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Magazin für Theologie und Ästhetik


Mit dem Teufel paktieren, um Christus zu promoten

Die Allianz von Fundamentalismus, Traditionalismus und Antijudaismus

Andreas Mertin

Ich könnte Lust haben, einen Schweigsamkeits-Orden zu
stiften, wie den Trappistenorden, nicht aus religiösen, son-
dern aus ästhetischen Rücksichten, damit all der Unsinn,
den man jetzt hört, wenn möglich verstummen könnte.
Søren Kierkegaard

Spätestens seit der Kampagne rund um Mel Gibsons skandalösen Kinofilm "Die Passion Christi" wird deutlich, wie katholische Traditionalisten und evangelische Fundamentalisten nicht nur in Amerika eine unheilige Verbindung eingehen. Scheinbar im Interesse der Sache Jesu Christi geht man eine Allianz mit dem Teufel, ebenso metaphorisch wie wortwörtlich, ein, um die Welt zu missionieren. Diese Allianz ist so bizarr wie logisch zugleich.

Bizarr, weil die katholischen Traditionalisten ihre Genese nicht zuletzt der Behauptung verdanken, das Zweite Vatikanum habe sich zu sehr evangelischen Ideen geöffnet. Die Protestantisierung des Katholizismus sei die drohende Folge, weshalb man die sich auf das zweite Vatikanum beziehenden aktuellen Päpste nicht anerkennen könne und daher eine eigene Gemeinschaft mit eigenen Priestern gründete, die nun die Messe weiterhin nach tridentinischer Liturgie feiern. Der Kern des katholischen Traditionalismus beruft sich also auf gegenreformatorisches Gedankengut. Ganz in diesem Sinne heißt es in einem Diskussionsbeitrag in "The Remnant. A National Catholic Newspaper": "It's not a 'movie'; it is a great work of Catholic art and a turning point in human history. The Passion of the Christ is an unprecedented Catholic triumph in an anti-Catholic world." Dieser anti-protestantische Bezug wird besonders deutlich in einer der zentralen Quellen des Films, den von Clemens Brentano aufgezeichneten Visionen der Anna Katharina Emmerich über "Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi".[1] Dort wird gleich im ersten Kapitel "Jesus am Oelberge" eine Szene geschildert, in der Jesus unendlich gepeinigt wird, viel mehr gepeinigt als durch die römischen (in den Visionen der Emmerich: ägyptischen!) Schergen des Pontius Pilatus. Und um wen handelt es sich bei den Peinigern? Unter anderem natürlich um Protestanten.

So heißt es bei Emmerich/Brentano:

"Ich erhielt aber eine Erkenntniß, dass die Menge der ihn zerfleischenden Heerscharen die unermessliche Zahl Jener sey, welche Jesum Christum, den ... im heiligsten Sacramente wesentlich gegenwärtigen Erlöser in diesem Geheimnisse auf die mannigfaltigste Weise misshandeln. Ich erkannte unter diesen Feinden Jesu alle Arten von Beleidigern des heiligsten Sacramentes, dieses lebendigen Unterpfandes seiner ununterbrochenen persönlichen Gegenwart bei der katholischen Kirche."[2]

Noch deutlicher wenig später:

"Ich sah eine große Schaar dieser abtrünnigen Sectenhäupter das Priesterthum der Kirche verschmähen, und die Gegenwart Jesu Christi im Geheimnisse des heiligen Sacramentes, so wie er dieses Geheimniß der Kirche selbst übergeben und sie es treu bewahrt hat, bestreiten und verleugnen, und durch ihre Verführung unzählige Menschen von seinem Herzen reißen, für die er sein Blut vergossen hatte."[3]

Gerade die abtrünnigen Protestanten sind es, die Jesus in seiner von Anna Katharina Emmerich vermittelten Vision im Garten Gethsemane mehr Schmerzen zufügen, als es alle spätere Pein durch die Folterer des Pontius Pilatus je vermocht hätte, denn sie haben ihm "ganze Stücke von seinem lebendigen Leibe schmerzlich verwundend und zerfleischend losgerissen". So fragt es sich schon, was diejenigen verbindet, die doch, wie es bei Anna Katharina Emmerich so plastisch heißt, durch die bösen Früchte des Baumes der Spaltung zerrissen und zerspalten sein sollen.

Logisch ist die Allianz zwischen Traditionalisten und Fundamentalisten jedoch insofern, weil es ihnen beiden um die Abwehr einer liberalen und offenen Gesellschaft und Religion geht. Im renommierten Evangelischen Kirchenlexikon heißt es unter dem Stichwort "Traditionalistenbewegung" dementsprechend: "Traditionalisten teilen mit Fundamentalisten deren prinzipielle Distanz gegenüber der neuzeitlichen Freiheitsgeschichte, flüchten in eine ungeschichtliche Unmittelbarkeit im Umgang mit der Glaubensüberlieferung, verfolgen ihre Ziele aber durchaus mit 'neuzeitlichen' Mitteln. Auf fundamentalistische Weise schert man aus dem als verunsichernd erlebten, weil den Glauben in seinen Geltungsansprüchen relativierenden Dialog der Zeitgenossen aus und setzt dem eine hermeneutisch naive, vorneuzeitliche Sicht von Gott, Ordnung und Autorität entgegen."[4] Gemeinsam ist beiden Strömungen auch die Kritik an den Vertretern der großen Kirchen, die als zu liberal und dem Zeitgeist ausgeliefert denunziert werden. Von Anfang an ging es daher auch darum, mit der modernen Theologie des 20. Jahrhunderts abzurechnen, sei diese nun im II. Vatikanum oder in der protestantischen Theologie etwa eines Rudolf Bultmann repräsentiert. Dabei sind beide Strömungen der liberalen Bewegung gegenüber nicht nur kritisch, sondern feindlich und aggressiv ausgrenzend eingestellt: "Gegenüber anderen Formen des Christentums, insbesondere gegenüber allem vermeintlichen 'Liberalismus', kennt seine Feindschaft keine Grenzen ... In den 70er und 80er Jahren versuchten fundamentalistische Gruppen zunehmend, bes. in den Vereinigten Staaten, ihre politische Kraft zu organisieren und die Gesellschaft als Ganze an dem von ihnen bevorzugten Denk- und Lebensstil zu orientieren."[5] Wer sich dieser Orientierung nicht unterwirft, ja daran Kritik übt, wird aggressiv angegangen.

Prekär ist die Haltung beider Strömungen zur Erkenntnis, zu Wissenschaft und Aufklärung der abendländischen Gesellschaft. Obschon doch zumindest der Protestantismus in vielen seiner Schattierungen die Entwicklung der abendländischen Wissensgesellschaft wie kaum eine andere Religion gefördert hat, obschon die traditionelle katholische Theologie der Wissenschaft offen und weitgehend fördernd gegenüberstand, sind die fundamentalistischen Ränder der großen Kirchen wissenschafts- und aufklärungsfeindlich eingestellt. Die Vertreter fundamentalistischer Anschauungen, "haben keine Theologen nötig, die Hebräisch und Griechisch können und sich komplizierte Gedanken über die säkulare Gesellschaft machen. Sie beschweren sich weder mit den 1000 Jahren der alttestamentlichen Geschichte noch mit den 2000 Jahren, in denen die Kirchen Grosses geleistet und schwere Schuld auf sich geladen haben. Diese jungen Gemeinden kennen die 'message' und konzentrieren sich ganz auf die Frage, wie sie ihr Anliegen treffsicher 'hinüberbringen'."[6] Und dazu ist ihnen jedes Mittel recht, wie die Diskussion um Mel Gibsons Passionsfilm deutlich macht: "Was gibt es da noch für Einwände, Passion auf welche Weise auch immer zum Thema zu machen?!" schrieb ein Evangelikaler gegenüber besorgten Einwänden angesichts des Films. Auf welche Weise auch immer - das ist die Heiligung der Mittel im Voraus, der Herr wird's schon richten.

Was sich nun in Amerika beobachten lässt und in Europa eine längere Geschichte hat,[7] ist die beiden Strömungen gemeinsame Tendenz zum Antijudaismus, zur Profilierung der eigenen Ansichten auf Kosten und im Kontrast zum Judentum. Es ist offenkundig, dass die Produktionsgesellschaft von Mel Gibson, indem sie in der Hoffnung auf öffentlichkeitswirksamen Protest der jüdischen Anti-Defamation-League[8] ein frühes Manuskript des Films zuspielte, die anti-judaistisch eingestellte Klientel und deren Ressentiments bewusst bedienen wollte.[9]

Und das gelang offensichtlich - nicht nur in Amerika. Auf die Artikel, die im Magazin für Theologie und Ästhetik zum Gibson-Film publiziert wurden, gab es verschiedene aggressive Reaktionen, unter anderem reagierte ein Vertreter evangelikaler Ansichten in einer Mailingliste so: "Suche: Bibel; moderne Ausgabe; Post-Auschwitz-like; Juden sollten ganz lieb sein! Spinnen dürfen nur die Römer...; Bibeltext sollte nur als Fußnote erscheinen (für christliche Theologie des 20. Jh. nach Auschwitz); Leiden und Leidenschaft (Passion) sollten nicht enthalten sein; Anstelle des Kreuzes sollte ganz oben auf Golgatha in der Mitte (nicht mit Dornenkrone sondern Lorbeerkranz) die Ratio stehen... (Aktion "Eine Bibel für Herrn Mertin") ..." Der gleiche Autor spitzt seine Äußerungen dann in einem späteren Beitrag noch zu und macht das ganze verquast-reaktionäre Fundament seines Denkens deutlich: "Für viele hat sich nach 1945 ("nach Auschwitz") der christlich-religiöse Horizont verengt, weil ein moralisch-politisches Schuldbewusstsein über das biblisch-religiöse Zeugnis projeziert wird und gerade diese Horizontverengung die jüdische/judaistische Tradition ausblendet, bzw. unter den Tisch fallen lässt. [Das] ... führt zu Exzessen wie denen um Herrn Hohmann ... Nachweislich Judenfreund - aber wird als schlimmster Antisemit verunglimpft, weil nicht die Auseinandersetzung mit der Sache (seine tatsächlichen Rede-Inhalte), sondern das vermeintliche Politikum, der (gewollte und gebrauchte) Aufreger zur Profilierung (Journalisten, Politiker, Möchtegerngeisteswissenschaftler) gereicht. 'Juden' sind tabu! Wohlgemerkt - das befiehlt nicht die Theologie, nicht der biblische Befund, nicht Ehrfurcht oder Schuldbewusstsein sondern: die political correctness. Und dieser Sekundärideologie opfert sich in weiten Grenzen die deutsche Theologie (des 20. Jh.)."[10] Mel Gibsons eigene Äußerungen zum Thema differieren davon kaum, wenn er etwa säkulare Juden als Lügner und Revisionisten beschimpft[11] und die katholische Kirche und die akademische Theologie der Perversion der Bibel bezichtigt.[12]

Was einen besorgt machen muss, sind weniger die penetrant anti-judaistischen Äußerungen mancher Fundamentalisten und Traditionalisten, sondern vielmehr die Tatsache, dass Teile der Leitungen der beiden großen Kirchen dies offenkundig selbstverständlich als Rand ihrer Volkskirche zu akzeptieren bereit sind. Statt deutlich Stellung zu beziehen, wurde beredt geschwiegen. Vielleicht aus Sorge um die schrumpfende Volkskirche, vielleicht vom Wunsch getrieben, die Ränder zu integrieren, wurden Äußerungen und Haltungen in Kauf genommen, die mit dem Evangelium wenig zu tun haben. Gerade das aber geht nicht.

Anmerkungen
  1. Anna Katharina Emmerich, Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi. Nebst dem Lebensumriß dieser Begnadigten und den Mittheilungen über das letzte Abendmahl. München, Literarisch-artistische Anstalt, 1860. 12. Auflage. XLVI, 400 S. Mit lithograph. Frontispiz.
  2. Ebd., S. 67.
  3. Ebd. S. 71.
  4. Klaus Nientiedt, Art. Traditionalistenbewegung, EKL Bd. 4/11, S. 932.
  5. Kirchenlexikon: Fundamentalismus, EKL Bd. 1/3, S. 1406
  6. Bernhard Rothen, Die Bibel in Leichtversion. Über eine wenig beachtete Kulturrevolution, Neue Zürcher Zeitung 20. Dezember 2003
  7. Urs Altermatt, Verfasser eines Buches über Katholizismus und Antisemitismus, schreibt zum Thema: "Über Jahrhunderte hinweg prägten christliche Theologien die religiös motivierte Judenfeindschaft und benutzten dabei Textstellen der Evangelien, Schriften der Kirchenväter und Zeugnisse von Reformatoren wie Martin Luther. Häufig spielte der aus dem Neuen Testament übernommene Vorwurf des «Gottesmordes» eine zentrale Rolle, woraus Theologen die so genannte «Verworfenheit» der Juden folgerten. Mit dem Bittgebet «Oremus et pro perfidis Judaeis» gehörte der Topos von den «treulosen Juden» bis kurz vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 zur Karfreitagsliturgie der katholischen Kirche. Und ein Zweites ist wichtig: Der christliche Antijudaismus erhielt dort neue Formen, wo er sich mit Elementen des modernen Antisemitismus verband. Katholische Autoren konnten bei der religiös begründeten Judenfeindschaft anknüpfen, wenn sie gegen die angebliche Macht der Juden in der Gesellschaft polemisierten … Aus der religiösen Grundhaltung heraus beklagten katholisch-konservative Kulturkritiker häufig die «Entchristlichung» und «Entsittlichung» der modernen Welt und machten dafür Aufklärung und Revolution, Materialismus und Atheismus, Liberalismus, Sozialismus und andere Ismen verantwortlich. Hier setzten die katholischen Judengegner an, denn sie betrachteten das «liberale» Judentum als Vorreiter dieser Moderne. Dabei sprachen sie von der so genannten «Verjudung». In ihren kulturpessimistischen Gesellschaftsanalysen verbanden sie das Judentum mit negativen Phänomenen des modernen Kultur- und Geisteslebens und stellten die Behauptung auf, dass das «entwurzelte Judentum» christliche Werthaltungen zersetze." NZZ vom 20.11.1999
  8. Vgl. die zahlreichen Stellungnahmen und Darstellungen unter www.adl.org
  9. Vgl. auch die diversen Beiträge in der Sonderausgabe des Journal of Religion and Film, Februar 2004
  10. Bedenkt man, dass unter "political correctness" eigentlich eine Haltung zu verstehen ist, "die alle Handlungen und Ausdrucksweisen ablehnt, die Personen aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, ihrer körperlichen oder geistigen Behinderung oder ihrer sexuellen Neigung diskriminieren", dann wird die Perversion dieses Denkens offenkundig. Political correctness wird als Inversion und nicht als Ausdruck des Christentums begriffen. Die implizite Logik dieser Argumentation lautet: Wenn der Glaube befiehlt, gegen eine bestimmte Rasse, einen bestimmten Glauben, eine bestimmte Sicht, ein bestimmtes Geschlecht zu sein, dann muss man dem - auf Teufel komm raus - folgen. Und wer die Diskriminierung ablehnt, "opfert"(!) seinen Glauben.
  11. Gibson: "Why are they calling her a Nazi? ... Because modern secular Judaism wants to blame the Holocaust on the Catholic Church. And it's a lie. And it's revisionism. And they've been working on that one for a while." On criticism of Anne Catherine Emmerich, a nineteenth-century nun whose writings influenced his portrayal of Jesus' death. The New Yorker, September 15, 2003 --- Gibson: "I have friends and parents of friends who have numbers on their arms. The guy who taught me Spanish was a Holocaust survivor. He worked in a concentration camp in France. Yes, of course. Atrocities happened. War is horrible. The Second World War killed tens of millions of people. Some of them were Jews in concentration camps. Many people lost their lives. In the Ukraine, several million starved to death between 1932 and 1933. During the last century, 20 million people died in the Soviet Union." New York Post, January 30, 2004
  12. "For 1,950 years [the church] does one thing and then in the 60s, all of a sudden they turn everything inside out and begin to do strange things that go against the rules ... Everything that had been heresy is no longer heresy, according to the [new] rules. We [Catholics] are being cheated ... The church has stopped being critical. It has relaxed. I don't believe them, and I have no intention of following their trends ... It's the church that has abandoned me, not me who has abandoned it." El Pais (cited by Outlines News Service), February 1992

© Andreas Mertin 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 29/2004
https://www.theomag.de/29/am117.htm