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Magazin für Theologie und Ästhetik


Das 'Wort zum Sonntag'

Wie Wein in der PET-Flasche?

Birte Platow

Samstagabend, so gegen 22.30 Uhr bei der ARD. Eben noch sahen wir den Wetterbericht der Spätausgabe der Tagesschau und wurden so bereits durch die Konfrontation mit dem Unabänderlichen auf die Inhalte der nachfolgenden Sendung vorbereitet. Die Rede ist vom "Wort zum Sonntag". Diese von der evangelischen Kirche getragene Sendung ist eine der ältesten Sendungen, fast so alt wie die Tagesschau selbst. Bereits am 8. Mai 1954 wurde sie zum ersten Mal ausgestrahlt.

Angesichts dieses beachtlichen Alters und des diesjährigen 50. Jubiläums scheint es respektlos, zu erwähnen, dass das "Wort zum Sonntag" vermutlich einem großen Teil des Fernsehpublikums nur zu einem "speziellen Gang" dient, der mit dem Auslösen eines wasserspendenden Hebels endet, wie ein Blick auf den sprunghaft ansteigenden Wasserverbrauch nahe legt, den die Wasserwerke während dieser Minuten verzeichnen. Sehr viel deutlicher äußerte sich Ursula Weiner in der Zeitschrift "Hör zu", indem sie dem "Wort am Sonntag" einen Artikel mit der Überschrift "Die überflüssigste Sendung im Fernsehen. Schade..."[1] widmet. Selbst wenn man diese Kritik nur als eine Provokation des Springerkonzerns wertet, sollte man die Vorwürfe von Frau Weiner einer näheren Betrachtung unterziehen und die Kritik überdenken. So schreibt sie:

"Die Theologen auf dem Bildschirm, denen man den guten Willen sicher nicht absprechen kann, reden an den meisten Menschen vorbei. Sie erreichen weder den Kopf noch das Herz. Sie trösten nicht, machen nicht nachdenklich, rütteln nicht auf aus der Alltagslethargie. (...) Dabei könnten die Kirchen den Menschen zwischen Lottofee, Horrornachrichten und Spielfilm ein wenig von dem spüren lassen, was ein Menschenleben ausmachen sollte. (...) Aber statt einer Spur Weisheit, Lebensphilosophie und Hoffnung nur Worthülsen vom Bildschirm. (...) Helft uns doch, wieder zu glauben! - möchte man dem netten Theologen auf dem Bildschirm zurufen, die genauso krampfhaft wie vergeblich versuchen, die Jahrtausende miteinander zu verknüpfen. (...) Fünf Minuten Sendezeit sind gewiss nicht viel, aber doch genug, um innehalten und aufhorchen zu lassen. Stattdessen Wortmüll. Verschenkte Sendezeit. Schade."[2]

Es sind harte Vorwürfe, die Ursula Weiner hier formuliert, aber auch Bedauern über enttäuschte Erwartungen und vergebene Chancen, was schließlich doch noch auf einen möglichen positiven Sinn der Sendung schließen lässt.

Etwas optimistischer äußert sich Stephan Abarbanell in seiner Funktion als Referatsleiter für Hörfunk und Fernsehen im "Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik", wenn er der Sendereihe bescheinigt:

"Hier, im "Wort zum Sonntag", zeigt sch die verkündigende, authentisch zu Wort kommende Kirche, die evangelisch und bescheiden ihr gut platziertes Fensterprogramm am Samstag-abend gestaltet. Sie kommt zu Wort, aber nicht so recht ins Bild. Sie will Dialog und scheitert am Glas der Mattscheibe. Sie möchte zuhause bei Lehmanns auf dem Sofa Platz nehmen und mit diesen intim und zugewandt über die Sache des Glaubens reden. Doch bei Lehmanns gibt es Bier und Salzstangen - und Fernbedienung."[3]

Herr Abarbanell attestiert dem "Wort zum Sonntag" zwar gute Inhalte und Absichten, muss aber dennoch zugeben, dass die Sendung nicht ankommt, und zwar im doppelten Sinne - die Aussagen erreichen ihr Ziel nicht und die Sendung ist nicht populär.

Aus den zitierten Passagen lässt sich einiges über das "Wort zum Sonntag" ablesen. So erhält man Hinweise auf die Intentionen der Kirche, das Zielpublikum, die Erwartungen der Zuschauer, die Art der Präsentation und Inhalte sowie die tatsächliche Wirkung.

Die evangelische Kirche beabsichtigt mit ihrem Fernsehbeitrag, einem größerem Publikum Lebenshilfe zu bieten und auf diese Weise zugleich ihre publizistische Reichweite auf das populärste Medium unserer Zeit auszuweiten. Dabei werden zumeist Gegenwartsprobleme aus christlicher Sicht zu diskutiert. Das "Wort zum Sonntag" ist nicht nur an treue Kirchgänger gerichtet, von denen es immer weniger gibt, sondern es soll die christliche Botschaft gerade an Menschen weitergeben, die den Gottesdienst nur selten oder gar nicht besuchen. Diese Tatsache hat natürlich Auswirkungen auf die Inhalte der Sendung. So sind es meist Probleme der Gegenwart und Erlebnisse des "Durchschnittsbürgers", die zum Gegenstand dieser kurzen religiösen Besinnung werden. Dahinter steht wohl das Bemühen, unbedingt den Menschen von heute anzusprechen. Nur selten werden überirdische Wesen oder dogmatische Lehren thematisiert. Der Grund dafür mögen die Bedenken sein, vom Rezipienten von vornherein einen realitätsfern "religiös-frommen Stempel" aufgedrückt zu bekommen und ihn so endgültig von der Kirche und dem christlichen Glauben wegzutreiben. Diese Befürchtung ist nachvollziehbar. Die Kehrseite der derzeitig gewählten Strategie ist allerdings, dass die Ausrichtung auf jedermann bewirkt, dass die Ansprache an Kontur verliert. Der Zuschauer erhofft sich nämlich gerade einen Kontrast zum Alltag, er will "aus der Alltagslethargie aufgerüttelt werden" (Weiner) und er wünscht sich eine Orientierungshilfe in Form einer Ansprache, die über die Ebene des Alltäglichen hinausgeht, und zwar sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Nachweislich vorhandene religiöse Bedürfnisse werden durch das "Wort zum Sonntag" in seiner derzeitigen Form nicht befriedigt! Was Abarbanell als "evangelisch und bescheiden" lobt, empfindet das Publikum als "leere Worthülsen", die weder "Kopf noch Herz" (Weiner) erreichen. Statt dessen fordert es: "Helft uns doch wieder zu glauben!" (Weiner)

In diesem Beitrag kann nicht jeder Aspekt, der für das Scheitern des "Wortes zum Sonntag" verantwortlich ist, analysiert werden. Vornehmlich soll es um die sprachliche Form gehen, die gegenwärtig bewirkt, dass die Fernsehansprache die Bedürfnisse des Zuschauers nicht befriedigen kann. Da die Ansprache als Sprachgebilde semiotisch strukturiert ist, kann sie auf ihre Syntax, Semantik und Pragmatik hin untersucht werden. Hier soll die Semantik im Zentrum der Betrachtung stehen, also die Beziehung zwischen sprachlichem Zeichen und Bedeutung. Für die sprachliche Analyse soll dabei eine relativ neue Forschungsrichtung der Linguistik genutzt werden, die so genannte Korpuslinguistik.

Man kann einen sprachlichen Korpus vereinfachend als einsprachiges Wörterbuch bezeichnen, das typischerweise über bekannte Wörter Informationen hinsichtlich der Flexion, der Etymologie, der Unterscheidung mehrerer Bedeutungen, einiger Gebrauchsbeispiele, speziell in Redewendungen etc., gibt und zudem hilft, unbekannte Wörter zu erschließen. Auf Grund des begrenzten Umfangs einer Druckausgabe umfasst ein Wörterbuch in der Regel nur zwischen einigen 10.000 und 100.000 Stichwörtern. Elektronische Medien, wie die CD-ROM und das Internet, schaffen hier neue Aufbereitungs- und Nutzungsformen. Sie senken nicht nur Kosten, sondern ermöglichen auch das Erfassen sehr großer Datenbestände; so umfasst der von mir verwendete Korpus derzeit mehr als 6 Millionen Wörter, und es werden täglich mehr. Durch automatische Erschließungsverfahren (Recherchefunktionen, Indices etc.) und Hypertext-verknüpfungen kann man in empirischer Form Informationen einzelner Wörter abfragen. Man kann sich z. B. über ihre Umgebung informieren; ähnlich verfährt man bei der exegetischen Arbeit mit der Konkordanz. Für dieses Projekt nutze ich den Korpus der Universität Leipzig (http://www.wortschatz.uni-leipzig.de). Dieser Korpus setzt sich aus Texten großer deutscher Tageszeitungen zusammen, die in elektronischer Form in den Korpus eingehen. Dieser Korpus schien mir deshalb geeignet, weil er umfangreich und benutzerfreundlich ist und auf Grund der Textherkunft die Alltagssprache verschiedener sozialer Schichten in angemessener Weise darstellt. Auch wenn das "Wort zum Sonntag" gesprochen wird, kann es m. E. mit Geschriebenem verglichen werden, da dieser Ansprache schriftliche Texte zu Grunde liegen. Im Zuge meiner Analyse habe ich zentrale Begriffe aus einem willkürlich gewählten Predigttext des "Wortes zum Sonntag" (vom 31. Januar 2004) in den Korpus eingegeben und auf folgende Merkmale hin untersucht:

  1. Vorkommenshäufigkeit
  2. signifikante linke Nachbarn
  3. signifikante rechte Nachbarn
  4. Kollokationen

Die Untersuchungskriterien geben in der Summe empirisch Aufschluss über Häufigkeit, gängige Konnotationen und über die Frage, in welchen Bereichen des Alltags und mit welchen Konnotationen das Wort gebraucht wird oder ob es zur Beschreibung von Phänomenen genutzt wird, die außerhalb des Alltäglichen liegen. Es ist somit auch möglich, anhand der sprachlichen Form der Ansprache Antworten auf die Ausgangsfrage zu geben, weshalb das "Wort zum Sonntag" nicht ankommt und an bestehenden religiösen Bedürfnissen vorbeigeht. Die zu untersuchende Hypothese lautet: Das "Wort zum Sonntag" versucht mit alltäglichen Sprachformen und Worten, den "Durchschnittsbürger" zu erreichen. Dies misslingt, weil diese Form die vorhandenen religiösen Bedürfnisse, die eben gerade nach einem Schnitt mit dem Alltag verlangen, nicht anspricht. Die Ansprache scheitert außerdem an ihrem Ziel, sich dem Alltag anzupassen, weil ihre Sprache nicht authentisch ist. Damit ist gemeint, dass mit Alltagsjargon gleichermaßen das Alltägliche und das Außergewöhnliche bezeichnet werden, was auf den Zuschauer irritierend wirkt.

Am 31. Januar 2004 thematisierte Stefan Jürgens unter dem Titel "Immer erreichbar" das Streben des Menschen, göttliche Attribute zu erlangen, wie beispielsweise allmächtig, ewig und sinnstiftend zu sein. Jürgens meint, dieses Verlangen in gesellschaftlichen Phänomenen wie der ständigen Erreichbarkeit mit Hilfe des Handys, dem Jugend- und Schönheitswahn und sprachlichen Neuschöpfungen, wie etwa der neudeutschen Wendung "Das macht Sinn" zu erkennen. Die Kernaussage seiner Gedankenausführungen ist die Feststellung, dass dieses menschliche Streben vergebens und unnötig ist, da der Mensch nie sein wird wie Gott und es auch nicht sein muss, da er als von Gott angenommenes Wesen nicht immer wieder von Neuem seinen Wert beweisen muss, sondern ihn von vornherein durch seine Beziehung zu Gott in sich trägt.

Analysieren wir nun, wie gut sich Stefan Jürgens Wortwahl für sein Anliegen eignet. Gleich zu Beginn seiner Ansprache kommt Jürgens auf das Handy zu sprechen, indem er auf eine uns allen vertraute Situation verweist: ein Handy klingelt in einer unpassenden Situation und wirkt daher störend. Auch wenn jeder dieses Phänomen kennt, ist es ungeeignet, um das Publikum "zu packen" und später die intendierte Wirkung zu erzielen, wie die Sprachanalyse zeigt:

Deutscher WortschatzDas Wort "Handy" erzielt in der Analyse 10.337 Treffer. Die gängigsten Kollokationen sind "klingelt" (873), "SMS" (549), "Internet" (431), "Ohr" (393) und "Laptop" (330). Als signifikante linke Nachbarn identifizierte der Korpus: "per" (1957), "via" (286) und "übers" (105), als rechte Nachbarn: "klingelt" (370), "telefonieren" (152) und "ausgeschaltet" (142). Sowohl die hohe Trefferquote als auch die Nachbarn und Kollokationen verweisen auf die Tatsache, dass das Handy fester Bestandteil unseres Alltags ist. Es ist als Gegenstand so selbstverständlich wie ein Auto, ein Baum o.ä., für viele ist es im Beruf (telefonieren, Laptop, per) unverzichtbar. Auf Grund seines alltäglichen und technischen Charakters (Internet, Laptop, SMS) bewirkt es ganz sicher keine spirituellen Gefühle, und der Brückenschlag zum Religiösen kann eigentliche nur durch Kontrastierung erfolgen, was dann auch geschieht, indem Jürgens, wenn auch scherzend, den "moralischen Zeigefinger" erhebt und das angebliche Verlangen nach ständiger Erreichbarkeit rügt. M.E. wirkt diese indirekte Rüge negativ und unangebracht. Denn selbst wenn der Zuhörer die störenden Nebenwirkungen des Handys kennt, überwiegen im Bewusstsein das Wissen um den Nutzen und die häufige Notwendigkeit des Geräts.

Jürgens Rüge ist insofern auch unangebracht, da sie zu Unrecht erteilt wird, wie der Alltagsgebrauch des Ausdrucks "ständig erreichbar" (5382 Treffer) nahe legt. Als dominante Kollokationen ermittelte der Korpus nämlich "Notdienst" (332), "Ärztlicher" (274) und "Sammelrufnummer" (189). Die Begriffe bezeichnen Institutionen, von denen sich wohl jeder wünscht, dass sie ständig erreichbar sind, ohne ihnen vorzuwerfen, sie wollten sich Gottes Attribute aneignen.

Ähnliches wie die Analyse des Wortes Handy ergab die Untersuchung der "Hotline" (1527 Treffer). Die häufigsten Kollokationen sind "eingerichtet" (347), "geschaltet" (264), "Nummer" (92), und "kostenlos" (107). Als signifikante linke Nachbarn können gelten: "telefonisch" (71), "gebührenfrei" (47), "kostenlos" (68); rechts schließen sich oft folgende Wörter an: "eingerichtet" (130) und "geschaltet" (96). Hatte man nun also nach dem 'Handy’ gehofft, vom Selbstverständlichen auf die Ebene des Besonderen, des ersehnten "Höheren", zu gelangen, zerstört die "Hotline" diese Hoffnung und enttäuscht so den Rezipienten erneut. Hinzu kommt, dass das Publikum aus dem Alltag "wachgerüttelt" (vgl. Weiner) werden will und diesen nicht moralisierend vorgehalten bekommen will.

Betrachtet man das sonstige Fernsehprogramm, so wird deutlich, dass das Interesse am Übernatürlichen enorm ist, denn Sendungen wie "Charmed - zauberhafte Schwestern", "Buffy im Bann der Dämonen", "Blade" u. v. a., die sich mit übersinnlichen Wesen beschäftigen, erzielen hohe Einschaltquoten. Warum also beharrt das "Wort zum Sonntag" darauf, sich auf zum Teil banalsten Ebenen des Alltags zu bewegen und diese dann noch halbherzig moralisierend zu hinterfragen?

Endlich jedoch, in der zweiten Hälfte seiner Predigt, kommt Jürgens auf Gott zu sprechen. Er bezeichnet ihn als "zeitlos, allmächtig, immer erreichbar". Das einzige dieser Adjektive, das in unserem Sprachgebrauch wirklich mit Gott in Zusammenhang gebracht wird, ist "allmächtig". "Allmächtig" erzielt 295 Treffer, davon ist 99 Mal die Kollokation "Gott" vertreten. Andere signifikante Kollokationen sind "allwissend" (61) und "allgegenwärtig" (35). Begriffe aus dem Alltag sind im Zusammenhang mit "allmächtig" nie genannt worden. "Immer (bzw. "ständig") erreichbar" wurde bereits analysiert. Die Untersuchung von "zeitlos"(878 Treffer) ergab folgendes: Als Kollokationen finden wir: "schön" (98), "gültig" (76), "wirken" (71), generell überwiegen Begriffe aus dem Gebiet der Mode wie "elegant (31), modern (27), aktuell (24)". Signifikante linke Nachbarn sind "ortlos" (11) und "klassisch" (9), rechts stößt man oft auf "schön" (60) und "elegant" (25). Nach religiösen Konnotationen sucht man im Zusammenhang des Adjektivs "zeitlos" vergebens.

Ich unterstelle nicht, dass die ermittelten Ergebnisse darauf schließen lassen, dass das angesprochene Publikum wegen des alltäglichen Gebrauchs eines Adjektivs nicht in der Lage sei, jenes Wort auch im Kontext des Religiösen zu verstehen. Allerdings wissen wir durch die Forschungen des Sprachwissenschaftlers Fréderic de Saussure, dass eine bedeutende Beziehung zwischen sprachlicher Form und Gehalt besteht. Außerdem weist die Soziolinguistik auf unbewusste, aber wirksame Verarbeitungsmechanismen hin, die aktiviert werden, wenn ein Wort in einem zunächst neuen Kontext gebraucht wird. Man könnte also vermuten, dass es auf Grund sprachlicher Fehlgriffe selbst bei der direkten Rede von Gott nicht gelingt, überaus irdische Konnotationen und Gefühle hinter sich zu lassen. Genau danach scheinen sich die Zuschauer aber zu sehnen.

Noch deutlicher werden die Folgen einer falschen Wortwahl anhand des Adjektivs "liebenswert", das Jürgens verwendet, um den Wert eines Lebens zu beschreiben, das nicht dem Ideal unserer Gesellschaft entspricht. Die Korpus gestützte Analyse zeigt jedoch, dass das Wort trotz seiner scheinbar positiven Aussage negativ besetzt ist. So sind die Kollokationen: "altmodisch" (38), "Schwächen" (18), "tollpatschig" (17). Als linke Nachbarn finden wir "durchaus" (7), eher (4) und "irgendwie" (3). Alle drei zeichnen sich durch ihre konzessive, einschränkende Bedeutung aus. Rechts steht häufig "tollpatschig" (14), "altmodisch" und "chaotisch" (8). Die ursprüngliche Intention, ein vom Ideal abweichendes Leben in der Annerkennung der Menschen mit dem Idealbild gleich zu stellen, wurde verfehlt. Dies geschah nicht bewusst und offensichtlich, sondern unbewusst und unbemerkt, was die Wirkung unter Umständen noch potenziert.

Ein weiteres Mal wird Jürgens moralisierend, wenn er uns vorwirft, wir würden uns anmaßen, den Sinn des Lebens selbst zu stiften. Er leitet dies aus dem inzwischen weit verbreiteten Idiom "das macht Sinn" ab. Er übersieht dabei, dass es sich hierbei schlicht um die Angleichung an das englische "that makes sense" handelt. Außerdem wird "Sinn" (38476 Treffer) im Alltag zur Beschreibung verschiedenster Phänomene genutzt, und interessanterweise ist gerade die Verneinung eine der dominantesten Kollokationen: "keinen" (7002), "macht" (7520), "Zweck" (1337). Die linken Nachbarn von "Sinn" zeigen, dass wir zwischen unterschiedlichen Sinnarten qualitativ unterscheiden: "keinen" (6267), "wenig" (585), "tieferen" (564), "wahrsten" (483). Jürgens Vorwurf ist also nur insofern gerechtfertigt, als wir vom Sinn unseres Daseins sprechen.

Schließen wir nun die Analyse ab. Durch die aufgeführten Beispiele sind die Möglichkeiten der Korpuslinguistik für die Untersuchung von Texten und deren Wirkung in Ansätzen deutlich geworden. Außerdem haben wir Hinweise auf sprachliche Ursachen für das Scheitern des "Wortes zum Sonntag" ermittelt. Welche Schlüsse lassen sich nun daraus ziehen?

Wie gesehen, soll das "Wort zum Sonntag" seine Zuschauer anregen, sich mit ihrem Glauben auseinander zu setzen und ihn für die Bewältigung verschiedener Phänomene und Probleme unserer Zeit mit einzubeziehen. Die Sendung kann dafür zwischen zwei unterschiedlichen Formen wählen. Zum einen kann sie sich auf die Ebene des Alltags begeben, also dorthin, wo der Glaube u.a. wirken soll und wo sich die Rezipienten befinden. Zum anderen kann die Ansprache die Sache des Glaubens, seine Inhalte und seinen Grund thematisieren. Dies würde bedeuten, dass das, wonach sich der Zuschauer sehnt und wohin er möchte, aber wo er noch nicht ist, im Zentrum des Fernsehbeitrags stehen würde. Beide Formen müssen in sprachlich angebrachter Form mit passenden Worten verwirklicht werden.

Zur Zeit hält man sich überwiegend an die Alltagsform, das erste der beiden vorgestellten Konzepte. Dabei werden auch Elemente der zweiten Form integriert. Es spricht vieles dafür. Die Sendung ist so nicht nur auf Menschen ausgerichtet, die bereits religiös gebildet sind und ihren Glauben kennen. Gerade die Menschen, die der Kirche fern und deren Glaube ein diffuses Bedürfnis darstellt, können vor einem Hintergrund erreicht werden, der ihnen vertraut ist und der sie anspricht. Außerdem kann die Ansprache im Umfeld des Alltags eher zum Diskurs mit dem Zuschauer werden und muss nicht zwangsläufig auf der Ebene des Monologs bleiben. Allerdings werden gerade diese Chancen durch das derzeitige Konzept des "Wortes zum Sonntag" vergeben. Die Ursachen liegen in der Vermischung der beiden Konzepte und der sprachlichen Verwirklichung. Um den Rezipienten wirklich zu erreichen, müsste man der Ansprache mehr Kontur verleihen und sie weniger allgemein gestalten, selbst wenn man so Gefahr liefe, bei einem Teil des Publikums nicht anzukommen. Außerdem muss darauf verzichtet werden, zu moralisieren und zu ermahnen. Gemeint ist kein genereller Verzicht aus Gründen der Unpopularität, sondern die Kritik betrifft vor allem die Form. Die Ansprache bewegt sich größtenteils auf der Ebene des Alltäglichen, und auch sprachlich werden beim Zuhörer Konnotationen auf dieser Ebene provoziert (vgl. "Handy"). Dann erfolgt ein kurzer "Rückzug" auf die Ebene des Außeralltäglichen und Übermenschlichen, aber auch dies geschieht in einer sprachlichen Form, die den Alltag betrifft ("Gott ist immer erreichbar" "zeitlos"). Vor dem Hintergrund des Überirdischen werden schließlich Erscheinungen des Alltags getadelt, was Widerstand provoziert. Der Grund dafür ist, dass der Zuhörer sich gefühlsmäßig auf einen Diskurs auf einem ihm vertrauten Gebiet (Alltag) eingestellt hat. Sprachlich wird ihm nie eindeutig signalisiert, dass diese Ebene verlassen wird. Folglich wird der Tadel als anmaßend und störend empfunden; der Dialog wird unmöglich, Erwartungen werden enttäuscht. Entweder beschränkt man sich also darauf, von Mensch zu Mensch über die Sache des Glaubens und die Welt aus unserer Perspektive zu sprechen, ohne zu moralisieren und zu belehren oder man spricht über Gott und verlässt die Ebene des Alltäglichen und Diskursiven.

Damit sind wir bei der zweiten möglichen Form der Ansprache. Es bedarf einigen Mutes, um diese Form für das "Wort zum Sonntag" zu wählen. Zum einen steht die Sendung im Kontext anderer Sendungen, die vorrangig der Unterhaltung und dem Vergnügen dienen. Auch vom Zielpublikum kann man vermuten, dass es sich nur bedingt mit der Frage nach Gott auseinandersetzt und schon gar nicht, wenn es Samstagabend vor dem Fernseher sitzt. Und dennoch, religiöse Bedürfnisse sind nachweislich vorhanden, das Interesse am Übersinnlichen ist groß und authentisch. Warum also soll man es nicht wagen, von Gott zu sprechen? Und zwar nicht von einem Gott, der "ständig erreichbar" ist, wie wir mit dem Handy, oder der "zeitlos" ist wie unser Nadelstreifenanzug. Die meisten Menschen sehnen sich nach einem Gott, der allmächtig, allwissend, gütig, weise, unsterblich ist, der Wunder geschehen lässt - kurz, der anders ist als wir. Ein solcher Gott kann uns helfen, zu glauben und er kann uns den Weg weisen. Von ihm lassen wir uns lenken. Das Bild eines solchen Gottes kann nur entstehen, wenn es auch sprachlich richtig gestaltet wird. Das heißt nicht, dass das "Wort zum Sonntag" auf den Gebrauch sakraler Sprache zurückgreifen muss, sondern dass man darauf verzichtet, Gott mit Kategorien des Alltäglichen erfassen zu wollen. Die Menschen wollen in ihren religiösen Bedürfnissen über den Alltag hinaus. Dies bedeutet auch nicht, dass die Ebenen des Irdischen und des Göttlichen strikt voneinander getrennt sein müssen, eine zweite "Zwei- Reiche- Lehre" ist nicht das Ziel. Oder dass zur Befriedigung der Bedürfnisse ein "Sciencefiction-Gott" entstehen muss, der durch Übersinnliches 'Thrill’ bietet. Es geht vielmehr darum, Gott als Wesen zu zeigen, das über dem Alltag und den Menschen steht und sich uns dennoch zuwendet. Wenn das inhaltlich und sprachlich gelingt, kann Zuschauern wie Frau Weiner vielleicht geholfen werden, wieder zu glauben und Weisheit und Philosophie im Glauben zu entdecken.

In einer Bildrede Jesu lesen wir: "Niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche; sonst wird der Wein die Schläuche zerreißen, und der Wein geht zugrunde samt den Schläuchen. Sondern neuen Wein füllt man in neue Schläuche." (Mk 2, 22) Übertragen auf das "Wort zum Sonntag" heißt das, dass es in der Art von Gott und dem Glauben sprechen soll, dass die Menschen sich angesprochen fühlen und das Gesagte verstehen. Der Alltag darf und muss also inhaltlich und sprachlich einbezogen werden. Gott und die Religion sollten aber nicht völlig auf die Ebene des Alltags gebracht werden. Das wäre, als ob man sozusagen Wein aus der PET-Flasche tränke.

Es gilt also - um bei dem eben benutzten Bild zu bleiben - ein Gefäß zu finden, das die Menschen vor dem Fernseher öffnen können und dessen Inhalt ihnen köstlich schmeckt. So könnte das "Wort zum Sonntag" tatsächlich eine Möglichkeit sein, den Glauben an Menschen vor dem Fernseher weiterzugeben und ihnen Orientierung im Alltag zu bieten.

Anmerkungen
  1. Weiner Ursula. Die überflüssigste Sendung im Fernsehen - Schade.... In: Hörzu Nr. 25 vom 15.6. 1990, S.10
  2. ebd
  3. Abarbanell, Stefan. Verhinderung und Segen. Zum Verhältnis von Kirche und Fernsehen. In: epd Dokumentationen 14/1989 S.53-57 (54)

© Birte Platow 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 32/2004
https://www.theomag.de/32/bp1.htm

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