Das Versprechen der Schönheit
Die Lust am Schönen prägt die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, verstehen und beurteilen und in der Suche danach auch unser Leben gestalten. Die Macht des Schönen ist die Macht eines ihrer Wahrnehmung eingeschriebenen Versprechens, so Winfried Menninghaus in seinen einleitenden Bemerkungen zu einem Buch, das diese ästhetische Beobachtung mit der evolutionstheoretischen These vom Reproduktionsversprechen des schönen Körpers kurzschließt, um von dort aus "einen Kompass für die Entstehung und Bedeutung ästhetischer Präferenzen beim Menschen und für den kulturellen Funktionswandel des Ästhetischen zu finden." Geht es in ästhetischer Perspektive um das Versprechen, das Schönheit verkörpert, so geht es in evolutionstheoretischer Perspektive um das Glück bzw. den Erfolg, den Schönheit verspricht. Beide Perspektiven beschreiben Strukturen des Aufschubs: einmal in der unendlichen Reflexion des bloßen Schauens und zum anderen in der Ornamentalisierung des Körpers auf Kosten anderer überlebenswichtiger Eigenschaften. Menninghaus will ästhetische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie Theoretiker noch bis in das 18. Jahrhundert hinein, kombinieren, um so nach einer Anthropologie der Kultur zu fragen.
Im ersten Kapitel entfaltet Menninghaus den klassischen Topos vom schönen Menschen, den Mythos von Adonis, dessen Schönheit von Anfang an mit dem Schicksal eines frühen Todes verknüpft ist. "Aufgeteilt zwischen der Gattin des Todes und der Göttin der Liebe, scheint Adonis geradezu einen analogen, der Schönheit selbst eingeschriebenen Antagonismus austragen zu sollen." (64f.) In den Kapiteln II-IV erfolgt ein Durchgang durch die Felder der für die Fragestellung relevanten Referenztheorien: Darwins Theorie ästhetischer Selektion, Freuds Hypothese von der ursprünglichen Kulturalität menschlicher Schönheit und die philosophische Ästhetik als Teil der Anthropologie. In den Kapiteln VI und VII erfolgt die Applikation der historischen Antworten auf die aktuelle Frage nach der Bedeutung von Schönheit in der Gegenwart.
Zwei Veränderungen hält Menninghaus für den Übergang in die Moderne fest. Die Orientierung am Schönen beinhaltet eine zunehmende Anforderung, an Schönheit zu arbeiten. So wächst mit den technischen Möglichkeiten, Schönheit medial zu erzeugen und allgegenwärtig zu halten, der Anpassungsdruck, auch den eigenen Körper zu modeln. Hier stellt Menninghaus interessante Überlegungen zur emanzipatorischen Ambivalenz von Schönheit an. Parallel dazu dient Schönheit zunehmend der "ästhetischen Selbstbegründung": die ästhetische Selbstgestaltung als Legitimation der eigenen Existenz. Hier ist es nun die Kunst, die in der Moderne zu einem ausgezeichneten Bereich des "freien" Schönen wird, indem sie entgegen der Tendenz zur Ornamentalisierung und Verpuppung das Schöne wieder an den ganzen Menschen zurückbindet. Zur Bedeutung der Kunst für die Gegenwartskultur schreibt Menninghaus: "In dieser Rolle kompensiert sie nicht die Akzeptanzdefizite von Religion und Metaphysik; ebenso wenig ist Ästhetik etwa das Resultat einer fortschreitenden Säkularisierung traditioneller Religionen. Ihr wächst vielmehr kraft ihrer eigenen Gegebenheiten eine genuin religiöse Funktion zu, welche frei flottierend geworden ist und nach neuen Besetzungen verlangt, die nicht bereits der gleichen 'Entzauberung' unterliegen wie die herkömmlichen Riten und Glaubensinhalte." (S. 260) Menninghaus bestimmt jedoch auch die kulturelle Grenze dieser Freiheit: "Eine Freiheit, nicht zu wählen, das 'Spiel' der ästhetischen Selbstbeglaubigung nicht mitzuspielen, gibt es immer weniger." (S. 263-264)
Im abschließenden Kapitel von der "Trauerarbeit am Schönen" fragt der Autor, inwiefern das moderne Leben auch einen Bruch im Umgang mit der komplexen Zeitstruktur des Schönen beinhaltet. Das Schöne ist im Augenblick seiner Wahrnehmung immer bereits auch Vergangenes, seine Macht wächst mit der Entfernung, dies gilt einmal mehr für die medial vermittelte Schönheit. Diese Struktur zu vergegenwärtigen und von dort aus nach einer praktischen Ethik des Schönen zu fragen, wird jedoch schwieriger, je weniger Erinnerung als Teil der Selbstbildung begriffen wird. Menninghaus diagnostiziert hier vorwiegend Verdrängung: "Die 'absolute Identität', die der Idealismus im Schönen gefunden hatte, mag sich in ihrer massenkulturellen Abkopplung von jeglicher Erinnerung insofern als eine normativ 'fröhliche' Konvergenz von Schönheit, kulturellem Anpassungsdruck und latentem Todestrieb erweisen." (S. 287)
Ein Problem der Analysen sehe ich darin, das evolutionstheoretische Modell und ästhetische Wahrnehmung nicht streng einer doppelten Lektüre zu unterziehen, sondern beide als sich ergänzende, wenn nicht sogar vollendende Lesarten einer modernen Anthropologie vorzustellen. Das Versprechen der Schönheit, dem Menninghaus versucht auf die Spur zu kommen, bleibt damit letztlich doch vor allem ein funktionales, wenn auch dem Eigenwert des Ästhetischen in der anthropologischen Erschließung von Kultur ein wesentlicher Ort eingeräumt wird.
© Karin Wendt 2004
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Magazin für Theologie und Ästhetik 30/2004 https://www.theomag.de/30/kw34.htm
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