Ars vivendi = ars moriendi. Intensiv und nachhaltig hat das Ludwig Hohl herausgearbeitet. Seine dezidiert nachchristliche, an Spinoza und Goethe geschulte Interpretation der Lebensaufgabe des Menschen wirkt darum so erhellend, weil für ihn die Endlichkeit der Grund für alles Leben ist und die Arbeit mit und in der Endlichkeit seine Aufgabe.
"Man kann nur sehen aus der Enge, in einem Rahmen. Unser Rahmen ist der Tod." Das ist die Gedankenabstraktion aus Erfahrungen wie dieser, dass einem ein furchtbar langweiliges Cafe plötzlich anders erscheint, weil man im Begriff ist, vor einem leeren Glas sitzend mit den letzten Münzen zu bezahlen. "Daß du bald gehst, ist die Brille, die das GANZE, die das Leben dir - erträglich nicht nur: wunderbar macht."
Der Ausgangspunkt ist der Tod. Leben kann man nur, wenn man den Tod begriffen hat. Die christliche Lösung, den Tod durch das ewige, d.h. das "Nachleben" begreifbar zu machen, ist nicht mehr möglich. Dagegen kann man die alte Frage der Todesüberwindung im Sinne der Arbeit des Gedankens, der wirkungsbewussten Gestaltung des Lebens beantworten, oder mit den Worten von Ludwig Hohl in der Verhältnisbestimmung von Subjektivem und Objektivem, oder besser in den Übergängen von einem zum anderen und zurück. Die größte Herrlichkeit ist also die, wenn das subjektive Denken plötzlich ins objektive umschlägt. Das ist der Augenblick der Todesüberwindung. Das lässt sich etwa so vorstellen, dass man je den Übergang versteht zwischen dem Individuellen und der Tatsache, dass es Ausdruck von etwas Grösserem, Schöpferisch-prozesshaftem ist. Übergang ist Aufhebung der Unterscheidung zwischen sich und den anderen.
Man kann es erleben in der Betrachtung einer Blume. Verehre ich die Form, das Gebilde, das einmalig ist und stirbt, oder sehe ich die Kraft, die unendlich grösser ist als das Hervorgebrachte? Im zweiten Fall werde ich selber ähnlich gültige Formen hervorbringen, wie die Blume eine ist, und ich werde nicht sterben, wenn ich die Form verlassen kann und der Kraft gehöre, die immer neue Formen hervorbringt.
Das kann gelingen, aber es bleibt Fragment. Am unvergänglichen Seienden, am ewigen Fluss der Dinge stehen wir, und so lange wir dort stehen, bleiben wir nur vergänglich. Nur aus der Vereinigung mit dem Unvergänglichen entsteht die Bedeutung, die brennende Stelle. "Sterbe! Aber einmal schaue in die Ewigkeit!" Vermessen ist es, im Sterben in die Ewigkeit übergehen zu wollen, man muss sterben als jemand, der einmal im Leben hinübergeschaut hat. Hinüberschauen, indem man Übergänge, besser Durchgänge durch sich erlebt. Das ist das Gegenteil von Behalten und Besitzen. "Wie herbstlich ein Zug weißer Schafe durchs Dorf ziehen, von den Bergen kommend und wohin ziehen sie?"
Und die Kunst? "Die schwerste Pflicht des Künstlers", sagt Ludwig Hohl, ist "die Hinwendung zu der Leichtigkeit, der Tanz (im Leben): Denn hier streicht er an die Grenzen seines Reiches, nahe dem Tod." Nicht der Tod ist herrlich, er ist nur gut als lebensspendendes Element.
Vielleicht darum erscheint Ludwig Hohl Schwarz als Farbe des Todes so lächerlich. Die Farbe des Todes sollte rot sein, "ein rohes Rot: das unerbittlich Eingreifende ins Leben." Oder ein herbstliches Fahl, helles Fahl und dazu Rot, "das gäbe eine gewisse Vorstellung von der Wirklichkeit des Todes, von der eingreifenden Schrecklichkeit." Auf jeden Fall müssen es Farben sein, die eine Zeitlang auf dem Karneval gewesen sind und so ihre Unschuld, ihre Lebens- und Ausdruckskraft wiedergewonnen haben.
Also: "Der Tod ist eigentlich überhaupt nicht schwer zu begreifen, oder, es gibt an ihm nur sehr wenig zu begreifen. Jeder begreift, wenn man ihm erklärt: daß man ihn annehmen muß ohne zu rätseln, daß keiner je andere Bedingungen hatte, daß mit dieser Bedingung wir zum größten Glanze Zugang haben".
Diese Erinnerung an Ludwig Hohl zitiert aus seinen "Notizen", auch genannt: Von der unvoreiligen Versöhnung, aus dem Kapitel XI: Vom Tod.
© Jörg Mertin
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Magazin für Theologie und Ästhetik 30/2004 https://www.theomag.de/30/jm5.htm
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