Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Bild der Kirche

Oder: Wie vergegenwärtigen wir unsere Identität?

Konstantin Adamopoulos

Tobias Rehberger hat die Düsseldorfer Bergerkirche gestaltet und schafft damit einen aktuellen Vergleichsstandard für Zusammenarbeit mit Künstlern in der Innenarchitektur - nicht nur für die Kirche

Tobias Rehberger, international erfolgreicher Künstler und junger Professor für Bildhauerei in Frankfurt, hat im Mai mit seinem Team die künstlerische Gesamtausstattung einer Düsseldorfer Kirche vollendet.

Die Bergerkirche verkörpert eine jener protestantischen Kirchen Deutschlands, die im 17. Jahrhundert zwar in der Innenstadt errichtet werden durften, doch nur ohne Turm und versteckt in einem Hinterhof. Als die Bergerkirche, zentral gelegen, aber ohne eigene Gemeinde drohte funktionslos zu werden, begann Thorsten Nolting, damals Stadtkirchenpfarrer von Düsseldorf, in ihr Ausstellungen und Symposien zu veranstalten und eine komplette Sanierung durchzusetzen. Pfarrer Nolting ist heute Leiter der Diakonie in Düsseldorf und nutzt die Bergerkirche als Diakoniekirche für seine über 1000 Mitarbeiter. Zusätzlich steht sie wieder allen offen als meditative Oase im Shopping- und Amüsierviertel in der Düsseldorfer Altstadt.

Darüber hinaus wird sie in ihrer für manche vielleicht kühnen Innenraumgestaltung auch die Diskussion um mögliche Funktionen der Kunst in der Gesellschaft weiter anregen.

Tobias Rehberger möchte seine Kunst in der Kirche als beiläufigen Teil von etwas Normalem, Alltäglichen sehen und richtet sich damit gegen eine Eventkultur. Er sieht Kunst eingebettet in dem Wunsch, sich gut zu fühlen und macht dieses Sich-gut-fühlen als natürlichen Bestandteil des Lebens erfahrbar, als einen Bestandteil, der auch aus dem Augenwinkel oder gar mit dem Rücken ausreichend wahrgenommen werden kann.

Das Innere des Kirchenschiffes mit einer Länge von 21,75 m und einer Breite von 9,40 m strahlt nun in einem fast alles umfassenden, frischen Lindgrün. Dieses helle Gelbgrün steht als Komplementärfarbe zu den abstrakten Glasmosaikfenstern aus der Nachkriegszeit, zu dem auberginefarbigen Zusammenspiel der Einzelgläser in ihren Blau-, Rot- und Brauntönen. Der Komplementärklang stimmt freundlich milde und wirkt doch auch top chic seventies. Ein obligatorisches Kruzifix an der Stirnwand sucht man vergebens, denn Pfarrer Nolting ließ dies wie die Kanzel und weitere nachträgliche Einbauten für die Neugestaltung entfernen. Rechts und links der lockeren Reihen einfacher, weißer Vitra-Stühle von Jasper Morrison verkleidete der Künstler die Seitenwände halbhoch durch einen bedruckten Wandbehang aus hellem Filztuch. Das wirkt einladend, vermittelt einen warmen Eindruck und hilft der Akustik. Die beiden je 15 Meter langen Bahnen sind pragmatisch mit Klettband befestigt und lassen sich so auch einfach in Falten legen. Aufgedruckt sind block- und streifenartige Formen in matten Grün- und Orangetönen. Diese gebrochene Farbigkeit, verbunden mit der stofflichen Linoleumdrucktechnik, lehnt sich in Ihrer Anspielung auf die Ästhetik der 50er Jahre nicht nur an die Sinnlichkeit der Fenster aus dieser Zeit an, sondern will genauso auch auf christliche Wandbehänge anspielen und auf Selbstgemachtes aus der Gemeindearbeit. Insgesamt zwanglos angeordnet, überlagern sich auf dem Filzstoff schlanke horizontale und vertikale Rechtecke wechselnder Größe des öfteren zu Kreuzen. Unaufdringlich schwebend lässt sich also an beiden Seiten des Saalbaus der Eindruck eines suprematistischen Panoramas erleben. Gegengehalten wird dieser Eindruck nur von den sehr feinen Fenstern und einer großen, permanent orange-rot leuchtenden Kugellampe, die im Altarbereich hängt, leicht aus der Symmetrieachse des Raumes herausgenommen. Der Altar selbst - in klassisch geschlossener Sarkophagform, allerdings ganz aus weißem, transluzentem Plexiglas - verkörpert leuchtend das einzig wirklich kostspielige Schmuckstück der Kirche. Der Künstler öffnet mit der in ihm verborgenen Technik und einem speziellen Computerprogramm die Bergerkirche vernetzend nach außen. Die akustischen Aktivitäten, Gebete, Musik aus drei Düsseldorfer Kirchen, der evangelischen Stadtkirche, der katholischen Lambertus-Kirche und der griechisch-orthodoxen Agios-Andreas-Kirche, werden direkt in Lichtimpulse und damit in eine wechselnde Helligkeit des Altars übersetzt. Beschwingt lassen sich unzählige Bezüge der Lichtmetaphorik im neuen Testament finden: zur irdisch durch menschliche Aktivitäten beeinflussten Lichtsymbolik, z.B. bei Matthäus 5, 14: "Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen bleiben." und 16: "So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." Oder zum konstanten, "himmlischen Licht" der Kugellampe bei Johannes 8, 12: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht in der Finsternis bleiben, sondern wird das Licht des Lebens haben."

Rehberger verlegt in seiner unvoreingenommen, technischen Umsetzung der Lichtmetapher den Schwerpunkt der Vergegenwärtigung Christi von der Leidenssymbolik des Kruzifixes auf die Befreiung im Licht. Damit verschiebt er die Bildaussage auf moderne Weise vom identifikatorischen Nachempfinden am physischen Abbild ins nachsinnend Abstrakte. Das hält die Aussage konkret und doch auch bewusst weiter gefasst.

Die diakonische Arbeit der evangelischen Kirchen ist ihr "Kerngeschäft" und darin erfährt sie auch ihre größte gesellschaftliche Anerkennung. Gleichzeitig haben wir uns angewöhnt, mit der barmherzigen Tätigkeit auch ein hilflos tristes Aussehen dieser Institutionen zu verbinden. In der Kirchenarbeit aber stellen sich nun die selben Fragen wie in anderen großen Unternehmen auch: Wie vergegenwärtigen wir unsere Identität und das, an was wir glauben - siehe eben Matthäus 5, 16.

Mit der modernen Gestaltung von Tobias Rehberger, die soziale Wärme vermittelt, setzt die Bergerkirche einen aktuellen Standard auf hohem Niveau. Dieser Standard bewegt sich sowohl in der zeitgenössischen Kunst wie auch mitten in dem, was als zeitgenössische Kirche erkennbar wird.

Die Bergerkirche ist montags bis freitags von 15 bis 18 Uhr für Andacht und Gebet geöffnet.


© Konstantin Adamopoulos 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 25/2003
https://www.theomag.de/25/ka1.htm