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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XIII

Flash. Gerold Tagwerker

Karin Wendt

Urbanität

"Urban" meint mehr als die sachliche Beschreibung "städtisch", urban empfinden wir etwas dann, wenn es das städtische Leben charakterisiert. Städte, Plätze, Zeiten oder Menschen können urban sein, in diesem Sinne begreifen wir dann daran das Weltläufige und Offene, Lebendigkeit, Schnelligkeit, Flexibilität und nicht zuletzt Toleranz. Ist jedoch von den "Folgen der Urbanisierung" die Rede, dann greifen komplexe Erfahrung und Simplifizierung ineinander: Weltläufigkeit wird zu Gleichgültigkeit, Offenheit zu Instabilität, Lebendigkeit zu Leichtsinn, Schnelligkeit zu Beschleunigung und Flexibilität zu Instabilität. Die Freiheiten der Moderne und die Ängste werden gegeneinander aufgerechnet. Der in Wien lebende Künstler Gerold Tagwerker (*1965) setzt sich in seiner Arbeit mit den Ambivalenzen des modernen Lebens auseinander, indem er technische und soziale Errungenschaften so neu in Szene setzt, dass sie sich einer pauschalierenden Kulturkritik wie der Emphase eines reflexionslosen Fortschrittdenkens sperren. Mit seiner Kunst lotet er die Möglichkeiten und Grenzen einer strukturellen Differenzierung aus.

Im Rahmen des Ausstellungsprojekts "Heute hier, morgen dort - Eine modellhafte Befragung städtischer Identität in Münster" hat Gerold Tagwerker zwei unterschiedliche Arbeiten konzipiert, die zeit- und raumversetzt präsentiert werden. Der Förderverein Aktuelle Kunst zeigt die Lichtinstallation "10x58W/840.flash-o.p.", während in der Gruppenschau in der Ausstellungshalle drei Fotoarbeiten zu sehen sind. Die zehn Neonröhren des Ausstellungsraumes werden über eine Trafoanlage zufallsgeneriert "choreographiert". Immer neue Gruppen von Röhren flashen an und ab, kurze Taktierungen und lange Sequenzen wechseln, werden geloopt und in Differenz wiederholt. Die Installation von Tagwerker ist so zunächst der Versuch einer konkreten Visualisierung moderner Licht-Technik. Der leere Ausstellungsraum wird durch die Inszenierung in seinen Dimensionen und Gegebenheiten architektonisch und atmosphärisch neu erfahrbar.

Raum als Gegenwart

Der Blitz ist eine plötzliche "natürliche Funkenentladung zwischen verschieden geladenen Wolken oder zwischen einer Wolke und der Erde." Tagwerker nutzt dieses Phänomen einer Unterbrechung, um unsere gewohnheitsmäßige Wahrnehmung von (künstlichem) Licht zu irritieren. Die Flashlights folgen scheinbar einem eigenen Muster, das sich immer wieder neu und anders generiert. Unser Versuch, die Lichtsequenzen sinnvoll zu strukturieren, gelingt nur phasenweise. Mit dem Wechsel von Hell und Dunkel ändern sich die Raumperspektiven, immer wieder muss sich der Betrachter den Raum neu erschließen. Synchron zu dieser äußeren Differenzierung erfahren wir eine innere Rhythmisierung, Lichter hallen in uns nach, überlagert von Nachbildern auf der Netzhaut. Dieser psychedelische Effekt lässt unscharf werden, ob wir uns im Innen- oder im Außenraum befinden und wie lange wir dort schon sind. Die Installation reflektiert so die strukturellen Grenzen unseres raumzeitlichen Wahrnehmungsvermögens. Dagrun Hintze schreibt zur Wirkung von Tagwerkers Lichtarbeiten im Innenraum: "Speziell Leuchtstoffröhren aller Art sind aus modernen Städten nicht mehr wegzudenken, sie sind gleichsam zum Zeichen für städtisches Leben überhaupt geworden. [...] Sobald Tagwerkers Lichtskulpturen in architektonischen Innenräumen installiert werden, scheinen sie jene sofort austreiben zu wollen, indem sie ihnen ihre Gültigkeit absprechen: Noch der stärkste Beweis einer Innenraumstruktur wird in solcher Konfrontation zum irritierenden Verweis auf Struktur und Oberfläche eines Außenraums, der immer urban zu deuten ist."[1] Die Architekturfotos, die Tagwerker zeitversetzt in der Ausstellungshalle am Hafen zeigt, nähern sich der Schwierigkeit einer Differenzierung des Raumes von dokumentarischer Seite. Tagwerker sagt zu diesen Fotos: "Ich arbeite an dieser Serie seit mittlerweile 1995, und es ist ein großes Archiv von Architekturaufnahmen entstanden, die ich bei Stadtwanderungen in verschiedenen Städten gemacht habe. Diese Fotos sind nun als kleine Prints in einer Art Zettelkasten sortiert, den ich mir immer wieder durchsehe und nach Affinitäten zu anderen Arbeiten untersuche, versuche Bezüge zu finden und in Ausstellungen oder Ensembles dann in Beziehung stelle. Diese Architekturen, die keine Starqualitäten besitzen und die man in keinem Architekturführer findet, faszinieren mich in ihrer Kühle und Anonymität, in ihrer Langeweile und Banalität, der unendlichen Aneinanderreihung von ein und demselben Element - natürlich schätze ich an Architektur ganz andere Qualitäten, aber das ist bei diesen Arbeiten nicht der Punkt -, ich will diese Architekturen ja auch nicht heroisieren, sondern verwende sie lediglich als Material, als Strukturen, die ich in Details aus einer realen, banalen und alltäglichen Welt aufnehme."[2] Indem Tagwerker keinen Standpunkt wählt, der den Raum in seinen Grenzen oder Strukturen klar zeigt, sondern einen Blick, der den internen Verschachtelungen und Binnendifferenzierungen eher folgt, erscheint auch dort der Raum als in sich gefaltetes, in Bewegung befindliches Kontinuum.

Flash-Back der Kultur

Tagwerker beleuchtet nicht zuletzt zwei künstlerische Strategien der Moderne neu. Anders als in Arbeiten der Minimal Art erscheinen die Leuchtstoffröhren nicht nur als Ineins von Form und Funktion, das Phänomen mithin als Ding, sondern die künstliche Generierung von Licht selbst wird greifbar als ein Prozess der Brechung. Und anders als die Idee des Ready-Made wird damit nicht der Gegenstand, die Leuchtröhre, künstlerisch thematisch, sondern der Raum selbst wird zur Lichtskulptur. Der Entauratisierung der minimalistischen Idee korrespondiert in gewisser Weise eine Art Reauratisierung des Ready-Made. Zu seinem Umgang mit der Minimal Art sagt Tagwerker selbst: "Ich jongliere in meiner Arbeit mit solchen Ansätzen, das heißt aber auch, ich bin mir derer bewusst. Ich sehe ja auch meine Arbeit viel spielerischer und frei vom ideologischen Ernst eines Manifestkünstlers. Wenn ich nun Minimal Art als eine Tradition betrachte, dann aber auch als keine, gegen die ich mich stelle und gegen die ich arbeite, sondern als eine, mit der ich vielmehr sympathisiere, für die ich aber auch kein Glaubensbekenntnis ablegen könnte."[3] Diese eigenständige Verschränkung kultureller Lösungen zu neuen Fragekomplexen macht die Arbeiten von Gerold Tagwerker cool und ungewöhnlich visionär zugleich.

Die Ausstellung von Gerold Tagwerker im Förderverein Aktuelle Kunst ist noch bis zum 03.12.2004 zu sehen, der zweite Teil in der Gruppenausstellung "Heute hier morgen dort... Eine modellhafte Befragung städtischer Identität in Münster" vom 03.12.2004 bis zum 30.01.2005 in der Ausstellungshalle Zeitgenössische Kunst Münster. Auf der Homepage des Künstlers findet sich umfangreiches Bild- und Textmaterial: www.geroldtagwerker.com

Anmerkungen
  1. Dagrun Hintze, Hamburg, Der dritte Blick: Kontrollverlust als Strategie in der aktuellen Arbeit von Gerold Tagwerker, www.geroldtagwerker.com
  2. Gerold Tagwerker in: Recycling Minimalism? Ein Gespräch mit Romana Schuler, Rainer Fuchs, Friedrich Achleitner, Wolfgang Kos, Gerold Tagwerker, Harald Welzer, www.gerold-tagwerker.com
  3. Gerold Tagwerker, a.a.O.

© Karin Wendt 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 32/2004
https://www.theomag.de/32/kw39.htm