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Magazin für Theologie und Ästhetik


Schön, schöner, am schönsten

Der Heilige Sebastian in der Kunsthalle Wien

Karin Kontny

Schmachtblicke, viel nackte, glatte Männerhaut und einen wendigen Körper. Vom 14. November 2003 bis zum 15. Februar 2004 lockt die Wiener Kunsthalle auf Plakaten in der ganzen Stadt mit dem wohl umschwärmtesten Mann der Kunstgeschichte: dem Heiligen Sebastian.

Schön ist er. Und auch wenn man sein Leiden kaum erträgt - die Pfeile in seinem androgynen Körper gehören nun mal zu dieser legendenumwobenen Märtyrergestalt hinzu. Letztendlich weiß ja auch jedermann, dass er Dank der Hilfe einer seine Wunden pflegenden Freundin die Pein des Durchbohrens überlebt hat. Doch die Maler der Gegenreformation sehen den schmucken Sebastian bisweilen nichts desto trotz gerne in seinem Leiden. Da klaffen tiefe Wunden auf dem jungenhaften Körper des Heiligen Sebastian, dass das Blut nur so die Rippenbögen herabläuft, während der Heilige Sebastian männlich standhaft gen Himmel blickt. Andere feiern ihn hingegen in seiner Unverwundbarkeit und seinem wundersamen Überleben. So schön ist er und so tapfer in allem Schmerz. Es nimmt denn auch kaum Wunder, dass sich im 19. Jahrhundert etliche Künstler, aber auch Schriftsteller, mit dem schönen Leidensmann identifizieren, weil sie sich selbst als die großen Leidenden in und an der Welt verstehen.

Die zeitgenössischen Werke in der freizügigen Wiener Kunsthalle beziehen sich allesamt auf zwei Werke der Vergangenheit: auf das Drama von Gabriele D'Annunzio "Das Martyrium des Heiligen Sebastian" und auf eine um 1800 entstandene anonyme Kopie nach Guido Renis barocker Mal-Ode an Sebastian, die in der Schau - untermalt von den Klängen des debussy´schen Libretto zum schönsten Märtyrer aller Zeiten - zu bewundern ist. Circa 70 aktuelle Arbeiten ranken sich um die Sebastian-Legende.

An einen Baum gebunden, den Blick obligatorisch nach oben gewandt, entspricht das makellose männliche Modell im Film des Belgiers Brave Defurne ganz der die Unverwundbarkeit des heiligen Mannes hervorhebenden, vergeistigten Darstellung der Reni-Kopie.

Chris Burdens, seines Zeichens Video-Performancekünstler, beißt sich an den Wunden des schönen Sebastian fest und macht sich, ganz künstlerische Selbsterhöhung, als Heiliger Sebastian selbst zur strahlenden, weitwundigen "Himmelstür" (1973).

Und auch der Künstler David Woynarowicz hat es auf die Wunden abgesehen: Ganz traditionell betont er das Leiden des jungen Schönen - allerdings übertragen auf nicht ganz so ästhetische Bilder von aidskranken Junkies mit, ja, eben den Nadeln im verbrauchten Leib.

Der Heilige Sebastian - ein schöner, ein leidender Mann. Beschäftigt sich vielleicht gerade deswegen kaum eine Künstlerin in den weiten Hallen der Ausstellung mit dem die malende Männerwelt anziehenden Märtyrer?

Leidende Männer sind bekanntlich schwer zu ertragen, und so deutet Louise Bourgeois kurzerhand und dennoch irritierend die männliche in eine weibliche Ikone um. Sie bestückt den auf weibliche Attraktionsmerkmale reduzierten, (e)rot(isch)en Frauenkörper, dem jegliche individuellen Merkmale wie z.B. der eines spezifischen Gesichts fehlen, an markanten Stellen mit Pfeilen und lenkt das Augenmerk auf spezielle weibliche Wundmale der "Sainte Sébastienne" (2002, in der Ausstellung zum ersten Mal gezeigt).

Ein Pfeil, der demonstrativ in der Vagina der anbetungswürdigen Frauenikone steckt, spielt, wie auch das Video des männlichen Kollegen der Künstlerin, Derek Jarmans, mit dem Thema der Verführung. Jarmans Heiligen Sebastian kostet jedoch das Anlocken eines Verehrers fast den Kopf, weil er sich ihm verweigert. Ein schöner Mann, der dem Anhimmelnden in seiner himmelwärts gewandten Heiligkeit doch glatt durch die Finger gleitet.

Scheinbar nichts für die Künstlerinnen, die in der Kunsthalle Wien ausstellen. Die wollen etwas Habhaftes. Keinen schönen Mann nur zum Schauen, Bewundern und Wunden verpflegen. Das überlassen sie Sebastians aufopferungsvoller Legenden-Freundin - leiden lieber selbst oder gehen als hübsche "Bogenschützin" (Fiona Tan) auf die Jagd, um den Mann ihrer Träume zu treffen ...


© Karin Kontny 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 27/2004
https://www.theomag.de/27/kk3.htm