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Magazin für Theologie und Ästhetik


Fundstücke I

Vom Büchertisch

Andreas Mertin

Kultur im Ausverkauf

Was der frühere Winter- oder Sommerschlussverkauf für Kleidungsstücke, das sind Läden wie Wohlthats oder Frölich & Kaufmann für Autoren. Sie sind Ausdruck einer Überproduktion, falscher Auflagenkalkulation oder wirklich nur simple Resteverwertung. Und auch hier soll es Buchproduktionen geben, die letztlich nur im Blick auf ihre Verramschung produziert wurden, insofern ihr Ausgabepreis so horrend festgelegt wurde, dass der Rabatt in den entsprechenden Billigverkaufsläden dann um so drastischer und damit verlockender aussieht. Nicht immer muss die Ware, die so angeboten wird, minderwertig sein, manche edle Buchproduktion findet aus kaum erklärlichen Gründen nicht genügend Interessenten und landet dann auf dem Krabbeltisch der Bücher, wo sich die Stöberer und Schnäppchenjäger seiner bemächtigen.

Ich war jüngst in Wohlthats Buch- und Ramschladen um zu stöbern und Schnäppchen zu jagen und tatsächlich gab es auf dem Büchertisch einige Bände der schönen Fundus-Bücher – und das für nur 1,99 Euro im Angebot. Zu diesem Preis kann man in der Regel keine Fehlkäufe tätigen und so trug ich einige Bände der Reihe nach Hause. Und tatsächlich war es ein sehr lohnender und inspirierender Einkauf, denn ich habe so einige sehr lesenswerte Texte und Bücher entdeckt.

Peter Schjedahl

Viele der Urteile, die der Kunstkritiker des New Yorker abgibt, kann ich nicht teilen, vieles finde ich nebulös, gewollt metaphorisch und zum teil vorurteilsbefangen. Aber seine Schreibe ist gut, eindrucksvoll und nachvollziehbar.

Die Kritiken aus den Jahren 1980 bis 1994, die das Bändchen unter dem Titel Poesie der Teilnahme zusammenträgt beschäftigen sich mit so unterschiedlichen Phänomenen wie dem Kunstkritiker Greenberg, den Zeichnungen von Jasper Johns oder Sol LeWitt, aber auch "deutschen" Kunsterscheinungen wie Anselm Kiefer, Sigmar Polke oder Gerhard Richter. Daneben stehen Analysen "Alter Meister" wie Dubuffet, Picasso, Matisse, Manet, aber auch Velázquez und Mantegna. Den Abschluss bilden schließlich Anmerkungen über das Schöne.

Alles in Allem fast 300 Seiten gewinnbringende Lektüre!

Daniel Buren

Achtung! ruft uns Daniel Buren mit dieser Textsammlung aus den Jahren 1987 bis 1991 entgegen, Achtung! ich habe etwas mitzuteilen.

Und das tut Buren dann auch ausführlich auf über 400 Seiten: über die Funktion des Ateliers, die Funktion des Museums, die Funktion einer Ausstellung oder die Ausstellung einer Ausstellung. Über Authentizität in der Kunst oder über Kunstterminologie, über den Ortskontext und Bezugspunkte und vieles andere mehr.

Der Band eröffnet mit einem Text über den Texte schreibenden Bildenden Künstler: Warum Texte oder Der Ort, von dem aus ich eingreife. Denn immer noch sind theoretisch sich äußernde Maler suspekt: Wenn es für einen Maler eine Theorie gibt, tritt sie in seiner Malerei/Praxis in Erscheinung. Texte aber können sagen, was Malerei nicht sagen kann.

Und das tut Buren hier.

Günter Metken

Als Blick zurück nach vorn könnte man vielleicht diesen Band von Günter Metken mit dem Titel Spurensicherung bezeichnen.

1977 veröffentlichte Metken eine berühmt gewordene Textsammlung "Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung" und gab so einer bestimmten Kunstpraxis einen Namen, der sich als außerordentlich produktiv erwies. Viele der damals noch weitgehend jungen Künstler (u.a. Christian Boltanski, Nikolaus Lang, Jochen Gerz, Dorothea von Wingheim) hat der Autor in den vergangenen 25 Jahre weiter verfolgt, wovon der 200 Seiten umfassende Band instruktiv Auskunft gibt.

Der Künstler sei Feldforscher, ein Bastler am Gedächtnis der Spezies, der in Gegenständen des Alltags ebenso Erfahrungen materialisiert sieht wie in den Überresten alter Kulturen oder den Fotos aus dem Familienalbum.

Jasper Johns

Der für ein Buch etwas lange Titel "Ziele auf maximale Schwierigkeit beim Bestimmen dessen, was passiert ist" bekommt in Verbindung mit dem Coverbild eine etwas ironische Note.

Das Buch enthält Interviews, Statements und Skizzenbuchnotizen, in denen Johns einen Zusammenhang von Konzepten, Interessen, Überlegungen und Verhaltensmustern zu erkennen gibt, der zum Verständnis seiner Kunst beitragen kann. Seine Äußerungen haben deren Rezeption von Anfang an mitbestimmt.

Richard Serra hat behauptet, dass die Weise, wie Johns selbst über das denke, was er in seiner Kunst mache, die amerikanische Kunst noch mehr beeinflusst habe als seine Kunst selbst. Jedenfalls bietet sich ein interessanter Blick auf die Selbstreflexion amerikanischer Kunst.

Wilhelm Fraenger

Die "Formen des Komischen" sind das Thema des berühmten Kunsthistorikers Wilhelm Fraenger.

Das 207 Seiten umfassende Buch handelt vom "Grotesken" und dem "Burles-ken", von Cervantes und Callot, von JonathanSwift und William Hogarth, von Molière und Jan Stehen, von E.T.A. Hoffmann und Francisco Goya sowie von Balzac und Daumier.

Die Texte sind Skripte von einem Vortragszyklus, den Wilhelm Fraenger 1920-21 an der "Akademie für Jedermann" in der Städtischen Kunsthalle zu Mannheim gehalten hat. Sie geben Auskunft von Fraengers Fähigkeit der Beschreibung und Erschließung historischer Werke, aber auch von seiner Begabung, über die Disziplin der Kunstgeschichte hinauszudenken und Nachbardisziplinen miteinzubeziehen.

J.A.M. Whistler

Gerade im Kontext des Gesprächs von Kunst und Kirche ist James Abbott McNeill Whistlers berühmter 10 Uhr Vortrag, der u.a. in diesem Buch nachzulesen ist, von ungebrochener Aktualität.

Man könnte Whistlers Ausführungen als Frühform von George Steiners "Real Presences" verstehen, als gnadenlose, aber dennoch amüsante Abrechnung mit der Welt des Sekundären.

Und man könnte meinen, Whistler beschreibe den Pfarrer bei der Bilderpredigt, wenn er sagt: "In seinen Ausführungen legt er den Nachdruck unfehlbar nur auf das Sujet und erhebt sich zu mehr oder weniger edler Begeisterung, je nach seiner Beredsamkeit oder seinen geistigen Qualitäten, während er mit Verachtung auf den Teil des Kunstwerks blickt, den er 'bloß die Ausführung' nennt und den er als Resultat des Studiums oder als Folge des Fleißes ansieht."

Whistler jedenfalls versteht sich auf "Die artige Kunst, sich Feinde zu machen".

Im Zentrum der Peripherie

"Zentrale Kulturarbeit wird heute an der Peripherie verrichtet. Das Auslagern des ästhetischen Mandats in ehemals periphere Bereiche wie Philosophie, Kunstkritik und Kunstmanagement kennzeichnet die Situation seit Beginn der neunziger Jahre.

Die Peripherie beginnt das Zentrum - die autonome künstlerische Behauptung - auszuhöhlen.

Kunst heute entsteht im Bewusstsein, dass sie auf ein Fachpublikum und eine Kennerschaft hin produziert und in einer gleichbleibenden Hierarchie rezipiert wird, wonach soziale, ökonomische und ökologische Kriterien die ästhetischen dominieren. Die Rezession des Kunstbetriebs, die keine direkte Folge der ins Stocken geratenen Verwertungsideologie ist, begünstigt die Dominanz der Peripherie über das Zentrum." (Aus dem Vorwort)

August Wilhelm Schlegel

Das folgende Bändchen ist nicht zuletzt als historische Reminiszenz lesenswert. Der Klappentext gibt folgende Auskunft:

"Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entstand als Rivalin der systematisch-philosophischen Ästhetik die moderne Kunstkritik. Sie gewann und überprüfte ihre Begriffe nicht mehr nur in der Bibliothek, sondern in den Kunstkabinetten und Antikensammlungen, den Gemäldegalerien und 'Salons'.

August Wilhelm Schlegels Gespräch Die Gemählde (1799) ist der bedeutendste Beitrag der deutschen Frühromantik zu dieser von Diderot glanzvoll begründeten Tradition. Es setzt der Dresdner Gemäldegalerie ein literarisches Denkmal und ist das kongeniale Gegenstück zu Friedrich Schlegels Gespräch über Poesie (1800)."

Michel Serres

Aus dem einführenden Kommentar von Peter Bexte:

"In dem vorliegenden Buch finden wir Überlegungen zu Johannes Vermeer van Delft und Nicolas Poussin, Georges de La Tour, William Turner.

Es geht in diesen Texten nicht um Kommentare, sondern um etwas anderes, wie man bei der Lektüre gleich bemerken wird. Serres' Überlegungsweise ist jedoch schwer zu definieren, denn sie bewegt sich in Undefinierten Zwischenräumen. Auch das bedarf keiner weiteren Erläuterung, schon die Titel der in diesem Buch versammelten Kapitel sprechen es ja aus: Übersetzung ist das Stichwort.

Hier wird nicht kommentiert, sondern übersetzt: Vermeer übersetzt Descartes, La Tour übersetzt Pascal, Turner übersetzt Carnot. Die Bewegung geht von der Philosophie zur Kunst, von der strengen Naturwissenschaft zur Malerei."

Hugh Kremer

Hugh Kremer skizziert sein Projekt "Von Pope zu Pop. Kunst im Zeitalter von Xerox" mit folgenden Worten:

"Diese Ausstellung vereint ihrem Thema gemäß eine Vielfalt von Objekten, die nach dem Deweyschen Dezimalsystem (einem romantischen Artefakt) besser in gesonderten Teilen des Gebäudes gezeigt werden: die Aufklärung; Buster Kea-ton (den stoischen Komödianten); schlechte Dichtkunst; Albrecht Dürer; Joyce; Swift; Pope; geschlossene mathematische und mechanische Systeme; Charles Babbage und seine Rechenmaschine; die späte Geschichte abstrakter lateinischer Substantive; Andy Warhol; den Gödelschen Beweis; Pferde; Computer; Spiele; eine Ente zum Aufziehen, die an Verdauungsstörungen litt; und einen Mann, der beim Radfahren eine Gasmaske trug ...

Soviel als Wegweiser, um sich in meiner Geographie orientieren zu können." (Vorwort)


© Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 33/2005
https://www.theomag.de/33/am142.htm