Dieter Honisch beginnt seinen Essay über die "Bilder vom Tod" zur Ausstellung "Bilder vom Menschen in der Kunst des Abendlandes" in der Nationalgalerie Berlin 1980 mit den Worten:
War der Tod früher Mittelpunkt und Reflexionsgegenstand ganzer Kulturen, Eingang oder Übergang zu einer die Wirklichkeit transzendierenden neuen Form des Daseins, vollzog er sich in festen und von der Gemeinschaft festgelegten Riten, so spielt er sich heute weithin unbemerkt in den Ghettos der Anstalten und der Krankenhäuser ab. Der Tod, im späten Mittelalter noch Augenblick höchster Selbsterfahrung, ist zum Betriebsunfall geworden, unbemerkt vom Sterbenden selbst und eine Zumutung für die Angehörigen. …
[Philippe Aries] führt aus, dass der Tod im frühen Mittelalter - gleichsam als Schicksal der Gattung - hingenommen wurde und die Auffassung bestand, der Tote dämmere in einem Übergangsstadium dem jüngsten Gericht entgegen, das über Erlösung oder Verdammung entschied. Beerdigt wurde er in oder bei der Kirche, mitten in der Gemeinschaft der Gläubigen und mit ihr auf das gleiche Ziel hin ausgerichtet. Der Entwertung des Lebens als einer Vorbereitungszeit oder auch Prüfung entsprach eine gewisse Furchtlosigkeit vor und Vertrautheit mit dem Tod. Im späten Mittelalter schon begann sich ein deutlicher Wandel in der Einstellung zum Tod anzukündigen. Der Tod wurde als zunehmend individuelles Schicksal begriffen. In den 'ars moriendi' wird das Jüngste Gericht in das Sterbezimmer verlegt und der Sterbende als derjenige gezeigt, der inmitten seiner Familienangehörigen und Freunde die 'Prüfung' des Todes zu bestehen hatte. Der Tod wurde zum Moment letzter Selbsterfahrung und Wertung des blitzartig vorüberziehenden Lebens, ein Vorgang, dem die Angehörigen passiv gegenüberstanden. Hierin lag schon der Keim der Wahrnehmung des Todes des anderen, die im 19. Jahrhundert dann mit der Anlage von Friedhöfen außerhalb der Städte und außerhalb der Lebensgemeinschaften an den dort erworbenen privaten Grabstätten eine bis zur Todessehnsucht gehende Totenverehrung einleitet, in der der Tote eher passiv zum Gegenstand des Schmerzes der Lebenden und geradezu erotischer Zuneigung wird. Nicht das Sterben, sondernder Friedhof war der Ort, an dem die Sinnfrage sich offenbarte. |
Das aktuelle Heft 30 des Magazins für Theologie und Ästhetik beschäftigt sich unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten mit dem Thema "In Schönheit sterben. Zur Ästhetik des Abschieds" von der Antike über die Vormoderne bis zur Gegenwart.
Unter den ARTIKELN des aktuellen Heftes finden Sie eine Erinnerung von Jörg Mertin an den Schriftsteller und Philosophen Ludwig Hohl. Von Hans Christoph Stoodt ein Kapitel zur abendländischen Theorie des Körpers am Beispiel der Entwicklungsgeschichte westlicher Reinkarnationsvorstellungen. Von Andreas Mertin die Vorstellung eines Kunstprojekts von Madeleine Dietz mit der Möglichkeit zur Mitarbeit.
Unter REVIEWS finden Sie Besprechungen der Ausstellung "sterben kommt" im Kasseler Sepulkralmuseum, einen Tagungsbericht von Michael Oberweis und Christoph Michels zum Thema "Tod - Bestattung - Schändung", Rezensionen und Ausstellungskritiken von Andreas Mertin, Michael Girke und Karin Kontny.
Die MARGINALIEN versammeln Fragmente zur Ästhetik des Sterbens und eine Kulturkritik von Andreas Mertin.
In der Rubrik SPOTLIGHT finden Sie das WEBLOG, die vertrauten Kolumnen zur Ausstellungskultur und zur Bücherwelt von Karin Wendt, sowie zum Internet von Andreas Mertin.
In diesem Sinne wünschen wir den Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre dieses Heftes!
Mit herzlichen Grüßen
Andreas Mertin und Karin Wendt
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