White Cube VBilanzen der ZerstörungKarin Wendt |
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Archäologisches ErbeWem gehören die Zeugnisse und Kunstwerke der einstigen Zivilisationen in Mesopotamien? Es ist das nationale Kulturerbe der Iraker. Anteil daran und vor allem Verantwortung dafür tragen jedoch in gleicher Weise die Europäer und die Amerikaner. Dies zu unterscheiden fiel den Soldaten nicht ein, die der Plünderung des Bagdad-Museums tatenlos zuschauten oder großmännisch kommentierten: "Go in Ali Baba, it's yours".[2] Offenbar mangelte es in der amerikanischen Führung nicht nur an Wissen über die Grundlagen der eigenen Kulturgeschichte, sondern es fehlte auch das Bewusstsein für den Zusammenhang von Erfahrungs- und Warenwert im Fall von Kulturgütern. Beides war den kriegsführenden Soldaten nicht vermittelt worden, anders als den britischen Soldaten, die in Basra mit vergleichbaren Situationen so umgingen, dass es dort nicht zu solch verheerenden Plünderungen und Brandschatzungen kam.[3] Erst im 19. Jahrhundert hatten Briten und Franzosen begonnen, die Stätten des alten Mesopotamien, die Heimat der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam in der Ebene zwischen Euphrat und Tigris, zu erforschen: Assur, die erste Hauptstadt des Königreichs der Assyrer mit dem berühmten Tempel von Ishtar, Babylon, Sitz des Königs Hammurabi, der den ältesten bekannten Gesetzestext erlassen hat: den Codex Hammurabi (18. Jh. v.Chr.), Uruk (Warka), die Stadt des legendären Königs Gilgamesch, Niniveh, der Verwaltungssitz des Königs Assurbarnipal (7. Jh. v.Chr.), Hatra, die Wüstenstadt der Parther (einziges offizielles Weltkulturerbe) sind nur die bedeutendsten. Die wichtigsten Grabungen im Irak fanden in den späten zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts unter französischer, englischer und deutscher Leitung statt. Der größte Teil der dort gefundenen Artefakte - sumerischer Goldschmuck, assyrische Bronzeplastiken und Götterstatuen, Hunderte von Tontafeln mit zum Teil noch heute nicht entzifferten Inschriften - wurde im Irak-Museum archiviert und gelagert. Das Museum war, so der Irak-Forscher Winfried Orthmann, "für die orientalische Archäologie und Geschichtswissenschaft von ähnlich einmaliger Bedeutung, wie es das ägyptische Museum in Kairo für die Ägyptologen ist. Die Beraubung und teilweise Zerstörung dieser Sammlungen bedeutet für die vorderasiatische Archäologie und die altorientalische Philologie einen noch gar nicht abschätzbaren Verlust."[4] Bis zum Bau des Museums 1923, den die Archäologin Gertrude Bell (1868-1926) während der britischen Besetzung im Ersten Weltkrieg initiierte, waren allerdings alle Funde in europäische Museen gebracht oder an europäische und amerikanische Sammler verkauft worden.[5] Große altorientalische Sammlungen finden sich im British Museum in London und im Pergamon Museum in Berlin. Die Last dieses kulturell geborgenen und geborgten Erbes wiegt daher für Europa in mehrfacher Hinsicht schwer. Selbstverständlich, dass etwa gerade Berliner Museen im Irak derzeit besondere Hilfe leisten.[6] Vielleicht geht der Schrecken angesichts der Borniertheit der amerikanischen Regierung[7] deshalb für uns auch tiefer, weil er die einstige Plünderung fremder Länder gleichsam unter anderen Vorzeichen ins Gedächtnis ruft. State of CultureImmerhin verurteilte die Vereinigung Amerikanischer Museen (AAM) das Verhalten der US-Truppen und die Reaktion der Regierung,[8] und aus Protest gegen die "Inaktivität Amerikas" legten drei Kulturberater des amerikanischen Präsidenten ihre Ämter nieder: Martin Sullivan, Vorsitzender des Ausschusses für Kulturgut, Richard S. Lanier und Gary Vikan, Direktor der Walters Art Gallery in Baltimore, der deutlich erklärte: "Wir wissen, was Öl wert ist, aber wir haben keine Ahnung, welchen Wert historische Kulturgüter besitzen."[9] Mit der Institutionalisierung der Archäologie an europäischen Universitäten Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch die ersten Auslandsinstitute gegründet, deren Arbeit vor Ort in Krisenzeiten heute vielfach die einzige Verbindung zwischen Ländern und Nationen darstellt - Wissenschaftskontakte, die in Kriegszeiten aber auch abbrechen können, wie im Falle des Deutschen Archäologischen Instituts in Bagdad, das "in den vergangenen Jahren infolge des Embargos gegen den Iraq und den Kriegen nicht regelmäßig mit entsandten Kräften besetzt war. Zur Zeit halten sich keine Mitarbeiter des Instituts im Iraq auf. Aus diesem Grunde ist das Institut nicht in der Lage, detaillierte Informationen zum aktuellen Geschen im Iraq zu geben. Es bestehen gegenwärtig auch keine Kontakte zu Ortskräften oder Kollegen." Deren Inventare und Instrumentarien sind für eine genaue Bilanzierung der Zerstörungen durch den Krieg und seine Folgen unentbehrlich. Museen, Universitäten (hervorgehoben sei das Marburger Institut für Altorientalistik sowie internationale Organisationen zum Schutz von Kulturgut (ICOMOS, UNESCO und INTERPOL) arbeiten zusammen, um zu eruieren, was wo verstreut oder ganz verloren ist (Lost Treasures from Iraq). Unschätzbar sind jetzt Datenbanken wie die CDLI, eine digitale Bibliothek von etwa 3000 Keilschrifttexten, die verschiedene Museen in Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut seit einigen Jahren aufgebaut haben. "Unser Wissen über die altorientalischen Kulturen und unsere Einsicht in die Verbindungen zwischen der sumerischen, babylonischen und assyrischen Überlieferung und jener des Alten Testaments besteht fast ausschließlich auf solchen Texten. Die Sammlung von Keilschrifttafeln bildete daher einen der wichtigsten und erst zu einem kleinen Teil erschlossenen Schätze des Irak-Museums."[10] Von Bedeutung für die Rekonstruktion ist außerdem ein Katalog mit einer genauen Lokalisierung gefährdeter Stätten und Artefakte, den das British Museum und das Nationalmuseum Bagdad nach den Erfahrungen des Ersten Golfkrieges gemeinsam erstellt hatten - Informationen, die man also bereits vor Kriegsbeginn hatte, die, nachdem die Kämpfe in Gang waren, jedoch nicht an vorderster Stelle rangierten. Mirror-SitesZwei Online-Initiativen zeichnen den Informationsstand über die kulturellen Zerstörungen sehr strukturiert und durch weitreichende Linklisten laufend aktualisiert nach: Die Internetplattform Humanities and Social Sciences und die Website Bagdad Museum Project. H-Net
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https://www.theomag.de/23/kw22.htm |