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Magazin für Theologie und Ästhetik


Lektüren XIV

Aus der Bücherwelt

Andreas Mertin

Eine Fülle an silbernen Scheiben aus der digitalen Bibliothek ist für diese Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik anzuzeigen, Textsammlungen und Editionen, die vielleicht weniger für die reine Lektüre, wohl aber für das Recherchieren und Nachschlagen bedeutsam sind. Immer mehr des Textbestandes der großen Literatur wie der philosophischen Reflexion ist digital zugänglich. Nicht immer in der neuesten Übertragung, aber doch so, dass ein erster informierender Zugang gewährleistet ist.

Meyers Großes Konversationslexikon (6. Auflage 1905-1909)

"Die sechste Auflage von Meyer's Großem Konversations-Lexikon, die hier als Band 100 der Digitalen Bibliothek vorliegt, ist 100 Jahre alt. Sie erschien von 1902 bis 1909. Bereits ab 1905 wurden Neuauflagen der ersten Bände notwendig. In den Folgejahren wurden vier Supplementbände angegliedert, und von 1916 bis 1920 folgten drei Kriegsnachträge. Mit rund 155.000 Stichwörtern auf ca. 23.000 Seiten war dieses Lexikon in seiner Zeit ein herausragendes Mammutunterfangen. Das Ergebnis ist ein bis heute gültiges Standardwerk zu den technischen, naturwissenschaftlichen und sozialen Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die in jeder Hinsicht richtungsweisend für das 20. Jahrhundert waren." Mit diesen Worten beginnt die Einführung in die digitale Ausgabe des Lexikons und gibt damit zugleich auch die Richtung an, in der sich das Lexikon als nützlich erweist.

Auf der DVD findet der Nutzer das komplette digitalisierte Lexikon, aber eben auch die Faksimile-Ausgabe, auf die man jederzeit wechseln kann (etwas verborgen, durch die Tastenkombination Strg-A erreichbar). Die Probe aufs Exempel mache ich mit dem zur Zeit wegen Mel Gibsons Passionsfilm aktuellen Stichwort "Anna Katharina Emmerich". Ich gebe es zunächst zur Kontrolle in Microsofts Encarta 2004 ein und werde nicht fündig. Kein Hinweis auf das Leben und die Visionen dieser Nonne, auch nicht wenn ich Clemens von Brentanos Biografie mit zu Rate ziehe. Ganz anders in Meyers Großem Konversationslexikon von 1905. Hier findet der interessierte Leser den nebenstehenden Text, der in Stil und Darstellung wirklich unnachahmlich ist.

Die Artikel zur Ästhetik, zur Kunst, zur Malerei und einzelnen Künstlern des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind nicht uninteressant, spannend auch, wer vorkommt und wer nicht. Auf der anderen Seite zeigt sich auch die ganze Abgründigkeit eines derartigen Lexikons, wenn man etwa das Stichwort "Juden" eingibt und auf eine erschreckende antisemitische Sprache und breite Ausführungen über die Charakter- und Körpermerkmale "der" Juden stößt. Als Studienmaterial ist das ganz gewiss nicht uninteressant, aber es bleibt doch ein unangenehmes Gefühl zurück.

Trotzdem ist die DVD eine Fundgrube zum Stöbern und Entdecken, zumal sie eben auch die 10.000 Abbildungen enthält, mit denen das Lexikon ausgestattet war. Der einzige Schönheitsfehler - neben einigen kleinen Fehlern bei der Digitalisierung - ist der hohe Preis, der mit 235 Euro viele vom Kauf abschrecken wird und die Nutzung auf Bibliotheken beschränkt. Verständlich ist der Preis aber in sofern, als 45.000 Spalten der Buchausgabe eingescannt und digitalisiert werden mussten.

Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften

Schon lange habe ich mir gewünscht, dass die Gesammelten Schriften Theodor W. Adornos digital zugänglich werden. Auch hier gilt natürlich, dass niemand Adorno wirklich am Bildschirm oder auf einem e-book lesen wollen wird. Dazu gibt es ja weiterhin die verschiedenen Print-Ausgaben im Suhrkamp-Verlag. Aber die Möglichkeit, bestimmte Stichworte im Gesamtwerk von Adorno schnell nachzuschlagen, einen Denkzusammenhang aufzuspüren und durchs gesamte Werk zu verfolgen, ist doch ein kaum zu überschätzender Gewinn. Wo und in welchem Kontext bezieht sich Adorno auf das biblische Bilderverbot? Wo und in welchem Sinne gebraucht er das Wort Verblendungszusammenhang? Wo äußert sich Adorno über den Sinn und Nutzen des Computers? ["jene zeitlose Hast, die in den Computern zu sich selbst kommt" - "Der menschenwürdige Sinn der Computers wäre es, das Denken der Lebendigen so sehr zu entlasten, daß es Freiheit gewinnt zu dem nicht schon impliziten Wissen."] All das ist wirklich sehr hilfreich und erhellend.[1] Für regelmäßige Adorno-Zitierer ist es natürlich auch bequem, die Zitate nun direkt übernehmen zu können.

Quellen Philosophie

... heißt eine neue Reihe der Digitalen Bibliothek, die einen schnellen digitalen Zugriff auf wichtige philosophische Quellen verspricht. Die CD-ROM "Griechisch-Römische Antike" versammelt so etwa die Fragmente der Vorsokratiker, Schriften und Texte von Platon, Aristoteles, Cicero, Seneca, Epiktet, Marc Aurel, Lukrez und Plotin. Wie schon bei den früher hier vorgestellten CD-ROMs der Digitalen Bibliothek bewährt, findet der Leser eine übersichtliche Zusammenstellung mit der Möglichkeit der bequemen Suche im Text, aber auch der Abfrage nahe stehender Begriffe. Das einzige, was der Nutzer in diesem Falle kritisch im Hinterkopf behalten muss, ist, dass wegen des deutschen Urheberrechts nur ältere Übertragungen der griechischen und römischen Klassiker zur Verfügung stehen. Bei einigen Werken stehen inzwischen bessere und aktuellere Übertragungen zur Verfügung. Für den Einstieg und die schnelle Recherche ist die CD-ROM aber auf jeden Fall zu empfehlen. Das gilt auch für die in der gleichen Reihe erschienene Ausgabe "Empirismus, Skeptizismus, Rationalismus, Französische Aufklärung". Sie versammelt Werke und Texte von Bacon, Bayle, Berkeley, Condillac, Descartes, Diderot, Hobbes, Hume, La Mettrie, Leibniz, Locke, Mendelssohn, Rousseau, Spinoza und Voltaire. Die dritte CD-ROM im Bunde trägt den Titel "Deutscher Idealismus" und versammelt Texte und Werke von Fichte, Hamann, Hegel, Herder, Humboldt, Jacob, Kant, Schelling und Schleiermacher. Alles in allem eine gute und repräsentative Zusammenstellung zum schnellen Nachschlagen philosophischer Standardtexte.

Quellen Germanistik

... heißt eine weitere Reihe der Digitalen Bibliothek, die einen schnellen digitalen Zugriff auf wichtige literarische Quellen verspricht. Die CD-ROM "Empfindsamkeit, Sturm und Drang" enthält Texte von Bürger, Claudius, Gellert, Gerstenberg, Gessner, Goethe, Hamann, Heinse, Herder, Hölty, Jacobi, Jung-Stilling, Klinger, Klopstock, La Roche, Leisewitz, Lenz, Lichtenberg, Moritz, Müller, Pyra, Schiller, Stolberg, Schbart, Teerstegen, Wagner und Wieland. Die CD-ROM "Klassik" versammelt Texte von Goethe, Herder, Hölderlin, Humboldt, Ifland, Jean Paul, Kant, Klinger, Kotzebue, Moritz, Schiller, Seume und Winckelmann. Die CD-Rom "Romantik" sammelt Texte von Achim von Arnim, Bettina von Armin, Brentano, Chamisso, Eichendsorff, Fouque, Goethe, Grimm, Günderode, Hoffmann, Kleist, Kerner, Klingemann, Wilhelm Müller, Novalis, Schiller, Dorothea Schlegel, Friedrich Schlegel, Tieck, Uhland, Wackenroder und Werner. Auch hier finden sich alle wichtigen Texte zum Nachschlagen und recherchieren.[2]

Anmerkungen
  1. Und auch hier abschließend noch ein Blick in die CD im Interesse der aktuellen Diskussion um den Film von Mel Gibson: "Der neutestamentliche Satz: 'Wer nicht für mich ist, ist wider mich' war von jeher dem Antisemitismus aus dem Herzen gesprochen." - so heißt es in den Minima Moralia und charakterisiert zutreffend manchen Diskussionsstil evangelischer Fundamentalisten in diversen Foren.
  2. Auch hier könnte man im Blick auf die aktuelle Diskussion von Mel Gibsons Epos einiges an Studienmaterial finden, das jene antijudaistischen und antisemitischen Gedanken auffinden lässt, die in Auschwitz kulminierten. In Achim von Brentanos Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" finden sich die grauenerregendsten Zusammenstellungen, u.a. "Die Juden in Passau" oder "Die Leiden des Herrn". Wer dem Zusammenhang von Passionsdarstellungen und Antisemitismus literarisch nachgehen will, findet hier erschreckendes Material.