Das Amtszimmer als Atelier?Versuch zum Amtszimmer als Ort pastoralästhetischer "Bastelei"Marcus A. Friedrich |
||||
"Schau dich bitte nicht um, hier sieht es im Moment wieder schlimm aus!" Solche oder ähnliche Sätze sind immer wieder zu hören, wenn Pastoren und Pastorinnen einander in ihre Amtszimmer bitten. Dass es das Phänomen der unordentlichen Ordnung in pastoralen Diensträumen anscheinend immer schon gab, das bezeugt auch schon Eduard Mörike, der in diesem Jahr runden Geburtstag feiert. Im Gedicht "Alter Turmhahn" lässt er eine Mücke das Ambiente des Amtszimmers durchstreifen. Die Mücke "beschaut sich, was da liegt umher, Konkordanz und Kinderlehr (...)", bevor sie zu den "frommen Schwabenvätern" zwischen Buchdeckeln im Regal auffliegt.[1] Sollte es kein Zufall sein, sondern etwas mit der jeweiligen schöpferischen Arbeit zu tun haben, dass in Amtszimmern immer wieder viel herumliegt und gesammelt wird, so dass sich Amtszimmer oft ganz deutlich von klassischen "Amtstuben" unterscheiden? Auf den folgenden Seiten wird eine Sicht auf die Ordnung der Dinge im Amtszimmer eröffnet, die den besonderen schöpferischen Bewegungen der Amttragenden stärker gerecht werden möchte. Ich werbe für eine aktive Nutzung des Amtszimmers als Atelier/Werkstatt und eine entsprechende Umgestaltung des Raums. Dieses Anliegen soll in drei Schritten entfaltet werden. Zunächst (I.) entwickle ich die Beobachtung, dass Amtszimmer immer weniger als Räume der Seelsorge und der Verwaltung und immer stärker als Räume der schöpferischen Vorbereitung genutzt werden. Für die pastorale Vorbereitung im Amtszimmer wird zum zweiten (II.) ein Denkmodell vorgestellt, die die dort überwiegend ausgeübte Tätigkeit als "Bastelei" charakterisiert. Zuletzt (III.) frage ich nach Konsequenzen für die Gestaltung des Amtszimmers als Atelier, als Werkstatt, als "Bastelstube". Zugrunde liegt bei allem die Wahrnehmung, dass die pastorale Arbeit in erster Linie im Feld ästhetischer Praxis anzusiedeln ist, kaum im Bereich theologischer Theoriebildung, aber eben auch nicht primär im verwaltungstechnischen Handeln, das am stärksten mit dem Begriff des Amtszimmers im allgemeinen Sprachgebrauch assoziiert wird. Ästhetische Praxis beschreibt ein schöpferisches Tun, das sich in der oszillierenden Bewegung von Wahrnehmen, Gestalten und Deuten im Umfeld von Situation, Medien und Ideen fortentwickelt. Das Wirken von Pfarrerinnen und Pfarrern soll in diesem Zusammenhang als pastoralästhetische Praxis bezeichnet werden.[2] Überlegungen zum Amtszimmer als Atelier setzen damit zwei Grundeinsichten voraus: Zum einen, dass innere gedankliche wie äußere gestalterische Prozesse mit räumlichen Konstellationen korrespondieren, d. h., das eine personale Pastoralästhetik transpersonal auch die Ästhetik der Räume beeinflusst und um gekehrt,[3] zum zweiten, dass das praktisch-theologische Arbeiten in der Gemeinde als wahrnehmendes, gestaltendes, und deutendes Handeln anderen Prinzipien gehorcht als die akademische Reflexion theologischer Inhalte. I.Für das Amtszimmer lassen sich grob drei Funktionsbereiche unterscheiden: die schöpferisch vorbereitende, die seelsorgerliche und die Verwaltungsfunktion. Für die Einrichtung eines seelsorgerlich kommunikativen Raums beziehungsweise eines Verwaltungsraums liegen räumliche Inszenierungsideen vor, die man gedanklich sofort abrufen kann. Für die geistlich schöpferischen Funktion ist das schon schwieriger. Auch deswegen scheinen sich die anderen beiden Raum-Bilder in der Regel durchzusetzen. Dabei habe ich den Eindruck, dass seelsorgerliche und Verwaltungsfunktionen - sinnvollerweise - zunehmend ausgelagert werden und an anderen Orten zum tragen kommen. Die seelsorgerliche Funktion der Amtszimmer geht in dem Maße zurück, in dem Pastorinnen und Pastoren der so genannten "Geh-Struktur" ihres evangelischen Auftrags folgen und in die Häuser und zu den Menschen gehen, statt Besuche zu empfangen. Dennoch macht ein Raum Sinn, der für Vier-Augen-Gespräche Vertraulichkeit in einem Maße bietet, wie er sonst in keinem anderen öffentlichen Raum garantiert ist. Aber der Pfarrer, die Pfarrerin brauchen für ihre pastorale Arbeit eben auch einen Raum der schöpferischen Präparation, der sich gerade durch Möglichkeiten des Rückzugs und der Konzentration auszeichnet. Diese gegenläufigen kommunikativen Bedürfnisse führen zum Konflikt, wenn es nicht gelingt, beide Funktionen im Amtszimmer zu kombinieren oder sie klar räumlich zu trennen - und dies ist nicht selten der Fall. Da liegen dann zum Beispiel die Sitzgelegenheiten immer voller Dinge! Sobald ein Gast kommt, muss der Gastgeber erst einmal einen Platz schaffen, einen Platz, der nicht wirklich einer ist. Der Konflikt kann so weit reichen, dass Amtszimmer vollständig verweisen, oder nur unentschieden bewohnt werden. Die Räume entsprechen entweder den Konventionen eines klassischen Büros. Der darin Arbeitende erlebt ihn aber nicht als inspirierenden Raum, der Besucher als kühles Ambiente, im schlimmsten Fall mit jedem Beratungsraum einer Bankfiliale, im besten Fall mit einem Therapie-Raum verwechselbar. Wenn sie können, richten sich Pastorinnen und Pastoren dann oft noch einen zweiten Raum ein, den sie zum "Studierzimmer" oder "Kabuff" nennen, ein Raum ohne Telefon und mit Gebetsbank. Oder das Amtszimmer ist so unkonventionell und gemäß des darin vorherrschenden Arbeitsprinzips für Außenstehende so unklar und unordentlich, dass die Amtsinhabenden es schließlich allen untersagen, es zu betreten. Immerhin bewohnen sie diesen Raum als schöpferischen Raum. Und die geordnete Unordnung, die das Interieur prägt, steht oft im Zusammenhang mit dem Zugang der Amtsinhaber zum creator spiritus in ihnen.[4] Ähnliche Konflikte können zwischen Verwaltungsfunktion und schöpferischer Funktion entstehen: Amtsinhaber sind im Hinblick auf ihr Amtszimmer als schöpferischem Raum freier, wenn sie Bereiche des Verwaltungshandelns in Räume eines Kirchenbüros aussiedeln können. Auch dieses entledigt sie und alle die dort verweilen, einer bestimmten Atmosphäre der Bürokratie. Aber bei weitem nicht jeder genießt das Privileg eines intakten Gemeindesekretariates. Das kann die negative Folge haben, dass zwei höchst unterschiedliche Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien in ein und demselben Raum kultiviert werden müssen. Die Ablage von Verwaltungsvorgängen hat nichts mit "Bastelei" zu tun. Deswegen ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, die immer wieder das persönliche "Umschalten" erfordert. Das Amtszimmer ist heute mindestens in der Hälfte der Zeit seiner Bewohung jener schöpferische Raum, in dem die praktisch theologischen Impulse für die Arbeit entwickelt werden, sei es in Bezug auf Gottesdienst und Liturgie, auf Konfirmandenunterricht oder auf Erwachsenenarbeit in der Gemeinde. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die Ansprüche und Möglichkeiten im Hinblick auf Qualität und Gestaltung der Gemeindearbeit gestiegen sind und sich positiv erweitert haben. Umso mehr sind für Pastorinnen und Pastoren Werkstätten nötig, in denen zum einen das notwendige Werkzeug zum anderen die Konzentration eines Labors zur Vorbereitung zur Verfügung stehen. Wo also die Möglichkeiten dazu bestehen, sollte man stärker auf die Frage fokussieren, wie ein Amtszimmer aussehen könnte, in dem sich der Pfarrer vorbereitet. Bevor zum Amtszimmer als Atelier ein paar konkrete Gedanken entwickelt werden können, ein Blick auf sein pastoralästhetisches Handeln als "Bastelei". II.Wenn nun das Amtszimmer in erster Linie dem Bedürfnis pastoralästhetischer Praxis und Präparation genügen müsste, wie sollte dieser Raum gestaltet sein? Um dies genauer sagen zu können, schlage ich vor, die Theorie der "Bricolage", übersetzt "Bastelei" des Ethnologen Claude Levi-Strauss auf die pastoralästhetische Praxis zu übertragen. Vom vertieften Blick auf die pastoralästhetische Praxis als Bastelei her lässt sich dann die Funktion des Amtszimmers als Atelier/ Werkstatt noch einmal untermauern. Der Begriff "Bastelei" ist im deutschen Sprachgebrauch schnell in zwei Richtungen negativ aufgeladen: Bastelei ist Handwerk auf niedrigem technischen Niveau, das auf die geringen Fertigkeiten des Handelnden verweist. Oft wird vom Ergebnis keine hohe ästhetische Qualität erwartet: Basteleien sind bestenfalls dekorativ oder gegenüber einem Thema illustrativ, schaffen aber keine neue inhaltliche und gestalterische geschweige denn spirituelle Qualität, so das Urteil. Diese Sicht trifft leider immer wieder auch auf Basteleien im Kontext gemeindlicher Arbeit mit Kindern und Erwachsenen zu, zum Leidwesen der von geistlichen Ansprüchen durchdrungenen Theologen. Die einen innerhalb der Berufsgruppe kranken an "zwei linken Händen" angesichts der Bastel-Leidenschaft in den Gemeinden und lassen gewähren. Die anderen machen für sich aus der Not eine Tugend und steigen voll ins Basteln ein. Die Not der Theologen, selbst in eine Praxis der Bastelei geworfen zu sein, geht aber noch tiefer. Denn sie betrifft eben auch den Umgang mit den religiösen Textquellen, mit theologischer Fachliteratur, und mit dem breiten Markt der Traktatliteratur dazwischen. Dies hat zum einen Gründe, die in der Arbeitsstruktur der Amtsträger liegen: Die vielen verschiedenen Zusammenhänge, in denen sie inhaltliche Impulse senden müssen, nehmen vielfach die Möglichkeit, Impulse und Methoden so zu konstruieren und zu perfektionieren, dass sie ihren inneren Ansprüchen genügen. Und die Notwendigkeit, ihre theologischen Lehrgebäude auf die Situation hin zu elementarisieren, setzt eben ein ganz anderes praktisch theologisches Arbeiten voraus, als der komplexe universitäre Diskurs in der Regel vermittelt. Insofern ist es richtig, dass Pastoren und Pastorinnen in akademischer Hinsicht oft unterfordert sind. Im Hinblick auf die Entfaltung ihrer schöpferischen Gaben aber sind sie vielfach überfordert und müssen erst in die pastoralästhetische Praxis als Bastelei innerlich einwilligen. Zu Überforderung und Frustration trägt oft auch der hohe Zeitdruck, der mangelnde schöpferische Freiraum bei. Er hat zur Folge, dass das Basteln ein so oberflächliches "Zusammenstoppeln" wird, dass die Schaffenden selbst kein Gefallen daran finden können. Was bis hier lediglich am Begriff Bastelei für die Pastoralästhetik angedacht wurde, bestätigt sich im Detail, wenn man betrachtet, wodurch sich die ästhetische Praxis der Bastelei nach Levi-Strauss konkret auszeichnet: "Der Bastler ist in der Lage, eine große Anzahl verschiedenartigster Arbeiten auszuführen: Doch im Unterschied zum Ingenieur macht er seine Arbeiten nicht davon abhängig, ob ihm die Rohstoffe oder Werkzeuge erreichbar sind, die je nach Projekt geplant sind und beschafft werden müssten: die Welt seiner Mittel ist begrenzt, und die Regeln seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was zur Hand ist, auszukommen, d. h. mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die überdies noch heterogen sind, weil ihre Zusammensetzung in keinem Zusammenhang zu dem augenblicklichen Projekt, sondern das zufällige Ergebnis aller sich bietenden Gelegenheiten ist, den Vorrat zu erneuern oder zu bereichern oder ihn mit den Überbleibseln, von früheren Konstruktionen oder Destruktionen zu versorgen."[5] Es ist überraschend, wie viel von dem Gesagten - zufällig oder zwangsläufig - auf die Arbeit des Pfarrers und der Pfarrerin zutrifft. Pastorale Praxis ist bestimmt von einer großen Anzahl verschiedenartigster Tätigkeiten. Sie erfordert "Allrounder". Der Pastor und die Pastorin sind ständig in der Situation, mit den begrenzten Mitteln und Werkzeugen ihrer eigenen Sammlung auszukommen. Für den Einkauf oder die Sammlung von Rohstoffen und Materialien besteht in der Regel wenig Zeit. Von der Menge der Mittel und Werkzeuge ist die Qualität der Arbeit aber nicht abhängig, sondern in erster Linie von der Fähigkeit, die disparaten Medien schöpferisch zu komponieren. "Jedes Element stellt eine Gesamtheit von konkreten und zugleich möglichen Beziehungen dar; sie sind Werkzeuge, aber verwendbar für beliebige Arbeiten innerhalb eines Typus."[6] Zu diesen Elementen zählen konventionell relativ klar konnotierte Zeichen, die aus dem unmittelbaren christlichen Kosmos stammen, wie das Kreuz, die Taube oder etwa das Abendmahlsgerät. Solche Elemente werden auch in der Amtszimmerbeschreibung in Eduard Mörikes "Altem Hahn" beschrieben. Dazu zählen aber auch offenere Materialen, wie Steine, Federn, Pflanzen, Stoffe, Figuren und allerlei Werkstoffe, die der Pastor in seine religionspädagogische Arbeit, einen gemeinsamen Prozess der Bastelei einbringen kann. Die Materialien sind begrenzt, und zugleich in stetiger Entwicklung. Im Laufe der Jahre läuft der Amtsträger mit dem Verwertungsblick gegenüber den Dingen durch die Welt, die wie bei Levi-Strauss beschrieben, oft nicht im Zusammenhang mit seiner aktuellen Suchbewegung stehen, sondern den Vorrat seiner Werkstatt anreichern, weil sie in seiner Phantasie sinnig und als vielleicht irgendwann einmal nützlich erachtet werden. Weil der Pfarrer seine Umwelt auch symbolisch liest, können sie bereits einen geistlichen Impuls auslösen. Die szenische Grundidee Eduard Mörikes zum Gedicht der "Alten Turmhahn" ist eine Reminiszenz an eben jenen pastoralen Verwertungsblick: Ein Pastor sammelt den abgewrackten Turmhahn der Kirche beim Schmied wieder ein, nachdem er ihn im Vorübergehen entdeckt hat, und postiert ihn auf seinem Ofen im Amtszimmer. Auch der pastoralästhetische Umgang mit Texten bezeugt, dass die Bibliothek des Amtszimmers als ein Materiallager von Mitteln und Werkzeugen betrachtet werden kann. Im schöpferischen Prozess schlägt der Pfarrer selten systematisch nach. Öfter blättert er, benutzt Texte als "Steinbrüche", übernimmt Passagen, schreibt sie um und arrangiert sie neu. Die Suche folgt höchst individuellen schöpferischen Wegen. Entsprechend ordnen sich die Materiallager der Bücher selten enzyklopädisch, eher nach Themen und Vorzügen des Schaffenden. Bestimmte Texte "liegen oben auf", andere treten in den räumlichen und gedanklichen Hintergrund, bevor sie eines Tages wieder als Versatzstück im Zusammenhang der aktuellen Situation neu entdeckt werden. Mythisches Denken: theologische Ästhetik als Bastelei
|
|
https://www.theomag.de/31/maf3.htm |