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Magazin für Theologie und Ästhetik


K-PAX

Alles ist möglich

Inge Kirsner

Der (deutsche Unter-)Titel des Films "K-Pax" heißt: "Alles ist möglich". Das Genre, das tatsächlich unendliche Möglichkeitsräume eröffnet, ist der Science-Fiction-Film. In einem Science Fiction kann es alles geben, Zeitreisen, Aliens, übernatürliche Kräfte und Mächte. Hin und wieder fällt auch ein Wesen vom Himmel auf die Erde, so geschehen in "Superman" (Richard Donner, USA 1978) und, auf ganz andere Weise, in Nicolas Roegs "The Man Who Fell to Earth" ("Der Mann, der vom Himmel fiel", USA 1975). Mit diesem Außerirdischen, gespielt von David Bowie, beginnt eine Reihe von S-F-Filmen, in denen die Aliens nicht, wie in den 1950er Jahren, die Menschen angreifen und/oder die Erde zerstören wollen, sondern im Gegenteil diese Angst vor einer verrohten Menschheit haben müssen.

Newton, so nennt sich der Alien in Roegs Film, kommt auf die Erde, weil er einen Teil der überreichlichen Wasservorräte auf seinen Heimatplaneten schaffen will, der sonst an Wassermangel zugrunde geht. Um seine Pläne umsetzen zu können, gründet er mithilfe seiner überragenden geistig-wissenschaftlichen Fähigkeiten ein großes Wirtschaftsunternehmen. In den Menschen, denen er begegnet, erweckt er ein Potential, das diese neu mit sich selbst bekannt macht. Am Ende, als er seine Rückreise antreten will, wird er entführt und psychisch wie physisch so zerstört, dass er die Erde nicht mehr verlassen kann.

Der Blick des Fremden enthüllt die kreative wie auch die dunkle Seite der Menschheit, bei der das Destruktive schließlich siegt.

Von einem Mann, der auf die Erde und in die Hände der Menschen fällt, erzählt auch das Christentum. Jesus Christus zeigt den Menschen, was alles möglich ist dem, der glaubt.

In der Filmgeschichte treten in seiner Nachfolge immer wieder messianische Figuren auf, die den Menschen ihre Möglichkeiten zeigen und sie (zu sich selbst) erlösen wollen. Ob der ´Messias´ in K-Pax ein Außerirdischer ist oder nicht, lässt der Film offen; ist er es nicht, wäre der Film kein Science Fiction, sondern ein Psychodrama, dessen Voraussetzungen sich bereits im Vorspann entfalten.

Zum Film
Der Vorspann

Sein Auftritt gleicht einer Erscheinung; - gerade noch schweben wir mit der Kamera in der Luft, sind Teil der Federn und Staubpartikel, gerade haben wir die grauen, undeutlichen Schemen als Bewegungen menschlicher Gestalten erfasst - da sind wir angekommen, in der Central Station in New York, und sehen: zunächst einen älteren schwarzen Mann, Rollstuhlfahrer, Bettler. Er gibt seine Kommentare an die Vorübereilenden ab, da wird sein Blick gelenkt. Auf eine Stelle, die von der Sonne bestrahlt wird und wo nichts zu sehen ist. Oder doch? Er wird abgelenkt, richtet seinen Blick erneut dahin, und sieht: einen Mann, der von einem Augenblick auf den anderen da ist. Er ist der einzige, der nicht eilig hastet, er steht da und schaut. Das erste, was er sieht, ist ein Überfall auf eine Frau, sie wird beraubt und niedergeschlagen. Als er zu ihr geht, sich bückt, ihr aufzuhelfen, ist auch schon die Polizei da und nimmt ihn als mutmaßlichen Täter fest.

Wo er herkomme? Er sei gerade erst angekommen. Fahrkarte? So reise er nicht. Ob er seine Sonnenbrille abnehmen könnte? Nur ungern; er habe vergessen, wie hell der Planet Erde sei.

Alles klar, meint die Polizistin und veranlasst seine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt.

Die ersten Filmminuten von "K-Pax" zeigen bereits alle Motive, die sich im weiteren Film um den jesuanischen Außerirdischen, der sich Prot nennt und von Kevin Spacey gespielt wird, entfalten werden: da sind zunächst die Herkunft von oben und das wunderbare Licht. Prot erblickt das Licht der Welt, doch in eigenartiger Umkehrung des gnostischen Motivs im Johannesevangelium vom Licht, das die Dunkelheit erhellt, ist ihm die Welt zu hell, er muss sich schützen. Er wendet sich den Ärmsten der Gesellschaft zu, jenen Opfern des survival of the fittest, welches Amerika mit dem Römischen Reich von damals verbindet.

Seine phänomenale Erscheinung wird als erstes von einem Bettler wahrgenommen, der wie Johannes eine Zeugenfunktion hat: während Johannes jedoch auf Jesus weist - er ist es! - sagt der Schwarze für ihn aus: er war es nicht!

Er wird, kaum dass er in der Öffentlichkeit beginnt zu wirken, von den Hütern des Gesetzes als gefährlich erkannt und festgenommen. Hier, in der Psychiatrie, werden wir zu AugenzeugInnen einer modernen Passionsgeschichte.

Die Geschichte:

Der Psychiater Dr. Mark Powell (Jeff Briges) nimmt Prot zunächst als Routinefall auf, aber seine Einschätzung ändert sich bald. Prot erweist sich als überaus kluger Gesprächspartner, der jeden Versuch, ihn in Widersprüche zu verwickeln, lächelnd aufnimmt und scheitern lässt. Die Frage, wieso er, da die Wesen auf seinem Heimatplaneten K-Pax so ganz anders seien, hier in menschlicher Gestalt auftrete, weiß er sofort zu beantworten: auf jedem Planeten, den er besuche, nehme er die kompatibelste Gestalt ein. Die günstigste Lebensform auf Erden sei eben die des Menschen.

Welche Konsequenzen seine Inkarnation hat, beginnt Powell langsam zu erahnen, als er Prot mithilfe von Hypnose an dessen Trauma heranführen will, auf das er Prots Persönlichkeitsspaltung zurückführt. Doch zuvor macht er noch einige Entdeckungen, die ihn an seiner Diagnose zweifeln lassen. Die Äußerungen Prots sind in sich schlüssig, machen Sinn; und er scheint ein enormes, geradezu außerirdisches Wissen in Bezug auf Astrophysik und Religionsmystik zu besitzen. Powell beschließt, dieses einigen Wissenschaftlern zwecks Prüfung vorzuführen.

Wie der zwölfjährige Jesus im Tempel lehrt Prot nun diese zunächst ungläubigen, dann immer erstaunteren Wissenschaftler in einem astronomischen Zentrum, wo er ungelöste Fragen im Handumdrehen beantwortet und ihnen den Himmel auslegt.

Prot ist nicht nur klug, er liebt auch die Menschen. So beginnt er, seine Mitpatienten, die der Arzt längst 'abgeschrieben' hat, zu heilen. Er fühlt sich in sein Gegenüber völlig ein und entwickelt für jede/n eine individuelle und völlig unorthodoxe Therapie, die zur seelischen Gesundung führt. Er, der von außen kommt und für die Psychiatrisierten bald ein neuer Messias wird, nimmt auch den Arzt unter seine Fittiche. Dieser muss erkennen, dass er sich mit seiner Berufsroutine längst seinen Patienten und seiner Familie entfremdet hat und viel einsamer ist als die Menschen, die er betreut. Prot wird Powell zum Bruder, zum Spiegel-Ich (dies sehen wir auch in einem der ersten Filmbilder in der Psychiatrie, wenn sich das Gesicht von Powell durch eine Glasscheibe hindurch mit dem von Prot ´überlagert´).

Prot zeigt Powell den Blickpunkt von außen, Gottes Perspektive auf die Menschen, der den Gesamtzusammenhang der Welt und das Innerste des Menschen zugleich sieht.

Powell beginnt allmählich, Prot zu glauben; der Arzt im ihm will jedoch heilen, und unter Hypnose führt er Prot immer wieder an einen Punkt, wo er von einem Freund erzählt, dem etwas Furchtbares widerfahren sei. Powell beginnt, den Spuren zu folgen und stößt auf ein Verbrechen, das jener Freund gerächt hat und daraufhin unter mysteriösen Umständen verschwand. Powell will Prot nun seine Identität 'beweisen'; Prot beharrt auf seiner Version und kündigt an, bald wieder auf seinen Planeten K-Pax zurückzukehren und dabei einen der Patienten mitzunehmen auf seine 'Himmelfahrt'.

Das Ende

Das Verschwinden der auserwählten Patientin und das Verschwinden Prots in ein Koma - begleitet von einem Lichtphänomen, hervorgerufen durch eine besondere Planetenkonstellation - hinterlässt viele Rätsel für die Zurückbleibenden.

Schlüssig erscheint lediglich die doketische Inkarnations-Variante: Prot hat sich den Körper des untergetauchten Mannes (der nach der offiziellen Version Selbstmord beging) vorübergehend ausgeliehen, verband sich jedoch durch diese Fleischwerdung so eng mit der Seele des Mannes, dass er selbst stellvertretend für ihn leidet und schließlich erlöst - zurück bleibt nur eine leere Hülle.

Der - scheinbare oder tatsächliche - Außerirdische hält seiner Umwelt einen Spiegel vor: wie schnell einer als verrückt abgestempelt wird, wie wenig Freiheit es gibt. Und lässt, als Erbe, eine Ermutigung zurück: alles ist möglich. Die Liebe ist eine einzige Grenzüberschreitung; sie kann Menschen gesund machen, die als krank ausgegrenzt wurden; kann frustrierte Erwachsene mit ihren lange vergrabenen Sehnsüchten konfrontieren; kann ein System an sich selbst zweifeln lassen.

Zum Ort: Das Kino als Bahnhof und Kathedrale

Alles, was Prot ausmacht, kann auch ein (guter) Film. Er kann Selbstzweifel auslösen, Sehnsüchte wecken, andere Blickwinkel eröffnen. Der ideale Ort für den Film ist und bleibt das Kino, wo er, ´bigger than life´, das Alltagsgeschehen aufbricht. Jeder Gang ins Kino ist auch eine Reise, ein Kurztrip, der Film wird zum Reisebegleiter.

Der Ausgangspunkt von "K-Pax" ist ein Bahnhof, Ort der Ankünfte, Aufbrüche, Abfahrten. Gezeichnet ist er wie eine Kathedrale, bestimmt vom Licht, mit dem der Reisende anzukommen scheint. Wie im Kino wohnen wir einem Licht-Spiel bei, das uns zeigt, dass eine Welt nicht genug ist.

Zur Diskussion:

Sicher ursprünglich nicht als Lektion in Sachen Christologie gedacht, kann ein Film wie "K-Pax" eine Diskussion über Außenseiter wie Jesus, ihre Motive, ihr Leben und Sterben auslösen, die in einen Vergleich mit anderen, gewalttätigeren Erlösern wie Neo in "Matrix" übergehen kann. Wie unterscheidet sich (der historische) Jesus von diesen modernen Erlösern? Wie sähe sein Leben unter gegenwärtigen Bedingungen aus?

Die Aktualisierung der Jesusfigur muss nicht in eine Trivialisierung münden, wie dies bei vielen der zwischenzeitlich über 120 Jesusfilme geschehen ist. Und die Spurensuche nach einem "Jesus incognito" muss keine theologische Vereinnahmung bedeuten, sondern soll eine Anregung sein, sich ästhetisch und theologisch auf einen Dialog zwischen Religion und Film einzulassen.


© Inge Kirsner 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 27/2004
https://www.theomag.de/27/ik6.htm