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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XI

Arnulf Rainer. Auslöschung und Inkarnation

Karin Wendt

"Ich versuche bis ins Gegenteil des Kreuzes auszubrechen aber es führt mich immer wieder zurück." (A.R.)

Es gibt nur wenige Künstler der Gegenwart, die sich so ausdrücklich mit der Bilderwelt, den Denkbewegungen und dem Erfahrungsbegriff des Christentums auseinandersetzen, ja daran abarbeiten, wie Arnulf Rainer, geboren 1929 in Wien. Die Wahrnehmung und Würdigung seines Werkes von Seiten der Theologie ist von daher naheliegend. Vielleicht zu naheliegend. Besonders in den jüngsten Arbeiten, in denen religiöse Motive von einem Schleier aus fließender Farbe bedeckt werden, ist es, als wolle er selbst die religiöse Hermeneutik herausfordern, die sich formalästhetisch dagegen nur noch kraftlos und sentimental äußert. Seine malerische Stärke, die Vehemenz des "Selbstwiderspruchs" (Werner Hofmann) wird dagegen dort greifbar, wo er sich auf die Geste des Pinsels und die neutrale Form als Bildträger verlässt. Der begriffliche Parcours "Bildbestreitung", "Erinnerung", "Befleckung", "Scham" und "Entäußerung", den die Kuratoren für den Nachvollzug der Werkentwicklung vorschlagen, folgt dieser Gratwanderung.

Arnulf Rainer bestätigt und bestreitet das Bild, indem er Bilder als individuelle Träger seiner Malerei benutzt: das eigene Gesicht und den eigenen Körper, italienische Landschaften, Totenmasken, Akte oder botanische Zeichnungen. Es sind Fotografien, Gemälde oder Graphiken, die er wie einen Erinnerungsfundus der Menschheitsgeschichte vor sich ausbreitet. Bisweilen ist es auch lediglich die weiße Leinwand, die er gleichwohl als Bedeutungs-Träger, d.h. im Sinne ihrer formalen Präsenz, zugrundelegt. Dann sucht er das Gespräch mit einem einzelnen Bild und antwortet dem ständig wechselnden Eindruck, den das Dargestellte subjektiv in ihm auslöst, in der spezifischen Geschwindigkeit einer Geste und in der expressiven Abstraktion einer Farbe. Er entäußert sich gleichsam mit dem und gegen das Bild, um im Gegenzug das so "eröffnete", "angegriffene" Bild zu Wort kommen zu lassen. In dieser Begegnung oder auch in diesem Kampf, das Gesehene zu verstehen, es zu entschlüsseln, wird das Bild sukzessive übermalt, legen sich immer neue Farbschichten darüber, Malspuren, die sich ihrerseits zu bildnerischen Momenten verdichten und wieder auflösen. Das ursprüngliche Bild verschwindet gleichwohl nie ganz, immer bleiben Umrisse oder Schriftzüge sichtbar oder werden Ecken freigelassen. Besonders eindringliche und subtile Farb-Form-Interaktionen entstehen bei den ungegenständlichen Vorlagen. Das Hintergrundbild erscheint dort als abstraktes Kontinuum und die Malerei als konkrete Bestimmungs- und Beschneidungsgeste.

Indem jedes Bild ein anderes verdeckt, entzündet sich der Dialog zwischen dem Bild und dem Betrachter immer am inneren Zwiegespräch des Bildes mit seinem "Vorbild". In der Wahrnehmung folgt man zwangsläufig der Pinselführung, um hinter den Farbschichten das nur Schemenhafte, das Versteckte "wiederzugewinnen". Im Sehen wiederholt man so die häufig explosive Verdeckung des Bildes und den gewaltsamen Akt seiner Ent-Täuschung. Die stärksten Erfahrungsmomente sind die, wo der Blick in kurzen Takten zwischen der Malspur und der Andeutung, dem Bildfragment, hin- und herspringt.

Rainers Annäherung an historisch gewordene Bildformen ist ein Versuch der Wiedergutmachung, der Vergegenwärtigung des bildnerischen Gehalts durch das Aufreißen der glatten Oberfläche. Dennoch entstehen durch Rainers heftige und manchmal auch zaghafte Pinselbewegungen keine Risse im Bild, sondern eher Risse in der Reflexionsschicht, die die bestimmende Wahrnehmung von der ästhetischen trennt. So lassen sich die Arbeiten Rainers auch als Versuch der Überwindung von Widersprüchen durch das Widerlegen von eindeutigen Bildgrenzen verstehen, semantischer wie formaler Art. Der Bildträger ist für ihn seinerseits nur ein Ausschnitt einer komplexen Wirklichkeit, wie dies explizit in der Idee der shaped canvas von der Hard Edge Malerei der 70er Jahre formuliert wurde. Im Unterschied zur Überwindung kulturell konnotierter Konfigurationen etwa bei Frank Stella oder Ellsworth Kelly spiegelt sich in Arnulf Rainers dezidierter Rückwendung zu einer historisch gewonnenen Darstellungsform, dem Kreuz, nicht zuletzt auch ein Zug der europäischen Moderne.


Die Ausstellung "Arnulf Rainer. Auslöschung und Inkarnation" aus Anlass der Ehrenpromotion durch die Katholische Theologische Fakultät der Universität Münster ist noch bis zum 5. September 2004 im Westfälischen Landesmuseum zu sehen. Begleitend findet eine Vortragsreihe zum Thema "Religion aus Malerei?" und ein fachdidaktischer Studientag "Das Malen ist die eigentliche Form des Lebens. Arnulf Rainers Malerei als Thema von Kunst- und Religionsunterricht" für Studierende und Lehrende statt.

Katalog "Arnulf Rainer. Auslöschung und Inkarnation": 14.90 Euro


© Karin Wendt 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 30/2004
https://www.theomag.de/30/kw35.htm

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