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Magazin für Theologie und Ästhetik


Gott ist nicht tot und das Theater lebt

Taboris facettenreiche "Goldberg-Variationen" im sparsamen Zimmertheater Tübingen

Karin Kontny

Das Zimmertheater - ein kleines, vom Kultursparteufel bedrohtes Theater wie viele andere? Denn auch hier scheint die Finanzkrise an den Brettern, die die Welt bedeuten, sichtbar und unablässig zu nagen: das Bühnenbild zu Vera Sturms Inszenierung von Taboris "Goldberg-Variationen" wirkt Schultheater gleich improvisiert. Liebevoll gebastelte Sonne- und Mondlampen baumeln von der Gewölbedecke. Eine Topfpflanze mimt den großen Baum. Die Technik hat Probleme mit dem Ton. Und Licht will es auch nicht gleich werden. Stümperhaft, wenn ein Stück so anfängt? Noch dazu, wenn es darin um die heilig-biblische Schöpfungsgeschichte geht? Doch Vera Sturms kleines Weltschöpfungsensemble ist alles andere als stümperhaft.

Mit der Heiligen Schrift als allzeit Streichungen ausgeliefertem Textbuch unter dem Arm, proben der Regie-Gott in Weiß, Mr. Jay (Christian Kaiser), sein Assistent, der Jude Goldberg (Christian Dieterle), und die Gelegenheitsassistentin sowie Putzfrau Mrs. Mopp (Uta Krause) mehr oder weniger erfolgreich große Geschichte mit kleinen, nicht aber billigen Mitteln: Bevölkerung der Wüstenei Erde mit allerlei Plüschgetier - von Bühnenbildnerin Ernestina Superstar (ebenfalls Uta Krause) aus aller Herren Kinderzimmer zusammengeklaubt - Sündenfall und Rausschmiss aus dem (Spar-)Paradies, linken Brudermord genauso wie Abrahams und Sarahs Unfruchtbarkeitsdebatte. Letztere aus Ermangelung an Darstellern mit Handpuppen gespielt. Was für ein exquisites Theater!

Hiobs Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Anwesenheit auf Erden darf da auch nicht fehlen, ist doch die Antwort so leicht und so hart zugleich. Gott mag Hiob nicht, genauso wenig wie Mr. Jay ("J" für Jahwe, den für Juden unaussprechlichen Gottesnamen) seinen immerzu nach Perfektion strebenden Assistenten Goldberg nicht leiden kann, den Christian Dieterle mit stets angestrengter Mine zum besten gibt.

Aber was auf den frisch gemoppten, schlüpfrigen Brettern des Zimmertheaters so dynamisch und gewürzt mit paradiesischer Parodie daher kommt, ist alles andere als leichtes Fast Food. Vielmehr erweist sich Taboris Theaterübung für die Bühnenfiguren als spielerisch anstrengender - von Kaiser und Dieterle jedoch mit Bravour gemeisterter - Parforceritt nicht nur durch Altes und Neues Testament, kirchliche Dogmatik sowie Gegenwartsgeschehen, sondern vor allem als ein gewollt vom Absturz bedrohter Galopp an den Grenzen üblicher Denkmuster. Zumutung für Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen.

So bekannt die Geschichte mit Gott, so bekannt auch die Theaterwelt zu sein scheint, Vera Sturm und ihre himmlische Truppe machen Totgesagtes bzw. –gespartes immer wieder neu lebendig. Ständig entfliehen Figuren und Handlungen dem eindeutigen Interpretationsmuster, stellen sich selbst in Frage: der ewig exzentrische Theater-Macher Mr. Jay windet sich aufgrund seiner unerhörten Liebe zur Eva-Schauspielerin Teresa Tormentina (Uta Krause in ihrer famosen dritten Rolle) wie ein jämmerlicher Wurm am Boden und beichtet Assistent Goldberg seine peinliche Eifersucht sogar auf Teresas Toilettenpapier. Soll man lachen, wenn der ewig souveräne Macho aus der Rolle fällt, wenn der Herr zum Knecht und der Knecht Goldberg dank Jays emotionaler Entblößung kurzweilig zum Herrn wird? Spätestens beim "großen Nageln", in der Kreuzigungsszene, vergällt es selbst dem an Effekthascherei gewöhnten Zuschauer das Amüsement. Denn wenn der duldsame Goldberg seinem Chef Mr. Jay Hammer und Nägel reicht, um sich, natürlich "mit der Schokoladenseite nach oben", kreuzigen zu lassen, dann ist das kein kurzweiliger Witz, sondern ein ätzender Pfeil. Weitaus wirksamer als blutige Wirklichkeitsnachbildungen à la Mel Gibson. Aus dem lachenden "Herrn der Lage" im Zuschauerraum wird dann schnell der verunsichert auf seinem Stuhl hin- und herrutschende Theaterbesucher, der nicht mehr weiß, ob das, was da gespielt wird, erlaubt ist. Der über sich selbst erschrickt, aber dem gar nicht so viel Zeit zum Nachdenken bleibt, weil alles ganz schnell weiter geht und er schon wieder mittendrin steckt im Tohuwabohu der Sketche und Dramen über Gott und die (Theater-)Welt. Das Zimmertheater - kein Raum für tötende Langeweile. Hier herrscht nicht Stagnation und Resignation ob ständiger Schöpfungs- und Finanzkatastrophen. Beherzt weiter spielen! Denn Gott ist nicht tot - und das Theater lebt!

Nicht nur ein Grund für die Investition in eine Theaterkarte

www.zimmertheater-tuebingen.de; Termine: u.a. 10./11./12. Februar 2005, jeweils 20 Uhr


© Karin Kontny 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 33/2005
https://www.theomag.de/33/kk6.htm