Gegenwartsweisen in Bild und SakramentEine Studie zu Thomas LehnererAndreas Mertin |
Claudia Gärtner, Gegenwartsweisen in Bild und Sakrament. Eine theologische Untersuchung zum Werk von Thomas Lehnerer, Paderborn: Schöningh 2002 Eine theologische Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers, Philosophen und Theologen Thomas Lehnerer (1955-1995) war lange Zeit ein Desiderat. Es ist das Verdienst von Claudia Gärtner sich dieser Herausforderung gestellt zu haben. Dabei ist bei der hoch komplexen Arbeitsweise von Lehnerer, bei dem sich Werk- und Theorieprozess intensiv durchdringen, eine theologische Aneignung gar nicht so einfach. Schließlich hatte Lehnerer selbst Kunst als bestimmte Negation von Religion charakterisiert. Gärtners Arbeit gliedert sich in drei große Kapitel: Nach einer Einleitung rekonstruiert sie im ersten Kapitel die Bildtheorie von Thomas Lehnerer, stellt Leben und Werk vor und untersucht detailliert drei zentrale Arbeiten seines Oeuvres. Die Fleischskulptur "Jesus Christus" aus der Begleitausstellung des Marburger Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart zur documenta IX, die Rauminstallation "Hiob" und den "Figurenkreis" aus dem Weserburgmuseum Bremen. Gärtner kommt zu dem Schluss: "Lehnerers Arbeiten sind motiviert von der Frage, wie religiös besetzte Topoi ihren 'lebendigen' ... Ausdruck im Bild finden können."(58) Im Blick auf die Kunsttheorie Thomas Lehnerers sieht Gärtner einige Probleme in dessen Versuch, eine allgemeine Kunsttheorie entwerfen zu wollen. Statt dessen stellten dessen Überlegungen eher "eine äußerst reflektierte und elaborierte Künstlertheorie dar, die für das Verständnis von seinen (Thomas Lehnerers; A.M.) Kunstwerken eine hohe Relevanz besitzt."(80) Interessant ist die Beobachtung Gärtners, dass es so gut wie keine Zusammenhänge zwischen Schleiermachers Kunsttheorie - über die Lehnerer promoviert hatte - und dem eigenen künstlerischen Schaffen gibt. Tatsächlich ist Schleiermacher ja auch im Sinne der eigenen Äußerungen Lehnerers zum Verhältnis von Kunst und Religion ein Rückschritt hinter die Positionen Kants - zumindest aus ästhetischer und künstlerischer Perspektive. Ausgehend von den Erkenntnissen zur Kunst- und Bildtheorie Lehnerers untersucht Gärtner dann die drei erwähnten Kunstwerke ein zweites Mal und summiert schließlich, "dass es Lehnerer in den drei Skulpturenensembles um die Bildwerdung religiös besetzter Topoi jenseits abbildhafter Bildstrategien geht. In den drei Skulpturenensembles konnten existenzielle (Lebendigkeit, Leid, Erinnerung, Freiheit) und religiöse Topoi (Jesus Christus, Inkarnation, Eucharistie, Hiob, religiöse Kraft, Fetisch, Idol) herausgestellt werden, die Lehnerer als selbstevidente, präsente Darstellungen zu entwerfen sucht. Im zweiten Kapitel setzt sich Claudia Gärtner mit der "Bildtheorie und Sakramententheologie" auseinander. Nach einem theologiegeschichtlichen Abriss vom biblischen Befund über die Kirchenväter, die frühmittelalterlichen Abendmahlsstreitigkeiten bis zu den reformatorischen Auseinandersetzungen setzt sie sich dann mit aktuellen Entwürfen einer allgemeinen Sakramententheologie auseinander. Die Positionen, mit denen sie sich auseinandersetzt, deuten und beschreiben die Sakramente je spezifisch anders: als "Realsymbole", als "intentionales Symbolgeschehen", als "materielle Symbole", als "kommunikative Zeichen", als "liturgisch ästhetische Zeichen" und schließlich als "ästhetische Symbole realer Gegenwart". Mit letzterem verbindet sie auch einen längeren "Exkurs zu "Georg Steiners Essay 'Von realer Gegenwart. Hat unser Sprechen Inhalt?'" Die Fragestellung, unter der dies alles erörtert wird, lautet: "Sakramente weisen sich als ein sinnlich strukturiertes Geschehen aus, das den Anspruch erhebt, Gottes heilbringende Gnade verbürgt zu vergegenwärtigen. Hieraus resultiert die Frage, wie diese im sakramentalen Geschehen darstellbar ist. Wie kann im sinnlich Sichtbaren Gottes Gegenwart ihren Ausdruck finden?" (256) Im letzten - leider etwas kurz geratenen und eher zusammenfassenden - perspektivischen Abschlusskapitel einer "sakramentheologischen Bildtheorie" sucht Gärtner das im zweiten Kapitel Erarbeitete in der Auseinandersetzung mit der Bildtheorie Lehnerers fruchtbar zu machen. Bei Lehnerer, so sucht Gärtner deutlich zu machen, wird dem Bild selbst ein Wirklichkeitsgehalt zugemessen, es ist nicht Abbild von etwas, das Bild strebt mit anderen Worten das Zusammenfallen von Darstellung und Dargestelltem an. "Das bedeutet konkret, dass - diesem Bildverständnis folgend - die sakramentalen Elemente in ihrer Materialität zu einem 'Inhalt' des Sakraments werden und eben nicht Träger von etwas außerhalb ihrer selbst Liegenden sind." (271f.) Auch die weiteren bildnerischen Konzeptionen Lehnerers erweisen sich, folgt man den Argumenten Gärtners, für die Sakramententheologie als äußerst produktiv. Insgesamt liegt damit eine erste umfassende "Beerbung" Thomas Lehnerers für die Theologie vor. Sicher wird auch für andere Bereiche der theologischen Lehre die Arbeit Lehnerers produktiv zu deuten sein - nicht zuletzt im Blick auf das Verhältnis von Kunst und Religion allgemein. Claudia Gärtners Arbeit ist ein vorbildhafter Schritt für ein gelingendes Crossover beider Bereiche. |