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Magazin für Theologie und Ästhetik


Du bist mein Leben!

Hans J. Wulff

Blueprint. - BRD 2003. Regie: Rolf Schübel. Darsteller: Siri Sellin / Iris Sellin (Franka Potente), Siri Sellin mit 8 Jahren (Nina Gummich); Siri Sellin mit 13 Jahren (Karoline Teska), Dr. Martin Fischer (Ulrich Thomsen), Greg Lukas (Hilmir Snaer Gudnason), Daniela Hausmann (Katja Studt), Janek Hausmann (Wanja Mues). Drehbuch: Claus Cornelius Fischer, unter Mitarbeit von Rolf Schübel; nach dem Roman "Blueprint - Blaupause" von Charlotte Kerner. Kamera: Holly Fink. Musik: Detlef Friedrich Petersen. Montage: Ursula Höf. Prädikat: besonders wertvoll. Länge: 113 min. FSK: ab 12

Zu Beginn der 1970er Jahre fanden die ersten Medizinkonferenzen zum "Klonieren" statt. Die Erzeugung und Züchtung von Menschen unter Umgehung von Zeugung und Schwangerschaft schien möglich zu werden. Seitdem ist die Diskussion nicht mehr abgebrochen, hat mit dem Klon-Schaf "Dolly" und den Debatten um Stammzellforschung neue Nahrung bekommen. Der Arzt als Schöpfer neuen Lebens: die Vision eines Frankenstein-Mediziners, der sich zur Gottgleichheit aufzuschwingen scheint, bekam ein neues Gesicht. Kaum ein Kommentar in den Feuilletons der letzten Jahre kam ohne die Befürchtung aus, Wissenschaftler griffen in die Schöpfungsgeschichte ein, und immer wieder konnte man den Hinweis lesen, die Wirklichkeit sei drauf und dran, jeden Science-Fiction-Horrorfilm in den Schatten zu stellen. Die Diskussion ist nicht abgeschlossen, Ethikräte werden einberufen, Warner und Befürworter sind auf dem Plan. Die populären Vorstellungen, die im Spiel sind, weisen viel weiter zurück - man stößt schnell auf den kabbalistischen Mythos vom Golem, auf die Automatenwesen des 18. Jahrhunderts, auf die chirurgisch zusammengefügten Kunstmenschen des späten 19. Jahrhunderts, Homunculus und Golem, die Olympia-Puppe, Dr. Frankensteins Kunstmensch. Die Filmgeschichte des Klonierens im engeren Sinne beginnt zur gleichen Zeit wie die medizinische Diskussion. Seitdem war immer wieder die Rede davon, dass verrückte Wissenschaftler oder Nazi-Ärzte Übermenschen züchten oder totalitäre Regimes sich der menschlichen Fortpflanzung bemächtigen und Menschen heranwachsen lassen könnten, die entmündigt sind und sich vollständig in industrialisierte Zukunftsgesellschaften einfügen.

Dabei ist das Motiv des Klonierens immer wieder Anlass gewesen, über die Bedingungen von Menschlichkeit, Selbstbestimmung und Identität nachzudenken. Einer der beeindruckendsten Filme über das Klonieren ist jetzt in die Kinos gekommen - Rolf Schübels Blueprint (BRD 2003). Schübel hat den preisgekrönten Jugendroman Blueprint - Blaupause von Charlotte Kerner (Weinheim/Basel: Beltz 1999; zahlreiche Neudrucke), der inzwischen in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, in einen sensiblen und nachdenklich stimmenden Film umgesetzt. Welche Geschichte! Der Film beginnt mit Bildern einer jungen Frau, die in den Wäldern British Columbias Wapiti-Hirsche fotografiert. Man nennt sie selbst "Wapiti", weil sie so scheu ist wie die Tiere ist. Sie lebt allein in der Wildnis. Ihre einzige Verbindung zur Außenwelt ist ein Bildtelefon, auf dem eine Frau anruft, die genauso aussieht wie sie, die nur älter ist. In mehreren langen Rückblenden erzählt der Film die Geschichte der jungen Frau: Sie heißt Siri Sellin und ist die Tochter der berühmten Konzertpianistin Iris Sellin, die, kaum 30jährig, erfährt, dass sie Multiple Sklerose hat. Um die eigene Begabung trotz des drohenden frühen Todes zu bewahren, entschließt sie sich dazu, ein Klon-Kind zu gebären. Ein kanadischer Reproduktionsmediziner hilft ihr, führt die Operation durch. Die beiden schließen einen Pakt - niemand soll von der unerhörten Geburt erfahren, wenn nicht beide dazu bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen. Siri wird geboren. Sie wächst im Münsterland auf, auf einem Schlösschen, ausgestattet mit allem, was eine glückliche Kindheit braucht. Tatsächlich hat sie eine ähnliche musikalische Begabung wie die Mutter. Die Nachricht, dass sie ein Klon-Kind ist, trifft sie vollkommen unvorbereitet, als sie 13 ist und der Arzt ohne das Einverständnis der Mutter die Presse informiert. Sie bricht zusammen, braucht lange, bis sie wieder normal zu leben scheint. Sie nimmt ihre Klavierübungen wieder auf. Ein erstes gemeinsames Konzert von Mutter und Tochter endet mit einem Eklat - das Mädchen steckt sich einen Davidstern an, auf dem "Klon" steht. Der Versuch, eine eigene Solokarriere aufzubauen, misslingt - zu groß ist die Anspannung, sie kann ihr erstes Konzert nicht zu Ende bringen. Die Mutter übernimmt ihren Part. Nach einem Selbstmordversuch bricht sie alle Brücken hinter sich ab, flieht nach Kanada. Erst nach zwei Jahren - hier setzt der Film ein - beginnt sie langsam, wieder in die Wirklichkeit der anderen zurückzukehren. Sie verliebt sich in einen jungen Kanadier, als die Mutter stirbt. Am Sarg der Mutter setzt sie sich zum ersten Mal wieder ans Klavier, spielt ein Klavierkonzert von Mozart an. "Ich habe meinen eigenen Tod überlebt", klingt der Film aus.

"Mich hat der technisch-wissenschaftliche Aspekt nur am Rande beschäftigt", sagte Rolf Schübel zu dem Film. Tatsächlich geht es um das Ausloten einer Identität, die unter von Beginn an unter dem Zwang "Du sollst eine andere werden!" steht. Die Mutter lässt Klonen, weil sie das Kind als Verdoppelung ihrer selbst ersehnt, als Möglichkeit, den eigenen Tod zu überwinden und ihren Lebensentwurf in der Tochter vollenden zu lassen. Diese grotesk übersteigerte Selbstwahrnehmung der eigenen Begabung, die über den eigenen Tod hinaus bewahrt bleiben soll, macht das eigentlich Irritierende des Films aus. Nicht der technische Vorgang des Klonens ist das Monströse an diesem Film, sondern der Versuch, Macht auf das Leben eines anderen auszuüben. Die Mutter verkörpert einen unerhörten, in dieser Rigorosität selten erhobenen totalitären und terroristischen Anspruch auf die Tochter, nimmt ihr jeden Anspruch darauf, einen eigenen Lebensentwurf zu finden.

"Du bist mein Leben!", versucht sie einmal das junge Mädchen zu beruhigen, und sie meint diesen ungeheuerlichen Satz als Trost, als wolle sie der Tochter versichern, wie eng sie an sie gebunden sei. Iris Sellin ist selbst eine Monstrosität - hat sie doch ihr Leben ganz reduziert, ausschließlich der Musik gewidmet. Sie zeigt dem Kindermädchen das Musikzimmer als "Tabernakel", die Noten als "Monstranz", verbietet jede Berührung von beidem. Heilige Orte, die das eigene Leben ordnen und zentrieren. Liebe richtet sich unter dieser ebenso asketischen wie unduldsamen Voraussetzung nur noch auf das Selbst, und auch die Tochter ist nur ein Spiegelbild des eigenen Lebens. Reproduktion entmachtet die Sexualität - es braucht den anderen nicht mehr, wenn man sich fortpflanzen will. Das Klonieren ist eine Form der Liebe unter den extremen Vorzeichen der Individualisierung, weil es den anderen entbehren kann. Iris Sellin ist besessen von der Musik, ihr ist alles untergeordnet. Sie ist in der Beschränkung und Ausschließlichkeit dieser Fixierung künstlicher als ihr Doppel, und es gehört zu den Leistungen Franka Potentes, diese Differenz spürbar zu machen.

Die Innigkeit und Verbundenheit der beiden Frauen - sinnigerweise spielt Franka Potente beide Rollen - scheint nie so klar zu sein wie beim ersten gemeinsamen Konzert, bei dem sich Tochter und Mutter an zwei Konzertflügeln gegenübersitzen. Man sieht jeweils die Spielerin und das Spiegelbild ihrer Hände auf dem Holz des Flügels - so dass beim Umschnitt (die Szene ist als Schuss-Gegenschuss-Auflösung realisiert) die jeweils andere an die Stelle des Spiegelbilds der vorherigen tritt. Das Spiel mit Symmetrien, Gleichheiten, Verdoppelungen geht bis in das anagrammatische Spiel mit den Namen hinein - aus "Iris Sellin" wird "Siri Sellin". Die Verbundenheit der beiden Frauen ist aber fragil und kann nur solange bestehen, wie Siri sich hilf- und wehrlos unterwirft. Als sie beginnt, nach dem Eigenen zu fragen, was ihr bleibt, zerbricht die Einheit von Mutter und Tochter. Die Einsamkeit des Klon-Kindes steht in historischer Reihe. Die Selbst-Stigmatisierung, die Siri als "Klon" mit dem Davidsstern vornimmt, ist gerade deshalb interessant, weil sie die Unselbständigkeit ihrer Klon-Identität mit einer viel allgemeineren Identitätskrise zusammenbringt, die Siri erlebt und die sie als gesellschaftliche Ausgrenzung erlebt. Der Klon steht wie andere Diskriminierte auch außerhalb gesellschaftlicher Normalität, weil er als nicht-menschlich oder nicht-normal etikettiert ist oder sich selbst etikettiert. Und indem der Klon die Unterwerfung unter das allgemeine Urteil am eigenen Leib exekutiert, sich selbst als minderwertig erfährt, verinnerlicht er ein Stigma, übernimmt er eine Schuld, für die er nicht verantwortlich ist. Siris theaterhaft anmutende Geste, sich als "Klon" zu outen und gleichzeitig in die Symboliken des Holocaust zu stellen, ist darum ein ebenso groteskes wie verzweifeltes Auflehnen gegen diesen Mechanismus der Entwürdigung.

Die junge Frau entflieht konsequenterweise dem Einfluss der Mutter, beginnt ein zweijähriges Leben als Eremitin in den kanadischen Wäldern. Dort nimmt sie Freundschaft auf mit einem albinotischen Wapiti-Hirschen, den sie elternlos gefunden und aufgezogen hat (und den sie nach einem fröhlichen Kinderlied "Rudolf" tauft). Auch diese Konjunktion ist zutiefst symbolträchtig, schließen sich doch zwei Zwischenwesen, zwei Randexistenzen in der Zivilisationslosigkeit des Urwalds zusammen, die beide nicht richtig zu ihren "Stämmen" gehören. Zugleich ist das Exil im Wald eine mönchische Zeit der Exerzitien, der Selbstbesinnung, des Durchgangs zu einer geistigeren Existenz - und endet in der Bewältigung der Krise: Die junge Frau wird den Eindruck, die eigene Existenz sei eine Wiederholung, verlieren, ein eigenes selbstbestimmtes Leben führen können.

Ein Film über das Klonieren? Nein; vielleicht: auch. Das Recht auf Ablösung und auf Selbstbestimmung, die Relativität des Anspruchs, den man auf das Leben eines anderen ausüben darf und kann, die Achtung, die man vor einem anderen haben muss: Dieses sind die Themen, die Blueprint behandelt und die manche Implikationen der Klon-Diskussion zurückführen auf die tieferen Fragen des Generationenvertrags oder auch des menschlichen Verkehrs überhaupt, die durch die Techniken der Reproduktionsmedizin höchstens verschärft gestellt werden können.


© Hans J. Wulff 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 34/2005
https://www.theomag.de/34/hjw3.htm

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