Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Falten und Risse

Mode in Bildern

Karin Wendt

"Fashion exists in many areas of life, not only in the way we dress, but also in many other areas such as food, home furnishings, and even our ways of thinking."[1] Mode erfasst mit den Worten des Soziologen René König den ganzen Menschen und es scheint schwer, sich ihr begrifflich zu nähern. Wir wenden uns der Mode zu, wenn wir dem schnellen Wechsel der "Kleider unserer Sprache" (Wittgenstein) gerecht werden wollen, wenn wir Zeitsprünge erleben oder wenn wir nach Authentizität auf der einen und nach tragenden Verhaltensformen auf der anderen Seite suchen. Die (Fort-)Bewegungen der Mode machen nach außen den Anschein zusammenwirkender Kräfte, tatsächlich spiegelt sich darin jedoch, wie Georg Simmel schreibt, unser widersprüchliches Bedürfnis nach Freiheit und Bindung: "Und gerade weil die Sehnsucht, bei dem Gegebenen zu verharren und das gleiche zu tun und zu sein wie die anderen, der unversöhnliche Feind jener ist, die zu neuen und eigenen Lebensformen vorschreiten will, darum wird das gesellschaftliche Leben als der Kampfplatz erscheinen, auf dem jeder Fußbreit von beiden umstritten wird, die gesellschaftlichen Institutionen als die - niemals dauernden - Versöhnungen, in denen der weiterwirkende Antagonismus beider die äußere Form einer Kooperation angenommen hat."[2] Es liegt nicht zuletzt an unserer Sensibilität für diesen der Mode eingeschriebenen Widerstreit, ob wir Modernität immer wieder neu entdecken, verstehen und entwerfen lernen, anstatt uns als Modeverfechter oder -gegner zu gerieren. Leben auf der Höhe der Moden ist zwangsläufig von Euphorie und Verzweiflung[3] gekennzeichnet, denn man kommt in gewisser Weise immer schon zu spät. Die eigentliche Innovation oder gar Revolution, ist sie zur Mode geronnen, hat ihre Grenze schon erreicht, wenn nicht bereits überschritten, wie Ulf Poschardt 1996 kurz vor Erscheinen seines Interviews zur DJ-Culture gegenüber Paolo Bianchi reflektiert: "Es geht mir nicht darum, mich von einem Rausch zu distanzieren, sondern den Rausch als Kraft zu begreifen, die einem Ernüchterung als Qualität zugesteht. So gesehen ist das Interview Dokument einer Hoffnung und Euphorie, die für immer uneinholbar bleibt. [...] Am Ende der Verheißungen [...] könnte sich eine sensible Ratlosigkeit breit machen, die Platz für eine neue Analyse freiräumt. Insofern ist mein Interview über die DJ-Culture auch ein Abschiedsdokument."[4] Mit der Mode, nicht nach der Mode zu leben bedeutet auch, im richtigen Moment loszulassen.

Von Mode sprechen wir, solange wir etwas Zeitgenössisches erfahren, das noch nicht ästhetisch oder ethisch beurteilt worden ist. Bestimmte Moden können unter ethischen oder ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet werden, dass sie gerade in Mode sind, ist dann aber nur Anlass, sich mit den jeweiligen Phänomenen näher zu befassen. Die Bezeichnung selbst ist eine Beschreibung dafür, dass uns etwas in seiner gegenwärtigen Bedeutung nicht unverhüllt gegeben ist und gleichwohl etwas transportiert, was vehement und sichtbar in unseren Alltag oder in vertraute Traditionen eingreift. Manchmal erkennen wir solche überhaupt erst, wenn eine neue Mode beginnt, jene auf- oder ganz abzulösen. Über Moden werden wir so indirekt der Kontinuitäten und Sprünge in unserem Leben gewahr. Dabei verkörpert Mode nicht den Inhalt der Veränderungen: Mode ist nicht Veränderung, sie zeigt Veränderungen an. Der Begriff ist nur ein plakatives Label für die Realität des Veränderten bzw. das Neue und steht selbst dazu in einem arbiträren Zusammenhang. Was Aileen Ribeiro über die Bedeutung der Kleidermode zur Zeit der französischen Revolution schreibt, trifft m.E. insgesamt auf das Phänomen Mode zu: "In terms of dress, the year 1789 is an arbitrary date, for the French Revolution did not initiate any dramatic change in fashion. What it did do was to act as a catalyst for the move towards the simpler and more 'democratic' styles in dress which have been noted during the 1780s. In some ways fashion could be seen to act as a Trojan horse, helping to undermine the established principles of society in just the same way as the beliefs of the philosophes [...] which aimed to popularise rational knowledge and a critical approach, gradually formed into a revolutionary creed which fatally weakened the ancien régime 'which had already begun to collapse under the impact of impending bankruptcy and the measures adopted to avert it' [...]."[5] Mode hat insofern eine gesellschaftliche Funktion, als sie Veränderungen, die bereits einen individuellen oder gesellschaftlichen Stellenwert erreicht haben, aufgreift, multimedial verstärkt und beschleunigt, und sie wirkt andererseits katalysierend insofern, als sie selbst ein sichtbares Aktionsfeld innerhalb der Gesellschaft ausbildet und damit zwischen Prozesse der Veränderung tritt und diese verzögert.

Die Masken der Gegenwart haben ihren Spiegel in den Moden einer Zeit. Mode ist nicht selbst eine kulturelle Deutungskategorie, sie steht und entwickelt sich vielmehr anstelle eines unmittelbaren Verstehens, wie Gilles Lipovetsky ausführt: "Die Mode untersteht nicht dem Imperativ, etwas zu erzählen oder die Menschen zum Träumen zu bringen, sondern einen Wechsel herbeizuführen, den Wechsel um des Wechsels willen, und die Mode existiert nur durch diesen unaufhörlichen Prozess der Entwertung der Formen. Damit steht sie für die eigentliche Wahrheit unserer geschichtlichen Systeme, die auf dem beschleunigten Experimentieren gründen, sie stellt das wahre Wesen ihrer Funktionsweise auf spielerische und unbekümmerte Weise zur Schau."[6] Wollte man Mode außer der Zeit denken, so müsste man das Neue als Vergangenes und das Vergangene als Neues denken, den Prozess der laufenden Entwertung von Formen also so nachvollziehen, dass man die Bedingungen seiner Verstellung offen legt. Die Frage, die der Begriff so generell aufwirft, ist daher, wie sind Verstehen und ein kritischer Umgang mit Bildungsprozessen überhaupt möglich? Inwiefern können wir in einer bestimmten Zeit oder Erfahrung Modernität erkennen, sei es im Hinblick auf Vergangenes, sei es im Blick auf unsere Gegenwart, wenn wir doch selbst immer nur im Dunkel der Moden leben? Sich dem Ideal einer freien Bildung verpflichtet zu wissen, hieße, sich der Geltungssucht der eigenen Fragestellungen bewusst zu bleiben.

Um Modernität zu vergegenwärtigen, müssen wir jedoch den Fortgang der Moden für einen Moment anhalten. Dies können wir nur in der Reflexion. Eine Weise, sich zu den Moden einer Zeit in ein reflexives Verhältnis zu setzen und sich ihnen auszusetzen, ist die Kunst. Kunst hängt mit Mode dialektisch zusammen, wie Adorno schreibt: "Kunst muss, will sie sich nicht ausverkaufen, der Mode widerstehen, aber sie auch innervieren, um nicht gegen den Weltlauf, ihren eigenen Sachverhalt sich blind zu machen."[7] Sie muss also in Auseinandersetzung mit den visuellen Formen der Gegenwart entstehen, sie kann dies jedoch nur im Modus der Kritik tun, will sie nicht von der nachfolgenden Mode hinweggeschwemmt werden. Kunst ist daher, gemessen an der Mode, nachzeitig. Die Mode eines Bildes wäre umgekehrt seine verdeckte Gegenwart. Selbst dann, wenn Kunstwerke über ihre eigene Zeit hinausweisen, tun sie dies nie real, sondern nur, indem sie Reflexionen über Zukunft anstoßen. Einen grundlegenden Unterschied zwischen Mode und Kunst macht daher m.E. ihr Umgang mit Kontexten aus: Kunst spaltet und vervielfältigt Kontexte und ist von daher Diskurse irritierend, während Mode zwar auch mit anderen Kontexten spielt, deren Realität aber leugnet, um sich selbst an ihre Stelle zu setzen. Mode ist von daher Diskurse nivellierend. Auch im Falle von Crossover zwischen Mode und Kunst wird der Geltungsanspruch entweder der von ästhetischen Projekten, die sich mit dem Phänomen Mode beschäftigen oder es ist Mode, die sich von der bildenden Kunst inspirieren lässt.

Ein Bereich, in dem sich Erscheinungen, Wirkungen und Funktionen von Mode besonders dicht vernetzen und den von daher auch die Kunst immer wieder thematisiert, ist unsere Kleidung. "Die Sprache der Kleidung ist im wesentlichen sprachlos - sie wurde erschaffen, um jenseits des bewussten Denkens und Ausdrucks frei operieren zu können."[8] Kleidung ist unser individuelles und gruppenspezifisches Ausdrucksmedium, ohne dass sie vollständig unser Inneres ausdrückt oder Gruppen geschlossen markiert - Kleidung erzeugt vielmehr eine kulturelle Spannung, die aus der Reibung zwischen Körper und Ornament, zwischen Gegenwart und Mode entsteht. Die Differenzierung dieser 'sprachlosen Sprache' in den Weisen ihrer Formwerdung ist Aufgabe ästhetischer Reflexion. So lässt sich an der ästhetischen Haltung zur Kleidung erkennen, wie die Freiheitsproblematik, d.i. das Spannungsverhältnis von Innerem und Oberfläche, von Ausdruck und Zeichen gedeutet wird. Entlang der jüngsten Darstellung der Formengeschichte europäischer Kleidung"[9] ist das Nachfolgende ein Versuch, am Umgang mit Mode in Bildern den jeweiligen Status von Modernität aufzuzeigen. Die Frage soll daher sein, welche Kleidermode zu einer bestimmten Zeit Geltung hatte und inwiefern am ästhetischen Umgang damit bis heute Zeit und Denken charakterisierende Bedeutungen sichtbar werden.

Kultur

Schaut man sich die klassische griechische Skulptur mit Blick auf das Verhältnis von Körper und Kleidung an, so fällt auf, dass diese entweder gänzlich fehlt oder beide eine harmonische Synthese eingehen. Auch wenn die vorklassische Entwicklung weitaus differenzierter ist, verbinden wir mit dem modischen Aussehen der Griechen auf dem Höhepunkt ihrer Kultur einfache Wickelgewänder, die den Körper mit großer Eleganz umhüllen. Daneben erkennen wir im nackten Körper die anthropologische Konstante ihrer Ästhetik. Charakteristisch für die griechische Kleidung war die Längsbetonung der Silhouette, ein Variantenreichtum in der Wickeltechnik und Gürtung und eine daraus resultierende Vielfalt an Faltenwürfen, Draperien und Überhängen. Das Webstück selbst wurde ohne Einschnitte gearbeitet, so dass es nach dem Ablegen wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehrte. Allein durch die Wickeltechniken folgte es dem Körper in seiner Physiognomie und schmiegte sich um Rundungen und Vertiefungen, modellierte Muskeln und akzentuierte so Haltung und Gestik. So arbeitete der Bildhauer bei der Venus von Milo (um 200 v.Chr.) den eleganten Kontrapost durch die Stofffülle, den fließenden Faltenwurf und die Absetzung von nackten Oberkörper und Gewand deutlich heraus. Der Körper erscheint in einer Weise gekleidet, die diese in einem elementaren Sinn überflüssig macht. Kleidung tritt nicht als selbstständiges Medium in Erscheinung, sondern lediglich als abgeleiteter Haltungsmodus, als stoffliche Paraphrase des körperlichen Bewegungsspektrums. Während die Art des Umlegens und der Gürtung griechischer Gewänder individuell variierte und so zu einem persönlichen Ausdrucksmittel wurde, blieb die Grundform immer die gleiche. Hierin liegt die organische Idee der griechischen Skulptur: Kleidung diente in der Kunst der griechischen Skulptur der Verschönerung des nackten Körpers. Sie bildete das Ineinandergreifen von Ruhe und Bewegung der körperlichen Dynamik noch einmal gewandtechnisch nach und ahmte so dessen freie Haltung gegenüber der Welt nach. Dass eine Vielzahl der Skulpturen die Menschen nackt zeigen, verdankt sich nicht zuletzt dieser Synthese von Körper und Kleidung. Obwohl die Nacktheit sicher auch einer ausgeprägten männlichen Erotik der griechischen Gesellschaft korrespondierte, entspricht sie nicht unmittelbar der antiken Realität - außer während der sportlichen Übungen in den Gymnasien, die gleichwohl eine wichtige Quelle für die Figurenwelt darstellen.[10] Sie ist vielmehr der andere Pol einer subtilen Dialektik. Sobald es kulturell verbindlich wird, Kleidung oder Schmuck zu tragen, ist Nacktheit nie mehr einfach gegeben, sondern immer spezifisch codiert, wie Ruth Barcan schreibt: "Indeed, even when we see naked bodies we still see the 'implied absent clothing.' Clothing [...] structures our perception of nakedness."[11] Indem die Kleidung der Griechen sich jedoch frei mit dem Körper verbindet, schafft sie ein Körperbild, das diesen als Raum zur Entfaltung exemplifiziert. Im Rahmen eines Entwurfs zu einer "Ästhetik der Existenz" (Michel Foucault) trägt die Kultur der Mode damit einen wesentlichen Anteil an der Befreiung des Körpers.

Politik

Zur Zeit des römischen Imperiums trat die Kleidung in ein additives Verhältnis zum Körper. Die römische Skulptur unterscheidet sich von der griechischen vor allem durch fehlende Beweglichkeit. Eine starrere Haltung der Körper, ein linearer Faltenwurf und insgesamt eine geringere Plastizität sind Merkmale der "römischen Kunstindustrie" (Alois Riegl). Dem entspricht auch eine grundsätzlich andere Auffassung von Kleidung. Zwar unterschied sich die Oberbekleidung der römischen Bürger, die Tunika, auf den ersten Blick kaum vom Clamys oder Peplos der Griechen. Sie basierte jedoch auf einer grundsätzlich anderen Trageform: Das Hemdgewand wurde nicht um den Körper gewickelt, sondern an der Schulter gehängt, so dass es, selbst wenn es wie bei Frauen mit einem Gürtel getragen wurde, anders als das griechische Oberkleid kaum körpermodellierende Eigenschaften entwickelte. Der Stoff fiel relativ gerade nach unten und wurde durch einen Gürtel allenfalls in der Taille gerafft und leicht überschlagen. Funktionaler gedacht war auch die Idee, Armlöcher in das Webstück zu schneiden. Es wurde damit erstmals in seiner rechteckigen Form 'verletzt', eine modische Maßnahme, die von da an aus dem Zuschnitt europäischer Kleidung nicht mehr wegzudenken ist. Die generelle Gradlinigkeit war dabei nicht dem Einzelnen überlassen, sondern in eine gesellschaftliche Regel eingebettet. So gab es in Rom für den Tragemodus und den Faltenwurf Vorschriften.

Auf dem Prozessionszug der Kaiserfamilie auf der Ara Pacis Augustae (9 bis 13 v. Chr.), dem Altar der Friedensgöttin, kann man sehen, wie der Künstler auf die Klassik zurückgreift, indem er die Menschen in griechische Gewänder kleidet und doch erscheint alles "kälter, härter, intellektueller". Es ist ein spätes Beispiel für diese "bisweilen beamtenhaft korrekt angeordnete Faltenpracht", mit der römische Künstler zeigten, in welcher Weise Kleidung den Körper zu distanzieren vermag.[12] Während die römische Auffassung der Kleidung also deutlich funktionaler ist, wurde diese auf der anderen Seite durch eine differenzierte Bordierung als soziales Unterscheidungsmedium aufgewertet. Es kam zu einer gesellschaftlichen Ordnung der Kleidung. Neben Borten als Rangabzeichen signalisierten auch Schuhe, Schmuck, Materialien oder Farben den gesellschaftlichen Status. Das Oberkleid für Männer und Frauen, die Tunika, hatte also auf der einen Seite vereinheitlichenden Charakter, um im Gegenzug als neutraler Träger einer sozialen 'Hierarchie der Zeichen' dienen zu können. Kleidung figurierte damit als ein relativ geschlossenes System in einem rein äußerlichen Verhältnis zum Körper, welcher seinerseits in seiner Individualität zurücktrat. Neben der Tunika kam ein Kleidungsstück in Gebrauch, das zwar für die nachfolgende europäische Gewandgestaltung kaum von Bedeutung war, dessen Entwicklung jedoch typisch für die Degenerierung einer politisch besetzten Mode ist: die Toga, das Nationalkleid der männlichen Bürger von Rom. Weder Ausländer und Sklaven, noch Römer, die ihre Bürgerrechte verloren hatten, durften sie tragen. Ihr Name wurde zur Nationalbezeichnung 'gens togata'. Sie bestand aus einem großen ovalen Stück Stoff, das den Körper wie eine Schale bis auf den rechten Arm schalenartig ummantelte. Die Togaform ist etruskischen Ursprungs, wo sie von Kriegern getragen wurde, im Laufe der römischen Republik wurde sie immer starrer und war irgendwann lediglich ein repräsentatives Kleidungsstück für besondere gesellschaftliche Anlässe.

Für Imperatoren, Feldherren und Konsuln gab es etwa die Purpurtoga. Ein Kleidungsstück war damit ein staatstragender Bestandteil innerhalb der patriarchalen Gesellschaftsordnung geworden. Mit der Ausweitung des römischen Reichs bekamen immer mehr Menschen die Bürgerrechte, so dass diese während der Kaiserzeit kein Privileg mehr war. Damit verlor sie ihren exklusiven Charakter als zeitgenössische Mode einer politischen Avantgarde und wurde nun zur reinen Funktionärskleidung: zum Soldaten-, Beamten-, Sakral- und Totengewand. Das Prinzip, der ausschließlich repräsentative Einsatz von Kleidung, lässt sich auch gut an einer spätrömischen Plastik der Kaiserzeit, dem Augustus der Primaporta (um 14 n. Chr.), ablesen. Anders als griechische Herrscher, ist er bis auf die Füße, die seine göttliche Herkunft andeuten mögen, nicht nackt dargestellt, sondern trägt eine kurze Tunica und um die Hüften einen Feldherrenmantel, der über den linken Unterarm gelegt ist und in reichem Faltenschwall herabhängt. Stoffvolumen und Körpervolumen sind jedoch nicht organisch auseinander entwickelt, sondern werden als wechselseitige Affirmation eingesetzt. Auch der Muskelpanzer, den er nach militärischer Sitte trägt, repräsentiert in zweifacher Hinsicht die Brust- und Bauchpartie. Er modelliert sie nach und er zeigt eine detailreiche allegorische Schilderung des Augusteischen Zeitalters und bildet so eine weitere Bedeutungsebene aus. In der linken Hand hielt der Kaiser ein Zepter, eine Lanze oder einen Lorbeerzweig. Die Geste signalisierte eine Ansprach an das Volk oder die Truppen. Als Stütze fungiert ein Amor, der auf einem Delphin reitet, ein Hinweis auf das Julische Hauses, dem Augustus angehörte und damit auf seine göttliche Herkunft.[13] Kleidung dient in dieser Darstellung nicht mehr der Schönheit an sich, sondern als Medium sui generis zur Unterstreichung von Macht.

Wollte man das Verhältnis von Körper und Kleidung zur Zeit der römischen Herrschaft strukturell beschreiben, so müsste man sagen, dass beide in ein additives Verhältnis treten, analog zur imperialen Ausrichtung der römischen Politik: "Die Schwerpunkte, die der Römer in seiner Kleidung setzte, waren derart angelegt, dass sich fremde Einflüsse leicht integrieren ließen. Mit den Griechen verglichen, hatte eine Säkularisierung, eine Abflachung, eine Zurückdrängung der individuellen Kreativität eingesetzt, was sich im Bereich der Kleidung in einer leicht durchschaubaren Signalwirkung [...] gleichsam auf neutralem Untergrund darstellte." (50, 51) Die Politik der Mode gipfelt in der Propaganda des Körpers.

Theologie

Auf Bildern des frühen Mittelalters wird Kleidung zum Medium der Erzählung. Wenn etwa die schreibenden Evangelisten in der Toga gezeigt wurden, war das übergeordnete Ziel die geschichtliche Begründung der christlichen Erzähltradition. Die innere Erregung des Schreibers konnte sich etwa in einem Aufruhr der Falten vermitteln wie bei dem Matthäus aus einer französischen Evangelienhandschrift um 830. Es ist gleichwohl keine körperliche Erregung, die sich plastisch ausbildet, sondern der Versuch zu demonstrieren, wie umfassend die Offenbarung den Menschen ergreift und gleichsam alles um ihn herum mit sich zieht. So charakterisiert die in kurzen, schnellen Strichen gesetzte Linienführung der Kleidung auch die umgebende Landschaft und bindet so Mensch und Welt in einer gemeinsamen Ausrichtung. Die Kleidung nimmt auf mittelalterlichen Darstellungen generell keinen Sonderstatus gegenüber anderen Motiven der Bilderzählung ein, sie ist Teil einer kontinuierlichen Gestaltung inhaltlicher Zusammenhänge. Dass sich der Mensch 'nackt' fühlt und sich kleiden muss, war wie die Sprache Merkmal der conditio humana, der irdischen Existenz nach der Vertreibung aus dem Paradies.

Um zu verdeutlichen, dass das Leben seinen Sinn in der eschatologischen Auferstehung des Körpers, konnte die Kleidung selbst gewissermaßen als Schrift aufgefasst werden wie in der Allegorie "Die Grammatik und der Grammatiker Priscianus", einer Illustration um 1200 aus dem Kloster Aldersbach. Kleidung fungiert dort als Binnenzeichnung vom Körper und lässt seinen inneren Aufbau wie eine beredte Schrift erscheinen, die verschlungen und wurzellos nach einer ordnenden Entzifferung durch die Grammatik verlangt. Sie wird damit zum linearen Medium, zum Zeichen der menschlichen Zwischenposition in der Welt. Man begriff den Körper als eingegliedert in einen größeren Weltzusammenhang, dessen Ausrichtung die korporale Begrenztheit weit übersteigt. Um dies zu verdeutlichen, musste Kleidung zeichenhaft verwendet werden. Die Grundsituation aller Menschen im vergänglichen Diesseits kam auch zum Ausdruck in dem einheitlichen und relativ einfachen Kleidungsstück des frühen Mittelalters: dem europäischen Hemdgewand, der Cotte, die sich im Vergleich zum antiken Gewand eher röhrenförmig um den Körper legte und ihn so tendenziell verflachte. Nur in der Länge und im Material unterschieden sich männliche und weibliche Kleidung. Generell waren bis etwa 1250 "einheitliche, geschlechtsneutrale, anatomieverschleiernde Hemdgewänder [...] der Ausdruck der gradualistischen Weltauffassung geworden. [...] Es darf nicht vergessen werden, dass es schließlich diese großartige Einheitlichkeit war, die eine europäische Selbstfindung, eine Loslösung vor allem von der Antike vorbereitet hat." (86, 87) Die Theologie der Mode lag in der Relativierung des Körpers, eine Auffassung, die jedoch bald wieder in Frage gestellt wurde.

... und Welt

Durch Kreuzzüge und Handel begannen fremde Einflüsse die eigene Welt zu bereichern. Auch in Europa verfügte man nun über kostbare Stoffe und Farben. Auf Bildern des ausgehenden Mittelalters sieht man, wie Kleidung mehr und mehr zu einem in sich differenzierten Kommunikationsmittel wird. Mit der Entdeckung der Welt ging ein zunehmendes Interesse an der realen Umwelt einher. Dem korrespondierte eine deutliche Unterscheidung von männlicher und weiblicher Kleidung, ein Detailreichtum und insgesamt eine größere Souveränität in der Wahl und im Umgang mit der Mode. Durch kompliziertere Schnitttechniken entwarf man insgesamt elegantere Kleidung, die die männliche und weibliche Anatomie deutlicher sichtbar werden ließ. Schmuckelemente wie Knöpfe und Ösen, Pfauenfedern und Schleier kamen in Gebrauch. Ein besonders schönes Beispiel dieser sinnlichen Entdeckung der Welt ist das prächtige Gebetbuch, das der Herzog von Berry in Burgund um 1410 bei den Brüdern Paul und Jan von Limburg in Auftrag gab. In dem Kalender mit Darstellungen wechselnder Landschaften und Szenen analog zu den Jahreszeiten spielt auch die Kleidung eine wichtige Rolle bei der Charakterisierung der Stimmungswechsel. Das Blatt des Monats Mai zeigt das jährliche Frühlingsfest der Höflinge und man sieht, mit welcher Liebe zum Detail die Künstler die modische Festkleidung der jungen Menschen schildern. Im Mittelpunkt steht nicht eine objektive Schilderung der Natur, sondern vielmehr die Vermittlung eines gesteigerten Lebensgefühls. Man interessierte sich für die Fülle und Verschiedenheit der Welt, alles schien in einer bestimmten Weise 'gefärbt'. Die Kleidung diente erstmals als Verwandlungsmedium, mit dem der Mensch die Erscheinungen in der Dingwelt reflektierend aufgriff. Ein selbstbewussterer Einstellung zum Leben im Diesseits manifestierte sich auch in einer deutlicher eingenommenen Haltung.

So zeigt die Porträtskulptur der Markgräfin Uta (1250-1260) aus der Reihe der Stifter im Chor des Naumburger Doms nicht nur, was die Edelfrau trägt, sondern dass sie ein Bewusstsein für die Wirkung ihrer Kleidung hat. Den Kragen ihres Prunkmantels hat sie so elegant um den Hals gezogen, dass man in der schützenden Geste zugleich eine Demonstration ihrer Würde erkennen kann. Die lange Schleppe schürzt sie mit einer großen Selbstverständlichkeit. Sie hält sich in ihrer Kleidung nicht scheinbar selbstvergessen wie eine griechische Göttin, sondern selbstbewusst wie eine Städterin und fast schüchtern kokettierend mit der Schönheit und Eleganz ihrer Robe. Ihre Kopfbedeckung aus Gebende und Schapel in Kronenausführung bildet gewissermaßen nur die 'Krönung' einer fast königlichen Haltung. Der Künstler verwendete die Kleidung, um zu zeigen, dass die Dargestellte mit einem Betrachter rechnet. Die Welt des 14. Jahrhunderts hat einen Spiegel bekommen, sie war nicht mehr einfach da. Mode wurde hierbei zu einem Differenzierungsmedium, über das der Einzelne eine Verbindung zwischen seiner Innenwelt und der gesellschaftlichen Wirklichkeit der verschiedenen Stände herstellte. Die Welt der Mode lebt die Differenz der Körper aus.

Kunst

In seinem Buch "Cultur der Renaissance in Italien" (1860) beschreibt der Kunsthistoriker Jacob Burckhardt den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit als kontinuierliche weltliche Ausprägung der Persönlichkeit. Die Kleidung wird in der Renaissance zu einem Stabilisierungsmedium dieser Entwicklung, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen in einem imaginär erinnernden Rückgriff auf die Antike als vorchristliche Zeit der harmonischen Synthese von Körper und Welt, der als selbstständige Aneignung und Verfeinerung kulturellen Wissens erfahren wurde. Die Darstellung "Geburt der Venus" (um 1485) von Sandro Botticelli ist ein Beispiel dafür, wie das befreite Verhältnis von Kleidung und Körper der Antike vorausgesetzt, jedoch mit einem stärkeren Bewusstsein für die Regeln der Kunst durchgestaltet wird: Kleidung wird modelliert, kunstvoll ge- und entfaltet, sie wird gefärbt, feinste Muster hineingewebt, seidig changierend in Licht und Schatten gezeigt. Im Unterschied zu klassischen Vorbildern fällt außerdem die starke Stilisierung der Formen, Farben und insgesamt der künstlerischen Haltung auf. Es scheint, als hätte Botticelli in seiner mythologischen Darstellung auch die geographische Erweiterung des Raumes über den Mittelmehrraum und Teile Asiens und Afrikas hinaus, einfangen wollen. So wie sich der Lauf der Geschichte zu beschleunigen schien und sich das Bild von der Erde mit der Entdeckung Amerikas radikal verändert hatte, durchweht auch das Bild von Botticelli ein 'neuer Wind'. Die Gewänder und Tücher der anwesenden Götter sind aufgebläht wie Segel im Sturm. Die bildnerische Dynamik, die man als 'Rütteln' an der Zeit, als Moment der 'Geburt' einer neuen Zeit deuten mag, zeigt sich nicht zuletzt am Verzerren und Verformen der Kleidung. Zwei Beweggründe, die Lou Taylor für die frühe Geschichtsschreibung der Mode anführt, scheinen auch Darstellungen der florentinischen Frührenaissance - bei aller Verpflichtung zur Schönheit - zu beflügeln: eine Faszination für das "Wilde", "Barbarische" und eine romantische Neugier für das Exotische.[14] Das Bedürfnis, sich des eigenen Standorts in der Welt zu vergewissern, drückt sich auf der anderen Seite in einer Festlegung und Durchformung des neu entdeckten 'menschlichen Maßes' aus. Das Porträt einer jungen "Dame mit Blume" (1526) von Lucas Cranach d.Ä. zeigt die deutsche Frauenmode zur Zeit der Renaissance. Das Kleid ist unterteilt in Mieder und Rock, welcher in starren regelmäßigen Falten glockig steif nach unten fällt. Das ausladende Barett, die dreifache Säumung des Rocks sowie die Unterteilung der Ärmel in 'Gelenkzonen' lassen das junge Mädchen schmuck aber gleichwohl 'kostümiert' erscheinen. Zur auffälligen Horizontalbetonung in der Mode dieser Zeit schreibt Bönsch: "In der Silhouette der ersten Jahrhunderthälfte ('deutsche' Renaissancemode) war es vor allem einmal wichtig, die positive Diesseitsbezogenheit, die Verbundenheit mit dieser Welt zum Ausdruck zu bringen - immer in der Sicherheit, ein göttliches Abbild zu sein. Die formalen Ausdrucksmittel dieser Gewandsilhouette standen gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen, verglichen mit der spätgotischen Formensprache. Nun war nicht mehr die himmelsstrebende Vertikale angesagt, sondern die Horizontale gleichsam als Wiederholung der Erd-Ebene. Der Mensch steht selbstbewusst, quasi mit göttlicher Genehmigung, mit beiden Beinen besitzergreifend auf der Erde, auf seiner Welt. Die Horizontalen beginnen beim flachen Barett und enden bei den an der Spitze flach abgekanteten 'Kuhmaulschuhen'. Dazwischen liegen die überbreite Schulterlinie, die Taillenquerlinie, die mehrfach betonten Gewandsäume, um nur die 'Haupt-Horizontalen' genannt zu haben. Dieser Formenkatalog lässt sich sowohl in der Männer- als auch in der Frauenmode nachweisen." (122)

Mit der Betonung der Horizontalen kommt der Körper jedoch nicht unmittelbar, an sich selbst zur Erscheinung, sondern er wird gleichsam als Mikrokosmos einer alle Dinge verbindenden Ordnung vorgestellt. Die fast kostümierend erscheinende Strenge der Kleidung beruht nicht zuletzt auf dem Prinzip der Angemessenheit, dem Decorum, das für Künstler und Theoretiker der Renaissance von so großer Bedeutung war. Es beruht auf der Idee, dass es eine angemessene Form für etwas gibt. Die Vergegenwärtigung des Wesens einer Sache hängt danach von der Wahrheit dieser zu findenden Form ab. Diese inhaltliche Fundierung einer kulturell verbindlichen Formensprache lässt die Renaissance erstmals ein eigentliches Stilbewusstsein entwickeln. Die Kunst der Mode ist die Ordnung bzw. die Relationierung des Körpers.

Metaphysik

Erst im historischen Rückblick erschließt sich, dass im 17. Jahrhundert, noch bevor die Aufklärung des 18. Jahrhunderts den Prozess analytisch zu durchdringen begann, die Geschichte des alten Europas zu Ende ging. Reformation und Gegenreformation sind die Pole einer zunehmenden Infragestellung alter Gewissheiten und Traditionen. Im Blick auf die Vorstellung vom Dasein in der Welt, könnte man sagen, dass die Geistesgegenwart des Körpers begann, wieder fragwürdig zu werden. Dieser Gedanke entließ den Körper als eine neue unberechenbare Größe. Im Gegenzug gewann die Kleidung nun eine Art selbstständige Bedeutung, die sich gleichsam als 'maßloser' Maßstab zwischen Körper und Welt legte und die Distanz zwischen körperlicher Existenz und verstehender Lebensdeutung unendlich erscheinen ließ. Die Kleidung wurde zur Projektionsfläche eines mehr und mehr erweiterten Denkens, das die Grenzen der Vernunft gleichwohl bereits erahnte. Das nachfolgende Zitat von Gilles Deleuze aus seinem Buch "Die Falte" zeichnet sehr plastisch nach, wie sich im Barock am Umgang mit Kleidung ein erster tiefgreifender Riss im historischen Bewusstsein manifestierte.

Der Barock "projiziert zu allen Zeiten und überall die tausend Falten der Kleidung, die dahin tendieren, ihre jeweiligen Träger zu vereinigen, deren Haltungen zu entgrenzen, ihre körperlichen Widersprüche zu überwinden und aus ihren Köpfen Schwimmer zu machen. Es lässt sich in der Malerei beobachten, wo die von den die ganze Oberfläche überschwemmenden Falten der Kleidung eroberte Autonomie ein einfaches, aber sicheres Zeichen für den Bruch mit dem Raum der Renaissance wird. ... Und wenn die Falten der Kleidung aus dem Bild heraustreten, dann in der sublimen Form, die ihnen der Bildhauer Gian Lorenzo Bernini gibt, bei dem der Marmor Falten ins Unendliche trägt und erfasst, die nicht mehr mit dem Körper zu erklären sind, sondern mit einem geistigen Abenteuer, das ihn durchglühen kann. Es [ist] keine Kunst mehr der Strukturen, sondern eine der Texturen, wie bei den von Bernini zusammengesetzten Marmorarten. Diese Befreiung der Falten, die nicht mehr einfach den endlichen Körper reproduzieren, ist leicht zu erklären: es wird zwischen Kleidung und Körper ein Drittes, es werden dritte Dinge eingeführt. Das sind die Elemente. Es ist kaum nötig, daran zu erinnern, dass das Wasser und seine Flüsse, die Luft und ihre Wolken, die Erde und ihre Höhlen, das Licht und seine Feuer selbst in sich unendliche Falten sind, wie es die Malkunst von El Greco zeigt. Vielmehr genügt es, die Weise zu betrachten, in der das Verhältnis von Kleidung und Körper nun durch die Elemente vermittelt, überdehnt und ausgeweitet wird. ... In allen diesen Fällen gewinnen die Kleiderfalten nicht durch ein einfaches Bemühen um Dekoration Autonomie und Weite, sondern dadurch, dass sie die Intensität einer geistigen Kraft auszudrücken, die auf den Körper einwirkt, entweder um ihn zu verkehren oder um ihn wiederaufzurichten oder zu erheben, immer aber, um ihn umzudrehen und das Innere daran zur Geltung zu bringen."[15]

Deleuze nimmt in diesem Zitat u.a. Bezug auf die berühmte Skulptur "Die Verzückung der hl. Theresa" (1645-1652) von Gian Lorenzo Bernini in der Cornaro-Kapelle in der kleinen Kirche St. Maria della Vittoria in Rom. Sie ist Teil eines Altars in der Seitenkapelle und der spanischen Nonne Theresa aus dem sechzehnten Jahrhundert geweiht, die ihre mystischen Visionen in einem Buch aufgeschrieben hatte. Der Künstler wählt für seine Darstellung den Moment der Verzückung, als ein Engel das Herz der Heiligen mit einem brennenden Pfeil durchbohrt und sie Schmerzen und große Lust zugleich erfährt. Man sieht Theresa, wie sie begleitet von dem Engel und gezogen von einem gleißenden Lichtstrom auf einer Wolke in den Himmel aufsteigt. Die Nähe von Ekstase, Erotik und Tod, von Erleuchtung, Erregung und Vergehen ist in ihrer Dramatik und Realitätsnähe kaum zu überbieten. Bernini nutzt hierbei die aufgewühlte Kleidung, die sich scheinbar vom Körper gelöst hat, ihre Energie aber gleichwohl von dessen 'Zentrum' bezieht, um die Unordnung der Gefühle und die Erfahrung der körperlichen Entgrenzung konkret zu veranschaulichen. Im Aufeinandertreffen der drei verschiedenen amorphen Zustände von Materie - Licht, Luft und Gewebe - kommt es zu einer explosionsartigen Verstärkung der Gesamtdynamik. Indem gleichwohl alle drei Ebenen getrennt bleiben, behalten sie ihre unterschiedlichen religiösen Konnotationen: Licht als Zeichen der himmlischen Sphäre, der Gewandstoff als Zeichen der irdischen Sphäre und die Wolken als Erde und Himmel verbindende Zwischensphäre. Über diese Hierarchie verdichtet sich der visionäre Augenblick erneut metaphysisch. "Die klassische Vernunft ist unter dem Schlag der Divergenzen, Unvereinbarkeiten, Unstimmigkeiten und Dissonanzen zusammengebrochen. Der Barock ist der allerletzte Versuch, eine klassische Vernunft wiederaufzurichten, indem er die Divergenzen auf ebenso viele mögliche Welten verteilt und aus den Unvereinbarkeiten ebenso viele Grenzlinien zwischen den Welten macht." (Gilles Deleuze) Die Metaphysik der Mode ist Idee die Hoffnung auf die Erweiterung des Körpers.

Ethik

Betrachtet man die "zwei Männer in Betrachtung des Mondes" (1819) von Caspar David Friedrich, so mutet die Szenerie seltsam an. Diese geisterhafte Mondnacht scheint etwas anderes als eine romantische Empfindung auslösen zu wollen. Die vielen verschiedenen Interpretationen, die das Bild bis heute zu erschließen versuchen, hängen nicht zuletzt davon ab, wie man die Kleidung der beiden Männer deutet. Dass Friedrich patriotisch und revolutionär gesinnt war, ist ein Hinweis, doch "ist es ratsam, auf seine Akzente zu achten", wie Hofmann in Auseinandersetzung mit einem anderen Gemälde des Künstlers schreibt. Die beiden Männer tragen die altdeutsche Nationaltracht, die sich die Studenten, auch als Ausdruck einer antifranzösischen Haltung, um 1812 wählten. Die Romantiker, die sich mit dem Gedanken der Studentenbewegung zu weiten Teilen identifizierten, adaptierten den hochgeschlossenen, halbschenkellangen Leibrock. Friedrich zeigt also Studenten oder Vertreter der deutschen Romantik, von denen der eine dem anderen vertraulich den Arm auf die Schulter legt, eine Geste, aus der in der Geschichte der Deutungen ein konspirativer Charakter des Treffens abgeleitet worden ist. Noch bevor man zu solchen inhaltlichen Mutmaßungen kommen kann, bleibt der Blick jedoch eigentlich an dem bizarren Aufeinandertreffen von Mensch und Natur hängen. Sie verbinden sich nicht, wie es eine vordergründige Lesart der Romantik sehen könnte, sondern sie widerstreiten sich derart, dass der Anblick geradezu physisch schmerzt. Ein wesentlicher Grund dafür liegt nun in der Zuspitzung von zeitgenössisch codiert gekleideten Menschen auf der einen und zeitloser, urwüchsiger Naturschilderung auf der anderen Seite. Sieht man sich diese Natur genauer an, so erscheint sie mehr und mehr als dramatische Kulisse. Die Unheimlichkeit des Bildes liegt weniger darin, dass wir nicht wissen, was die Männer dort genau suchen oder besprechen, sondern darin, dass sie und auch wir selbst uns nicht mehr in diese Natur eingliedern. Sie erscheint fremd und konstruiert, ein Natur-Schauspiel, vor dem wir uns ebenso als Fremdkörper erfahren. Darin solidarisiert sich Friedrich und wir uns mit den beiden Männern, noch bevor wir ihre politische Anschauung teilen mögen. Wir kommen den selben Weg hinauf, den die beiden vor uns gegangen sind und bleiben etwas unterhalb von ihnen stehen. Hofmann hat an diesem und anderen Gemälden von C.D. Friedrich herausgearbeitet, wie immer wieder Zwischenformen entstehen, die sich zu einem räumlichen Paradox verdichten. Hier ist es das Mittelfeld, das links von den zwei Männern und rechts von dem scheinbar herausgebrochenen Stamm eingegrenzt wird. Es bleibt räumlich unbestimmt, so dass offen bleibt, wie Baum, Fels und Weg zueinander stehen. Friedrich erzielt damit zum einen eine unklare Distanz zwischen uns und den Männern, und zum anderen in Verbindung mit der Silhouette des Baumstammes eine surreale Aufladung der Szenerie: "Diese Zwischenform bekommt durch die Krallen der Luftwurzel etwas bedrohlich Aggressives, woran auch die vom Stamm nach links abzweigenden Äste mitwirken: lauter Greifarme, die das Binnenfeld weniger abschirmen, als ihm angehören und es zugleich zerfressen."[16] Die ästhetische Konfrontation von ungreifbar gewordener Natur und sehr greifbarer zeitgenössischer Mode führt uns die Diskontinuität zwischen Natur- und Kulturauftrag in der beginnenden Moderne vor Augen. Die wechselnden Betrachter des Bildes werden zwar immer anders gekleidet sein als die beiden Männer zur Zeit ihrer Betrachtung des Mondes, sie werden jedoch genau wie diese immer zeitgenössisch gekleidet sein. Die im Bild formulierte Ethik der Mode liegt in der darin zum Ausdruck gebrachten Idee der Zeitgenossenschaft und damit in der grundsätzlichen gegebenen Möglichkeit der Solidarisierung.

Ästhetik

Wie deutet die Kunst der Moderne das Verhältnis von Körper und Kleidung? Die Künstler der Avantgarde folgen der Idee der funktionalen Form - "form follows funktion" - dies gilt auch für ihre Selbstdarstellung in Arbeitsanzügen, Trachten oder Uniformen. Gibt es aber auch Statements zur Kleidung in der Kunst? Auffällig ist die Vielfalt der Akte in der frühen Moderne und im deutschen Expressionismus. Wenn Pablo Picasso, Ludwig Kirchner, Otto Mueller oder Egon Schiele den Menschen der Moderne nackt zeigen, ist dies anders als in der griechischen Antike jedoch mit Voyeurismus oder Scham verbunden. Der Körper erscheint als die Bruchstelle zwischen dem Individuum der Gesellschaft, die ihn seiner selbst entfremdet oder gar missbraucht - und sei es in der Beobachtung. Wenn die Kleidung des modernen Menschen das Thema ist, so taucht sie als Arbeitskleidung wie bei Fernand Leger, als Uniform auf wie bei Otto Dix oder als Maske und als Verkleidung wie bei dem 'Visionär der Moderne' James Ensor. Ein Beispiel für eine etwas komplexere Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Körper und Kleidung - im weitesten Sinne mit dem Verhältnis von Körper und Ornament - sind die späten Figurenbilder von Kasimir Malewitsch. Seine post-suprematistische Malerei gehört zu den frühen künstlerischen Reflexionen, die die Konsequenzen des Projekts der Moderne selbst überprüfen.[17] Die Figuren aus seinem Bauernzyklus sind auf den ersten Blick abstrakte Figuren, Torsi oder Ganzfiguren, die er frontal zeigt. In dem Gemälde "Torso im gelben Hemd" (1928-1932) ist ein gesichtsloser Mensch vor einer horizontalen Landschaft gegeben. Am Horizont steht weit entfernt ein rotes Gebäude. Die Figur ist bis etwas unterhalb der Taille vom Bildrand angeschnitten. Indem die Ränder des Kopfes und des Hemds, welches sich glatt und fest wie um eine rund gearbeitete Stoffpuppe schließt, aufgehellt bzw. verschattet sind, ergibt sich die Andeutung eines Körpervolumens. Analog dazu beginnt sich der Himmel, der am Horizont noch hell scheint, wie durch eine von vorne nach hinten ziehende Wolkendecke zu verdunkeln. Malewitsch notierte auf der Rückseite des Bildes: "Kompliziertes Vorgefühl [...] Die Komposition setzte sich zusammen aus Elementen, dem Gefühl der Leere, der Einsamkeit, der Ausweglosigkeit des Lebens."[18] Nimmt man an diesem Bild die Kleidung in den Blick, so fällt auf, dass Malewitsch sie deutlich realistischer auffasst als ihren Träger. Der 'Mensch' wird als gesichtslose Puppe dargestellt, während die Kleidung eindeutig den von russischen Bauern getragenen Kittel mit der Taillenkordel und einen Knopfverschluss am Stehkragen zeigt. Es ist, als wäre die Kleidung der Restsignifikant eines menschlichen Entwurfs von Kultur. Sie ist die leere Puppe einer zerstörten Identität. Vor dem Hintergrund der Zwangskollektivierung der Dorfbevölkerung und einer atheistischen Kampagne zu Beginn des Jahres 1930, bei der Dorfkirchen verwüstet und Tausende von Geistlichen deportiert wurden, muss man in der gesichtslosen Figur und dem roten Haus, dem traditionellen Anwesen des Kulaken, ein persönliches politisches Statement sehen.

Stellt man das Gemälde in den Kontext der gegenstandslosen Bilder aus der Zeit bis 1927, so wird deutlich, dass Malewitsch die Gestaltungsprinzipien, Frontalität, Achsenparallelität, Komplexität von Raum- und Farbrelationen, beibehält und einzig das Kleidungsstück im Sinne des staatlich propagierten sozialistischen Realismus figurativ auffasst. Er bringt so möglicher Weise auch zum Ausdruck, dass der Versuch, Menschen innerlich zu formen, diese innerlich aushöhlt und vernichtet. Die Unversehrtheit der Kleidung ist die äußerliche, dem Menschen ähnliche Hülle einer scheinbar gelungenen Entwicklung. Steinmüller deutet den Bauernzyklus insgesamt als komplexe künstlerische Reflexion der zunehmenden Verstaatlichung aller Lebensbereiche nach der russischen Revolution: "In einem Brief vom 2. Oktober 1931 schrieb Malewitsch: 'Ich gedenke [...] symbolische Bilder zu malen. Ich versuche, ein gültiges Bild zu schaffen. [...] Angesichts seines Bauernzyklus ist diese Aussage sicherlich in doppelter Weise zu verstehen: nicht nur als Bekräftigung der Malerei als ein Metier, dem die Wendung des Suprematismus ins Symbolisch-Figurative neue gestalterische Möglichkeiten erschloss, sondern zugleich als Behauptung sowohl ihres Kunst- wie ihres Wahrheitsanspruches, als Verteidigung des Bildes gegen Agitation und Propaganda und somit auch einer künstlerischen Grenzziehung."[19] In dem Bild "Torso im gelben Hemd" leistet der Körper keinen realen Widerstand mehr, sondern allein das äußere Zeichen seiner einstigen Gegenwart, die Kleidung. Die Ästhetik der Mode tritt für den Körper ein.

Modelling

Das "Event for Lateral Suspension" (erstmals Tokio 1976) gehört wie alle Performances des australischen Künstlers Stelarc sicher zu den Grenzen künstlerischer Selbstbefragung. Es ist gleichwohl ein Experiment, das wie kein anderes den veränderten Status des Körpers zu Beginn des 21. Jahrhunderts visualisiert. Der Körper selbst, nicht seine Kleidung, ist zum Material der Gestaltung geworden. Stelarc hat sich Haken durch die Haut ziehen lassen. Mit daran befestigten Seilen und Rollen wurde sein Körper hochgezogen und freischwebend in den Raum gehängt. Wie ein flexibler Stoff dehnt sich die Haut unter dem Gewicht. Dass sie als Material "hält", hängt wörtlich am Netz, in das sie eingespannt ist. Es ist gleichwohl ein Netz, das scheinbar beliebig in den unendlichen Raum erweiterbar wäre. "Haut bedeutet nicht mehr Abschließung. Das Aufbrechen der Oberfläche und der Haut ist die Auslöschung des Innen und des Außen", schreibt Stelarc zu seiner Aktion. In dieser Einebnung der Grenze liegt ein großes Potenzial und zugleich eine große Gefahr. Beides macht die Performance sichtbar. Sobald wir den Körper in dieser Weise als Kleidung gebrauchen, gibt es keine Grenzen der Bearbeitung mehr. Zugleich fehlt jedoch eine Vorstellung vom (neuen) Ganzen. Transplantationen, Prothetik und kosmetische Operationen sind Versuche, ein gänzlich befriedigendes neues Ganzes zu schaffen. Die Simulationen der menschlichen Sinne im Bereich der Cybertechnologie sind Ansätze zu einer performativen Erweiterung des Körpers. Beides kann jedoch nur begrenzt das leisten, was man damit vielleicht an Hoffnung verbindet, denn tatsächlich sind wir einer Grenzenlosigkeit konfrontiert, die mit dem neu geformten Körper bzw. dem virtuell agierenden Körper nicht einfach wieder identifizierend geschlossen wird. Kleidung als Form der modischen Vergegenwärtigung des Körpers ist in jedem Fall nur noch bedingt ein geeigneter Parameter, um eine Vorstellung vom eigenen Körper zu entwickeln. Das Physical Modelling, die Idee der Suspendierung des Körpers, löst das Konzept der Mode ab. Wie die Nachbildung jedoch aussieht, für was für einen Körper wir uns entscheiden, hängt mit der grundlegenden Frage zusammen, wie und ob wir uns sehen (wollen). Dies wiederum wird uns nicht zuletzt auch die Mode zeigen. "Dressing the body includes many acts and products that serve as an nonverbal communication system. As we dress the body, we manipulate, modify, and supplement it with a wide range of products and artifacts. These acts and products allow us a means to present ourselves to others through the development of personal, social, and cultural identities."[20]

Anmerkungen
  1. Fashion Foundations. Early writings on Fashion and Dress, hg. von Kim K.P. Johnson, Susan J. Torntore and Joanne B. Eicher, New York 2003, S. 1.
  2. Georg Simmel, Philosophie der Mode, in: Moderne Zeitfragen, hg. von Hans Landsberg, Nr. 11, Berlin 1905.
  3. Thomas Meinecke, Mode und Verzweiflung, Frankfurt/M, 1998.
  4. Ulf Poschardt an Paolo Bianchi, zitiert in: Ders., Vorwort plus 4 Bonus Tracks. Pilze im Sauerteig oder 'Der Mix ist alles', in: Kunstforum International: Cool Club Cultures, Bd. 135, 1996/1997, S. 67.
  5. Aileen Ribeiro, The Art of Dress. Fashion in England and France 1750 to 1820, New Haven/London 1995, S. 83.
  6. Gilles Lipovetsky, Narziss oder Die Leere. Sechs Kapitel über die unaufhörliche Gegenwart, Hamburg 1995, S. 220/21.
  7. Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt 1970, S. 468.
  8. Anne Hollander, Anzug und Eros (orig. Sex and Suits), Berlin 1995, S. 60.
  9. Annemarie Bönsch, Formengeschichte europäischer Kleidung [Konservierungswissenschaft - Restaurierung - Technologie, Bd. 1, hg. von Gabriela Krist], Wien/Köln/Weimar 2001. Alle nicht ausgewiesenen Zitate mit Seitenangaben in Klammern ebd.
  10. Wolfgang Hautumm, Die griechische Skulptur, Köln 1987, S. 63f.
  11. Ruth Barcan, Nudity. A Cultural Anatomy, Oxford/New York 2004, S. 25.
  12. Herbert Alexander Stützer, Kleine Geschichte der römischen Kunst, Köln 1984, S. 74, 75.
  13. A. Stützer, a.a.O., S. 64-67. Ob die Statue in den Vatikanischen Museen das Original von 20 bis 17 v. Chr. oder eine Marmorkopie nach Augustus' Tod ist, ist offen.
  14. Lou Taylor: Establishing dress history, Manchester/New York 2004, S. 5.
  15. Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt/M 2000, S. 197.
  16. Werner Hofmann: Wie deutsch ist die deutsche Kunst? Eine Streitschrift, Leipzig 1999, S. 32.
  17. Gerd Steinmüller: Jenseits der Gegenstandslosigkeit. Zu Kasimir Malewitschs post-suprematistischer Malerei, in: Diagonal, Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule-Siegen, Zum Thema: Grenzen, Jg. 1993, Heft 2, S. 151-166.
  18. Zitiert nach G. Steinmüller, a.a.O., S. 164, 165.
  19. Ebd., S. 166.
  20. Fashion Foundations, a.a.O., ebd.

© Karin Wendt 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 31/2004
https://www.theomag.de/31/kw36.htm