Fermor / Günter Ruddat / Harald Schroeter-Wittke (Hg.): Gemeindekulturpädagogik, Rheinbach 2001.
  5. Ein solcher Versuch versteht sich als rhythmische Variante einer Frage, die Henning Schröer aufgeworfen hat: Wie musikalische kann Theologie werden? Ein Plädoyer für die Wahrnehmung von Theophonie; in: Gotthard Fermor / Hans-Martin Gutmann / Harald Schroeter (Hg.): Theophonie. Grenzgänge zwischen Musik und Theologie, Rheinbach 2000, 299-312.
  6. Im folgenden ist Jazz durch Rhythm zu ersetzen. Zu den Schwierigkeiten, Jazz zu definieren vgl. Stephan Richter: Zu einer Ästhetik des Jazz. EHS XXXVI/149, Frankfurt 1995. Daher geschieht meine wissenschaftliche Definition als Musikstück, als rhythmische Performance.
  7. Terri Lyne Carrington: Jazz Is A Spirit, CD ACT Music 2002.
  8. Vgl. E. Benveniste: La notion de "rhythme" dans son expression linguistique; in: ders.: Problèmes de linguistique générale, Paris 1951/1966, 333: "Wenn man von Kontexten seines Vorkommens ausgeht, dann bezeichnet dieses Wort die Form im Augenblick ihrer Verkörperung durch Veränderliches, Bewegliches, Fließendes - die Form all jener Stoffe, die keine organische Konsistenz haben: sie sntspricht dem pattern eines instabilen Elements." (zit. n. Hans Ulrich Gumbrecht: Rhythmus und Sinn; in: ders. / K. Ludwig Pfeiffer [Hg]: Materialität der Kommunikation, Frankfurt 21995, 717.)
  9. Von hieraus ergeben sich sehr viele Verbindungen zu dem, was die Ritualforschung im Gefolge Victor Turners Flow-Experience nennt; vgl. dazu Harald Schroeter-Wittke: Übergang statt Untergang. Die Bedeutung Victor Turners für einen kulturtheologische Praxistheorie; in: ThLZ 128 (2003). Rhythmus und Ritual gehören zusammen; vgl. Hans-Günter Heimbrock: Gottesdienst: Spielraum des Lebens. Sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen zum Ritual in praktisch-theologischem Interesse, Weinheim / Kampen 1993, 70-73; sowie ders.: "Modo religioso". Klang und religiöse Bedürfnisse; in: Wolf-Eckart Failing / Hans-Günter Heimbrock: Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt - Alltagskultur - Religionspraxis, Stuttgart u.a. 1998, 69-90. Rhythmus gestaltet sich so Ermöglichung von Flow. Der Beschreibung dieses Phänomens hat sich vor allem Hans-Martin Gutmann - detailliert und am eigenen Leib erprobt - gewidmet, vgl. z.B. Hans-Martin Gutmann: Popularmusik als Gegenstand ästhetischer Praxis. Zu einem vernachlässigten Thema der Religionspädagogik; in: PTh 83 (1994), 285-302; ders.: Grenzgänge. Einfälle zu Jazz und Theologie; in: Gotthard Fermor / Hans-Martin Gutmann / Harald Schroeter (Hg.): Theophonie. Grenzgänge zwischen Musik und Theologie, Rheinbach 2000, 78-97; sowie ders.: Der Flow-Kanal und der Weg zur guten Gestalt. Religionspädagogische Überlegungen zur Didaktik ästhetischer Arbeitsprozesse zwischen Ritual und Inszenierung; in: JRP 18 (2002), 100-111.
  10. Vgl. dazu Helmut Rösing: Sonderfall Abendland; in: Herbert Bruhn / Rolf Oerter / Helmut Rösing (Hg.): Musik-Psychologie. Ein Handbuch, Reinbek 31997, 74-86.
  11. Rudolf Maria Brandl / Helmut Rösing: Musikkulturen im Vergleich; in: Herbert Bruhn / Rolf Oerter / Helmut Rösing (Hg.): Musik-Psychologie. Ein Handbuch, Reinbek 31997, 70.
  12. Zu den neurophysiologischen Voraussetzungen der Wahrnehmung von Rhythmen vgl. Robert Jourdain: Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt, Heidelberg/Berlin 1998, bes. 159-198. Jourdain geht von zwei unterschiedlichen Paradigmen des Rhythmus aus, dem Metrum, welches den Zeitablauf für musikalische Kleinabschnitte festlegt, und der Phrasierung, welche für größere Zeitabschnitte sowie die aktuelle Performance zuständig ist. Für das Abendland ist die Vernachlässigung des Metrums typisch, bei gleichzeitig hochkomplexer Entwicklung der Phrasierung. Im Durchbruch des Metronoms zu Beethovens Zeiten, also über 100 Jahre nach seiner Entwicklung 1696, zeigt sich der Wahn einer technischen Festlegung bzw. Beherrschbarkeit von Metrum und Tempo, die sich aber sehr bald auch (schon bei Beethoven) als für die Performance eher hinderlich herausstellte. Mit dem Aufkommen technisch produzierter Studio-Musik ändert sich dies noch einmal. Am Techno lässt sich hierbei aber auch zeigen, dass es nun das Paradigma der Lautstärke ist, zu dem ich mich aktiv in Freiheit und Bindung körperlich verhalte oder von dem ich mich aktiv unterhalten, tragen lasse.
  13. Vgl. Gotthard Fermor: Art. Tanz II. Praktisch-theologisch; in: TRE 32 (2001), 647-655.
  14. Zum folgenden vgl. Dita von Szadkowski: Am Anfang war der Rhythmus. Rhythmische Strukturen im Leben und in der Musik; in: Dies.: Grenzüberschreitungen. Jazz und sein musikalisches Umfeld der 80er Jahre, Frankfurt 1986, 113-122; Michael Ventura: Vom Voodoo zum Walkman. Weltbeat 2. Der grüne Zweig 134, Löhrbach o.J. (1988); Mark Sumner Harvey: Rhythm, Ritual and Religion: Postmodern (Musical) Agonistes; in: Jon Michael Spencer (Hg.): Theomusicology. A Special Issue of Blck Sacred Music: A Journal of Theomusicology, Vol. 8 (1/1994), 178-201; sowie aus theologischer Sicht die bislang unübertroffenen Dissertationen von Bernd Schwarze: Die Religion der Rock- und Popmusik. Analysen und Interpretationen. PTHe 28, Stuttgart u.a. 1997; sowie Gotthard Fermor: Ekstasis. Das religiöse Erbe in der Popmusik als Herausforderung an die Kirche. PTHe 46, Stuttgart u.a. 1999.
  15. Psalm 117 wird auf hebräisch dreimal gelesen mit der Arbeitsanweisung, das zu notieren, was für einen daran Sinn macht. Erst vor dem 3. Lesen wird kundgetan, dass es sich um Ps 117, den kürzesten Psalm der Bibel, handelt.
  16. Übersetzung nach Jürgen Ebach: Die Poesie der Bibel. Über Parallelismen und Widersprüche, "unspezifische Genauigkeit" sowie Antworten, die zu Fragen werden; in: Henning Schröer / Gotthard Fermor / Harald Schroeter (Hg.): Theopoesie. Theologie und Poesie in hermeneutischer Sicht, Rheinbach 1998, 13-41; zum folgende vgl. ebd.
  17. Dabei scheiterte gerade an diesem Phänomen ein Rhythmusverständnis, das ihn allein vom Metrum her definieren wollte; vgl. dazu Henri Meschonnic: Rhythmus; in: Christoph Wulf (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997, 609-618.
  18. Übersetzung nach Hans-Joachim Kraus: Psalmen, 2. Teilband, BK 15/II, Neukirchen 1960, 798.
  19. Vgl. dazu Hans Seidel: Musik in Altisrael. Untersuchungen zur Musikgeschichte und Musikpraxis Altisraels anhand biblischer und außerbiblischer Texte, Frankfurt 1989.
  20. Die Rahmentrommel ist auch bei Schamanen das Instrument, mit dem die Verbindung zur anderen Welt erspielt wird; vgl. dazu Wolfgang Suppan: Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik, Mainz u.a. 1984, bes. 33-45.
  21. Inkorpation dieses Fascinosum und Tremendum ist, bes. im anglo-amerikanischen Sprachraum, die Figur Jezebel geworden, die sich aus Königin Isebel, der biblischen Gegenspielerin des Propheten Elia entwickelt; vgl. dazu Janet Howe Gaines: Music in the old bones. Jezebel through the ages, Carbondale and Edwardsville (Southern Illinois University Press) 1999; sowie popmusikalisch Mareike Beer: Jezebel - eine gewaltige Frau; in: PrTh 38 (2003), Heft 3.
  22. Vgl. Josef Bek: Erwin Schulhoff. Leben und Werk. Verdrängte Musik 8, Hamburg 1994.
  23. Vgl. dazu Jeanpaul Goergen: Dadaisierte Musik in Zürich, Berlin und Dresden; in: Gottfried Eberle (Hg.): Erwin Schulhoff. Die Referate des Kolloquiums in Köln am 7. Oktober 1992. Verdrängte Musik 5, Hamburg 1993, 43-67; sowie Tobias Widmaier: "In meinen Eingeweiden kräuseln süsse Kakophonien". Erwin Schulhoffs Dadatöne; in: Ebd., 69-87.
  24. CD Erwin Schulhoff: Chamber Works Vol. 5, Supraphon Records (Prag) 1995; Interpretin: Diana Stone. Schulhoff lässt hier den Orgasmus einer Frau, den sie mit einem Mann hat, solo erklingen.
  25. Robert Gernhardt: Reim und Zeit, Stuttgart 1990, 45.
  26. Vgl. Bertold Breig: Materialien zu einer Apologetik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs:
    "Sonette find ich allererste Sahne,
    Sie sind so taff, so steil, so mega-in,
    Sich irgendetwas andres reinzuziehn
    Ist für den Arsch, ist absolut vertane
    Gehirnaktivität. Ich schrei und japse,
    Sonette geben voll den geilen Trip
    Sie sind so hyper-mega-ober-hip,
    Wer das nicht schnallt, gehört echt in die Klapse,
    Ins Zuchthaus, nein, aufs Streckbrett, nein: Schaffott!
    Egal, nur weg, und hundert auf den Fetten
    Für jeden, der dumm rumzickt bei Sonetten,
    Denn im Vergleich ist alles andre Schrott.
    Wer das nicht rafft, der ist total banane,
    Ich find sonette alererste Sahne." (aus dem Internet)
  27. Bernhard Waldenfels: Vom Rhythmus der Sinne; in: Ders.: Sinnesschwellen. Studien zur Phänomenologie des Fremden 3. stw 1397, Frankfurt 1999, 54.
  28. Ebd., 63.
  29. Ebd., 80.
  30. Ebd., 83.
  31. Jürgen Ebach: Die Bibel beginn mit "b" - Vielfalt ohne Beliebigkeit; in: Ders.: Gott im Wort. Drei Studien zur biblischen Exegese und Hermeneutik, Neukirchen-Vluyn 1997, 85-114.
  32. 85.
  33. Dieter Mersch: Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt 2002, 21.
  34. Peter Sloterdijk: Wo sind wir, wenn wir Musik hören?; in: Ders.: Weltfremdheit, Frankfurt 1993, 294-325.
  35. Vilém Flusser: Die Geste des Musikhören; in: Ders.: Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Frankfurt 1997, 156.
  36. Ebd., 154f.
  37. Ebd., 158.
  38. Bei diesem Phänomen hat eine theologische Wahrnehmung von Techno anzusetzen; vgl. dazu Böhm / Buschmann: Jugendkultur "Techno" - Säkularisierte Religiosität der Postmoderne?; in: Dies.: Popmusik - Religion - Unterricht. Modelle und Materialien zur Didaktik von Popularkultur, Münster u.a. 2002, 41-62.
  39. Günter Bader: Psalterium affectuum palaestra. Prolegomena zu einer Theologie des Psalters. HUT 33, Tübingen 1996, 197-199.
  40. Vgl. dazu Karlheinz A. Geißler: Die Orientierung am Rhythmus. Das rechte Zeitmaß in der Zeit der Flexibilisierung; in: Peter Rusterholz / Rupert Moser (Hg.): Zeit. Zeitverständnis in Wissenschaft und Lebenswelt, Bern u.a. 1997, 111-135.
  41. Zu diesem komplexen Zusammenspiel vgl. paradigmatisch Kristian Fechtner: Schwellenzeit. Erkundungen zur kulturellen und gottesdienstlichen Praxis des Jahreswechsels. PThK 5, Gütersloh 2001.
  42. Vgl. dazu Silke Leonhard: Religion zum Anfassen. Gedanken zum Liturgischen Lernen in der Schule; in: PrTh 38 (2003), 53-64.
  43. Dies ist jüngst im Gefolge Niklas Luhmanns pastoraltheologisch vorgeschlagen worden von Isolde Karle: Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft. PThK 3, Gütersloh 2001, 108-133, die diesen Begriff dann auch noch völlig unkritisch in einem Atemzug mit "Taktik der Gesprächsführung" nennt. Spätestens da stehen einem Musiker wie mir die Haare zu Berge. An welchen Takt denkt Karle? Wie steht's mit 7/8- oder 11/4-Takten? Muss sich dann möglicherweise die Taktik ändern? Was ist mit Synkopen oder Polyrhythmen? Oder sind Karles Bemerkungen einfach nur religiös unmusikalisch? Vgl. dazu Henning Schröer: Religiös unmusikalisch!?; in: ZPT 54 (2002), 2-3. Was aber ist schließlich mit der notwendigen Taktlosigkeit angesichts von Geschehnissen oder Absichten, wo jeglicher Takt unangebracht ist?
  44. Vgl. dazu Harald Schroeter-Wittke: Praktische Theologie als Performance. Ein religionspädagogisches Programmheft mit 7 Programmpunkten; in: Eberhard Hauschildt / Ulrich Schwab (Hg.): Praktische Theologie für das 21. Jahrhundert, Stuttgart 2002, 143-159.
  45. Alfons Vansteenwegen: Liebe - eine Zeitfrage. Paare erleben die Zeit unterschiedlich; in: WzM 55 (2003), 14-23; Ingeborg Roessler: Ein Thema der Liebe - unterschiedliche Zeiterfahrungen von Paaren; in: Ebd., 24-29.
  46. Schuhoff stellt seinem Werk folgende Widmung voran:
    "Dem Maler und Dadaisten George Groß in Herzlichkeit zu eigen!
    Welten! Fluten!
    Ihr taumelnden, torkelnden Häuser!!!
    Cake-walkt am Horizont!!
    Ihr Negermelodien
    Lieblich wie Ellins Blauaugen -- --
    Welten, Ströme, Erdteile!
    Australien, du Sonnenland!
    Afrika mit deinen dunklen Ur-Ur-Urwäldern,
    Amerika mit deiner D-Zug-Kultur,
    Welten - ich rufe, schreie!!!
    Wacht auf, ihr ehrfurchtbuckelnden Blaßgesichter!!!
    Ihr Hundesöhne, Materialisten,
    Brotfresser, Fleischfresser, -- Vegetarier!!
    Oberlehrer, Metzgergesellen, Mädchenhändler!
    ---- ihr Lumpen!!!
    Denkt: meine Seele ist zweitausend Jahre alt!
    !!! Triumph !!!
    Gott, Vater, Sohn ---- Aktiengesellschaft.
    George Groß
  47. Zu Schulhoffs Jazzrezeption vgl. vgl. Markus Lüdke: Im "Trot" der Zeit. Aspekte der Jazzrezeption Erwin Schulhoffs; in: Gottfried Eberle (Hg.): Erwin Schulhoff. Verdrängte Musik 5, Hamburg 1993, 89-108; Eckhard John: "all art is useless..."; in: Tobias Widmaier (Hg.): "Zum Einschlafen gibt's genügend Musiken". Die Referate des Erwin Schulhoff-Kolloquums in Düsseldorf im März 1994. Verdrängte Musik 11, Hamburg 1996, 23-32; Albrecht Riethmüller: Erwin Schulhoffs Vitalisierung der Musik durch Tanz und Jazz; in: Ebd., 33-43; sowie Markus Lüdke: "strange sounds emanating from the piano..." Überlegungen zur Jazzrezeption an Erwin Schulhoffs Toccata sur le Shimmy "Kitten on the Keys" de Zez Confrey oder Können Katzen ein Urheberrecht geltend machen?; in: Ebd., 45-59. Vgl. dazu auch Schulhoffs zauberhaften Einspielungen einiger seiner Jazzstücke aus dem Jahre 1928 bei Polydor (Berlin) auf der CD in der Reihe "Entartete Musik": Erwin Schulhoff: Concertos alla Jazz, The Decca Record, London 1995.
  48. Erwin Schulhoff: 5 Pittoresken für Klavier op. 31/III. In diesem Stück ist kein einziger Ton zu hören, denn das ganze Stück besteht ausschließlich aus Pausen, die als komplizierte Rhythmen komponiert sind. Den Zusammenhang von Stille als Musik, welche als körperliche Performance inszeniert wird, haben u.a. am Beispiel von John Cages 4'33 besprochen Martin Zenck / Tobias Fichte / Kay-Uwe Kirchert: Gestisches Tempo. Die Verkörperung der Zeit in der Musik - Grenzen des Köreprs und seine Überschreitungen; in: Erika Fischer-Lichte / Christian Horn / Matthias Warstat (Hg.): Verkörperung. Theatralität 2, Tübingen/Basel 2001, 345-368.

© Harald Schröter-Wittke 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2002
https://www.theomag.de/23/hsw1.htm