Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Religiopolis

Zur medialen Vermittlung von Religion

Andreas Mertin

Die Begegnung mit einer interaktiven Religions-CD-ROM

CD-CoverIm Folgenden will ich meine ersten Schritte durch die CD-ROM Religiopolis des Klett-Verlages beschreiben und kommentieren. Die CD-ROM trägt den Untertitel: 'Weltreligionen erleben'. Meine Fragen dazu lauten: Was erwarte ich von einer interaktiven CD? Wie ansprechend sind die Module gestaltet? Wie viel Interaktivität gibt es? Was fehlt und was müsste ergänzt werden? Was ist gut gelungen? Welche Ideen für eine Projektarbeit mit der CD habe ich? Das grundsätzliche Problem scheint mir zu sein, dass Religion eigentlich ein performatives Geschehen ist, d.h. Teilhabe und Teilnahme voraussetzt. Religion lässt sich nicht auf nur kognitive Elemente reduzieren, sondern setzt in einem weiteren Sinne Gemeinschaft voraus. Im Gegensatz zur Kunst, deren Bildcharakter ich auch am Computer studieren, analysieren und nachvollziehen kann (wenn auch nichts den Besuch eines Ateliers, einer Galerie oder eines Museums ersetzt), habe ich von Religion noch nichts verstanden, wenn ich ein Bild vom Inneren eines Tempels, einer Moschee, einer Synagoge oder einer Kirche sehe. Ich will nicht ausschließen, dass sich auch am Bildschirm ein Verstehen von Religion entwickeln lässt, aber es gibt m.E. zur Zeit wenige überzeugende Beispiele.

Andererseits gibt es für die kognitive Aneignung von Religion im Internet reichlich Anlaufstellen. Hier wäre zunächst die Plattform rpi-virtuell zu nennen und das dazu gehörige Lexikon Reli-Lex. Aber auch an die freie Enzyklopädie Wikipedia wäre zu denken mit ihren zahlreichen Artikel aus der Kategorie Religion. Was also bietet die flache Scheibe Religiopolis an Mehrwert für den jugendlichen Nutzer?

Die Annäherung an die CD Religiopolis geschieht so, dass ich mir zunächst einmal einige Stunden Zeit nehme, um das Angebot kennen zu lernen, einzelne Module zu erproben und zu notieren, was ich gut und was ich schlecht finde.

  • Erscheinungsbild nach dem Start
  • Überblick über die Module
  • Wer hilft mir, wenn ich nicht weiter weiß?
  • Wo gibt es Informationen?
  • Wie schnell finde ich was?
  • Wie ist die ästhetische Qualität bzw. die Anmutungsqualität zu beurteilen?
  • Wofür könnte sich die CD im Unterricht eignen? Was wären Voraussetzungen dafür?

Als Vergleich nehme ich mir die schon 5 Jahre alte DVD des Louvre, die seinerzeit als Maßstab setzend empfunden wurde und von der ich weiß, dass auch Jugendliche sie gerne nutzen und studieren. Diese DVD ist interaktiv, erschließt die Räume des Louvre durch steuerbare Filme, kommentiert die Räume und einzelne Werke mit einer Stimme, lässt eine detaillierte Einzelbetrachtung zu, hat eine Zeitschiene, die die Kulturgeschichte der Menschheit vor Augen führt und lässt die Kultur auch nach geographischen Schwerpunkten erschließen. Ich will sehen, wie viel davon auch für die Religion übertragbar ist.

Step by step...

Zunächst zur Installation: Das Programm läuft von der CD-ROM, spart also Festplattenressourcen. Allerdings wird bei der Installation ungefragt ein Ordner mit einigen Informationen im Root-Verzeichnis des Laufwerks angelegt (statt im Programm-Verzeichnis). Das ist eine verbreitete Unart mancher Programmierer und ist dennoch ärgerlich und sollte daher abgestellt werden.

Nach dem personalisierten Start blickt der Nutzer von einer Art Fernsehturm auf eine Stadtlandschaft herunter. Er sieht zunächst eine Kirche, eine Moschee, einen Friedhof, ein Wohnhaus des Christentums und ein Wohnhaus des Islam. Wenn er will, kann er mit der Maus die Aussicht nach rechts oder links drehen, so dass weitere Gebäude und Wohnhäuser in den Blick kommen. Rechts oben lässt sich die Ansicht auf Vollbild schalten, ein Info-Menu informiert über die anzuklickenden Gebäude und eine Notizbuchfunktion erlaubt begleitende Aufzeichnungen. Im Hintergrund hört der Nutzer typische Stadtgeräusche. Am unteren Bildrand lassen sich weitere Menus bzw. Module aufrufen. Eine Sitemap führt als eine Art Falkplan direkt zu den Gebäuden und Räumen, die Stadtübersicht führt zurück zum Fernsehturm, die Bücher zur Bibliothek. Daneben gibt es ein Suchfeld, das Abfragen ermöglicht. Die weiteren Symbole geben eine elementare Hilfestellung, lassen die Lautstärke regulieren bzw. beenden die CD.

Das Lexikon

Bevor ich mich ins Getümmel der Stadt stürze (was Schülerinnen und Schüler vermutlich als erstes tun würden), teste ich die Funktionalität des Abfragemoduls, das mich zu einem Religionslexikon führt. Die ersten Anfragen nach Stichwörtern wie 'Weltreligionen' und 'Theodizee' führen ins Leere, hier gibt es keine Infos. Erst die Nachfrage nach dem Stichwort 'Leiden' ergibt einen Eintrag, der mich auf 'Leiden - Dukkha' verweist. Allerdings ist das Wort 'Dukkha' nicht mit dem entsprechenden Eintrag unter 'Leiden' verlinkt, so dass ich das Wort noch einmal eintippen muss. Das ist äußerst unkomfortabel und sollte bei einem interaktiven Medium nicht vorkommen. Vorbildhafter ist da die Verlinkung im Reli-Lex. Zugleich stelle ich fest, dass man nach dem Aufrufen des Lexikonartikels nicht mehr zwischen den verschiedenen Windowsprogrammen hin- und her-switchen kann. Ein Programmierfehler. Der Blick auf die Liste der Lexikonartikel zeigt mir, dass sie vor allem religionswissenschaftlich und hier insbesondere auf die nicht-christliche Religion ausgerichtet sind. Im Vergleich zum Reli-Lex oder gar der Enzyklopädie Wikipedia ist das Informationsangebot des Lexikons eher begrenzt.

Die Bibliothek

Mein nächster Schritt führt mich in die Bibliothek. Der Raum ist ansprechend gemacht , ein Computerbildschirm ermöglicht eine Direktverbindung ins Internet zur Religiopolis-Seite des Verlages. In den Bücherregalen sind freilich nur fünf Bücher (= fünf Religionen) anklickbar. Der jeweilige Klick führt zudem zu einem einschneidenden Medienwechsel: aufgerufen werden nämlich PDF-Dateien, die im Stil eines Vorlesungsskripts Bleiwüsten zu den einzelnen Religionen anbieten. Das ist mir unerklärlich. Hier hätte wenigstens der Stil der CD-ROM beibehalten werden müssen und dem Nutzer die Information in einem simulierten Buch angeboten werden können. Noch gravierender wirkt sich dies in der Bibliothek bei der an sich guten Idee der 'Geschichtentruhe' aus. Hier werden Kurzgeschichten der großen Religionen im Seminarstil präsentiert. Das ist wirklich verschenkt. Selbst PDF-Dateien kann man liebevoller und ästhetischer gestalten, ohne dass die Funktionalität leiden muss.

Von der Bibliothek führt eine Tür zum 'Fahrstuhl der Geschichte' (eine Anspielung auf Rudolf Pörtners 'Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit'). Die Geschichte der Religionen beginnt '2000 v.u.Z.' Zum einen wäre hier natürlich eine synchrone Kalenderangabe der verschiedenen Religionen angebracht gewesen [Das Stichwort 'Kalender' kommt im Lexikon wieder einmal nicht vor, dafür werden die Kalender zum Teil später bei den einzelnen Stationen des Stadtrundgangs erläutert]. Zum anderen ist es schon merkwürdig, dass der früheste Eintrag des Judentums der Bau des jüdischen Tempels ist (und die erste Bemerkung, dass man die Bibel nicht als Tatsachenbericht betrachten darf - das ist zwar richtig, aber es gibt natürlich auch außerbiblische Quellen - schon 1220 werden die Israeliten in Ägypten urkundlich erwähnt). Die einzelnen historischen Stationen sind anklickbar und führen zu wiederum interaktiv ansteuerbaren kleinen Szenarien. Das ist nicht schlecht gemacht, aber das Gesamtangebot an Geschichtsstationen ist zu dürftig. Für das Judentum werden 6 bzw. 8 spezifische Stationen angeboten (nach dem ersten Tempel folgt als zweites Ereignis in der Geschichte des Judentums der Bar Kochba Aufstand)! Dass die anderen Religionen auch nur wenige Stationen aufweisen, tröstet nicht. Auch sind viele der Stationen gerade nicht die, die im Religionsunterricht eine Rolle spielen. Trotzdem bewerte ich dieses Modul als guten und ausbaufähigen Ansatz.

Das Christentum

Nach der Rückkehr auf den Fernsehturm wähle ich als erstes das Christentum zum Erkunden aus. Ich klicke zunächst auf die Kirche. Im Hintergrund erklingen Glocken. Erläutert werden die Ostung der Kirche, das Kreuz und verschiedene Gestaltungsformen von Kirchen in diversen Ländern. Was fehlt ist eine historische Folge (Romanik, Gotik, Barock...). Der nächste Klick führt einen vor das Portal der Kirche und zu einem Wegweiser zur orthodoxen Kirche. Bevor ich ins Portal eintrete, mache ich also einen Ausflug zur orthodoxen Kirche. Warum die orthodoxe Kirche nicht zusammen mit der katholischen und evangelischen Kirche erläutert wird (und mit einer entsprechenden Raumsimulation) bleibt schleierhaft. Schließlich gibt es bei den Religionen in Deutschland deutlich mehr orthodoxe Christen als Juden, Buddhisten oder Hinduisten. Und gerade hier hätten sich in der Raumgestaltung gut Unterschiede beobachten lassen.

Bei der Darstellung der Orthodoxie entdecke ich einen ersten gravierenden Fehler: Ikonen werden hier als 'nicht von Händen gemacht' erläutert. Das trifft aber nur für einen extrem kleinen Teil der (historischen) Ikonen zu, den so genannten Acheiropoieta. Alle anderen Ikonen sind durchaus von Menschen gemacht, die Tradition der Ikonenmaler hat sich bis in die Gegenwart erhalten.

Zurück zum Kircheneingang. Auch hier wieder ein gravierender Fehler. Das Tympanon über dem Portal wird als 'Kirchenportal' bezeichnet. Das ist definitiv falsch und irreführend. Gerade wenn man etwas von der massenmedialen Bedeutung des Christentums verstehen will, muss man sich mit dem Tympanon beschäftigen (z.B. ob dort Christus als Weltenrichter oder Maria als Gnadenspenderin im Zentrum steht).

Ich betrete dann zunächst die relativ leere evangelische Kirche. Vorgestellt werden der Pfarrer, ein Presbyter (stereotyper Weise mit Klingelbeutel!) und eine Konfirmandin. Ich erfahre etwas über die Raumausstattung, aber wenig über die Bedeutung des Gebäudes für Protestanten. Die liturgischen Farben werden nicht korrekt bzw. nicht ausreichend erläutert, die häufigste Farbe Grün fehlt. Der Altar wird nicht erläutert, dafür aber die Kerzen und das Antependium. Die Erläuterung der Kirchenfenster ist eine Zumutung. Hier wären kunsthistorische Motive das Minimum gewesen. Ein Verstehen einer evangelischen Kirchengemeinde wird so kaum möglich. Das Gemeindehaus, seit dem 19. Jahrhundert wichtiger Bestandteil des Lebens einer evangelischen Kirchengemeinde, wird nicht vorgestellt. Auch ganz elementare Dinge wie das Abendmahl werden im wortwörtlichen Sinne nur am Rande vorgestellt.

Ich wechsle in die katholische Kirche. Der Raum dort ist voller, immerhin sieben Personen werden gezeigt: vier Kinder, der Pfarrer, die Küsterin, eine Mutter. Im Kirchenraum selber gibt es etwas mehr Erläuterungen als in der evangelischen Kirche. Die Kirchenfenster sind dieselben wie in der evangelischen Kirche(?), der Kreuzweg ist rein künstlerisch betrachtet vielleicht repräsentativ für religiöse Kunst der Gegenwart, ästhetisch aber wirklich unzureichend. Die Orgel wird - anders als in der evangelischen Kirche - nicht erläutert. Die Frage, die sich mir stellt, lautet: Versteht der Jugendliche, der sich durch die beiden Kirchengebäude geklickt hat, nun mehr vom christlichen Glauben?

Als nächstes frage ich mich, wie es wohl zu Hause bei den Katholiken und Protestanten und Orthodoxen aussieht. Ich gehe also wieder auf den Fernsehturm und wähle nun das christliche Wohnhaus. Hier ist mir nun einiges unerklärlich. Der Klick auf die Litfasssäule erläutert die Vereinigung der Samariter (wer ist damit gemeint - der Arbeiter-Samariter-Bund? Und warum werden dann nicht Malteser und Johanniter vorgestellt?).

Der Klick auf die Klingeln des Wohnhauses verweist mich zweimal auf freikirchliche Familien (die nicht anwesend sind) und dann auf einen Familie, die man als religiösen Gemischtwarenladen begreifen kann: Protestanten, Anglikaner und Katholiken in einer Familie. Während beim jüdischen Wohnhaus die Wohnungen nach orthodoxen und liberalen Juden differenziert werden, gibt es beim Christentum eine Einheits-WG? Die Anordnung der anklickbaren Symbole ist völlig willkürlich. In der Diele(!) liegen Überweisungsformulare für Caritas und Diakonie, im Wohnzimmer wird Hochzeit gefeiert und im Salon Weihnachten. Auf dem Dachboden liegen religiöse Symbol-Relikte herum und fliegen christliche Tauben. Das ist schrecklich und kaum zu ertragen. An dieser Stelle wird die simplifizierende Grafik-Gestaltung penetrant. Sie erinnert aufdringlich an Traktatliteratur. Ist das die religionswissenschaftlich grundierte Sicht auf das Christentum?

Der Islam

Mein nächster Schritt ist die Annäherung an den Islam. Ich wähle also die Moschee aus der Stadtübersicht aus und bekomme - ähnlich wie bei der christlichen Religion - zunächst das Äußere vorgestellt. Zwölf sehr schöne und differenzierte weltweite Moscheen werden vorgestellt, so dass einsichtig wird, welchen architektonischen Reichtum der Islam hier besitzt. Das Minarett wird ebenso vorgestellt wie die Kuppel (die auch noch einmal im Inneren erläutert wird). Ich betrete das Innere der Moschee, bekomme die Waschung erläutert und ziehe die Schuhe aus, bevor ich das Innere der Moschee betrete. Von hier aus kann ich auch die Koranschule für Jungen und Mädchen besuchen (die Gags mit Fliege und Papierflieger finde ich dabei nicht so gelungen).

Das Wohnhaus mit zwei unterschiedlichen Wohnungen ist natürlich grafisch ähnlich gestaltet wie die anderen Wohnungen; es stellt sich schnell ein gewisser Ermüdungseffekt beim Betrachten ein. Anders wäre es vielleicht, wenn die abgebildeten Menschen wirklich sprechen würden und nicht jedes Mal ein Textfenster geöffnet würde, das man wieder mühsam schließen muss. Die beiden Wohnungen werden noch ergänzt durch einen Orient-Laden. Ist mein Verständnis des Islam besser geworden durch die Darstellung? Oder sollte ich mich doch lieber durch die Texte der Bibliothek quälen? Mein Gefühl ist insgesamt sehr ambivalent gegenüber dieser Art der Vermittlung.

Das Judentum

Die nächste Religion ist das Judentum. Hier kann man aus der Vogelperspektive zwischen der Synagoge, dem Gemeindehaus und dem Wohnhaus wählen, während es einen Laden mit koscherem Essen (analog zum Orientladen beim Islam) nicht gibt. Die Synagoge ist eine liberale Synagoge und im Gang durch den Raum erfährt man einiges. Dass die Rabbinerin nicht anwesend ist, ist ein interessantes und lehrreiches Detail, andererseits fragt man sich, wie repräsentativ eine Synagoge mit einer Rabbinerin ist. Vielleicht hätte man hier auch mit zwei Räumen arbeiten sollen. Das Gemeindehaus hätte man dagegen - da es nur aus einem Raum besteht - durchaus von der Synagoge aus zugänglich machen können. Im Gemeindehaus trifft man dann auch auf die Rabbinerin.

Das jüdische Wohnhaus enthält zwei Wohnungen, eine orthodoxe und eine liberale. Hier wird neben der Unterschieden der beiden Richtungen vor allem der Sabbath und die Sederfeier erläutert. Meine Sederfeier in einer Familie in Jerusalem habe ich freilich wesentlich spannender und beeindruckender erfahren als dies durch die CD zum Ausdruck kommt (bzw. kommen könnte). Es ist doch wieder nur eine Klick - Infoblatt - Klick - Angelegenheit.

Der Buddhismus

Die nächste Religion ist der Buddhismus. Er wird in der Stadtübersicht durch eine Klosteranlage und ein Wohnhaus vertreten. Die Klosteranlage hätte ich beinahe bei der Suche übersehen. Nun aber stehe ich vor dem Kloster und stelle sofort fest, dass diese größer und detaillierter dargestellt ist als etwa die Gebäude der anderen bisher besuchten Religionen. (Warum gibt es eigentlich kein katholisches Kloster?) Jedenfalls versammelt das Kloster eine Buddhastatue, eine Haupthalle, eine Pagode, einen Meditationsraum und einen Wohnraum für die Mönche. Das ist alles sehr liebevoll gemacht und informativ, wenn man sich den billigen Gag mit dem Fisch auch hätte sparen können.

Das buddhistische Wohnhaus hat zwei Wohnungen: von tibetischen Buddhisten und von Anhängern des Mahayana-Buddhismus. Ob so wirklich Wohnräume von Buddhisten aussehen, weiß ich nicht, aber interessant ist es schon.

Der Hinduismus

Schließlich wird noch der Hinduismus vorgestellt. Hier können wir zwischen zwei Tempel wählen, einem Shiva- und einem Vishnu-Tempel. Auch hier wieder eine Fülle von Bildern und Informationen, sogar das Gefühl eines wirklichen Rundgangs entsteht hier. Die Information, dass der Tempel nur zu bestimmten Zeiten geöffnet ist, hätte natürlich sinnvoller Weise mit der Systemuhr des Computers gekoppelt werden können, so dass man lernt, dass Religion auch etwas mit Zeiten und Ritualen zu tun hat. Der Bereich des Hinduismus lässt zum ersten Mal etwas von den Möglichkeiten ahnen, die ein sinnvoller Einsatz von Multimedia geboten hätte. Aber auch hier fehlt etwas von der Sinnesfülle der Religion.

Das hinduistische Wohnhaus ist ähnlich wie die anderen Wohnhäuser aufgebaut und informiert in ähnlicher Weise über die religiösen Gepflogenheiten. Aber auch hier ist meines Erachtens eine gewisse Steifheit der Präsentation nicht zu übersehen.

Der Friedhof

Als einziger Ort, der alle verbindet, ist noch (neben der Bibliothek) der Friedhof angegeben. Der Tod macht allerdings nur scheinbar gleich, denn er separiert die Religionen dann doch stark. Man kann eben nicht einfach auf dem (aus der Luft gesehen doch sehr einheitlichen) Friedhof von einem Teil in den anderen gehen (so weit ist man in Religiopolis noch nicht), sondern muss sich vorab entscheiden, wohin man möchte. Das ist ebenso realistisch wie bedauerlich. Technisch bedeutet es, dass man fünfmal auf den Friedhof klicken muss, um alle Religionen auf dem Friedhof zu besuchen und ihre Trauer- und Bestattungsriten kennen zu lernen.

Fazit

Wenn die CD-ROM Religiopolis die Zukunft eines Religionsunterrichts spiegelt, der nicht mehr in der Verantwortung der Kirchen liegt, sondern allgemein über 'Religion' informiert, dann sehe ich mich in meiner Haltung bestätigt, am konventionell-konfessionellen Religionsunterricht festzuhalten. Teilhabe an Religion, Einsicht in ihre Bedeutung, ja in ihre gesellschaftliche wie menschliche Unentbehrlichkeit werden hier nicht vermittelt. In diesem Sinne ist es ein kalter Blick auf Religion. Wenn die CD-ROM aber ein ergänzendes Medium ist, das der begleitenden Visualisierung von religiösen Vermittlungsbemühungen dient, dann ist sie durchaus verwendungsfähig. Dazu müsste die CD aber noch optimiert werden.

Am Ärgerlichsten ist die Klick-Klick-Manie dieser CD-ROM. Sie geht einem im fortschreitenden Gebrauch immer mehr auf die Nerven. Man betritt einen Raum und schon öffnet sich ein Erläuterungsfenster, das man erst durch pixelgenauen Klick wieder schließen muss, bevor man sich umsehen kann. Manchmal liegen gleich mehrere derartige Erläuterungsfenster übereinander. Das ist auch didaktisch eine Zumutung.

Zweiter Punkt meiner Kritik ist die lieblose Gestaltung der Bücherinhalte in der Bibliothek. Sinn dieser CD-ROM ist es doch gerade, die Religionen sinnlich zu erschließen und nicht, die SchülerInnen mit PDF-Dateien mundtot zu machen. Hier wäre eine Lösung, die das Textmaterial besser und sinnlicher in die CD-ROM integriert, sehr zu empfehlen. Warum überhaupt das PDF-Format ausgewählt wurde, erschließt sich mir nicht.

Dritter kritischer Punkt ist das integrierte Lexikon. Es schöpft die Möglichkeiten der digitalen Welt nicht einmal in Ansätzen aus. Es ist nicht intern verlinkt, es fehlen zentrale Stichworte und es ist nicht durch den Nutzer erweiterbar. Projekte wie das Reli-Lex oder Wikipedia zeigen hier ganz andere Möglichkeiten auf.

Bezüglich der Darstellungen der Religionen sehe ich interessante Unterschiede. Das Christentum wird geradezu stiefmütterlich behandelt und in seiner Differenziertheit gerade nicht dargestellt. Die familiäre Einbindung des Christentums ist eher klischeehaft. Im Blick auf die anderen Religionen findet sich zwar vieles zum Anklicken, aber eine richtige Motivation, sich mit einer Religion auseinander zu setzen, gibt es nicht. Was macht die Faszination des Buddhismus aus, was charakterisiert jüdisches Leben, was verbindet und was trennt die abrahamitischen Religionen? - alle diese Fragen werden nur unzureichend erschlossen. Gerade sie sind aber Fragen der alltäglichen Vermittlung von Religion.

Wenig Perspektiven habe ich für das Zusammenleben der Religionen gefunden. Abgesehen von der Tatsache, dass sich alle vorgestellten Religionen in der Stadt Religiopolis befinden, gibt es wenig Kommunikation. Interessant wäre hier so etwas wie ein interreligiöser Treffpunkt gewesen, ein runder Tisch der Religionen oder auch ein interreligiöser Andachtsraum.

Vor allem fehlt dieser CD-ROM eins: Multimedialität. Wenn man schon ein derartiges Projekt angeht, sollte man aus dem Vollen schöpfen, sollte mit Kamerafahrten durch Kirchen arbeiten, sollte vom Benutzer selbst steuerbare Quicktime-Movie-Filme anbieten, sollte Räume mit Tönen und gesprochenen Kommentaren erläutern. Man sollte jederzeit den eigenen Weg durch die Stadt rekonstruieren können und all das, was man sich bisher erschlossen hat, in einer Übersicht anschauen und wieder ansteuern können. M.a.W., man sollte sich an gelungenen Projekten wie der DVD des Louvre orientieren, die zeigen, wie man Kultur sinnlich und spannend vermittelt, ohne gestalterisch Einbußen in Kauf zu nehmen. Denn die Louvre-DVD bietet dies alles und wie ich beobachten konnte, macht es Kindern und Jugendlichen Spaß, durch die Räume zu laufen und sich Kunstwerke zu erschließen. Warum sollte das nicht auch beim Thema Religion gehen?

Positiv finde ich die Gestaltung auf der obersten Ebene, der Blick über die Stadt vom Fernsehturm. Positiv finde ich auch die Darstellungen des buddhistischen Klosters und die hinduistischen Tempel. Das ist weitgehend gut gelungen. Es gäbe aber auch für das Judentum und für das Christentum vergleichbare Objekte der Darstellung und Einführung. Hier wurden die Religionen nicht auf derselben Ebene behandelt. Ausbaufähig im bereits erwähnten Sinne ist die Bibliothek, wenn sie gestalterisch besser aufbereitet würde. Was die Gestaltung der auf die jeweilige Religion bezogenen Privaträume betrifft, hätte ich mir weniger Klischees und mehr Differenzierungen gewünscht. Der Stil ist doch zu sehr an bestimmter Traktatliteratur orientiert: Mutter und Vater im Wohnzimmer, Kinder beim Spielen ...

Was den Einsatz im Religionsunterricht betrifft, so kann die CD-ROM natürlich für erste Kontakte und visuelle Grundinformationen dienen. Sie bietet SchülerInnen Textmaterial zu Weiterarbeit. Andererseits läßt sich mit der CD-ROM keine Religion richtig erschließen. Hier sind begleitende Informationen und vor allem 'Begehungen' und 'Begegnungen' notwendig.

Im Vergleich zur Louvre-DVD bleibt Religiopolis um Längen hinter den Erwartungen zurück. Die CD-ROM ist keinesfalls 'state of the art' wie es so schön heißt. Gerade im Blick auf die atmosphärische Erfahrung von Religion wäre eine audiovisuelle Vermittlungsform, wie sie die Louvre-DVD wählt, dringend angeraten gewesen.

So bleibt mein Urteil über die CD-ROM Religiopolis: eingeschränkt verwendungsfähig.


© Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 34/2005
https://www.theomag.de/34/am149.htm

Der  Buch-per-Klick-Bestell-Service