Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Kunst für Kenner?

Eine Kritik

Andreas Mertin

Muss man haben

Ich stand vor einigen Jahren während des Weihnachtsgeschäfts vor der Außenablage einer Buchhandlung neben einen jungen Pärchen, das die Ablage nach interessanten Titeln durchging. Dabei stieß es auf einen populären Nachdruck der Merian-Bibel und es entspann sich zwischen den beiden folgender Dialog.

Er: "Muss man haben" - Sie: "Nein, ist frauenfeindlich!" - Er: "Doch, muss man haben!" - Sie: "Nein, ist frauenfeindlich." - Er: "Doch, doch, muss man haben! Ich geh mal rein und frag', ob die Weihnachtsgeschichte drin ist."

Auf die digitale Reproduktion von Kulturgütern, die man haben muss, hat sich die Berliner Digitale Bibliothek (www.digitale-bibliothek.de) spezialisiert. Egal ob Literatur, Hexen, Tierkunde oder sonst was, die Digitale Bibliothek bietet "Bildung, die jeder haben muss". Dabei muss man mehr Gedichte, Gemälde, Märchen und Zeichnungen haben (nämlich jeweils 1000) als Romane, Theaterstücke, Philosophiewerke oder Werke der Weltliteratur (jeweils nur 100). Nun kann man sich mit Recht fragen, ob man diese Kulturgüter wirklich haben muss (und was "haben" in diesem konkreten Falle eigentlich bedeuten soll). Auf jeden Fall aber sollten die so angepriesenen Kulturgüter in einer Form angeboten werden, die kulturellen Standards auch genügt. Das dies bei der Digitalen Bibliothek nicht immer der Fall ist, beweist die Reihe "Kunst für Kenner".

Enttäuschung

Auf den Kunst-CD-ROMs der Reihe "Kunst für Kenner" steht rechts unten als Slogan immer: Klicken, Staunen, Wissen! Für die neu erschienenen Ausgaben zu den Themen Renaissance, Barock und Impressionismus müsste der Slogan aber eigentlich präziser lauten: Klicken, Staunen, Entsetzen!

Zunächst einmal ist ja die Idee, für einen günstigen Preis komprimiert eine digitale Übersicht über kunstgeschichtliche Epochen anzubieten, nicht schlecht. Der Nutzer kann so für vielfältige Zwecke schnell auf großformatige Abbildungen einer spezifischen Kunstepoche zugreifen, kann sich über die wichtigsten Künstler und Werke informieren. So weit, so gut. Ob freilich zur Erschließung einer Epoche nicht 1450 Gemäldeabbildungen schon wieder viel zu viel sind und eher verwirren als bilden, ist eine andere Frage. Aber immerhin hat der Nutzer auf diese Weise einen Fundus an Bildern und Daten, auf den er zur Recherche zurückgreifen kann.

Es muss aber zu den stillen Hoffnungen der Herausgeber gehören, dass niemand den Reihentitel "Kunst für Kenner" wirklich ernst nimmt. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht: sowohl was die Qualität der Abbildungen als auch was die Zuverlässigkeit der Daten betrifft.

Jeder Kenner würde ob der manchmal wirklich schlechten Qualität der Abbildungen die Hände über dem Kopf zusammen schlagen. Wer etwa auf der Barock-CD-ROM die Werke von Rembrandt betrachtet, bemerkt, dass einige der abgespeicherten JPEG-Dateien deutlich abgestufte Pixelflächen enthalten, ein Effekt der in der Regel dann eintritt, wenn man JPEG-Dateien mehrfach komprimiert. Für die kunsthistorische Bildbetrachtung werden die Bilder so unbrauchbar. In jeder normalen Computerzeitung kann man nachlesen, wie man derartige Effekte vermeidet. Und es ist ja nicht so, als ob nicht bessere Bildangebote zur Verfügung stünden. Die Webgallery of Art bietet ähnliches Material in einer vielfach besseren Qualität an.

Noch ärgerlicher aber ist es, dass die zahlreichen Daten-Fehler, die schon an der CD-Serie 5555 Meisterwerke anstößig waren, bei der neuen Serie einfach fortgesetzt werden. Selbst wenn man das Ganze wohlwollend als Recycling der alten CD-Serie betrachtet, so impliziert der Begriff des Recyclings doch auch, dass man das alte Material wieder aufbereitet, mit anderen Worten, bekannt gewordene Fehler ausmerzt. Das ist in der vorliegenden Ausgabe bei weitem nicht ausreichend der Fall. Insofern gilt für die drei Titel von "Kunst für Kenner" Die Renaissance - Der Barock - Der Impressionismus das Urteil: Mit Vorsicht zu geniessen!


© Andreas Mertin 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 26/2003
https://www.theomag.de/26/am104.htm