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Magazin für Theologie und Ästhetik


Madonna und postmoderne Identitätskonstruktionen

Die Warenlogik der Unterhaltungsindustrie

Laurenz Volkmann

Der ganze Trick der Rockmusik besteht darin,
dass sie spiegelt, was ohnehin läuft.
Pete Townshend, The Who (zit. in Behrens 1996, 85)

1. Kunst, Populärkultur und Kommerz im Jahre 1999, oder: Warum lächelt David Bowie?

Wer im Sommer 1999 seine Zeitung genau durchblätterte, etwa die Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Allgemeine Zeitung, fand irgendwo zwischen dem Feuilleton- und Wirtschaftsteil eine vierseitige Beilage, die sich bei genauerem Hinsehen als Werbung entpuppte. Auf deren erster Seite blickte dem Leser oder der Leserin ein verschmitzt lächelnder, in Designer-Anzug und Krawatte gekleideter Mann mit keck schräg getragenem Hut entgegen. Unter dem Photoportrait war dessen persönliches Credo abgedruckt:

"An dem Tag, an dem Du denkst, Du kannst nicht mehr besser werden, fängst Du an, immer den gleichen Song zu spielen." In kleinerer Schrift erfuhren wir dann, wenn wir ihn in seiner neuen Verkleidung nicht bereits erkannt hatten, wer dieser Mann ist: "David Bowie, Musiker." Und beim öffnen der Beilage erblickten wir das Produkt, das er mit seinem Image und seiner hier demonstrierten Lebens- und Arbeitseinstellung verbindet:

Die neue, technisch optimierte E-Klasse von Mercedes Benz - einer Firma, die einst Synonym war für den "militärisch-industriell-technologischen Komplex" des bundesrepublikanischen Kapitalismus und sich inzwischen zum global player als DaimlerChrysler erweitert hat. Manches von dem, was Bowie (wie auch in anderen Anzeigen Hollywood-Künstler wie Martin Scorsese und Glen Close) dieser exklusiven Ware für eine zahlungskräftige Klientel an semantischer Aura verleiht, erscheint kongruent mit dieser multinationalen Korporation: das Image der Exklusivität, des verfeinerten Geschmacks, des handwerklichen bzw. künstlerischen Perfektionismus. Anderes erscheint überraschend und soll, wie dies erfolgreich bei anderen Automarken geschah, Mercedes den Ruf langweiliger Solidität nehmen. David Bowie hat die Reputation eines künstlerisch Besessenen, eines musician's musician, der vielen anderen Kollegen den Weg wies mit seiner innovativen Musik, seiner theatralischen Bühnenschau und vor allem seiner sich chamäleonartig wandelnden öffentlichen Persönlichkeit; stets galt er als Exponent cooler Subkulturen und Pop-Experimente. Kurzum, eines der letzten Relikte der Rockmusik, das schon in der Zeit langmähniger Gegenkultur eher auf chice Glamour-Fassade setzte, hat - man mag hier von einer gewissen Konsequenz seiner Trendsetter-Ansprüche sprechen - in seiner Biographie die endgültige Umarmung von Kunst, Popkultur und Kommerz vollzogen.

Mit dieser von den sogenannten "Kreativen" einer großen Werbeagentur choreographierten Inszenierung dürfte er die letzten Kritiker vor den Kopf gestoßen haben, die in Figuren der Populärkultur wie Bowie die Residuen einer ursprünglich als Gegenkultur angetretenen Rockmusikbewegung feierten (vgl. explizit zu Bowie Büttner [1997]; aber auch Fiske [1991] und Behrens [1996]). Man mag sein breites und dennoch Mona-Lisa-haft wirkendes Werbelächeln noch als Ausdruck einer gewissen Ambivalenz verstehen. Will er mit ihm sein Wissen darüber zum Ausdruck bringen, dass vor ihm bereits Rockmusiker wie die Gruppen Genesis, Rolling Stones oder Bon Jovi einer weniger exklusiven, dem Volk näheren Automarke ihr Image verkauften, während er nun erneut seine Exklusivität als Avantgarde-Mann demonstrieren kann? Oder zeigt er dieses feine Lächeln, weil er sowohl über die Ironie seines Auftritts Bescheid weiß als auch darüber, dass wir diese historische Ironie erkennen? Blitzt hier gar ein letztes subversives Element auf - im Sinne des raffinierten Bildhauerkünstlers von P.B. Shelleys Sonett "Ozymandias" (1817), der einst in seinem Herrscherportrait die Kritik am Tyrannentum so verborgen einzeichnete, dass diese erst Jahrhunderte später dem aufmerksamen Betrachter offenkundig wird? All das mögen seine alten Fans zur Ehrenrettung Bowies mutmaßen - allein, die symbiotische Beziehung eines wandelbaren Avantgarde-Künstlers mit einer sich dem Druck der Globalisierung fügenden Nobelmarke erscheint perfekt (zu weiteren Beispielen für die Verquickungen von Firmen- und Künstlerimage vgl. Behrens 1996, 23ff) .

David Bowie hat damit eine Entwicklung anschaulich gemacht, die eine andere, monetär weitaus erfolgreichere Pop-Künstlerin schon längst vollzogen hat, in aller Konsequenz und Beispielhaftigkeit: Madonna. Sie nimmt inzwischen die Position der Galionsfigur einer weltweit operierenden Unterhaltungsindustrie in der Zeit der Postmoderne ein.

2. Postmoderne Identitätsmodellierungen, oder: Madonna als Darling der Postmoderne-Theoretiker

Lebenspraxisorientierte Theoretiker der Postmoderne, zumal die ihrer popularisierten Form (vgl. die Diskussion bei Keupp 1996 und Vogt 1998), zelebrieren die inzwischen zur Genüge bekannte, von (Post-)Strukturalisten wie Lyotard, Barthes, Derrida, de Man, Eco, Deleuze, Guattari und dem neu entdeckten Bachtin etc. vorangetriebene Auflösung des traditionellen autonomen Subjektbegriffs. Sie erscheint primär als Chance des einzelnen, sich seine Identität wie einst der griechische Meeresgott Proteus in immer neuen Formen zusammenzubasteln. Es sei Emanzipation und Freiheitsgewinn, wenn die alten "Krücken des Selbst" wie Religion, Nation, Klasse, Geschlecht als anachronistischer Ballast abgeworfen werden und ein derart abgespecktes und fittes Ich sich aus dem Supermarkt möglicher Selbstentwürfe souverän immer neue und flexibel an die jeweilige Lebenssituation anzupassende "Identi-kits" (Zygmunt Bauman) zur Selbstverwirklichung wählt. Die früher als Kultur- und Unterhaltungsindustrie diffamierte und heute noch bisweilen kritisch als consumerism oder gar vereinzelt als "kommodifizierte[...] Einheitskultur" (Habermas 1998, 115) abgetane Lebenswelt des Populären erhält dabei eine neue, positive Zulieferfunktion, während Horkheimer und Adorno auf dem Schuttplatz der Ideengeschichte entsorgt werden. "Entdeckten jene in den Individuen einer verwalteten Welt nur noch manipulierte und von falschem Bewußtsein geplagte 'Lurche', wird nunmehr das Hohelied auf das munter bastelnde Individuum angestimmt." (Vogt 1998) Der passive Konsument von einst wird zum aktiven "Optionisten" umdefiniert. Postmoderne Akteure sind nicht mehr Opfer einer Indoktrinationsmaschinerie, sondern wählen bewusst und selbstreflexiv, gehen spielerisch und selektiv mit den Produkten der Unterhaltungskultur um; sie können gewitzt und mit Augenzwinkern scheinbar Unvereinbares - Kitschiges wie Hochintellektuelles - sichten, für sich entdecken und nutzbar machen. Hieß es früher noch, dass die ständige Bombardierung mit den Ergüssen des medialen Zeitalters sedative oder die Sinne für die feinere Kultur abtötende Effekte haben würde ("wir amüsieren uns zu Tode" war ein gerne zitiertes Mahnwort des Medienpessimisten Neil Postman), wird inzwischen der ubiquitären Medien- und Werbepräsenz sogar eine sinnstiftende Wirkung zugesprochen: die Fähigkeit zur Ästhetisierung der Alltagswelt, zur Wiederverzauberung der Trivialexistenz (vgl. hierzu kritisch Bauman 1995, 5ff.) durch die beruhigende Semantik von Werbung und Popkultur. Denn sie vermittle eine bisher von drögen und biederen Kulturkritikern so vernachlässigte Bedürfnisbefriedigung; sie stille ein tief in der Anthropologie des Menschen verwurzeltes Verlangen nach "Genuss", "Spaß", "Glamour" etc. Mit ihrer Betonung des Leiblichen, des Sinnlichen und Erotischen in einer wunschdurchtränkten Bilderwelt stelle sie, so die These, mentale wie emotionale Befriedigungsangebote zur Verfügung (vgl. entsprechende Passagen zur "postmodern perspective" in Turner 1996, 207ff, bes. 208, und das Kapitel "Postmodernismus, Ironie und Vergnügen" in Eco 1984, 76ff). Mögen die Elemente, die sich das Individuum wählt, noch so durchdrungen sein von den Symbolen der dominanten Kulturformationen (Patriarchat, Kapitalismus, Konsumgesellschaft etc.), gerade die von Subkulturen wie der homosexuellen Lebenswelt vorgeführten Methodiken des Umfunktionierens und Indienstnehmens von Zeichensystemen der Herrschaftskultur deuten im Sinne des Konstruktivismus auf die Möglichkeit des empowerment eines zum Produzenten eigener Sinnhaftigkeit werdenden Individuums.

Am Rezipientenpol bedeutet dies eine Aufwertung der Kreativität und Eigenständigkeit des Lesers von Unterhaltungs- und Trivialliteratur, des Betrachters von Seifenopern und Werbe- bzw. Musikclips, ja sogar des Fans von schmalztriefenden Schnulzen. Denn, wie verschiedene empirische Untersuchungen gezeigt haben (vgl. z.B. das aufschlussreiche Kapitel "Audiences" in Turner 1996, 122ff.), gibt es wenige wirklich "naive" Rezipienten, die alle Produkte der Unterhaltungsindustrie für bare Münze nehmen, willenlos deren Aussagen oder Ideologien schlucken und zu passiven Konsumenten degenerieren. Tatsächlich zeigen Rezipienten vor allem zwei andere Haltungen, die mit Mertin und in Anlehnung an Umberto Eco (vgl. Mertin 1998, 88ff), als "aufgeklärt" und "gewitzt" beschrieben werden können. Während die aufgeklärte Lesart eher akademisch und medientheoretisch bewanderten Rezipienten vorbehalten sein dürfte, welche das postmoderne Spiel der Medienträger mit Symbolen und Zitatenmaterial erkennen und mit unterschiedlichem Differenzierungsgrad dekodieren, ist beim common reader durchaus generell von einem pfiffigen Rezipienten auszugehen. Er oder sie weiß wohl mit den unterschiedlichen hoch- und niedrigkulturellen Komponenten der medialen Welt umzugehen und pickt geschickt die den eigenen Bedürfnissen kongenialen Teile heraus. Dies kann auch aus dem Bereich von Kitsch und Schund sein die diesen "Texten" eingeschriebene Appellstruktur wird dabei durchaus kritisch, subversiv oder sogar gegen die Text- bzw. Autorenintention aufgenommen und verarbeitet. Somit hat der von Derrida und Barthes vor einer Generation postulierte Tod des Autors tatsächlich nicht allein zur Geburt des Lesers geführt, sondern diesen, im Sinne der Rezeptionsästhetik Stanley Fishs, vom reinen Empfänger zum eigentlichen Produzenten von Sinnhaftigkeit umgedeutet. Die Texte der Massenkultur sind für ihn oder sie Spielmaterial, aus dem er oder sie sich die eigenen Bedeutungen erstellt.

Erleichtert wird dem Bricoleur-Rezipienten dies durch die plurale Konstitution postmoderner Texte, die z.T. als bewusster Reflex auf diese veränderte Text-Leser-Korrelation dem Text mehrfache Lesarten einschreibt. Diese zunächst am Beispiel postmoderner Architektur beschriebenen semantischen Doppel- oder Mehrfachkodierungen (vgl. Welsch 1996, 19f) ermöglichen ihrerseits die Ermächtigung des Rezipienten. Postmoderne Texte sind entsprechend in hohem Maße mehrdeutig, vielfarbig und komplex codiert - womit wir beim Thema Madonna wären, denn kein "Text" vertritt die postmoderne Konstellation wie Madonna, als öffentliche und private Person, in Videoclips, auf Tonträgern, auf der Leinwand, in Fotobänden und anderen Medienträgern. Wenn also im folgenden von "Madonna" die Rede ist, ist damit dieses Kunst-Kommerz-Gesamtwerk in toto zu verstehen.

Madonna ist zum Darling postmoderner Theoretiker geworden, und die Gründe und Argumente hierfür sind offensichtlich: Gelingt es hier doch einer Frau, den Fleisch gewordenen Beweis für die Machbarkeit der Selbstkonstruktion in geradezu einmaliger Weise zu liefern. Als immer rarer werdendes Postmoderne-Exemplar hat sie die closure anderer Kollegen überlebt. Während weitere Ikonen der Pop-Kultur, wie z.B. Michael Jackson, in die Teleologie einer geschlechtslosen und ent-ethnisierten Individualität zurückfallen oder, wie George Michael, in der Authentizität homosexuellen Lebensstils endlich frühere Maskeraden des Ichs erfolgreich beenden, spielt Madonna weiter mit den Mythen. Synchron betrachtet, ist in jeder Phase ihrer Karriere dieses raffinierte Konstruktionsspiel als oberstes Prinzip von Sinnkonstitution feststellbar; auf der diachronen Achse erstaunt ihre Fähigkeit, dieses Prinzip in immer neuen Reinkarnationen durchzuhalten.

Nicht allein Madonnas als intertextuelles Spiel angelegte Videoclips erweisen sich, wie Kulturwissenschaftler bereits vermerkt haben, als "an especially appropriate proving ground for postmodern theories" (zit. in Büttner 1997, 181). Ganz generell sind Madonnas Manipulationen auf der Ebene ihrer Persona und ihrer Produkte ein Paradigma der Postmoderne. Im Sinne Leslie Fiedlers ("bridge the gap") verschmilzt sie dabei verschiedene, noch vor der Postmoderne als antagonistisch oder unvereinbar empfundene Komponenten. Sie durchbricht binäre Oppositionen wie schwarz-weiß, Sex-Religion, Mann-Frau, Gewalt-Liebe, dominante Kultur vs. Gegenkultur etc. und dekonstruiert Antithesen (exemplarisch wurde dies am Beispiel von Videoclips beschrieben, vor allem im Falle von "Like a Prayer", vgl. Mertin 1998, 98). Spielstrategien sind dabei offen zur Schau gestellte Collage- und Verweistechniken auf der Texterstellungsebene. Auf der Textverarbeitungsebene agiert Madonna mit den postmodernen Gesten der Ironie und Karikatur und den dadurch gebrochenen großen Gesten. Dominant ist bei ihr die Stilfigur des Camp, der aus der homosexuellen Szene Amerikas entwachsenen grandios-vulgären Vereinnahmung und Umkodierung der dominanten Zeichensysteme des Mainstream. Der Camp als "[p]arodistisch überhöhte, bewusst affektierte Inszenierung musikalischer und anderer Posen" (Büttner 1997, 648) vertuscht und feiert zugleich auf schillernde Weise (sexuelle) Transgressionen; er nimmt den dominanten bürgerlichen Kulturproduktionen deren Ernsthaftigkeit (Susan Sontag vermerkte bereits 1964: "The whole point of Camp is to dethrone the serious." Sontag 1990, 288). Vulgarität wird mit Glamour verbunden, homoerotische Phantasien gehen ihrerseits in den Mainstream ein, der schleichend homosexualisiert wird, wie bei Grace Jones, Freddie Mercury oder George Michael.

Aber Madonna ist durch ihr Spiel mit sexuellen Kodierungen und entsprechenden Transgressionen nicht nur zur Ikone der gay community geworden; zugleich bedient sie als italo-amerikanische, weibliche success story die Phantasien des Mainstream. Die ihr damit zustehende Vermittlerfunktion verschafft ihr eine ideologische Immunität, die es Kritikern schwer macht, sie und ihre Produkte abzuwerten. Vor allem die Attacken gegen sie aus dem Lager religiöser Fundamentalisten und die nach wie vor von konservativen Kulturkritikern in Amerika heraufbeschworene Gefahr der Kulturverdummung durch übermäßigen Genuss von Rock-Musik (vgl. exemplarisch Bloom 1987) haben sie unter postmodernen Denkern zur quasi unantastbaren Popgigantin erhoben. So werden sogar deutsche Lehrer, die sich im Unterricht gegen einen differenzierteren Zugang zu Madonna sperren, als ewig Gestrige entlarvt (vgl. Mertin 1998). So gliedern sich renommierte Rock-Kritiker in die Reihen derer ein, die ihr vorbildliche politische Korrektheit, egalitäre oder subversive Tendenzen zuschreiben oder zumindest ihren enorm hohen empowerment-Faktor zur Kenntnis nehmen, also ihre Fähigkeit, den Fans ein hohes Selbstwertgefühl zu vermitteln: "Madonna's is an egalitarian impulse, much as disco was. A vast cross-section, from teeny-boppers to gay men to smitten hausfraus (!), heeded her call to 'Express Yourself'", wie der Rolling Stone 1997 (80) ihre Position im Pantheon der "Women of Rock" umschrieb.

Wenn schon nicht ideologische, dann sind es künstlerische, oder besser: handwerkliche Gründe, welche Journalisten und Kritiker, die sonst der postmodernen Beliebigkeit und kommerziellen Kalkülhaftigkeit gegenüber eher kritisch eingestellt sind, Positives an Madonna erkennen lassen. So urteilt bezeichnenderweise das eher konservative Frank Laufenbergs Rock- und Pop-Lexikon: "Sicher ist vieles von dem, was Madonna macht, geplant und genau kalkuliert. Ohne eine gehörige Portion Fleiß und Talent wäre ihr lang anhaltender Erfolg jedoch nicht möglich." (Laufenberg/Laufenberg 1995, 759) Bewundert wird die ausgefuchste Geschäftsfrau, die jeden Aspekt ihrer Karriere genau plant und kontrolliert; die Power-Frau der Superlative ist, nach dem Tode Dianas mutmaßlich die am meisten fotografierte Frau der Welt, vielfache Rekordhalterin mit über 100 Millionen verkauften Tonträgern weltweit, über 30 Top-Ten-Hits, einem guten Dutzend Filmrollen etc. Dass dies in einer weitgehend von Männern beherrschten Domäne einer Frau gelang, die demonstrativ immer wieder darlegt, dass ihre Karriere allein der eigenen Planung, Energie und Begabung zuzurechnen sei, wird auch von der männlichen Fachwelt anerkannt. So hebt der amerikanische Rolling Stone diese Züge des rugged individualism in seiner Spezialausgabe zu "Women of Rock" hervor:

[I]t took a village to create Madonna - a canny manager, stylist, video directors, fashion designers, panting magazine editors, two record companies (Warner Bros. and her own Maverick label), hair and makeup swamis, platoons of challenging and worshipful photographers. But there has never been any question who's the head memsahib. What Colonel Parker did for Elvis, Madonna has done for herself. (The Rolling Stone 1997, 80)

Und selbst der als erster deutscher Rock-Professor bekannt gewordene marxistische Kritiker Wicke verbeugt sich vor der Leistung des empowerment, auch wenn er sonst starke Ressentiments gegenüber Madonnas merkantilem Kalkül zeigt:

Madonna benutzte das Medium Video zum virtuosen Spiel mit ihrem Körper. Den lässt sie in immer neuen Posen, Bewegungsfiguren, Darstellungsperspektiven und Verkleidungen zur Projektionsfläche für ein ganzes Arsenal von Images werden: vom kindheitlichen Mädchentyp, über Hure, Vamp und Jungfrau bis hin zu ihrer berühmt gewordenen Marilyne(!)-Monroe-Inkarnation in 'Material Girl'. (Wicke 1998, 268f.)

Besonders die feministischen Debatten um Madonna haben zu ihrer akademischen Diskursfähigkeit beigetragen. Exemplarisch lassen sich am Beispiel Madonna die Grenzziehungen zwischen älteren und neueren feministischen Positionen erkennen (vgl. Docker 1994, 279f); Madonna ist geradezu zur Kristallisationsfigur einer hitzig geführten Auseinandersetzung innerhalb des Feminismus geworden (geführt in Gamman/Marshmen 1988; vgl. auch McClarys [1991] positive Sicht; verhalten negativ Freccero 1994, dort zahlreiche Verweise auf feministische Sichtweisen Madonnas). Jüngere Feministinnen stellen ihre kreativen Gender-Spiele mit den Bildern und Klischees eines durch das Patriarchat geprägten weiblichen Körpers neben die der Photographie-Künstlerin Cindy Sherman oder der Performerin und Avantgarde-Musikerin Laurie Anderson (vgl. McClary 1991, 132-66; auch Ferguson 1994). Vor allem dient der Verweis auf Madonna jüngeren Feministinnen dazu, der vorherigen "Gründerinnengeneration" ein reduktionistisches, vereinheitlichendes Konzept des Feminismus vorzuwerfen, das vor allem spezifische Aspekte von Klassenzugehörigkeit, Sexualität und Ethnizität vernachlässigte. Zu sehr hätten frühere Feministinnen eine uniforme Weiblichkeit angestrebt, wie Docker subsumiert: "They also tried to impose a kind of alternative puritanism, stressing and authentic natural look and disdainful [sic] of women who dared to dress up." (Docker 1994, 280) Madonna hingegen repräsentiere eine neue Form des Feminismus. "For a new generation of women, Madonna both outrages conventional images of a passive femininity, and scorns the power of 1970s feminism itself to define and restrict their lives. The older feminism, proclaiming a pure liberatory position, has itself become a power to be resisted." (Docker 1994, 280) Trotz ihrer Bewunderung durch neuere Feministinnen ist Madonna freilich zur geliebten Hassfigur eines Teils des Feminismus geworden, zumal die prominente selbsterklärte Anti- oder Post-Feministin Camille Paglia (z.B. 1990) sie wiederholt zur Symbolfigur einer postmodernen Weiblichkeit, die alle überfrachteten und lebensfremden Alt-Ideologien über Bord wirft, erhoben hat. "You can have it all, Madonna suggests, and be credited with a mind, as well." (so Freccero, 1994, 180, die diese Position referiert).

Dass die feministische Madonna-Debatte nicht allein akademische Spiegelfechterei ist, hat Matthias Horx beschrieben. Horx, einer der profiliertesten deutschen Trendforscher, der in den achtziger Jahren den Zeitgeist der bundesrepublikanischen Wirklichkeit in einer Art Feldforscherexpedition quer durch das eigene Land aufspüren wollte, beschreibt eine kurze Episode mit geradezu symbolischer Bedeutung. Auf dem künstlich angelegten Marktplatz einer norddeutschen Großstadt, "[e]in fast perfektes Ensemble sozialdemokratischen Städtebaus" (Horx 1987, 10), das, wie der Beobachter süffisant vermerkt, den Charme "linke[r] Lehrer und rothaariger Grünwählerinnen mit entzückenden und nervenden Kleinkindern" (10) versprüht, wird die (klein-)bürgerliche Beschaulichkeit jäh von Vertretern des neuen Zeitgeistes gestört. Eine Gruppe junger Mädchen hat ihren Auftritt:

Und dann kamen sie. In kleinen Gruppen, zu zweit oder zu dritt, wie zufällig schlenderten sie über den Platz, man hörte ihr Kichern durch das Lärmen der Stereoanlage. Plötzlich waren es zehn, vielleicht zwanzig, alle im Madonna-Look, puppenmäßig, zwischen vierzehn und achtzehn Jahre alt, mit Lederjäckchen vom Designer. (11)

Kichernd lassen sie mit einem jungen Mann, einem "Prince-Verschnitt" (11), den Champagner-Korken knallen, tanzen aufreizend in narzisstisch anmutenden Posen herum, zur Irritation der "netten Bürger" (12). Horx räsoniert, ob dieser girliehafte Auftritt nun "ein Zeichen für das völlige Versagen der Emanzipation" (12) war. Und kommt dann zu dem Schluss, dass der Zeitgeist in Form der Madonna-Clones die erstarrte Ernsthaftigkeit der einstigen Birkenstock-Revolutionäre kräftig überrollt hat: "Nein, die chicks waren auf geradezu brutale Weise selbstbewusst. [...] Besser ein peinlicher Auftritt als der ewige sozialdemokratische Marktplatzfrieden." (12)

Dies erscheint nahe am Loblied, das Fiske (1995, 95ff) auf Madonna anstimmt: Indem Madonna sich der visuellen Symbolik, der Mythen und Archetypen der dominanten Kultur (bei Fiske eine unheilvolle Allianz von Patriarchat, Kapitalismus und Klerus, mit den Züchtigungsinstrumenten von restriktiver Religiosität und prüden Sexualvorstellungen) bedient, funktioniert sie diese um. Sie wähle dabei bewusst Gesten wie weibliche Unterwürfigkeit oder Befriedigung von Männerphantasien und schlüpft in bisher androzentrisch geformte Frauenrollen (Madonna, Jungfrau, Engel, Vamp, Prostituierte etc.); sie unterminiert deren ursprüngliche Semantisierung, indem sie diese bis ins Groteske überspannt, parodiert und damit als patriarchale Konstrukte bloßstellt. Schließlich münde der Prozeß der Bedeutungstransformation ins weibliche empowerment, wobei die befreiende Schwelle zur Produktion von männerunabhängigen, selbst zusammengestellten Bedeutungsmustern überschritten werde. Für Madonnas Fans nun erweise sich diese Emanzipationsbewegung als Quelle realen Selbstbewusstseins.

Negative Lesarten sind da rarer und wenig diskursfähig. Sie sind von Büttner in einer Analyse des Bildbandes Sex und des Videos zu "Justify my Love" auf den Punkt gebracht worden. Dabei führt er mit Referenz auf drastische amerikanische Stimmen zu Madonna ("Nothing sells like tits'n'ass") und auf Schwichtenberg (1993) zusammenfassend aus, "worauf die [deutsche] Rockkritik seit längerem hinweist: dass das Madonna-Phänomen und mit ihm alle Mythen, die es generiert oder meinetwegen dekonstruiert, auch ein ökonomisches Phänomen ist, möglicherweise die Konsum-Metapher der republikanischen achtziger Jahre." (Büttner 1997, 182)

Derartige eingefleischte Ressentiments gegenüber postmodernen Erscheinungsformen und postmodernen Lesarten Madonnas ("alle Mythen, die es generiert oder meinetwegen dekonstruiert") sind freilich gerade in der mit den Positionen neomarxistischer Richtungen wie der Kritischen Kulturtheorie der Frankfurter Schule aufgewachsenen ersten Rockwissenschaftler-Generation bisher als noch nicht systematisierfähig erkannt worden.

3. Zur Theorie "zynischer Lesarten": Semiotischer Guerillakrieg

Die schmerzhaft vermisste Unfähigkeit, eine auf die postmoderne Erlebnis- und Spaßgesellschaft und auch auf die Rock-Musik übertragbare konsensfähige Kulturtheorie zu entwickeln, erklärt sich aus grundsätzlich nicht in Kongruenz zu bringenden Beobachtungen. So ist die neue Generation der Kulturkritiker selbst mit der Rockmusik aufgewachsen und hat deren nur diffus in akademische Gebäude zu fassende Vermittlung von euphorisierenden Gefühlslagen selbst erfahren. Man schreckt vor den bei Horkheimer, Adorno, Barthes und Eco vorgeschlagenen 'zynischen' Lesarten zurück. Erscheint doch das in der eigenen Biographie verspürte Spaß- und Genusserlebnis dabei in Gefahr, nachhaltig entmythisiert, d.h. banalisiert, zu werden. Entsprechend wird bei bisherigen Theorien nicht allein der fehlende Spaßfaktor beklagt, sondern darüber hinaus werden die Großtheorien als begrenzte bzw. inzwischen überholte Schablonen gedeutet, als zu eng für die Erfassung der gegenwärtigen Pop-Kultur, die ja durch die Aufwertung früher verpönter Lust- und Spaßressourcen besticht.

Eine neue Großtheorie zur Pop-Kultur wäre damit gewissermaßen die Quadratur des Kreises. Zwei basale Parameter könnten dennoch eine theorie- und methodikgelenkte und dabei nicht realitätsfremde Erforschung massenkultureller Phänomene ermöglichen.

Erstens: Ein derartiger Neuansatz müsste alte Dichotomien überwinden. Zu einfach, weil historisch überholt, erscheint insbesondere die Gegenüberstellung von a) verkrusteter, lebensfremder und kommodifizierender Dominanzkultur in monolithischer bürgerlicher, patriarchaler, kapitalistischer Gestalt mit b) befreienden, fortschrittlichen oder Authentizität versprechenden marginalen Subkulturen. Mit Foucault haben wir früher sich deutlicher hervorhebende Machtstrukturen als viel feingliedriger verästelt zu betrachten.

Zweitens: Ein derartiger, die Machtzerfaserungen herauspräparierender Ansatz müsste freilich Spielraum lassen für die neuerdings als essentiell betrachteten anthropologischen Bedürfnisse von ichzentriertem Genuss, Selbstverwirklichung, Lust, Ästhetisierung der trivialen Lebenswelt, etc.

Wie schwierig sich solche entmystifizierenden Lesarten erweisen, seit Roland Barthes noch beispielhaft 1957 in Mythologies (dt. Mythen des Alltags) gegen klar konturierte Dominanzformen anschreiben konnte, wurde bereits am Beispiel der Rezeption Madonnas angedeutet. Die Machtkonfigurationen der von Barthes beschriebenen Bourgeoisie haben sich nicht allein verbreitet, so dass bourgeoise Mythen natürlich erscheinen. Sie haben sich auch aufgefächert und in diverse Subkulturen integriert, was die Machtverhältnisse nicht mehr im Sinne einer simplen Hierarchie beschreibbar macht. Dennoch: Machthierarchien sind nicht verschwunden, nach wie vor können ihre Erscheinungsformen aufgespürt werden. Somit haben auch die im folgenden angeregten kritischen Lesarten des postmodernen Phänomens Madonna nach wie vor ihre Funktion. La lotta continua - so mag man mit Ecos Aufforderung zur unvermindert weiterzuführenden "semiologischen Guerilla-Kriegsführung" (vgl. Gardiner 1992, 146) formulieren.

Als Ausgangspunkt der kritischen Lesart Madonnas könnte ein Zitat gelten, in dem Adorno und Eisler den Vergleich der real existierenden Verhältnisse mit einem positiven Gegenentwurf macht- und unterdrückungsfreier Lebenswelt zum Gradmesser der kulturellen Analyse machen:

Die Auseinandersetzung mit Massenkultur muß es sich zur Aufgabe setzen, die Verschränkung beider Elemente, der ästhetischen Potentialität der Massenkunst in einer freien Gesellschaft und ihres ideologischen Charakters in der gegenwärtigen, sichtbar zu machen. (Zit. in Behrens 1996, 29)

Wenn wir den Kultur- und insbesondere Massenkulturbegriff marxistischer und neomarxistischer Denkrichtungen (vor allem bei Eisler, Benjamin, Horkheimer, Adorno etc.) auf die Postmoderne applizieren, erkennen wir sofort deren Problematik. Entzieht sich doch gerade Madonna einerseits der gängigen Ideologie, indem sie mit deren Bildern, Mythen, Klischees etc. ironisch spielt. Andererseits bleibt sie gleichzeitig Kulturschaffende unter dem von Marx beschriebenen "allgemeinen Gesetzen des Kapitals" (Marx, zit. in Behrens 1996, 33) und dient damit den bestehenden, als ungerecht gedeuteten Verhältnissen. Es ist gerade dieses Oszillieren zwischen den Spannungsfeldern von Subversion und Affirmation, das die postmoderne Konstellation ausmacht. Gemäß einer zynischen Lesart unterminieren dabei subversiv erscheinende Elemente nicht das System, sondern haben Ventilfunktion bzw. sogar verstärkende, neue Konsumenten erobernde Wirkkraft. So erklären Horkheimer/Adorno (1998, weiterhin als H/A zitiert) zu alternativ sich gerierenden Erscheinungsformen der Kulturindustrie: "Alle Verstöße gegen die Usancen des Metiers" seien ineffektiv, "weil sie als berechnete Unarten die Geltung des Systems um so eifriger bekräftigen." (H/A 137) Auch radikale Elemente der Subkultur werden durch neue Amalgamierungsprozesse ihrer Subversivität entkleidet, zu modischen Accessoires umgewandelt und in neue Sinnzusammenhänge gefügt, die wiederum nur das System stützen.

Der von Madonna und ihren Bewunderern vollzogene konstante Kleiderwechsel wäre demnach zu vergleichen mit der Substitution eines alten Waschmittels durch eines mit noch verbesserter Strahlkraft dank der neuen "Persil-Megaperls". Wie Waschmittel und Autos ständig mit Innovationen und verändertem Design aufwarten müssen, um eventuell stagnierendem Umsatz entgegenzuwirken und neue Käuferschichten zu gewinnen, verkörpert Madonna die "Reproduktion des Immergleichen" (H/A 142) als das Wesen der Kulturindustrie. Sie ist gedrängt vom Zwang, permanent scheinbar neue Effekte zu produzieren, die sich in Wirklichkeit als mechanische Reproduktion massenkulturell standardisierter Bausteine der Konsumgesellschaft herausstellen.

Auch die bewunderte postmoderne Montagetechnik erweist sich, mit dem kalten Blick der Kulturkritik etwa von Horkheimer/Adorno betrachtet, als Gestaltungsprinzip der Warenwelt, sichtbar im "Montagecharakter der Kulturindustrie" (zit. in Behrens 133). Insbesondere die Formen des empowerment erscheinen in neuem Licht. Erneut hatten bereits Horkheimer/Adorno die Überblendungen von Alltag und medial vermittelter Welt beschrieben. Keine Wiederverzauberung findet demnach statt, sondern die Formung einer artifiziellen, von der Kulturindustrie erschaffenen Sekundärwelt williger Konsumenten.

Die ganze Welt wird durch das Filter der Kulturindustrie geleitet. Die alte Erfahrung des Kinobesuchers, der die Straße draußen als Fortsetzung des gerade verlassenen Lichtspiels wahrnimmt, weil dieses selber streng die alltägliche Wahrnehmungswelt wiedergeben will, ist zur Richtschnur der Produktion geworden. Je dichter und lückenloser ihre Techniken die empirischen Gegenstände verdoppeln, um so leichter gelingt heute die Täuschung, dass die Welt draußen die bruchlose Verlängerung derer sei, die man im Lichtspiel kennenlernt. (H/A 134)

(Wobei anzumerken wäre, dass die Raffinesse des MTV-Zeitalters auch eine Orwellsche Welt wohl als konstante Love-Parade erscheinen lassen könnte.)

Fassen wir nochmals schlagwortartig die Basiselemente einer zynischen Lesart zusammen: Sie erkennt durchaus den Spaß- und empowerment-Faktor der Pop-Künstlerin, betrachtet diesen aber als potentielles Manipulationsinstrument, mit Hilfe dessen der Fan Madonnas von einer kritischen Distanzhaltung gegenüber dominanten Erscheinungsformen der Warenkultur abgelenkt werden könnte. Diese Warenwelt fertigt eine willige Konsumhaltung durch (a) das Absorbieren subversiv erscheinender Kulturformen - diese haben bestenfalls Zulieferfunktion. Weiterhin werden (b) die Grenzen zwischen durch Konsum erreichbaren Sekundärwelten (in Mode, Kino, Videos, Internet etc.) und den "natürlich" evozierten Gefühlslagen in der realen Welt verwischt. Schließlich (c) geschieht dies durch ständig neue Kauf- bzw. Spielanreize, bei denen lediglich partiell Modifiziertes ständig als begehrenswerte Neukreation angepriesen wird. Wie sich dies am Beispiel von Madonna belegen lässt, soll im folgenden am Beispiel von drei Phasen ihrer Karriere untersucht werden. An bestimmten zeitlichen Punkten lässt sich eine exakt geplante Umsemantisierung der Madonna-Konfiguration erkennen. Ich möchte in der synchronen Analyse jede dieser drei Phasen daraufhin untersuchen, was jeweils primär zur Konfiguration Madonna beiträgt. Dabei kann nicht auf die den Fans sicherlich besser bekannten einzelnen Skandale, Äußerungen oder Produkte der jeweiligen Phase extensiv eingegangen werden. Madonnas Bewunderer werden mir so manche Auslassung hoffentlich verzeihen; ich verweise aber hier auf die detaillierte Darstellung ihrer Karriereeinzelheiten in den diversen am Ende in bibliographischer Auswahl aufgeführten Artikeln von Magazinen wie Biografie, MAX, Rolling Stone etc.

Es ist hier also nicht der Platz, auf jede Facette ihrer konstanten Rollenwechselei einzugehen. Dennoch bietet sich eine Unterteilung in drei voneinander getrennten diachronen Phasen an, in denen jeweils bestimmte dominante Konstruktionselemente hervortreten. So wird hier als "Madonna I" die Phase Mitte der 80er Jahre bezeichnet, in der Madonna zum Star wurde, und dies vor allem als schillernde Girlie-Version, die zudem mit religiösem Tabubruch auf sich aufmerksam machte. "Madonna II" findet etwa um 1990 statt, als Madonna gezielt in sexuelle Tabuzonen eindrang und damit ihr altes Image umakzentuierte. "Madonna III" schließlich markiert das Ende der 1990er Jahre. Erneut hat sich Madonna ein neues Image verpasst, das dieses mal ältere Spielarten ihrer Person überhöht und im anti-materialistischen Gestus in eine hier als "holistisch" zu bezeichnende Vervollständigung der Pop-Ikone zusammenführt.

4. Madonna, Phase I: Girlie-Power, Video-Star und religiöser Tabubruch

Der Anfang der achtziger Jahre markiert den ersten Triumph des Madonna-Phänomens. Geboren am 16.8. 1958 in Bay City, Michigan, als Madonna Louise Ciccone, tingelte Madonna vor ihrem Durchbruch mehr oder minder erfolgreich als Starlet durch die Club-Szene Amerikas. Sie nahm Tanzunterricht in New York und hatte eine bunte Kleinkarriere als Tänzerin, Schlagzeugerin, Sängerin und Schauspielerin in C-Movies. 1982 erhielt sie ihren ersten Plattenvertrag. Zunächst gelangen ihr musikalische Eintagsfliegen in den Club-Hit-Charts; dann 1983 der erste Hit in den US-Charts und in GB mit "Holiday"; 1984 folgte mit "Borderline" der erste Top-Ten-Erfolg in den USA. Mit "Like a Virgin" gelang ihr der erste Nummer-Eins-Erfolg in USA; es war dies der Anfang einer ungebrochenen, nur bisweilen kurz nachlassenden Erfolgsserie von Top-Ten-Hits.

Ihre erste Karrierephase, die etwa 1982 mit The First Album beginnt und mit Alben wie Like a Virgin (1984/85) und You Can Dance (1987) bis in die zweite Hälfte der Dekade reicht, lässt sie als Produkt des frühen Video-Booms erkennen. Madonna wäre wohl mit ihrer dünnen Trällerstimme und den zweideutigen Texten eines der damaligen One-Hit- Wonders geblieben, eine Pop-Saisongröße wie die Go-Go's, Bananarama, die Bangles, Cyndi Lauper (von der die Girlie-Hymne "Girls Just Want to Have Fun" stammt), hätte sie nicht passend zum neuen Medium MTV ein visuelles Image kreiert, das von Pop-Journalisten als Auftritt eines grellen Nightlife-Girls beschrieben wurde, wie bei "dem Mädchen von der Straße, mit dem freien Bauchnabel und den ausgefallenen Oberteilen, mit den Netzröcken, den dicken Socken, den Kruzifix-Ohrringen und den unzähligen Gummi-Armreifen." (Voller 1990, 48)

Im Video und im Privatleben bediente sie sich dabei - wenn wir den Look semiotisch aufschlüsseln - eklektisch bei Elementen der Subkulturen (Trash-Look, Flittchenhaftigkeit, billige Rüschenkleider, Camp-Pose), religiöser Motivik (Kreuzsymbolik bei Modeschmuck wie Ohrringen und Ketten; bei ihrer Namensgebung; in Videos mit religiös besetzten Gesten und Posen wie katholischen Keuschheitsritualen und kirchlichen Symbolen der Virginität) und männlich geprägten Repräsentationen von Weiblichkeit und Sexualität (früh die Marylin-Monroe-Imitation mit dem Feilbieten sekundärer Geschlechtsmerkmale wie knallrot geschminkter, lasziv halb geöffneter Lippen, weitem Dekolleté, verführerischem Blick, einladenden Armbewegungen, zurückgelehnter Körperhaltung etc.). Sie stellte sich primär als visuelle Reizkonfiguration auf, als Collage der Versatzstücke von romantischen und erotischen Traumbildern und christlicher Symbolik, derer sie sich mit dem Gestus einer Übersteigerung bemächtigt, die zwischen Karikatur und Surrealismus fluktuiert. Postmoderne Identitätsmodellierung findet primär als Besetzung des Visuellen in Videos statt, als "zur Perfektion entwickelte[s] multiple[s] Rollenspiel", in dem sich "der Zusammenhang von Klang, Stimme und Körper aufzulösen" beginnt (Wicke 1998, 269). Die von ihr inszenierten Miniaturdramen in Videoclips erweisen sich angesichts der "mentalitätsgeschichtlichen Zuspitzung der Bildermächtigung" (Reck 1994, 336) unter dem Primat des nach steter visueller Reizung gierigen "gefräßigen Auge" (ibid.) als das dem Zeitgeist kongeniale Medium. "Sehen frisst Hören auf", könnte man mit Büttner (1997, 86) diese kulturelle Dominanz des Visuellen beschreiben, die Madonna geschickt für Synergieeffekte brauchbar macht. Zum Platten- und Videostar treten weitere, meist visuell ausgerichtete Karriereelemente. Sie schafft ihre Modekollektion im Madonna-Look mit dem Namen BOY-TOY, der in seiner Doppeldeutigkeit typisch ist für die Spielstrategien Madonnas in dieser Phase, wird hier doch die bisherige Hierarchie, Mädchen als willige Spielgenossinnen von Jungen, umgekehrt - boys erscheinen damit auch als toys. Weitere flankierende Maßnahmen sind Auftritte als Schauspielerin in Desperately Seeking Susan, eine stürmische, schlagzeilenträchtige Liason und Ehe mit dem Nachwuchsschauspieler Sean Penn; das Auftauchen früherer Nacktfotos etc. Success is successful - und der Starkult wird zum Selbstläufer, zur Madonna-Manie, zu Szenen der Massenhysterie vor den Luxushotels, in denen sie logiert, zu weltweiten Madonna-Look-Alike Wettbewerben. Ihr Erfolg wird stets mit neuem Publicity-Material gefüttert und verschafft ihr die Statusinsignien der Multiseller im show business, wie die Bodyguard-Entourage, globale Konzerttourneen und glamouröses Party-Leben in Hollywood und New York - und die Krönung jeder Star-Karriere: am 27. Mai 1985 ist Madonna auf dem Titelbild von Time Magazine (vgl. Voller 1990, 60).

Als wichtige Ingredienz des Erfolgsrezepts sollte sich erweisen, dass Madonna mit dem Video zu "Like a Player" einen handfesten Skandal geschaffen hatte (es gibt bezeichnenderweise eine Reihe von religionsdidaktisch orientierten Interpretationen des Videos, z.B. bei Mertin 1998, 86ff; dort auch die "Forschungslage" zum Video; Analyse auch bei Freccero, 1994). Mit erotischen Körperbewegungen vor brennenden Kreuzen und suggestiven Traumsequenzen erwies sich Madonna als Freibeuterin beim Plündern im Bilderarchivar der katholischen Kirche. Sie wurde von religiösen Fundamentalisten in den USA und vom Papst getadelt; Pepsi Cola sah sich gezwungen, einen Sponsorenvertrag mit ihr zu kündigen. Die blasphemisch wirkenden religiösen Tabuverletzungen wurden von ihren Anhängern als die offen hervortretende Spitze einer sonst eher ironisch gebrochenen Angriffstaktik erkannt, die sich gegen den soziokulturellen Status quo richtet. John Fiskes Bemerkungen zu Madonna beziehen sich auf diese erste Phase:

Madonna consistently parodies conventional representations of women, and parody can be an effective device for interrogating the dominant ideology. It takes the defining features of its objects, exaggerates and mocks them, and thus mocks those who "fall" for its ideological effect. But Madonna's parody goes further than this: she parodies not just the stereotypes, but the way in which they are made. She represents herself as one who is in control of her own image and of the process of making it. This, at the reading end of the semiotic process, allows the reader similar control over her own meanings. (Fiske 1995, 105)

Was sich bei Fiske quasi als Inversion des Bestehenden im Modus des Karnevalesken erklärt, kann aber auch anders, kritischer gedeutet werden. Gerade im Bereich der Recodierung der Bilder des Patriarchats bleibt doch ein nicht unerhebliches Restrisiko bei der Bedeutungsübertragung. Es erscheint fraglich, ob junge Mädchen genauso wie Madonna das teils feine, teils grobschlächtige Spiel der Ironie als solches erkennen. Es erscheint sogar als unwahrscheinlich, dass Madonnas Zielgruppe das sexuell aufreizende Posieren in dialektischem Bewußtsein als Konterkarieren des männlichen Verständnisses von Weiblichkeit zu deuten vermag. Vielmehr könnte genau das Gegenteil zutreffen. Die nur als Pose inszenierte Verdinglichung des Weiblichen kann sich zur internalisierten Haltung verfestigen, die, wie kürzlich ein Lied verkündete, die Weltanschauung "I'm a Barbie girl / in a Barbie world" zur erstrebenswerten Lebensmaxime erhebt - wobei ironische Distanz und begeisterte Bewunderung untrennbar miteinander verzahnt sind. Auch für die männlichen Betrachter könnte ein durch die neueste modische Trendiness aufgewertetes Mädchen dem männlichen Blick in besonderem Maße nicht als Individuum, sondern als frisch aufgewertetes Objekt der Begierde erscheinen.

5. Madonna, Phase II: Muskuläre Weiblichkeit und sexueller Tabubruch: Tanz' den Horkheimer-Adorno!

Madonnas Runderneuerung in der zweiten Phase ihrer Karriere um etwa 1990 ist keinesfalls ein absolutes Verdecken und Verdrängen ihrer bisherigen Erscheinungsformen, sondern ein palimpsestartiges überschreiben mit neuen Bedeutungen, die integrativ im Sinne einer Engführung fungieren und jetzt primär die sexuell-erotischen Konnotationen des etablierten Madonna-Mythos präsentieren, vor allem in der provokativen Ausformung. Die Girlie-Attitüde, die schon immer in der spielerischen Dialektik des Kitzelns von Männerphantasien und der weiblichen Genugtuung als begehrtes Objekt Gefallen fand, wird hier quasi auf ihre elementaren Reiz- und Triebstrukturen reduziert, um diese ungeniert auszustellen. Erfolgsrezept ist dabei das nur scheinbar alles offenlegende öffentliche Zuschaustellen von tabuisierten Intimakten, wobei durch sexuell möglichst anrüchige und sozial verpönte Spielformen der Schockeffekt maximiert ist. Noch dazu wirkt sich der intensivierte und verstärkte Einsatz visueller Effekte potenzierend aus. Insofern ist Madonna in dieser Phase erneut vor allem ein visuelles Kulturphänomen, das im Sinne von Kumulationseffekten durch mehrere sich ergänzende und verstärkende Produkte wirkt. Das Album Erotica von 1992 ging so wohl weniger aufgrund seines schlüpfrigen Rotlicht-Bar-Gedudels in die Annalen der Rockgeschichte ein, sondern weil es, aufgrund eines eindeutig zweideutigen Covers, zum Teil nur in zusätzlicher Verpackung verkauft werden durfte. Eng korreliert mit dem Album war ein in postmoderner Brückenschlagtradition die Grenzen zum hard core auflösendes Fotoalbum. In ihm räkelte sich Madonna in diversen entblößten Posen und Verrenkungen und verschaffte sich als Ausstellungsobjekt in idealer Weise Selbstverwirklichung, finanziellen Erfolg und street credibility zugleich. Sex (1992) ist eine äußerst professionell und publicityträchtig inszenierte Provokation, "eine mehr oder weniger explizite Darstellung diverser sexueller Praktiken mit Schwerpunkt auf dem Sadomaso-Bereich" (eingehendere Analysen bei Wicke 1998, 265f. und Büttner 1997, 171ff., bezeichnenderweise bei zwei Kritikern, die in Büchern zur Rockmusik das Visuelle als das dominante Element Madonnas herausstreichen). Eng mit Erotica und Sex ist schließlich das dritte Kernprodukt dieser Phase verbunden, der Videofilm In Bed with Madonna, anhand dessen kurz diese Phase "Madonna II" ausgeführt werden soll.

Wie bei den anderen käuflichen Angeboten dieser Phase verspricht Madonna auch hier unverblümte und ungenierte Zurschaustellung ihrer intimsten Momente und die Entblätterung bisher noch durch aufreizende Verhüllung verborgener Körperteile. Wie schon in dem sich so offen gebärdenden Bildband Sex die manipulierte Pose im Durchexerzieren ausgewählter Sexpraktiken nie ihre Künstlichkeit und gewollte Gestelltheit verliert und somit den Betrachter letztlich auf Distanz hält, so kennzeichnet auch In Bed with Madonna (1991) dieses Spiel mit den Begehrlichkeiten des männlichen Blicks, der nie ganz bedient und befriedigt wird. Denn je näher der Betrachter der privaten Madonna ohne Schminke und Kleidung kommt, desto deutlicher wird die Einsicht, dass auch die private Madonna nur eine weitere Rolle, eine weitere Version einer bekannten kulturellen Persona ist. Das marktschreierische Versprechen auf der Videohülle von In Bed with Madonna lädt zu diesen letztlich nie absolut den Konsumenten befriedigenden Einblicken in die Welt des Stars ein: Man solle Madonna betrachten "[l]ike you've never seen her before", und entsprechend bietet sie sich in lasziver Pose an, in schwarzen Dessous liegend auf weißer Satinbettwäsche, mit Marilyn-Monroe Frisur und knallroten Schmolllippen. Der weitere "Aufreißer" bietet die Erfüllung geheimster Phantasien an: "now you can get IN BED WITH MADONNA, as she sheds her public persona to offer an intimate portrait of her world." Und in altbekannter Manier wird nicht nur die Zielgruppe aufgeheizter Männer und erotische Aufwertung suchender Frauen bedient, sondern auch politische Korrektdenker, die Wert auf Gruppenidentität und alternative Lebensformen legen, wenn es im Text weiter heißt: "Madonna and her troupe [...] form a close-knit group with the singer as its matriarch."

Tatsächlich besteht der Videofilm aus einer losen Reihung aufreizender Bühnenposen aus Konzertmitschnitten. Er zeigt wenig erregende Blicke hinter die Kulissen einer Tournee. Noch weniger befriedigt er die geschickt aufgebaute Erwartungshaltung bei banalen Szenen aus Madonnas Alltagsleben in den Suiten von Luxushotels - wobei der größte Stimulus wohl noch erreicht wird, wenn Madonna in altfranzösischer Manier vom Bett aus Hofstaat hält und Interviews gewährt, allerdings stets mehr oder weniger züchtig bekleidet. In Bed with Madonna ist als kokettes Spiel mit den Erwartungen der Rezipienten im Grunde ein Sich-Entziehen gegenüber dem Betrachter, der nie das bekommt, was er erwartet: eindeutig Entblättertes. Nein, noch im Bett ist Madonnas Privatleben ein Repertoire von eingeübten Gesten und Rollenspielen. Der Versuch, ihr näher zu kommen ähnelt einer regressio ad infinitum, oder anders formuliert: Das Video entspricht einem Strip-tease, bei dem immer noch ein letzter Blickfang das Objekt der Begierde verdeckt. Es beschleicht den kulturellen Kritiker der Verdacht, dass hinter den ins Unendliche gehenden Verkleidungen sich letztlich nur Leere, ein Nichts verbirgt. So wird der beim Explorieren der Tiefenstrukturen frustrierte Blick zurückgelenkt auf die feste Oberflächlichkeit Madonnas, die aufs immer Neue Einblicke verspricht - nichts ist so tief wie die Oberfläche, möchte man als Fazit dieser Verlockungen festhalten.

Die Konzertmitschnitte des Films bieten erwartungsgemäß neue Versionen bekannter Hits wie "Like a Virgin" oder "Like a Prayer" und natürlich die letzten, positive Selbstwertgefühle stimulierenden Nummern wie "Express Yourself" und "Vogue". Eine kurze Skizzierung der z.B. in "Express Yourself" verwendeten Bühnenausstattung und Choreographie soll hier exemplarisch Madonnas zweite Phase des sexuellen Tabubruchs durch eine durchtrainierte, vor weiblicher Muskelkraft strotzende Lifestyle-Dompteuse illuminieren. Es sind verschiedene Elemente von Körperlichkeit, Erotik und Sexualität, die hier in der Verschränkung von üblicherweise Gegensätzlichem ihre Suggestivkraft erlangen: Hüftdrehungen und Beckenkreisen im Tanz gleiten übergangslos in die ritualisierte Imitation von Kopulations- und Masturbationsbewegungen über. Die Bandbreite dabei angedeuteter sexueller Praktiken verbindet Kama-Sutra-Stellungen mit homosexuellen Darkroom-Szenen. Sie reichen von der mit oder ohne Begleittänzer in Pantomime vorgeführten Fellatio über lesbische Sexspiele oder Masturbation bis hin zu Tabledance-Verdrehungen und Sado-Maso-Spielen.

Auch bei diesem Spiel zeigt Madonnas Perfektion, wie sehr frühere Entblätterer der Rockgeschichte noch in den Kinderschuhen steckten - etwa einst ein Jim Morrison, der das tatsächliche Entblößen seines Geschlechts noch als spätpubertären Befreiungsakt in aller Ernsthaftigkeit vorführte. Madonna ist da eine viel abwägendere und rationaler agierende Akteuse. Neben dem Selbst-Exorzieren ihrer prüden katholischen Vergangenheit (der Ausdruck "liberating" fällt immer wieder in den Interviews) zielt sie auf bewusste Provokation ab ("I want to provoke") und will ihr offenes Kokettieren mit der Homosexualität als politisches Statement gedeutet wissen.

Der ungeheure Bühnenaufwand und die perfekt choreographierte Show verweisen freilich mit ihren weiteren Elementen auf das Kernbedürfnis der gemeinsamen Veranstaltung von Madonna und Publikum: Es geht um die hemmungslose Entfesselung von Narzissmus und Hedonismus. Alles gerät ihr zum Instrument der eigenen Bespiegelung, Erhöhung und Befriedigung: Dazu gehören auch Elemente des Martialischen, gar Faschistoiden, in der Begeisterung für die Ästhetik gestählter Körper und uniformartiger Kostüme; dazu gehört ein an den Stummfilm Metropolis erinnerndes Bühnenbild mit kalter Maschinenmechanik. Surreale Übersteigerungen von sekundären Geschlechtsmerkmalen in den Korsetten eines Paul Gaultiers lassen die Büstenhalter zu protuberanten Monstrositäten mutieren. Die Show trägt Züge eines wohl inszenierten Karnevals in sich, bei der die Grenzen zwischen Ernsthaftigkeit und verlachender Parodie sich auflösen; sie ist Beschwörung des Sexus und Parodie zugleich.

Derartige Konzertmomente erweisen sich letztlich als ein postmodernes Ritual, in dem die Meisterin Madonna ihr Publikum einheizt, zum gemeinsamen Genuss von Körperlichkeit und Sinnlichkeit. Es ist postmodern, da alle Beteiligten über den genau inszenierten Ablauf und die Regeln des Rituals Bescheid wissen: dass Madonnas suggerierte Verfügbarkeit, ihr Genuss am eigenen Körper, ihre Schamlosigkeit eben nur inszeniert sind und den Spielcharakter des Rituals ständig thematisieren. Und es ist postmodern, da es als Ritual der Massenunterhaltung die gegen die Pop-Kultur gerichtete Kritik von Horkheimer/Adorno aufnimmt, inkorporiert und im Gestus von Ironie und Karneval zum Tanzen bringt. Adorno und Horkheimer hatten noch, in enger Beziehung auf Marx' Thesen, von Verdinglichung (Kommodifikation) und dem Waren- bzw. Fetischcharakter der Beziehungen unter dem Diktat des Kapitalismus gesprochen. Auch die Kunst und Unterhaltung gerate zur bloßen Ware: "Von der Autonomie der Kunstwerke [...] ist nichts übrig als der Fetischcharakter der Ware." (zit. in Behrens 1996, 31) Madonna gelingt nun in ihrer rituellen Inszenierung nicht allein der Bruch mit bürgerlichen Vorstellungen von Kunst und Unterhaltung, wenn sie sich jeglicher Authentizität entkleidet und sich als simulakres Sammelbecken von Zitaten ausstellt. Gleichzeitig spielt sie mit den Axiomen der Kritischen Kulturtheorie, indem sie sich bewusst zum Fetisch ihrer selbst und ihres Publikums gestaltet, um diese Objektbeziehung gemeinsam als Quelle von Lust, Spaß und empowerment zu zelebrieren - nicht ohne Augenzwinkern.

Erneut hat sich Madonna damit als Trendsetterin für die postmoderne "Spaßgesellschaft" erwiesen, wie Wicke am Beispiel des ähnlich wie In Bed with Madonna operierenden Bildbandes Sex ausführt:

Professionalismus und Aufwand offenbaren [...], dass hier mit Sorgfalt ein Prozeß in Szene gesetzt wurde, der als herausragende kulturelle Signatur den Wandel in die postmoderne 'Spaßgesellschaft' markiert - die kulturell erzeugte Verselbständigung des Körpers zu einem Objekt seiner Eigentümer. Als kulturelle Inszenierung gleichsam neben dem Selbst bietet der Körper eine Ressource zur Lustgewinnung und Selbstverwirklichung, die jedermann zugänglich ist und mit Perfektion erschlossen und konsumiert wird. [In Sex] führt sie [Madonna] hier den Körper in jener Objekthaftigkeit vor, wozu er ohnehin schon geworden ist -- Madonna als Objekt ihrer selbst, im Spiel mit sich selbst und im Genuss ihrer selbst, auch wenn das im kommerziellen Kalkül einer hochprofessionell organisierten Marketingkampagne nicht frei von Ambivalenzen ist. (Wicke 1998, 268)

Man kann diese Phase der grenzenlosen Experimentier- und Bastellaune auch anders, nämlich als Höhepunkt der Postmoderne beschreiben, als Expurgierung der Natur, wenn alles nur Repräsentation, Spiel und Kontrolle ist - im Sinne der Definition Fredric Jamesons (1991 ix): "Postmodernism is what you have when the modernization process is complete and nature is gone for good." Die Kultur ist zur zweiten Haut, zur zweiten Natur geworden, womit Madonna das gelang, was Jameson (1991, x) mit "a quantum leap in what Benjamin still called the 'aestheticization' of reality" beschreibt. Wenn sich Madonna somit in der dann folgenden dritten Phase weg von Künstlichkeit und hin zu Natürlichkeit bewegt, kann dies mit verschiedenen Erklärungsmustern gedeutet werden. Zeigten sich nach dem Raubbau an der Körpersemantik erste ernsthafte Verschleißerscheinungen? Oder wollte Madonna schnell auf den angekündigten Zug des ethical turn of postmodernism aufspringen? Vielleicht hat einfach ein kluger Journalist die Gründe von Madonnas Bruch mit Phase II mit folgender Artikelüberschrift am passendsten auf den Punkt gebracht: "Alles gezeigt, was es zu zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen Film - der Markenartikel 'Madonna' ist out." (Pfister 1993, 18)

6. Madonna, Phase III: Mutterschaft, Retro-Fashion, Mystizismus und die holistische Neuoption

Post coitum omne animal triste - nach Phasen körperbetonter Exzesse stellt sich bekanntlich Mattheit und Tristesse ein. So auch im Falle Madonnas. Nach einer Übergangszeit, in der sich eine gewisse Madonna-Müdigkeit breit machte, ist sie dann aber am Ende der 90er Jahre zurück, allpräsent wie eh und je, aber weiser und integrativer als zuvor. Vorbei ist die Zeit des Brüskierens, der vordergründigen Pose, des narzisstischen Blendwerks; gefragt sind nun erstmals Ernst und Authentizität, Glaubwürdigkeit, Tiefe - Sein statt Schein. Madonna ist in eine neue Persona hineingewachsen, nach einigen Geburtswehen beim Experimentieren mit weniger geschätzten Rollen. Als deren letzte Phase gestaltete sich die Verkörperung der Tränenfigur Evita Peron in Allan Parkers Verfilmung von Webbers Musical Evita. Dazu kam, fast synchron, die neu gewonnene Aufmerksamkeit der Boulevard-Presse für ihre Mutterschaftsrolle als bewusster single parent von Lourdes Maria Ciccione Leon, dem Mädchen, dessen Vater ihr Trainer Carlos Leon ist. Mit der Mutterschaft kam der Erfolg zurück, im dritten Karriereschub. Nicht nur die Rolle als alleinerziehende, liebevolle und ostentativ glückliche Mutter spielt in diese integrative Phase hinein. Frühere, nun als spätjugendliche Probephasen erklärte Exzesse werden akzeptiert und als Teil des eigenen Wachstums zur gereiften und ausgewogenen Persönlichkeit erklärt. Eine derartige Abgeklärtheit gegenüber der eigenen Biographie ist Teil einer umfassenden Neugestaltung der Madonna-Figur im Sinne eines holistischen Ansatzes, der nichts als nicht integrierbar ablehnt und alles auf den Wert zur Konstruktion von persönlicher Ganzheitlichkeit hin abgrast. Die Integration des Bisherigen schafft gewissermaßen eine Werkkohärenz und überhöht das Geschehene zugleich als linear zulaufend auf den neuen, perfekteren Lebensabschnitt. Es ist aber auch zugleich das Ende von Gestus, Inszenierung, Performanz, Pose, Camp und grotesker Übersteigerung oder Karikierung des verwendeten kulturellen Zeichensystems. Erstmals bei Madonna schieben sich Kategorien wie Ernsthaftigkeit, Sinnhaftigkeit und vor allem Authentizität über das Spiel mit den Zeichen - Kategorien, die freilich erneut künstlich inszeniert sind. Das vorherige Auslöschen binärer Oppositionen ist eingemündet in ein irrlichterndes Fluktuieren zwischen immer neuen und schneller wechselnden Optionen der Imagegestaltung, überspannt allerdings von einem ethischen, ja quasi-religiösen Esoterikdach. Auffallend dabei ist Madonnas neu vertretener religiöser, moralischer und stilistischer Synkretismus. Sinnstiftung findet bei ihr als pick and choose im Supermarkt der Religionen, Welterklärungen und Ideologien statt. Neue Videos, Alben und Interviews sind durchtränkt von esoterischem Gedankengut, von der Kabbala-Begeisterung bis zu südostasiatischen Lebensweisheiten, vom Buddhismus bis zum Konfuzianismus - was sich visuell durch entsprechende Kleidung, mystische Gesten und Stilisierung der jeweils gewählten Auftrittsverkleidung ausdrückt, von der Geisha bis zur dunklen Seherin (etwa im Video zu "Frozen"). Analog dazu werden Echtheit und Engagiertheit ausstrahlende Modeerscheinungen der Flower-Power-Generation wiederentdeckt, in der "Retro-Mode", von Plateau-Sohlen über bunte Hemden im Hippie-Design bis zu der entsprechenden Langhaarfrisur.

Böse formuliert, ist dies der verbrämte Mystizismus einer Ungebildeten, der sich in entsprechenden Interview-Aussagen ausdrückt. Fortschrittskritische Plattitüden wie "[w]e've chosen technological advancement over spiritual involvement" (Rolling Stone 1997, 100) stehen da neben persönlichen Bekenntnissen wie "[e]ver since my daughter was born, I feel the fleetingness of time. And I don't want to waste it on getting the perfect lip color." (Rolling Stone 1997, 98) Allerdings: zu der neuen integrativen Phase gehört dann wohl auch, dass Madonna 1999, zwei Jahre nach dieser Aussage, einen lukrativen Werbevertrag mit einem internationalen Kosmetikkonzern unterschrieb. überhaupt bleibt das Visuelle als dominante Kategorie, allerdings sind auch hier Natürlichkeit und leise Kulturkritik angesagt: Nun tritt Madonna (bisweilen) mit weizenblondem Haar auf; ihre früher erotisch oder sportiv durchgestylten Videos legen inzwischen mehr Wert auf weiche und fließende Körperbewegungen. Bisweilen wechseln sich diese sogar mit bewusst linkisch anmutenden Körperverrenkungen ab. Neue Kameratechniken des Morphing und des blitzschnellen Übergangs von Raffung zur Slow Motion unterstreichen dabei auch ihre Strategie, Gebrauch zu machen von in Werbeästhetik und in "angesagten" Jugendkulturen (vom Grunge bis zum Hip-Hop) entwickelten Ausdrucksformen.

Auch die Phase Madonna III soll hier anhand einer Momentaufnahme eines ihrer Produkte kurz ausgeleuchtet werden, in diesem Fall geht es um das für diese Phase stilbildende Album Ray of Light. Eine Vorabbesprechung im Rolling Stone endet mit folgenden Worten: "Das Album katalysiert und popularisiert viele Sub-Genres der elektronischen Musik, die man nur vom Hörensagen kennt. [Es] zeugt von Integrations-, ja Strahlkraft. Mutter eint und versöhnt. Die berühmteste Blondine der Welt. [Absatz] Wenn auch eine falsche." (Glass 1998, 90) Schon der Blick auf das Cover bestätigt das weiter oben Ausgeführte: Der Retro-Look überwiegt und verbindet wehende, gelockte, naturblond wirkende Haare mit einem schillernden hellblauen Lackkostüm. Auf der Innenseite des CD-Booklets begegnen wir einer Madonna-Reinkarnation, die, tanzend und mit offenem Haar, Bilder des Ergriffenseins, der Sensualität und des Neubeginns suggeriert. Lauschen wir dann der Stimme der Pop-Ikone, empfangen wir die bereits beschriebenen Lebensbekenntnisse und Lebensweisheiten einer weise gewordenen Sex-Göttin, die nun endlich die wahre Bedeutung des Lebens erfahren hat. Madonna zieht dabei alle Register ihrer Kompositionskunst, vom sphärischen Gesang bis zum Disko-Heuler. Im Falle von Ray of Light lohnt sich besonders ein Lesen der Songtexte. Die Anfangszeilen des ersten Songs "Drowned World/Substitute for Love" sollen gewissermaßen das Motto des Albums bilden: "I traded fame for love / Without a second thought / It all became a silly game / Some things cannot be bought ...". Auch Zeilen wie "Nothing really matters / Love is all we need" ("Nothing Really Matters") sprechen für sich, vorgetragen ohne jeglichen ironischen Unterton. Fernöstliche Einflüsse finden sich im Lied "Shanti/Ashtangi"; überhaupt gebärdet sich die Multi-Millionärin Madonna als Guru einer längst fälligen Abkehr von Materialismus und einseitiger Diesseitsbezogenheit ("You're frozen / When your heart's not open" in "Frozen"), bietet Anklänge an Erich Fromm ("To Have and not to Hold") und feiert ihre Mutterschaft in einem rührseligen Wiegenlied, "Little Star", dem Song des Albums, der möglicherweise am meisten Ernsthaftigkeit und Echtheit der Gefühle ausstrahlen soll ("Never forget where you came from / From love").

In begleitenden Interviews, Photosessions und Zeitschriftenbeiträgen verbreitet die Pop-Diva mit messianisch anmutendem Eifer ihre neue Philosophie, etwa in folgenden, als tiefe Lebenseinsichten verkauften Gedanken zur transzendentalen Kraft der Musik:

Musik [ist] das Vehikel, um sich selbst aufzubauen - was die Geschichte meines ganzen Lebens ist. Musik ist für mich die Kunstform, die spirituell am weitesten entwickelt ist. Und die universellste. Egal, wer du bist, wie gebildet oder wie cool, wie reich oder wie arm: Sie trifft dich im Bauch, sie heilt den Summertime-Blues. Sie bedeutet Leben. (Madonna 1998, 41)

Zum holistischen Lebensgestus Madonnas gehören nach wie vor Spiel und Ironie. Sie sind allerdings inzwischen überspannt von einem idealistischen und quasi-religösen überbau. Möglicherweise erweist sie sich damit erneut als Trendsetterin und weist dem momentanen Transformationsprozess von der Woodstock-Generation zur Love-Parade-Generation, bei der "die Kinder die Eltern nachahmen und dabei deren idealistischen Plunder in Ironie auflösen" (Wicke 1998, 287), bereits die neue Richtung: Ironie, Hedonismus und Selbstbespiegelung lassen sich in der Aufhebung der jetzigen Dialektik vielleicht zukünftig in der Synthese mit Sinnsuche und Idealismus fugenlos verbinden - ein Zyniker, wer da Scheinheiligkeit und oberflächliches Gehabe erkennt und die suggerierte Echtheit der neuen Madonna als letzte clever inszenierte Maßnahme zur Verkaufsförderung ansieht.

7. Madonna als Trendsetterin der Unterhaltungsindustrie

Bleiben wir am Ende bei der 'zynischen' Lesart Madonnas. Madonnas Karriere hat sich als raffinierte Verfeinerung einer Doppelstrategie erwiesen: kapitalistischer Profit und postmodernes Spiel erweisen sich als zwei Seiten einer Medaille. Immer wieder sichtete Madonna die verschiedenen kulturellen Strömungen und schlachtete sie aus mit dem doppelten Ziel der ökonomischen Verwertbarkeit und der Spaßgewinnung bzw. Selbsterfüllung. Sie hat dabei eine Perfektion erreicht, die den Kulturkritiker an Walter Benjamin erinnert. Dieser hatte in seinem erstmals 1937 erschienenen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit die Überlegung angestellt, dass der Kapitalismus erst am Anfang des 20. Jahrhunderts in allen Sphären der Kultur die seinen Produktionsverhältnissen adäquaten Kunstformen ausbildete (vgl. Behrens 1996, 38f). Madonna als Gesamtkunst- und Warenwerk demonstriert, wie sehr Benjamins Überlegungen in die Zukunft wiesen, aber auch wie der Kapitalismus sich weiter als absorbierendes und lernfähiges System verfeinert hat. Raffiniert und wandlungsfähig integrieren dominante westliche Kapitalismustendenzen Bausteine von Sub-, Protest- und Gegenkulturen, Avantgarde, Fremdkulturen etc. - sie saugen diese dynamisch auf und machen sie für sich wirksam. Mit der Auflösung einer klar ausgeformten bürgerlichen Kultur in der Postmoderne wird das Spiel mit den früheren Emblemen der bürgerlichen Welt im Spannungsfeld von Affirmation und Provokation selbst zur integrierenden Formel der von Jameson erkannten Postmoderne im Stadium des Spätkapitalismus.

Madonna hat sich als besonders effektives Instrument dieses Prozesses erwiesen, der auch mit der Verschränkung von dominanten und marginalen Kulturströmungen zu charakterisieren ist. Einerseits bedient sie sich bei den Zeichensystemen der Subkulturen und frischt mit ihnen die dominanten Kulturströmungen auf, andererseits ist sie selbst inzwischen zur Ikone von Subkulturen geworden. Sie demonstriert damit auch die Macht der dominanten Kulturströmungen - deren "Kraft zur Profanierung und Banalisierung überwindet den Fetischismus der Subkulturen, deren Vitalismen sich als Zuschreibungsleistungen entpuppen." (Reck 1994, 448) Als Vermittlerin dieses Prozesses ist Madonna "a crucial bridge between the vital club scene and less-flexible corporate rock", eine Rolle, die ihr der Rolling Stone in seinem Rückblick auf die Geschichte der "Women in Rock" (1997, 79) zuschreibt. Eine Marginalie mag diese generelle Flexibilität und Absorptionskraft der dominanten Kultur belegen:

1986 kam sie [Madonna] zu einer unerwarteten und reichlich skurrilen Ehrung: Ausgerechnet der in den USA als erzkonservativ eingestufte Disney-Konzern reagierte auf den Erfolg Madonnas und putzte das mit den Jahren etwas angestaubte Image von Micky Maus' Angebeteter, Minny, mit einem neuen Outfit heraus. Seit 1986 trägt Minny Maus gerne spitzenbesetzte Handschuhe, Juwelen und Tennisschuhe - sie wurde aber (noch?) nicht umbenannt ... . (Voller 1990, 73)

Lässt sich aus dieser Beobachtung die zynische Schlussfolgerung ziehen, dass Madonna lediglich Auffrischungsdienste für das erschlaffte corporate America leistet, also doch lediglich dem System von Bourgeoisie (oder zumindest kleinbürgerlichem Geschmack), Kapitalismus (oder zumindest ausbeuterischen Strukturen) und Konsumgesellschaft (oder zumindest einer lediglich auf materielle Werte setzenden Konsumideologie) dient? Es wäre dies sicherlich eine dogmatische Sicht der Bedeutung von Unterhaltungskünstlern heute; vielleicht lässt sich weniger ideologisch die Wirkung Madonnas als die eines sehr gut angepriesenen Produkts erklären, was auch ihre Fähigkeit zu empowerment, Lust- und Spaßgewinn bei den Fans verdeutlichen könnte. Betrachten wir folgenden Kernsatz aus einem Standardwerk der Semiotik: "As a result of great advertising, food tastes better, clothes feel snugger, cars ride smoother. The stuff of semiotics becomes the magic of advertising." (zit. in Green/LeBihan 83) - dann erscheint dies als eine wertfreie Feststellung über die außergewöhnliche Begabung Madonnas, durch ihr immer neu geschaffenes Image die postmoderne Welt zu spiegeln und gleichzeitig wieder zu verzaubern.

Der Vergleich mit der Werbung lässt sich weiterführen: Selbstreflexivität, Selbstironie und augenzwinkernde Verweise auf die Kenntnis der Spielregeln des semiotischen Systems Kapitalismus sind inzwischen (man denke in Deutschland an die Sixt-Werbung) Teil der Operationen von Werbung und Unterhaltung geworden. Mit David Bowies Eintreten für die neue E-Klasse des multinationalen Konzerns DaimlerChrysler und mit Madonnas "Aufhebung" des subversiven und aufklärerischen Impetus der klassischen Postmoderne in eine holistische Diva-Figur dürfte eine althergebrachte Chimäre nun endgültig in den ihr zustehenden Bereich der Fabelwelt verwiesen werden: Die Mär vom subversiv Wirkenden, potentiell "Revolutionären" der populären Kunst ist ein Trugbild. Eher könnte ein Paradigma der Popkultur wie Madonna endlich die Augen dafür öffnen, wie Kunst und Kommerz in ihrer Persona auf geradezu perfekte Weise Synergieeffekte eingehen können: Sie schaffen und stillen Sinndefizite zugleich.

Bibliographie:
Zitierte Videos für die drei Phasen.
  • Madonna. Copyright 1984 Warner Home Video; inkl. vier Videos von "Burning Up", "Borderline", "Lucky Star" und "Like a Virgin" (Producer: Simon Fields; Director: Mary Lambert).
  • In Bed with Madonna. Copyright 1991, SPV (Producer: Tim Clawson, executive producer: Madonna; dir. Alek Keshishian).
  • Madonna-Special. Ausstrahlung im Juni 1999, MTV, Länge ca. 1/2 Stunde.
Zitierte CD:
  • Ray of Light. 1998, Warner Brothers Music Corp.
Sekundärliteratur:
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© Laurenz Volkmann 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2003
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