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Magazin für Theologie und Ästhetik


Gebote(n): Freiraum

Ausstellung zu den "Zehn Geboten" in Dresden

Karin Kontny

Sie führen schon lange kein Randdasein mehr. Haben die Grenzen des Kirchentages gesprengt und finden sich als Modethema auf den "Brettern, die die Welt bedeuten".

Nicht nur Theatermacher wie Christoph Marthaler oder Frank Castorf haben in letzter Zeit die Zehn Gebote für sich neu entdeckt, sondern auch der Kurator Klaus Biesenbach. Für das Deutsche Hygienemuseum Dresden haben er und 69 KünstlerInnen aus aller Herren Länder (und Religionen) rund 100 Arbeiten zusammengestellt.

Grenzsuchen

In einer Zeit der globalen Vernetzung, der zunehmenden Kurzlebig- und Unverbindlichkeit fragen sie nach der Geltung des Urgesteins der Gebote vom Sinai im Blick auf aktuelle gesellschaftliche Spannungsfelder. Eines scheint augenfällig: je weiter die Welt, je mehr Möglichkeiten es zu entdecken gibt, umso mehr sucht der Mensch nach Grenzen des Möglichkeitssinns. Grenzen bzw. Handlungsoptionen, die er sich nicht selbst setzt, sondern die aus einer Gewissheit resultieren, die eben nicht "Marke Eigenbau" ist. Religion reloaded.

Auf den Spuren von christlichen Orientierungspunkten der Verbindlichkeit modellieren, fotografieren, filmen und malen sich die in Dresden ausgestellten durchaus bekannten Künstler mitten in das Herz der Ethik, um ihr nachzuspüren und um ihre je eigene Antwort zu finden auf die Frage, was bleibt, was Gültigkeit hat.

Humanität

Zunächst neu und darum fremd erscheinend, schneidert sich die iranische Künstlerin Parastou Forouhar das Gebot "Du sollst nicht töten" auf die eigene Lebensgeschichte zu: sie zeigt die tödlichen Folgen des religiösen Fundamentalismus´ in ihrem Heimatland, der u.a. auch ihre Eltern - beide Oppositionelle - das Leben gekostet hat.

Nicht töten - das gilt auch und gerade für die Religion(en) selbst.

Tony Matellis "Couple", ein abgemagertes dunkelhäutiges Paar fängt mit Mitteln der großen Kulleraugen den Misereor-gewohnten Blick gekonnt ein.

Ganz plastisch, zum Greifen nahe und ohne Fluchtweg mittels Zappen in ein anderes, angenehmeres Programm, stehen die Hungernden vor dem Betrachter und fordern ihn - ganz individuumbezogene Manier der Zehn Gebote - exklusiv auf, genau einen solchen Anblick erst gar nicht zuzulassen.

Humanität ist nur eine der großen Antworten in der Dresdner Ausstellung.

Noch dringlicher Einhalt gebietet die Videoarbeit der Aktionskünstlerin Sigalit Landau ("Barbed Hula", 2002), die das Themenfeld des immer inhumanen Krieges aufreißt. An einem Strand südlich von Tel Aviv aufgenommen, sieht man die Künstlerin, gänzlich nackt sowie kopf- und damit gesichtslos, mit einem reifen aus Stacheldraht Hula tanzen. Zwar sind die spitzen des Drahtes nach außen gewandt, stoppt aber der Bauchtanz oder wird unregelmäßig, verletzt sich die Frau. Jede Sequenz des sich beständig wiederholenden Films fragt nach der Grenze, dem Ende des sinnlosen kriegerischen Treibens. Wann stoppt endlich dieser brutale Tanz? Abermals: Du sollst nicht töten!

Freiraum

Neben diese filmische Endlosschleife reihen sich nahtlos und unbarmherzig den Betrachter anfragend weitere, ganz künstlerisch freie und ungebundene Antworten, die erahnen lassen, was es eigentlich mit den Zehn Geboten gerade heute noch auf sich hat:

Dass hinter dem Anspruch des "du sollst (nicht)" auch ein wohltuender, Grenzen setzender Zuspruch steht. Dass das vermeintlich enge Korsett der Gebote auch Stützfunktionen hat, die Freiräume des verantwortlichen Lebens eröffnen können.

Schon klug gewesen, damals ein Kunstwerk wie die Zehn Gebote in Stein zu hauen, haben sie sich doch - und das zeigt nicht nur die Ausstellung - als recht zeitlos und dauerhaft erwiesen.

Und so scheint es ganz klar, dass das Hygienemuseum zwar nicht die alten Steintafeln, aber viele andere ehrwürdige Exponate noch bis zum 5.12.2004 zeigt: denn gut Ding will Weile haben.


© Karin Kontny 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 30/2004
https://www.theomag.de/30/kk5.htm

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