Tobias Rehberger und seine Studenten
"Es war eine Enttäuschung." So oder ähnlich waren die meisten spontanen Reaktionen auf die Ausstellung, die Tobias Rehberger und seine Studenten von der Frankfurter Städel Kunsthochschule in der Stadthausgalerie in Münster während der von allen lang geplanten "Langen Nacht der Museen und Galerien" präsentierten. War es wirklich eine Enttäuschung? Kam man ohne Vorkenntnisse vom Konzept der Kunstaktion, die sich über mehr als einen Monat erstreckt hatte und in der Ausstellung in Münster lediglich ihren Abschluss bzw. Abbruch fand, so bot sich in der Tat nur ein Chaos. Es war wie nach einer Party und es war nach einer Party. Durch eine modern gestylte Saloontür kam man in den Raum. Dort sah man einen Tresen, darauf ein Käfig mit lebendem Papagei, an die Wand gelehnt das Gestell eines Sonnenschirms, in den Ecken ein flacher, japanisch anmutender Tisch mit Plattenspieler als DJ Pult umfunktioniert, eine Kühltruhe und ein zerstörtes Tischfußballspiel - alles mehr oder weniger beziehungslos im Raum verteilt. Vor dem Tresen lag ein großer heller Teppich zum Hinsetzen, dazwischen leere Flaschen, Gläser, Strohhalme und in der Luft ein widerlicher Geruch, ranzig, süßlich, abgestanden. Am Vorabend der Eröffnung hatte eine Cocktailparty stattgefunden, riechen konnte man auch von in Schokolade gepresste Schallplatten und die Reste eines "Sofas" aus Butter, Butterstücke, die im Stil weißer Designmöbel zu einer Sitzecke angeordnet waren und am Boden lagen. In eines war schon jemand hinein getreten.
Es war eine sehr sinnliche, intensive Inszenierung und sie offenbarte auf einen Schlag die ganze Schmierigkeit, die ein Kulturfestival an sich hat. Die Ausstellung war eine Enttäuschung, das war gut.
Storytelling: Das Buttersofa
Rehbergers Idee war es, mit einem künstlerischen Statement einzusetzen, auf das nachfolgend im Abstand von drei Tagen alle Studenten mit einer eigenen Arbeit reagieren würden. An den Anfang der Kettenreaktion stellte er das "Buttersofa", das von der ersten Studentin auf den flachen Tisch gehoben zur "Tischskulptur" erklärt wurde. Es folgte eine konservatorische Maßnahme: Eine Kühltruhe wurde unter den Tisch gestellt. Das Ensemble glich nun einem DJ-Pult und wurde so auch dazu gemacht - eine weitere Studentin ließ auf Schallplatten aus Schokolade mit dem amerikanischen Rap "butter" pressen, der leise zu hören war. Die Szenerie wurde vorläufig komplettiert mit einem Teppich. Das ganze Arrangement wurde nun weggeräumt, aber vorher fotografiert. Daraus entstand eine Fotocollage, die die Requisiten der Werk-Entwicklung mit einer historischen Fotografie von André Breton verknüpfte, die den Surrealisten zeigt, wie er sich mit festlich gekleideten Indianern fotografieren lässt, ihrerseits eine dichte Binnenerzählung, die von der künstlerischen Auseinandersetzung mit indianischen Gast- und Festbräuchen handelt, bei denen sich die Häuptlinge in der Konkurrenz untereinander häufig ruinierten. Der Student, der nach der Entstehung des Fotos an der Reihe war, lud alle erst einmal zum Essen ein, um über den bisherigen Stand der "Gruppenskulptur" zu diskutieren. Die nächste holte alles wieder hervor, baute jetzt einen halboffenen Tresen, in dem die Gegenstände verstaut werden konnten. Es folgte der Papagei. In seinen Käfig wurde ein Mikrofon eingesetzt, er sollte ein einstudiertes Lied über die Liebe singen. Daraus entstand ein Video vom Papagei, das in den Tresen eingebaut wurde, vom nachfolgenden wieder ausgebaut und auf einem Rasenstück in Münster vergraben wurde, um durch das Video dieser Aktion ersetzt zu werden. Das Spiel (mit) der Kunst aus Modell und Wirklichkeit paraphrasierte der nächste mit einem Tisch-Fußball ... es folgten noch viele Statements, in der Summe waren es neunzehn, die ich mir nicht merken konnte. Am Schluss stand der Schirm und die Cocktailparty, bei der Drinks mit Namen von Teilnehmern der Skulptur.Projekte Münster gemixt wurden. Am Morgen danach erfolgte eine Gruppenentscheidung darüber, wie die Gesamtinszenierung abschließend aussehen sollte.
Die Einzelprojekte sind weniger für sich, denn als Sprachbausteine von Bedeutung. Im Zuge der Aktion entstand eine hochkomplexe und ironische Erzählung darüber, wie Kunst funktioniert, wie sich Kunst auf Kunst bezieht und sich darin auch selbst wiederholt, und auch eine Erzählung darüber, wie ein gutes Gespräch ablaufen kann, das an irgendeinem Punkt zwar abgebrochen wird, aber nicht abbrechen müsste.
Rehberger zu Gast in Münster
"Gastfreundschaft": die Sitte, Fremde aufzunehmen, zu beherbergen und ihnen Schutz zu gewähren (Asylrecht). Bei der in früheren Zeiten herrschenden Rechtlosigkeit des Fremden war die Gastfreundschaft ein heilig gehaltener Brauch (Fremdenrecht). Bei Griechen und Römern beschützte Zeus Xenios beziehungsweise Jupiter hospitalis den Gast. Symbolische Handlungen, z.B. der Austausch von Gastgeschenken, "Symbolea", spielten dabei eine große Rolle; ähnlich noch bei vielen Naturvölkern. Das christliche Mittelalter übte die Gastfreundschaft als religiöse Pflicht; selbst dem Feind wurden drei Tage Gastrecht gewährt. [Brockhaus]
Die Ausstellung war nicht zuletzt ein vielstimmiger Kommentar zur westlichen Zivilisation als Beispiel einer gefräßigen "Ess-Kultur". Der Papagei war nicht nur ein zynisches Emblem für die Nachahmungstechniken der Kunst, sondern auch für das derzeitige Geplapper über (fremde) Kultur(en). Und die Ausstellung war vielleicht auch ein persönliches Statement zur kulturellen Einverleibung von Rehberger selbst. Die Unverhohlenheit, mit der der die Gestaltung des Rathausinnenhofs als roter "Platz der Kulturen" für die städtische Veranstaltung der "Langen Nacht" auf dem ästhetischen Konzept von Rehbergers Beitrag für die Münsteraner Skulptur.Projekte 1997 basierte, bei der dieser eine Hörsaalterrasse mit einem roten Kunstrasen ausgelegt hatte, machte sichtbar, wie wenig respektvoll Kulturpolitik letztlich mit Gastgeschenken der Kunst verfährt.
Die Ausstellung "Tobias Rehberger und seine Studenten" war während der "Langen Nacht" in Münster vom 05. bis zum 07. September in der Stadthausgalerie zu sehen.
© Karin Wendt 2003
|
Magazin für Theologie und Ästhetik 25/2003 https://www.theomag.de/25/kw26.htm
|
|
|
|