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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XV

Das sind doch alles Projektionen! Matthew Buckingham. Westfälischer Kunstverein, Münster

Christoph Zitzlaff

Nach der Sound-Schau "Space to Face" im letzten Sommer reüssierte der Westfälische Kunstverein mit Matthew Buckingham zu Jahresbeginn erneut gänzlich installativ - und das, wo alle Kunst-Welt sich doch gerade im üppigen Schwange des Gemalten ergeht, die neue Figuration bestaunt und der Medienhype der letzten Jahre eigentlich doch arg verglüht scheint. Also ein mutiger Schritt der Münsteraner?

Panoptikum der breiten Straße

Dass musste schon jeder selbst entscheiden: Matthew Buckingham, Jahrgang 1963, lebt in New York und arbeitet mit Film und Video zu den Fragen nach Erzählformen und Geschichtskonstruktionen im doppelten Sinn. Nach einigen Auftritten in New York, Kopenhagen und Stockholm war die Münsteraner Präsentation nun seine erste Einzelausstellung in Deutschland. Präsentiert wurden drei autonome Arbeiten. Sehr komplex gebaut war vor allem "One Side of Broadway", die ganz frische Dia-Installation Buckinghams aus diesem Jahr stand gleich im Zentrum des abgedunkelten Kunstverein-Raums. Kinos, Kreuzungen und Starbucks: Projiziert wurden Schwarzweiß-Aufnahmen von tatsächlich nur einer Straßenseite des legendären New Yorker Boulevards, vom Künstler vor sechs Jahren fotografiert, dazu gab’s eine erzählend-begleitende Stimme aus dem Off sowie eine Art zweiter Tonspur mit gelegentlichen Straßengeräuschen. Filmische Mittel also, und in der Tat geht es Buckingham um die Erforschung von Kino und Ort, von Film, -Geschichte und Wahrnehmung. Von der Erzählerstimme erfuhr man auf Englisch (den Text gab es zum Lesen auch in der Übersetzung), dass es um die Zeit um 1910 geht, als die Bilder laufen lernten und die Kinos sesshaft wurden – nämlich hier am Broadway, wo eines der großen Zentren des jungen Mediums entstand. Buckingham berichtet von den Gebrüdern Lumière, Méliès, Edison, den ersten gefakten "Wochenschauen". Und von dem damaligen Buchprojekt eines New Yorker Verlegers mit dem Titel "Both Sides of Broadway", in dem hübsche Halbton-Aufnahmen das Aussehen der breiten Straße dokumentierten.

Entschleunigte Geschichte

Ein Übermaß an Bedeutungen? Ließ man sich auf die "Standbilder" und die Meta-Reflexionen ein, wurde klar, dass Buckingham die Beschränkung seines Kamerawinkels auf die eine Straßenseite durch die historisch-narrative Hinterlegung gewissermaßen auffüllt, quasi nach dem Motto: You only get one view, but the full picture. Spiel mit der Zeit, der Sprache und den Bildern: Entgegen der im Kino üblichen mindestens 24 Bilder pro Sekunde, die erst die Illusion von Bewegung ermöglichen, entschleunigte und konterkarierte Buckingham in seiner Installation diesen Prozess: Seine 160 Standbilder liefen in einer guten halben Stunde mit einer Taktfrequenz von etwa 15 Sekunden durch, während seine Off-Stimme in der ganzen Zeit gleich zweimal geloopt wurde. Für die zweite große Arbeit Buckinghams hatte man eigens ein aufwändiges Separee gebaut. "Definition" (2000) umkreiste den Komplex von Sprache, Macht und Einsamkeit und zeigte die Aufnahme der Londoner Dachkammer, in der Samuel Johnson (1709-1784) sein legendäres "Dictionary of the English Language" verfasste. Dazu wieder off-gesprochene Reflexionen, diesmal über die Sprache und die Textualität. Abschließend die kleine Bleistiftzeichnung "Narrative" (2005) mit ihren fünf Begriffen, die den üblichen Spielfilmplot ein bisschen vulgär auf ein Grundschema herunterzubrechen suchen.

Mediokre Medien-Mittel?

Allesamt also recht strenge Arbeiten. Bei denen sich aber wie so oft die Frage aufdrängt, warum der Künstler sich so sehr einer irgendwie ziemlich bemüht erscheinenden historischen, soziologischen oder linguistischen Methodik befleißigen muss. Sicher ein Versuch, der vertrackten Doppelbödigkeit der Zeitläufte mit einer medialen Experimentieranordnung gerecht zu werden. Eine Beschränkung auf genuinere künstlerische Mittel wäre aber wohl mehr – und das heißt hier: weniger beliebig - gewesen. Müssen mediale Fragestellungen immer auch gleich mit den Mitteln des Mediums selbst angegangen werden? Ketzerisch gefragt: Ist das nicht vielleicht ein wenig unoriginell? Ein Fazit bleibt: Mit seinen vielschichtigen Verschachtelungen konnte besonders "One Side of Broadway" denen gefallen, die Installationen überhaupt mögen, vor allem, wenn sie wie hier in diesem etwas puritanisch-kühlen Sachlichkeitsgestus daherkommen.


© Christoph Zitzlaff 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 34/2005
https://www.theomag.de/34/cz1.htm