Sacrificium Intellectus?"Die Passion Christi" in religionspädagogischer PerspektiveAndreas Mertin |
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Ma'hed lee qalleel d-Khayey d-Breeyaan, ellaa dlaa gukhkaa.[1]
Didaktisch-methodische Kriterien des evangelischen Religionsunterrichts, die in verschiedenen Formulierungen in allen entsprechenden Lehrplänen der Bundesrepublik Deutschland wiederkehren, sind Wissenschaftsorientierung, Sachgemäßheit, Mehrperspektivität, Wirklichkeitserschließung, Dialogfähigkeit, Lebensdeutung, Zusammenleben. Keines dieser Kriterien erfüllt Mel Gibsons Kinofilm "Die Passion Christi", was ihn für die Arbeit im Religionsunterricht ungeeignet macht; geeignet ist er aber auch nicht für den Konfirmandenunterricht oder die Bildungsarbeit mit jungen Erwachsenen.[2] Der Film verstößt in wesentlichen Punkten der für den Religionsunterricht unentbehrlichen Wissenschaftsorientierung, insofern er seit Jahrzehnten wissenschaftlich nicht mehr kontroverse Tatbestände zur Kreuzigung Jesu ignoriert[3] und durch Lektüren äußerst fragwürdiger und zudem tendenziöser Quellen[4] ersetzt. Er ist nicht sachgemäß, insofern er trotz eines emphatischen Wahrheitsanspruchs nicht einmal die biblischen Quellen korrekt wiedergibt, sondern mit sachfremden Materialien anreichert. Er vermittelt keine Perspektive für das Zusammenleben der Religionen und Konfessionen, vielmehr schürt er Antijudaismus[5] und Fundamentalismus.[6] Mel Gibson hängt den Glaubensvorstellungen der Traditionalisten an, einer in den USA auf 100.000 Mitglieder geschätzten Glaubensgemeinschaft, die sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von der römisch-katholischen Kirche losgesagt hat. Sie haben das Ziel, den vom 2. Vatikanischen Konzil in die katholische Kirche eingebrachten 'modernistischen, liberalistischen und protestantischen' Ideen entgegenzuwirken und eine vorkonziliare Liturgie und Theologie zu bewahren. "Traditionalisten teilen mit Fundamentalisten deren prinzipielle Distanz gegenüber der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte, flüchten in eine ungeschichtliche Unmittelbarkeit im Umgang mit der Glaubensüberlieferung, verfolgen ihre Ziele aber durchaus mit 'neuzeitlichen' Mitteln. Auf fundamentalistische Weise schert man aus dem als verunsichernd erlebten, weil den Glauben in seinen Geltungsansprüchen relativierenden Dialog der Zeitgenossen aus und setzt dem eine hermeneutisch naive, vorneuzeitliche Sicht von Gott, Ordnung und Autorität entgegen."[7] Präziser, als es das Evangelische Kirchenlexikon zum Stichwort Traditionalisten schreibt, kann man das, was Mel Gibson in seinem Kino-Epos vollzieht, nicht benennen. Trifft das zu, ist der Film für den Religionsunterricht - außer als Anschauungsmaterial zum Thema Fundamentalismus und Traditionalismus oder zu den Grundlagen des Antijudaismus - nicht zu gebrauchen, denn dann ist er selbst Teil des um sich greifenden Fundamentalismus, dem Religionsunterricht - gleich welcher Konfession - gerade entgegenzuwirken sucht. Dieser Film aber ist nicht nur auf eine verquere Art fundamentalistisch bzw. traditionalistisch, er ist zugleich eine Beleidigung der Intelligenz, verlangt er doch vom Betrachter permanent in gut mittelalterlicher Manier das Opfer des Verstandes. Nichts von den Erkenntnissen der christlichen Theologie der letzten 50 Jahre spielt in diesem Film irgend eine Rolle. Alles, was ReligionspädagogInnen ihren SchülerInnen in der Schule über die Passion beibringen,[8] wird hier dementiert. Es ist die Passionsgeschichte im Fantasy-Splatter-Movie-Stil, eine Verdummung der Betrachter, zudem mit fatalen Implikationen. Wer als evangelischer Theologe den Film verfolgt, fragt sich von der dritten Minute an, wohin er denn hier geraten ist. Da krabbeln dem im Garten Gethsemane personifiziert anwesenden Satan (dargestellt zudem durch eine Frau mit männlicher Stimme) die Würmer des Bösen in der Nase herum und die Schlange schlängelt zwischen seinen Füßen (bevor Jesus sie dann zertritt), da murmelt Maria Teile der Passahhaggada, als sie ahnungsvoll parallel zur Festnahme Jesu aufwacht, da wandelt der Satan munter zwischen den Hohepriestern herum, da hackt eine Krähe den bösen Schächer das Auge aus, da bringt schlussendlich eine Träne Gottes(!) die Erde ins Wanken und die Häuser der Hohepriester und des Pilatus zum Einsturz. Was man auf Kunstwerken der frühen Neuzeit noch als visuelle Metapher und Glaubensausdruck seiner Zeit interpretieren kann, wird im Film als religiöse Wahrheit kolportiert. Wenn es eine Aufgabe der Bildung ist, dass Auschwitz sich nicht wiederhole,[9] dann gilt es auch und gerade im Religionsunterricht, sensibel auf derartige Inszenierungen zu reagieren. Man kann jetzt schon im Internet in den diversen amerikanischen und deutschen Foren die Folgen des Films studieren. Da wird munter wieder von Christusmördern gesprochen, da wird zur Mission unter Juden aufgerufen, da wird jüdischen Mitbürgern ungefragt die christliche Erlösung aufgedrängt. Und das ist nicht nur ein Effekt, der unabhängig von der Konstruktion des Films ist, er ist vielmehr tief in diesen inkorporiert. Das antijudaistische Gift der historischen Passionsspiele mit seinen Folgewirkungen auf den sich im 19. Jahrhundert ausbildenden Antisemitismus dürfte kaum zu bestreiten sein. Eine visuelle Adaptierung der Passionsspiele im Film muss sich dieser Verantwortung bewusst sein. Tut sie das nicht und greift sie zur Inszenierung dezidiert auf antisemitische Quellen zurück, muss sie sich den Vorwurf des Antijudaismus gefallen lassen. Ja, der Film selbst ist in diesem Sinne eindeutig antijudaistisch und - da widerspreche ich der Erklärung des Kirchenamtes der EKD - er kann nicht nur so gelesen werden.[10] Ich vertrete darüber hinaus die Ansicht, dass der Antijudaismus im und um den Film bewusst intendiert, zumindest aber in Kauf genommen worden ist, nur wird das nicht explizit ausgesprochen. Gibson ist, wie diverse seiner Äußerungen bezeugen, Antijudaist, so wie er eben auch sein Kinospektakel in der Tradition und im Stil antijudaistischer Passionsspiele inszeniert. Antijudaismus ist nicht allein eine Frage bewusster Intention, sondern auch der Ignoranz und des fehlenden historischen Bewusstseins.[11] Anders als dies in der Mehrzahl der Filmkritiken vorgetragen wird, sehe ich dagegen das Gewaltproblem nicht als das zentrale Problem des Films an. Die Gewalt ist derart grotesk hyperrealistisch inszeniert, dass sie schon wieder zynisch-ironische Züge bekommt. Die dick aufgetragene und leicht erkennbare Hollywood-Schminke macht den Film in dieser Frage zu dem, was er tatsächlich ist: ein Schinken. Meines Erachtens provoziert der Film eher gegenteilige Reaktionen. Jugendliche und junge Erwachsene, die im Kosmos eines David Cronenberg oder Quentin Tarantino mediensozialisiert wurden, werden über das von Gibson Gebotene nicht schockiert sein, sondern sich - in einer Art befreiender Distanzierung - darüber lustig machen. Was bei Cronenberg oder Tarantino nämlich noch medienspezifische Gewaltreflexion ist, ist es bei Gibson nicht mehr. Für die Diskussion etwa der Frage der Folter oder der Abgründe der menschlichen Existenz ist der Film gerade nicht geeignet, verzerrt er doch die Folterknechte derart, dass man sich nicht in ihnen erkennt. Die Banalität des Bösen kommt im Film nicht zum Tragen. Böse sind immer die Anderen. Und in der Frage der Kunst, die dem Film so ungefragt permanent attestiert wird, so bietet er neben trivialisierten Remakes von kunsthistorischen Vorlagen (die ja heutzutage bei Hollywoodfilmen schon als Ausweis von Ästhetik gelten) nicht einen Funken an ästhetischer oder künstlerischer Qualität. Mel Gibson mit Michelangelo, Grünewald oder Caravaggio zu vergleichen, wie das in bundesdeutschen und amerikanischen Feuilletons geschehen ist, ist kunsthistorische Blasphemie. Wer in der Kunst Caravaggio re-inszeniert, ohne ihn zeitgenössisch zu durcharbeiten, ist allenfalls regressiv. Die formalen Kriterien, die wir an die ästhetische Durchformung des Materials in der Kunst stellen, sind auch im Blick auf Gibsons Werk in Anschlag zu bringen. Und daran scheitert er. FazitSumma summarum gibt es keinen Grund, diesen Film in evangelischen Bildungsprozessen einzusetzen. Außer einem gewichtigen: Er ist ein Studienmaterial dafür, wie antijudaistische Einstellungen populärkulturell produziert, gefördert und verbreitet werden können. Wer als evangelischer Theologe oder Religionspädagoge jedoch meint, diesen Film zur Mission oder zur Diskussion des Leidens Jesu einsetzen zu können, hat das Evangelium Jesu Christi schon aufgegeben.
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