Bilderfragen: Piktorale Untote im Reich des LebensTheologisch-philosophische Anmerkungen zur Bilderfrage nicht nur in der KunstChristian Schwindt |
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1. Die Kirche und die Bilder der KunstSeit geraumer Zeit erfahren Produkte der ästhetischen Welt, insbesondere die Bilder der Bildenden Kunst, wieder eine erhebliche Wertschätzung bzw. Beachtung in beiden großen christlichen Kirchen. Manches Tagungs- oder Gemeindehaus, manche Akademie oder (Stadt-)Kirche wird da zur 'Galerie des Herrn', versucht den Brückenschlag zur Kunst. Auch Bild-Andachten und Bildpredigtreihen sind in diesen Versuch einzureihen. Mitunter sind dabei die Motive sehr verschieden und nicht selten bleibt unklar, wie und auf welche Weise der entsprechende Protège das Kunst-Bild theologisch verstanden wissen will. Was wäre aber bei einer theologischen Aneignung der Kunstbilder zu bedenken und zu beachten? Bevor ich auf diese Frage eingehe, möchte ich zunächst - in einem ersten Schritt - einige bildtheoretische Hinweise geben, da Bilder der Kunst zu einer bestimmten Teilklasse der sogenannten äußeren Bilder[1] gehören und es sicherlich hilfreich ist, sich auch über das Bildphänomen als solchem zu verständigen. In einem zweiten Schritt soll dann die Teilklasse der Kunstbilder behandelt werden, um dann auf das Verhältnis von christlichem Glauben und den Bildern der Kunst näher einzugehen. Der Gang der Erörterungen wird allerdings zeigen, dass man nicht umhin kommen wird, auch wieder ins Grundsätzliche zurückzukehren. Dies soll in einem letzten Teil der Erörterung geschehen. Piktorale UntoteÄußere Bilder besitzen einen Körper, sie haben eine gewisse Schwere und Oberfläche und sind, wie alle sichtbaren Körper der äußeren Welt, Objekte der Anschauung. Bilder lassen uns etwas anschauen. Genauer gesagt: sie sind immer Gegenstände einer unersetzbaren optisch singulären Anschauung. Diese Anschauung lässt sich nicht überführen. Wir können keine Bilder hören, höchstens im metaphorischen Sinne. Wir können Bilder auch nicht logifizieren, also durch Begriffe ersetzen.[2] Ein Bild sagt mehr als tausend Worte sagt man, doch genau genommen sagt ein Bild überhaupt nichts. Es schweigt und will zunächst nur angeschaut werden. Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Anschauung: Ich sehe den Hasen auf der Wiese, neben mir steht eine Staffelei mit einem Bild des Hasen auf der Wiese. Sehe ich den Hasen wirklich? Und ist die Anschauung des Hasen auf der Wiese und des Bild-Hasen die gleiche? In Bezug auf die Anschauung sei hier auf zweierlei hingewiesen: Genaugenommen sehen wir keine Hasen (Tiere, Personen, Pflanzen, Gegenstände usw.), auch keinen Bild-Hasen. Denn es ist analytisch zwischen dem perzeptiven Unterscheidungsvermögen von Farbgraden, Helligkeitswerten und Formen und dem perzeptiven Erkennen bzw. anschauenden Erkennen zu unterscheiden. Wir sehen und unterscheiden mit dem Sehsinn Helles und Dunkles, Farben und Formen (möglicherweise auch Bewegungen). Mehr geben die optische Informationen jedoch nicht her.[3] Um den Hasen auf der Wiese als Hasen auf der Wiese oder den Bild-Hasen zu sehen, muss zum Sehen eine fallible, kognitive Interpretationsleistung (etwas als etwas erkennen oder identifizieren) hinzutreten"[4]. Woran hier erinnert werden soll, ist zweierlei: Unser Sehen beruht sowohl auf kulturinvarianten Wahrnehmungsqualitäten und ihrer Unterscheidungsmöglichkeit als auch auf einem komplexen, immer schon vermittelten, auf den vielfältig konditionierten Kontext bezogenen kulturimprägnierten Vorgang.[5] Im Mittelalter sah man daher Hexen wirklich, heute (hoffentlich) nicht mehr. Wer aufs Bild schaut, schaut somit sowohl in die Natur als auch immer auf die Kultur, ihre Imprägnierungen, Standards und auch Variationen. Der Blick aufs Bild ist nun zwar mit dem Blick in die Welt (und ihrer Gegenstände/Tatsache) vergleichbar, jedoch nicht identisch. Entscheidendes kommt hinzu: Im Gegensatz zu der Anschauung eines singulären Gegenstandes, etwa eines bestimmten Tisches, lässt uns ein Bild etwas anschauen, was es selbst nicht ist. Der Betrachter eines äußeren Bildes sieht weder nur das physische Objekt mit seinen hellen und dunklen Farben und Formen, noch fasst er es, wenn alles gut geht, als Realität auf, sondern als Sichtbarmachung von etwas, was mit dem Bild als Raumkontinuum nicht identisch ist. Ein Bildbetrachter vollzieht somit eine paradoxe Negationsleistung: er sieht etwas, was der gesehene (oder imaginierte) Gegenstand selbst nicht ist.[6] Was wir als Bild sehen, transzendiert die Welt der bloßen Tatsachen im Urteil des Betrachters. In Bildern sehen wir somit keine Tatsachen der Welt. Doch was sehen wir dann? Etwas, das nicht zum faktischen Bestand der Welt gehört und doch nicht nichts ist. Einem Vorschlag des Marburger Philosophen Reinhard Brandt folgend könnte man sagen: wir sehen - im Modus des Bildes - beurteilte Sachverhalte[7]. Bilder sind so gesehen merkwürdige Zwiegebilde, sie sind und sind zugleich auch nicht - nicht Fisch, nicht Fleisch. Sie leben im "est et non", im Vorhof erfahrener Wirklichkeit, sie sind gewissermaßen piktorale Untote im Reich des Lebens. Sie sind erschlossene Epiphanien dessen, was nicht ist und doch nicht nichts ist. Für den Betrachter entfaltet sich im Bild gleichsam eine Wirklichkeit zweiter Ordnung, eine neue Welt sichtbar geistiger Sachverhalte. Bilder sind nicht, das was sie sind, sondern immer existierender Schein, der wirkungsmächtig das darstellt, was nicht da ist. Es sei hier daran erinnert, dass von Bildern, oder besser gesagt: von denen die sie herstellen, immer wieder der Versuch unternommen worden ist, den paradoxen Status des Bildes mit bildnerischen bzw. bildtechnischen Mitteln zu überwinden. Das trompel l'oeil des 17. Jahrhunderts, reine Farbflächenbilder der 60ziger Jahre des letzten Jahrhunderts oder bestimmte Varianten des Cyberspace versuchen diese Wirkung zu erzielen. BildthematisierungWas aber ist nun das Eigentümliche an Kunstbildern? Weder das Schöne noch das Ästhetische scheinen hier die entscheidenden Anhaltspunkte zu liefern, da beide Prädikate zu unspezifisch und generell sind, um das Spezifische des Kunstbildes zu fassen.[8] Weiterführender ist der Bezug auf die Thematisierung der Bilder, also die Bezugnahme der Bilder auf das, was sie darstellen, oder wie der amerikanische Philosoph Arthur Danto sagt, ihre "aboutness"[9]. Im Gegensatz nämlich zu anderen äußeren Bildern, etwa Piktogrammen, ist die Art und Weise wie ein Kunstbild etwas zur Darstellung bringt von entscheidender Bedeutung. Kunstbilder sind immer Bilder über das, was sie darstellen und können so ganz allgemein als Gegenstände verstanden werden "... deren Bedeutung es ist, zu zeigen, wie sie zeigen, was sie zeigen."[10] Kunst-Bilder sind damit in gewisser Weise selbst-referenziell. Der Inhalt dessen, was sie zu zeigen vermögen, steht in engem Zusammenhang mit der Art und Weise ihrer bildnerischen Präsentation. Bildtheoretisch ließe sich das Kunstbild ganz allgemein so beschreiben: Bilder der Kunst sind erstens artifizielle Gegenstände der menschlichen Anschauung; sie bedürfen zweitens der vom menschlichen Betrachter zu leistenden Einsicht, dass das, was sie in Form und Farbe etc. darstellen, nicht sie selber sind und drittens erfordern sie den visuellen Nachvollzug ihrer Kompositionen, durch die sie das, was sie darstellen, zu ihrem Thema machen. Aufgrund des letztgenannten Aspektes verweist gerade das Kunstbild auf sich selbst zurück. Bei Bildern der Kunst kommt es daher auch nicht (oder nicht so sehr) auf die externen Verwendungsfunktionen oder Handlungskontexte der Bilder an, sondern vielmehr auf die bildinterne Thematisierung[11]. Diese dem Bild eigentümliche Präsentation, seine gleichsam geistvolle (Selbst-)Thematisieren ermöglicht das, was man das "Mehr-sein" (praegnans), die 'Transzendenz' des Bildes genannt hat, weil der Geist des Bildes hier nicht nach einer vollständig bestimmbaren Regel oder Manier vorzugehen pflegt, wenn er etwa die existentielle Angst des Menschen zur Anschauung bringt. Das Bildwerk wird zum Individuum - Plagiat ausgeschlossen. Im Gegensatz zu etwa sprachlichen Kunstwerken (Gedichten) leuchtet diese geistvolle (Selbst)-Thematisierung im Bild allerdings nur im unmittelbaren Augenblick der Anschauung des Bildes auf. Der Betrachter goutiert es und sagt: je ne sais quoi. Mit Tizian in der Renaissance beginnend wurde diese Besonderheit des Kunstbildes vor allem im 18. und 19. Jahrhundert intensiv wirksam. Heraus kam das von allen gesellschaftlichen, politischen und religiös-kirchlichen Konventionen sich durch Selbstthematisierung befreiende autonome Kunstwerk, das sich in Bezug auf seine Bildgenese, seine eigene malerische Qualität oder in Hinblick auf die optische Erfassung des Betrachters intensiv mit sich selbst zu beschäftigen begann.[12] Diese Form der Selbstthematisierung führte nun in einigen Bereichen der Bildkunst dazu, dass sich paradoxerweise so etwas wie ein bildimmanenter(-interner) Ikonoklasmus entwickelte. Etwa in der Linie Raffael zu Pollock entstanden Bilder, die am Ende nichts anderes darstellten als sich selbst und die damit ihren Bildcharakter, nämlich darzustellen, was sie nicht sind, als Bild zu negieren suchten. Diese Bilder bilden nichts mehr ab und bedeuten, gegenstands- und bedeutungslos, nur sich selbst. Das Bild versucht sich dabei jeglicher Fremdherrschaft zu entledigen, um endlich das als Sachverhalt darzustellen, was es als physische Realität ist und immer schon war: eine bestimmte Form oder Farbe, nicht mehr aber auch nicht weniger. Damit wurde aber das abstrakte Kunstbild zum hybriden Bild-Objekt, gleichsam zum Kippbild, zwischen Tatsache und Sachverhalt, zwischen Artefakt und Kunstbild. Insofern diese Bildnegation im Bild selbst angelegt ist, ist gerade in abstrakten Kunstbildern etwas ausgedrückt, was sie mit Bildern überhaupt teilen: "Das für den Betrachter wirklich zu sein, was sie nur darstellen können, das Nicht-Bild, das Dargestellte selbst."[13] Überhaupt kommt dem Betrachter bei den durch systematischen Entzug der externen Darstellungs-, Verwendungs- bzw. Handlungskontexte autonom gewordenen Kunstbilden eine wesentliche Bedeutung zu. Sie sind aufgefordert, sich dem perzeptuellen Angebot auszusetzen, ihm nachzugehen und selbst zu einem, wenn auch letztlich unabschließbaren kommentierten Urteil zu gelangen. Mit diesem Ausflug in die nicht mehr darstellende Bildkunst findet man sich allerdings unversehens in der Konfrontation des Marburger Religionsgespräches zwischen Luther und Zwingli wieder. In diesem Gespräch wurde bekanntlich die Frage erörtert, ob Brot und Wein der Leib Christi wirklich sind oder bedeuten. Die Lösung, zu der sich Luther und Zwingli nicht verstehen wollten (oder konnten), lautet: Sie sind es für den Gläubigen wirklich dadurch, dass sie es für ihn bedeuten. Für den Ungläubigen bleiben sie, was sie sind: Brot und Wein. In manchen Bereichen der Bildkunst ist dies eben nicht anders. Über das Bild nachdenkend, sind wir bei der Theologie gelandet. Nach Konvergenzen zwischen beiden Bereichen suchend, kann man festhalten: die Konvergenz liegt im urteilenden Betrachter. Lässt sich hier noch mehr sagen? Theologie, Kirche und die BilderBilder der Kunst, das dürfte hinreichend deutlich geworden sein, sind nicht umweglos einfach Abbilder der Wirklichkeit. Sie können als (selbst-)reflexive Gegenstände betrachtet werden, die so angelegt sind, dass sie nicht nur Gott und die Welt thematisieren, sondern auch beim Betrachter vieles hervorrufen können: positive oder negative Gefühle, kognitive Aufmerksamkeit und Belehrung, bis hin zur Bewegung des - auch politischen[14]- Willens und der Lebenskräfte in eine bestimmte Richtung. Spätestens seit der klassischen Moderne führen manche Bilder der Bildenden Kunst den Betrachter in das semantisch völlig offene Feld bildnerischer Selbstthematisierung. Vielfach schillernd, oszillierend, vielschichtig, assoziationsträchtig und deutungsoffen unterminieren sie dabei ohne Zweifel jede vorauslaufende wahrheitsästhetische Programmatik[15]. Diese Bilder lassen sich nicht mehr (oder immer weniger) konfektionieren und abschließend festlegen, sondern wippen einen gleichsam heraus aus einer festgefügten Alltagssemantik. Als semantisch offene Kunstwerke bergen sie eine Fülle möglicher Lesarten (opera aperta).[16] Viele Bilder der Kunst stiften offene Denk- und Assoziationsräume, die sich im Spiel von Wahrnehmung und Imagination verändern. Die autonome Bildkunst erzählt so eine Kontingenz der Welt, die jeder selbst bearbeiten muss durch Vertiefung der Gedanken beim Sehen. Was dabei herauskommt ist vorher kaum zu sagen - je höher die Abstraktion bzw. Konkretion, desto höher der Interpretationspluralismus in der Bilderschließung. Es ist bei alledem nicht verwunderlich, dass gerade die abstrakte Kunst von bilderfreundlichen Theologen geschätzt wird. Denn die reine Form oder Materie ist offen für alles mögliche, auch für religiöse Deutung, da sie alle Schein- und Darstellungsdienste abgelegt hat. Wer Bilder der abstrakten Kunst zum Anstoß und Vertiefen des religiösen Dialoges[17] nutzen möchte, sollte dies daher unbefangen tun. Er muss allerdings immer darauf gefasst sein, dass sich beim Betrachter etwas völlig anderes - völlig diesseitiges - einstellt. Bei Bildern der Kunst ist es nicht anders, als mit dem Blick in die Abendsonne oder auf das Bergpanorama. Der religiöse Vertiefer sollte aber bei seiner Bildbetrachtung auf jeden Fall eines nicht außer acht lassen: das äußere Kunstbild ist immer ein begrenztes, perzeptiv erfassbares und komponiertes Raumstücke mit Farben (möglicherweise auch mit kleineren Gegenständen) und Formen. Der Betrachter sollte daher nicht zu schnell über diesen Raumkörper hinwegsehen. Denn es könnte sein, dass dieser zunächst auf nicht mehr hinweisen möchte als auf sich selbst, auf seine Formen, Strukturen und Farben, möglicherweise noch auf seine Genese oder den wahrnehmenden Betrachter. Bilder von Emil Schumacher oder Peter Hally versuchen dies. Doch wie gesagt: Bilder bleiben für sich genommen stumm, beredte Versenkung ist möglich. Allerdings könnte es auch sein, dass sie zuweilen sehr viel mehr über die (religiöse) Einstellung des Betrachters oder der Betrachterin aussagen als über das Bild. Kommen wir zu einer anderen Frage: Besteht eine Kontinuität zur mittelalterlichen Bildkultur? Oder anders gefragt: können nicht auch Bilder der modernen Kunst für die Kirche Medien der Verkündigung sein? Diese Ansicht ist sowohl bilderfreundlichen als auch bilderfeindlichen Kreisen in der Kirche durchaus geläufig.[18] Doch bei einer solchen Auffassung geht es, wenn es um den Indienstnehmer (also die Kirche) geht, schlicht um eine sehr eng geführte Form von Auftragskunst, in der die Beziehung zwischen Betrachter und Bild schon durch eine bestimmte Kontextualität vorabgeklärt werden soll. Mit einem spätestens seit dem 19. Jh. in Mitteleuropa etablierten Kunstverständnis hat dies nichts zu tun. Denn hier gibt es - wie gesagt - keine Vorabregel. Der ästhetische Prozess ist nicht fraktionierbar. Das sich im Kunstgenuss des Bildes manifestierende sur plus lebt im Reich der zwecklosen, aber nicht sinnlosen (!) Freiheit - Vereinnahmung ist nicht möglich. Wenn man nicht bei christlichem Kunsthandwerk (Design) oder christlicher Werbung (Marketing) landen will, hat man sich in Bezug auf die Bilder der Kunst von der Auffassung zu verabschieden, dass sich die hier in Betracht kommenden Bilder einer vorgängigen außerbildlichen Realität unterordnen, wenngleich auch die Bilder an der Einheit der natürlichen Welt partizipieren. "Zum Wollust- und Werbeträger" sind Bilder der Kunst, trotz ihrer Impulse, schlecht geeignet."[19] Wie aber könnte eine theologisch verantwortete Annäherung an die autonomen Kunstbilder der Moderne gelingen? Was wäre hier möglicherweise sogar ein originärer Beitrag des christlichen Glaubens, will man nicht nur allgemein und unspezifisch, wenn auch nicht trivial, darauf hinweisen, dass auch die Bilder der Kunst, wie überhaupt alle Kunst, aus theologischer Einsicht und im Bach'schen Sinne als soli gloria deo zu werten[20] und in ihrer Autonomie zu begrüßen seien. Der Theologe Thomas Erne hat im Anschluss an das jüdisch-christliche Bilderverbot (vgl. 2. Mose 20, 4f) und die Christologie des dänischen Schriftstellers, Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard einen beachtenswerten Vorschlag gemacht: Sein Ausgangspunkt bildet die religionstheoretische These, dass Religion ein dialektisches Verhältnis von Fundament und Ferment eingeschrieben sei. Im christlichen Glauben komme dieses Verhältnis im Symbol des Kreuzes exemplarisch zum Ausdruck. Das sich in ihm ausdrückende christologische Paradox wird dabei "zum Anstoß, und zwar durch sinnlichen Entzug, indem ein direktes Verhältnis leer läuft. Ein Anstoß, der den Selbstbezug von Aneignung, das Ergreifen der eigenen Rezeptivität als gesetzte in Gang bringt und damit die Tendenz zur Verdinglichung, auch der Gottesbeziehung bearbeitet."[21] Hinter dem Bilderverbot steht somit nicht die Wahrung einer abstrakten Souveränität Gottes, "sondern die Ermöglichung endlicher Freiheit im Umgang mit dieser Welt. Als Rezeptionsregel ist das Kreuz konkreter Verdinglichungsabbau zugunsten einer Aneignung der eigenen Erfahrungsfähigkeit und damit: Initiierung und Erhaltung (ästhetischer) Erfahrung als freie Hervorbringung endlicher Inhalte."[22] Die alte kulturprotestantische These, dass das religiöse Bewusstsein als Bedingung der Möglichkeit aller kreativen Gestaltung durch endliche individuelle Freiheit zu entfalten sei, wird hier von Erne rezeptionsästhetisch gefasst und im Anschluss an Kierkegaard christologisch begründet. Eine spezifische christliche Kunst kann es in der Perspektive dieser rezeptionsästhetischen Aneignungstheologie nicht geben, wohl aber einen christlichen Beitrag zur Autonomie der Kunst, der eben darin läge, die "Kunst der Aneignung in der Aneignung der Kunst" (Thomas Erne) so zu explizieren, dass die freie Hervorbringung der Kunst im Kontext individueller Aneignung gewollt ist, ohne dabei in abschließende Bildergebnisse abzugleiten. Es geht also nicht um eine grundsätzliche Gegnerschaft zu den Bildern, wie könnte diese auch aussehen? Vielmehr soll einem 'Einfrieren' der Bilder entgegen getreten werden. Das bedeutet dann aber auch: die Kultur braucht so viele Bilder wie möglich, um nicht in bestimmten Bildern zu verharren. Um was es gehen kann "ist nicht eine von Bildern freie, von allen Hindernissen gereinigte, von allen Mittlern entleerte Welt, sondern im Gegenteil eine mit aktiven Bildern, beweglichen Mittlern angefüllte Welt."[23] Autonome Bildentfaltung ist möglich. Religion leistet dabei einen spezifischen Beitrag zur notwendigen Ablösung der Bilder und kann damit als eine fermentive Kraft der Kultur verstanden werden. Bild und WirklichkeitAus theologischer Sicht ist der von Thomas Erne unternommene theologische Versuch einer religiösen Vertiefung der Autonomie der Kunst durchaus respektabel, wenngleich kulturtheoretisch nach wie vor strittig bleiben dürfte, ob die transzendentalphilosophische Beschreibung des Glaubens als "erfahrungsunabhängige, aber erfahrungsermöglichendende Gewissheit"[24] der Identität der Wirklichkeit für die Autonomie der Kultur und ihrer Produkte notwendig ist. Aus der Perspektive des Glaubens ist jedenfalls daran festzuhalten, weil damit das Wirklichkeitsverständnis im Grundsätzlichen angesprochen ist. Will man nicht, wie dies manche semiotische Theorien[25] oder französische Ansätze[26] vorschlagen, von einem grundsätzlichen Wirklichkeitspluralismus ('Weltenpluralismus') sprechen, der letztlich alles zum Simulakrum erklärt, ist aus theologischer Sicht von der erkenntnistheoretisch relevanten ontologischen These der 'Einheit der Wirklichkeit' auszugehen. Doch die Erfahrung der Einheit der Wirklichkeit ist selbst keine in der Wirklichkeit zu machende Erfahrung, sondern ein begründetes religiöses bzw. metaphysisches Urteil. Ein originärer Beitrag des christlichen Glaubens in Bezug auf die Bilder bestände dann aber auch heute darin, dass eine religiöse Aneignung der Bilderwelt den Status der Bilder durchschaut und ihnen den Wunsch verwehrt, das zu werden, was sie gerne sein wollen: nämlich das, was sie nur darstellen können. Eine religiöse (Be-)Achtung der Bilder verweigert ihr Abgleiten in die Welt der Tatsachen. Religion verwehrt den Bildern dieser Welt die Ankunft im Reich des Lebens (bzw. der Wirklichkeit). Sie ist - salopper gesagt - das Knoblauch gegen die Macht der piktoralen Untoten. Mit Blick auf den viel beschworenen 'pictural turn' der Gegenwart, wäre damit aber die kulturprotestantische These von der Religionsabhängikeit der (Bild-)Kultur folgendermaßen zu re-formulieren: Die Kultur bedarf der Religion, insofern sie die Mannigfaltigkeit der Bilder fordert, sie allerdings dabei behaftet, was sie sind und doch alles zusammenhält.[27] In diesem Zusammenhang wäre darauf hinzuweisen, worin das spezifisch Element einer durch den Glauben an Gott geprägten Welt- und Wirklichkeitsauffassung besteht. Die Theologie kann hier auf die biblische Wirklichkeitsauffassung Bezug nehmen. Dort wird nämlich das Handeln Gottes in kontingenten Ereignissen als immer neu und unvorhergesehen erfahren. Doch zeigt sich gerade darin die Treue und der Segen Gottes in der nur von ihm her erfassbaren Konstanz und Kontinuität des Wirklichkeitszusammenhanges.28 Zum Schluss sind wir im Grundsätzlichen gelandet. In Bezug auf die Bilderfrage war dies jedoch auch nicht anders zu erwarten, denn diese hat letztlich immer mit der grundlegenden Frage nach der Wirklichkeit zu tun. Anmerkungen
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