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Magazin für Theologie und Ästhetik


Martin Deutingers Ästhetik

Eine theologisch - ethische Untersuchung

Dominik Bertrand – Pfaff

Dietmar Mieth gewidmet

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den theologisch-ethischen Implikaten der christlichen Ästhetik Martin Deutingers[1] (1815 – 1864). Zunächst ein paar Worte zu Deutinger selbst, daran anschließend zu den Grundlinien seines Denkens, bevor dann zum Schluss auf das eigentliche Erkenntnisinteresse dieses Beitrages eingegangen wird.

Beginnen wir mit einer Verortung des wohl eher unbekannten Deutinger in seine Zeit unter dem Aspekt von Kunst und Ästhetik, die dessen Biografie durchwirken, ja diese als eine Hingabe an die Idee einer christlichen Kunst verstehen lassen. Sein Interesse an Kunst und deren Theorie weist ihn als einen Erben der Romantik und des Idealismus innerhalb der Kirche aus und beweist vielleicht auch heute wieder durch das verstärkte Interesse an Kunst und Ästhetik seine Aktualität. Woher kommt nun dieses Interesse an Kunst und Ästhetik? Da ist sicherlich zunächst eine an Kunsttheorie und -praxis reichlich interessierte Epoche zu erwähnen: hier sind Philosophen wie Hegel und Schelling[2] zu nennen, wie auch die romantische Bewegung (v.a. Schlegel) und der mit diesen in Verbindung stehende Nazarenerkreis. Weiter wird man auf die eigene künstlerische Aktivität Deutingers verweisen können, welche sich mit den Begriffen Kunstkritik und Photographie von Kunstgegenständen[3] umreißen lassen kann und natürlich die Herausgabe einer Vorläuferin des 'Hochland', die Kulturzeitschrift 'Siloah', die nach zwei Jahrgängen jedoch wieder eingestellt wurde.[4] Kunstreisen markieren demnach eine weitere Form des Kunstinteresses Deutingers.[5] Vorlesungen und Abhandlungen zu Kunst und Ästhetik versuchen, diese Kunstpraxis zu reflektieren und eine christliche Kunsttheorie zu entwerfen.[6] Diese Reflexionen stellen sich in den Dienst der wissenschaftlichen, philosophischen und künstlerischen Bildung des Klerus, den er als nicht kompetent auf diesem Gebieten hielt. Von den Schwierigkeiten, die ein Kunstsinniger wie Deutinger mit dem Künstlermilieu hatte, sei hier jedoch auch zu reden, stolpert er doch insofern über die Künstlerin Lola Montez, als er als Münchner Philosophieprofessor deren Affäre mit dem bayerischen König zu kritisieren wagt, und sich mit dem dafür gebrauchten übernatürlichen Argument die Karriere verbaut: er wird 1847 in das verschlafene Dillingen strafversetzt, wo sein Interesse an Kunst trotzdem nicht erlahmte und die Gründung kultureller Zirkel initiierte und seine Vorlesungen einen, wenn auch nur kurzen, Erfolg hatten. Sein dort ins Auge gefasstes Projekt einer illustrierten Kunstgeschichte schlug im Folgenden jedoch fehl. Nach Jahren kirchlicher und gesellschaftlicher Ausgrenzung, glänzte er dann als Universitätsprediger in St. Ludwig in München und dann erst 1863, also erst ein Jahr vor seinem Tod, wurde ihm mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Freiburg, der wohlwollenden, erzbischöflichen Aufnahme seiner Schrift gegen Renan[7] 1864 und der Beteiligung an der Versammlung katholischer Gelehrter in München, die sein Freund Ignaz von Döllinger initiierte,[8] die von ihm ersehnte kirchliche und gesellschaftliche Anerkennung zuteil. Nach einem darauffolgenden, 50-jährigen Dornröschenschlaf erhielt er posthume Anerkennung als Starphilosoph des 'Hochland'.[9]

1. Deutingers Grundlagen: Schöpfung und Offenbarung des Lebens

Fahren wir fort mit einem Zitat, das man für eine theologische Interpretation als einen hermeneutischen Schlüssel seines Denkens bezeichnen kann. So schreibt er an seinen Vertrauten Lorenz Kastner:

"Sieh, ich will versuchen, mit einem Gleichnisse zu sagen, wohin ich will. Sechs steinerne Wasserkrüge sehe ich stehen und vernehme den Befehl des Herrn: implete hydras aqua! Nun also will ich hingehen und sie füllen mit dem Wasser der natürlichen Erkenntniß und dann auf den Herrn hoffen, ob er sie in den guten Wein der göttlichen Erkenntniß verwandeln und so das erste Wunder seiner Erlösung an mir wirken wolle."[10]

Der Horizont ist der, dass Deutinger seine 'positive Philosophie' mit dem Schöpfungsbericht beginnt und auf dieser Grundlegung seine gesamte Lebensphilosophie aufbaut.[11] Der Bereich der Geschöpflichkeit zeichnet sich durch einen am Schöpfungsbericht orientierten Stufenaufbau aus, obwohl Deutinger eher eine Dialektik von Geist und Natur entwerfen will und letztlich beide Ansätze vermischt.[12] Deutinger geht in den Übergangsbereichen von einer aufsteigenden sublimierenden Verwandlung aus, die einem Wunder gleicht[13] und in der sich das eigentliche Prinzip des Lebens wiederfinden lässt: "Die Geburt alles höheren Lebens beruht auf der Umwandlung des niederen."[14] Grund hierfür ist der der Geschöpflichkeit inhärente Kräftehaushalt. Die Flächigkeit der unteren Bereiche verteilt die Kraft auf deren Oberfläche, kann diese somit nur schlecht bündeln und lässt die zu dieser Bündelung nötige Innerlichkeit vermissen.[15] Dies wird Deutinger zufolge erst ermöglicht durch die gegebene Ausstattung mit Organen, welche die Kräfte kontraktieren, freisetzen und sublimieren können. Der Muskel ist hier das eingängigste Beispiel eines solchen Organs: er kontraktiert die flächige Schwere körperlicher Kraft, um flexiblere Kraft in Form der Bewegung freizusetzen. Der Begriff der qualitativ höheren Organisation bezieht sich also nicht nur begrifflich auf die quantitativ hohe Ausstattung mit Organen.[16] In diesem Vorgang geben die unteren Kräfte über das Organ ihre Intensität an eine höhere, diesen ohne das Organ unverfügbaren Kraft ab, opfern sich dieser, was erstere sublimiert und zu höheren Zwecken hinordnet.[17] Neben der natürlichen Ausstattung des Menschen verfügt dieser noch über eine geistige, welche sich in operativer Einheit transformiert und nicht die Reinform von Natur und Geist besitzt. In dieser geistigen Geschöpflichkeit imprägniert findet sich als Matrize (Negativdruck) des Geistes das Bild der Trinität.

Diese Matrize provoziert eine Erfahrung des Mangels, indem sie etwas aufscheinen lässt, welches auf einen Bereich der Unverfügbarkeit und des 'Nicht - von - mir - gemacht' und 'Höchstwahrscheinlich – mich – gemacht' hinweist.[18] Diese geistige Erfahrung präfiguriert alles weitere menschliche Streben. In dieser Erfahrung, welche letztlich in der Unverfügbarkeit der göttlichen Schöpferliebe gründet, mitgesetzt sieht Deutinger die Erfahrung eines über Selbstbewusstsein verfügenden Wesens: der Mensch kann sich zu sich selbst verhalten und indem er dies tut, wird er sich der darin liegenden, leeren Struktur, die jedem über Geistigkeit verfügenden Wesen eignet, bewusst: das Sein, Erkennen und Wollen als in den menschlichen Geist imprägniertes Bild der Trinität, welches letztlich die formierende Innerlichkeit des Menschen konstituiert.[19] Dieses Bild ist jedoch leer und holt nur ein negatives Gottesbewusstsein ein, das Deutinger im Selbstbewusstsein, welches sich folglich angesichts zweier Nicht-Ichs konstituiert,[20] realisiert sieht. Dieses Selbstbewusstsein ist im Aufscheinen-Lassen der Verheißung der Fülle im Mangel begründet, welches wiederum in der weiteren Bewegung eingelöst werden will. Die eigene Verfügbarkeit reicht demnach nicht zur Sublimierung aus, da sie sich zirkulär in einem geschlossenen Kreislauf verlieren würde und nur auf sich selbst Bezug nehmen könnte. Deutinger bezeichnet den Menschen in der Bewegung nach der Erfahrung der Fülle, welche Freiheit vom Notwendigen verheißt und nicht auf das Verfügbare, Natürliche oder Notwendige reduziert werden kann, als Subjekt. Die geistige Erfahrung konfiguriert die Bewegung, die sich zur Aufhebung des Mangels konstituiert und in geistigem Streben, oder m. a. W. in der Willenstätigkeit resultiert. Der Wille ist nun der Träger alles geistigen Austausches mit der Äußerlichkeit und bemächtigt sich hierbei auch des somatischen Strebens, welches auf diese Weise aus der zirkulären Bewegung herausgenommen wird.

Das mit Geist ausgestattete Geschöpf konstituiert sich als Subjekt in der Auseinandersetzung von Notwendigkeit und Freiheit in Natur bzw. Leib und Geist mit einer idealtypischen Asymmetrie zugunsten des geistigen Elements in der Seele, um in einer durch diese Asymmetrie konstituierten Strebenskonstellation die Mangelerfahrung des esse ab alio aufzuheben. Die Subjektivität bezeichnet also durch Mangel geprägte, leere Tätigkeiten[21] auf der Suche nach Erfüllung in der Erfahrung der Freiheit von der als Notwendigkeit empfundenen Enge und Selbstreferentialität des geschlossenen Kräftekreislaufs der Natur und umfasst drei von der Konsistenz des Angestrebten (Konstellation und Korrelation) bestimmte Dispositionen dieses Strebens. Dieses ist als menschliches Streben eingespannt in ein somatisches und ein pneumatisches Element, deren Verhältnis sich je nach Angestrebtem transformiert und die drei Bewegungen menschlichen Strebens konstituieren: Denken, Können und Tun. Diesen Strebensdispositionen inhäriert die nach Deutinger jeder Subjekt - Objekt - Dialektik eigene Qualitätsveränderung oder Transposition: "Alles Leben beruht auf Verwandlung. Auch das Geistige ist ein stetes Verwandeln des objectiven Verhältnisses in das subjective und des subjectiven in's objective. Assimilation und Transformation bedingen jede einheitliche Lebensfunction."[22] Idealiter werden diese den Schellingschen nachempfundenen Potenzen oder Dispositionen in einer Grammatik von Konstellation und Korrelation mit dem Göttlichen zu einer Transposition im Sinne einer Sublimierung in die mit den personalen Tugenden des Glaubens, Hoffens und Liebens als deren eigentliche Bestimmungsgründe überführt.

2. Der Zugang zur Kunstlehre Deutingers: das Können

Auf diesem Hintergrund fällt nun das Interesse auf die Implikationen für die Deutingersche 'Kunstlehre'. Diese ist sowohl Produktions-, Werk- wie auch Rezeptionsästhetik. Diese drei Elemente sollen nun nachgezeichnet und auf deren theologische Voraussetzungen hin untersucht werden. Die bestimmte Disposition des Könnens[23] ist bei Deutinger eine der subjektiven Potenzen und bezeichnet allgemein die Verobjektivierung eines Subjektiven. Hier kann schon ein aristotelisch geprägtes Axiom vorausgeschickt werden, welches auch Deutinger in seinem Denken transformiert, nämlich dass das, was durch eine Kraft wirkt, dieser vorausgeht, was hier in der subjektiven Tätigkeit auf dem hier entwickelten Hintergrund Deutingers das Bild der Trinität darstellt.[24] Das innerlich imprägnierte Bild der göttlichen Liebe in Form der Trinität wird in der dem jeweiligen Künstler eigenen, größtmöglich erscheinenden Klarheit[25] geschaut und stößt über die darin mitgesetzte Erinnerung an die, Ahnung der und Sehnsucht nach der Gottähnlichkeit in der Erfahrung des Aufscheinen-Lassens des Versprechens der Fülle, welche durch komprimierte Konzentration konstituiert wird, die Kunstproduktion an:

"Nur dadurch, dass der Mensch sich innerlich von dem Bewusstsein einer über die Natur herrschen könnenden und zu Gott in einem näheren Verhältnis als zur Natur stehenden Freiheit angeregt fühlt, erhält er die Macht und den Drang, die ihn umgebende Natur nach dem innerlich bewegenden, idealen Leben umzugestalten, die Ahnung des Ewigen, welche ihn begeistert, in äusseren Formen und Bildern auszudrücken. Diese Begeisterung nun, die den Menschen befähigt, bildend und umgestaltend die Natur zu erneuern, kann in diesem Sinne allerdings eine göttliche genannt werden, inwiefern sie Zeugnis gibt von einer dem Menschen von Gott verliehenen Macht über die Natur; inwiefern sie den Menschen eine dem schaffenden Willen Gottes ähnliche Macht über die Welt ausser ihm gibt. [...] Obwohl die Kunst aus der im Menschen nach aussen wirkenden Macht der Freiheit hervorgeht, ist sie doch keine absolute und ihrer Natur nach göttliche Macht und Freiheit, sondern beschränkt, durch die geschaffene Natur in ihren Werken und Bildungen bedingt und begrenzt. Der bildende Geist wird zum Bilden und Dichten angeregt, durch die in ihm lebende Ahnung der Gottähnlichkeit des menschlichen Geistes, die in seiner Freiheit ruht, aber er wird nicht unmittelbar von dem göttlichen Geiste selbst inspiriert."[26]

Die Bedeutung der Innerlichkeit der Schau markiert den Ort der Erfahrung konzentrierter Fülle und ermöglicht die Sublimierung der künstlerischen Kraft in der Erfahrung der Macht über das Verfügbare und die des Materials, das mehr oder weniger von Innerlichkeit durchformt wird. Dabei scheint gerade dem Wesen der Idee als dem Bild der Trinität eine konzentrierende und bündelnde Kraft zu eignen. Diese Kraft lässt sich auf die derselben innewohnenden Attraktivität zurückführen. Die Anregung zur Darstellung dieser Anschauung liegt folglich in der Wirkung der als Bild im menschlichen Geist imprägnierten Idee selbst. Von dieser muss so etwas wie ein Anstoß ausgehen, einem Versprechen auf Erfüllung ähnlich, der den Künstler zur Darstellung treibt. Durch das innerlich geschaute Bild der im Geist imprägnierten Trinität werden die menschlichen Kräfte kontraktiert und bergen so dieses Bild in sich. Die Kontraktion wird dadurch aufgelöst, dass das Aufscheinen des Versprechens der Fülle, welches im Bild der Trinität mitgesetzt ist, die Konzentration durch Potenzierung der Innerlichkeit so lange steigert, bis sie das Bindungsvermögen sprengt und so ihre Eigendynamik freisetzt. Dieses Bild ist damit zugleich als formierendes Prinzip im Streben als ein diesem Vorausgehendes präsent, insofern dieses erst auf die initialisierende Schau der göttlichen Idee und dem dabei mitgesetzten höheren Gefühl der Begeisterung folgt. Diese Erfahrung ist sublimierend einerseits in dem Sinne, als sie den Menschen über sich hinausweist und transzendiert auf das der menschlichen Verfügbarkeit Unverfügbare hin und andererseits, insofern der Stoff sublimiert wird. Dadurch, dass also das, was durch das Können wirkt, diesem vorausgeht, "verliert das Können entscheidend von der Fremdheit und Blindheit, die ihm eigen ist, solange es als eine allgemeinmenschliche Macht, in der nur die Energie der natürlichen Lebenskraft weiterwirkt, durch den Künstler hindurchgeht."[27] Es ist die (objektive) Transformation des subjektiven Bewusstseins, die im Spiel zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit der Schöpfungserfahrung bis zu einem Punkt führt, wo sich die göttliche Intentionalität im Menschen spiegelt und diesen zum Mitschöpfer werden lässt.

Das Kunstwerk im Sinne von Deutingers Organologie wird hier als ein vitales und vitalisierendes Organ der menschlichen Möglichkeiten verstanden. Dem belebenden Charakter des Kunstwerks eignet eine geistig durchformte Attraktivität: die Anziehungskraft eines Kunstwerks lässt sich deshalb angemessen im Begriff der Schönheit verorten. Darunter ist zu verstehen, dass von wahrer Schönheit, die es wie bei Hegel nur als Kunstschönes gibt, dann die Rede sein kann, wenn klarste Einheit bei höchster Mannigfaltigkeit[28] anschaulich wird. Diese bündelnde Kraft suggeriert komprimierte Fülle, welche als Versprechen der Fülle über den Status des Subjektiven auf den des Personalen hinweist. Durch das Höchstmass an konzentrierter Kraft eignet einem solchen persönlichen Kunstwerk höchste Lebendigkeit, von der wiederum selbst vitalisierende Wirkung[29] ausgeht. Diese liegt nun in der Schöpfungskraft des Geistes selbst, welche sich dadurch auszeichnet, etwas für nicht Verfügbar gehaltenes hervorbringen zu können, dementsprechend ein Wunder in die Verfügbarkeit einzutragen. Dies bildet den Hintergrund dessen, dass Deutinger dem Neuen eine solche Bedeutung zumisst, wenn er sagt, die Nachahmung zeuge von der Armut des Geistes und sei deshalb keine Kunst!{30] Gerade eine solche Kunst würde dem Anspruch genügen, den Deutinger an Orte anlegt, in denen sich Geist und Natur verbinden: "der Wille schimmert durch den Leib hindurch"[31]. Diese konzentrierte Lebendigkeit bedarf eines Ventils, um die Teile und partikulären Kräfte, die im Kunstwerk anwesend sind, rückbezüglich auf ein Zentrum hin zu bündeln und eine dem Geistigen eigene, sublimierende Wirkung zu entfalten. Das Ventil dieser Lebendigkeit wird im Mittelpunkt des Werkes veranschlagt und gibt sich über den Mittelpunkt dem Betrachter hin. Dieser Mittelpunkt fungiert als ästhetische Kategorie[32]: als ein Verweisungspunkt von Gabe und Hingabe im Sinne einer Rückbezüglichkeit der Teile auf ein einheitsstiftendes Zentrum hin. Die Äußerlichkeit des Kunstwerks lässt durch den Mittelpunkt im Verfügbaren Innerlichkeit aufscheinen.[33] Als ästhetische Merkmale eines gelungenen Kunstwerkes können hier festgehalten werden, dass eine trinitarische Struktur erkenntlich sein sollte,[34] welche sich verweisend und hingebend um einen Mittelpunkt gruppiert, in welchem wiederum das Prinzip der Verleiblichung des Liebesgebotes aufscheinen sollte.[35] In dieser Bündelung vollzieht sich ein Aufscheinen-Lassen von Innerlichkeit auf Äußerlichkeit, indem diese Innerlichkeit, welche der Ort der Freiheitserfahrung ist, die Äußerlichkeit durchformt.[36] Das Kunstwerk als Organ kann folglich als ein Ort verstanden werden, an dem die Bedingung höherer Lebensintensität anschaulich wird, nämlich in der Hingabe an einen Fülle versprechenden Mittelpunkt und der damit einhergehenden Erfahrung der erhebenden Verwandlung.[37]

Neben der inneren Anschauung der Idee, die die Kunstproduktion anregt und ihr vorausgeht, kennt Deutinger wie oben ausgeführt die Anschauung, die sich auf die im Äußeren imprägnierte Idee richtet. Hier wäre der Ort der ästhetischen Erfahrung, die Henckmann bei Deutinger im Begriff des Gefühls[38], und zwar dem Gefühl des Angenehmen[39] oder des Wohlgefallens fixiert hatte[40], einem Begriff also, der bereits in der dritten Kritik Kants begegnet.[41] Die Konstellation, die ein solches Gefühl des Wohlgefallens hervorruft begegnet dem 'Rezipienten' in der Rückbezüglichkeit der Teile der Darstellung auf ein Zentrum hin, das erst der Darstellung die Einheit gewährt.[42] Die Innerlichkeit in Form des Mittelpunktes wäre also dieses einheitsstiftende Moment, von dem schon die Rede war, da dessen kontraktierende Leistung, die wiederum in der Abbildlichkeit der Trinität begründet liegt, sich auf das Material überträgt. Die Mannigfaltigkeit im Kunstwerk bleibt stets bezogen auf diesen auch material nachvollziehbaren geistigen Mittelpunkt, der formierende Innerlichkeit gleich der komprimierten Fülle der Trinität in einem Medium aufscheinen lässt, welches der Äußerlichkeit angehört.[43] Deutinger verortet das geistige Lebens- und Wirkprinzip der Kunst im Zentrum des menschlichen Daseins.

Die ästhetische Erfahrung des Rezipienten lässt sich weiter wie folgt beschreiben: sind die o.g. Kategorien eingeholt, ist die Möglichkeit einer Entzündung der Liebe zum Göttlichen[44] über das Gefühl des Wohlgefallens, gegeben:

"Das Liebenswürdige muss ihm [dem Menschen, der Verf.] erscheinen, aber der Schein muss ihm das Wesen verkünden, sonst ist er kein Scheinen. [...] Das Schöne entzündet also die Liebe im Menschen, sobald er in dem Schönen das sich offenbarende Wesen sucht. [...] Der Mensch bedarf der Erscheinung, und findet das Wahre nur mittels der Erscheinung. Der Ausdruck des Wesens in der Erscheinung macht sie zum Schönen, und weckt die Sehnsucht nach dem Ewigen, weckt die Liebe."[45]

Das Schöne im Kunstwerk muss demnach in dessen Gleichnishaftigkeit Kerygma für das sein, was durch es wirkt, was letztlich in der Liebe Gottes gründet. Dieser komprimierend-formierenden Innerlichkeit auf der Äußerlichkeit des christlichen Kunstwerks eignet eine verführerische Kraft, der Schein, die Hülle und die Äußerlichkeit hat doch so viel Macht, die Innerlichkeit als dem Sitz des Lebens zu affizieren, wenngleich natürlich auch hier die Innerlichkeit das die Äußerlichkeit formierende Prinzip ist (fascinans[46]). Letztlich wäre ein solches Kunstwerk im kerygmatischen Sinne eine Verführung zur Verlebendigung durch Wiederverleiblichung dessen, was durch dasselbe wirkt und letztlich eine cheiropoietische Verführung zum Glauben. Die Vitalisierung, die vom Kunstwerk ausgeht, bezeichnet der Begriff der 'geistigen Wiedergeburt'. Diese kann auf eine Erfahrung zurückgeführt werden, die die ästhetische Erfahrung in sich birgt und in ihr mitschwingt und die wohl angemessen zugleich als eine religiöse Erfahrung verstanden werden kann. Der Begriff der geistigen Wiedergeburt, sowie der der conversio, den Deutinger in vielfältigen begrifflichen Variationen verwendet, legt diese Interpretation nahe.[47]

Die geistige Wandlung geht also mit der Betrachtung eines wahren Kunstwerks einher. Damit wäre das Moment des tremendum[48] in der ästhetischen Erfahrung mitgesetzt, welches zugleich auf ein Gefühl gewisser Unlust hinweisen könnte, da jede Wandlung zunächst schmerzhaft ist. Das Gefühl des Angenehmen, welches das Wohlgefallen suggeriert und in der Rezeption des Schönen nach Henckmann mitgesetzt ist, scheint für diese conversio folglich nicht hinreichend zu sein und müsste um ein eine religiöse Erfahrung einholendes Gefühl erweitert werden.[49] Die Verbindung stellt der schon als Möglichkeit genannte Vorgang einer Wiederverleiblichung des Liebesgebotes dar. Das legt sich durch die Sprache Deutingers selbst nahe, der von Verleiblichung des Liebesgebotes durch das Kunstwerk spricht.[50] Die Konsequenzen liegen nahe: die ästhetische Erfahrung konfiguriert den Willen, indem sie den Umschlag von Naturzwang zu Freiheitsdrang im Angebot der Liebesfülle aufscheinen lässt und den Gläubigen zur Aneignung des im Kunstwerk aufscheinenden Liebesgebotes im eigenen Leben stimuliert. Die dem am meisten entsprechende Anschauungsform kann nach Deutinger in der Andacht gesehen werden.[51] Die Andacht kann hier als erfüllte Anschauung verstanden werden, weist im Prinzip auf die religiöse Fundierung der Kunst im Glauben hin, indem sie eine tabula rasa realisiert, die in eine Revitalisierung der Formen und Gestalten einmündet und auch vor praktischen Konsequenzen nicht halt macht.

Die Bedingung wahrer Kunst findet sich im weiteren in den christlichen, persönlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe (als Produkt eines gewährten Zusammenstimmens von Disposition, Konstellation und Korrelation): eine solche Interpretation der subjektiven Potenzen wird durch die Erhebung der subjektiven Tätigkeiten in die personalen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe nahegelegt. "In der Richtung der geistigen Kräfte auf ein höheres Leben durch den Glauben beginnt die Wiedergeburt des natürlichen Lebens."[52] Diese Ausführungen münden in einen zentralen Begriff und Topos des Denkens Deutingers, nämlich den der Liebe. Dieser ist nun bei Deutinger zunächst einmal, wie auch die Freiheit, ein metaphysischer Begriff, der die Welt ins Sein ruft, der aber zugleich die Bedingung der Möglichkeit birgt für eine menschlich figurierte Form der personalen Tugend. Tugend wiederum "ist das Product einer inneren und moralischen Umwandlung des Menschen, seines egoistischen Begehrens in das Leben der Hingebung und Liebe."[53] Es begegnet dabei nicht von ungefähr dieser Begriff immer dann, wenn von Schöpfung, Opfer, Hingabe, geistige Erneuerung o.ä. die Rede ist.[54] Für Deutinger ist das Wesen der Kunst damit die Liebe,[55] wahre, christliche, persönliche Kunst ist Liebe Gottes in ihrer Erscheinung, materialisierte Hingabe[56] an eine vorher erfolgte Gabe,[57] in der das am entsprechendsten durch die Kräfte des Kunstwerks schimmert,[58] was diesen vorausgeht. Die Liebe wäre hier als der von der Erfahrung des Versprechens auf Fülle konfigurierte Wille zu verstehen und damit Stimulans zum freiheitlichen Handeln. So ist nach Deutinger die Liebe "letzter, geheimnisvoller Beweggrund alles freien Handelns"[59]. Der Gläubige darf es auf diesem Hintergrund nicht bei der Andacht belassen, sondern aus ihr den Impuls zur Praxis gewinnen.

3. Theologisch - ethische Relevanz in Bezug auf das Ästhetische

Die Bedingung wahrer Kultur und Sittlichkeit liegt für Deutinger in der Offenbarung: "Nur im Boden der Freiheit und der Liebe und also im Glauben und in der Religion wächst der Baum der Kunst."[60] Die Rückbindung an Glaube und Religion legt die Vermutung nahe, dass in diesen auch der Grund der Vermittlung von Ästhetik und Moral zu sehen sei. Dabei spielen folglich sowohl die institutionelle Verfasstheit der Religion, die sich in der Kirche als eine sakramentale realisiert, als auch der persönliche Vollzug eine Rolle. Nicht nur die Nähe der Andacht zu einer ästhetischen Erfahrungsform legt also die Vermutung nahe, dass das, was durch wahre Kunst wirkt, eigentlich nicht auf diese reduziert werden darf, sondern seinen Ursprung in der Religion und hier im sakramentalen Kultus hat. Deshalb ist hier nun auf die Konsequenz der sakramentalen Fundierung der Kunst bei Deutinger einzugehen. Sakramente sind Orte göttlicher Fülle und ihnen eignet damit die unüberbietbare Vergeistigung des Materials. Gott inszeniert selbst diese Orte seiner Präsenz und damit den erfahrbaren, realen Umschlag von Naturzwang zu Freiheitsdrang. Grund hierfür ist das Sich-verfügbar-machen des Unverfügbaren in der göttlichen Inszenierung. So kann Deutinger den Kultus als den Ursprung der Kultur bezeichnen:

"So ist von Seiten der leiblichen und geistigen Natur der Kultus Bedingung aller Kultur und höheren Entwicklung und Heiligung. Welche Höhe auch das natürliche Leben des Geistes erringen mag, die Vollendung und Heiligung beruht allein im Glauben an die göttliche Verheißung und an die von Gott eingesetzte Bedingung der Wiedervereinigung mit ihm. Keine natürliche Lebensveredlung, keine irgendwie außer dem Geiste christlicher Liebe und Erlösung mögliche religiöse Übung kann den Menschen bis zu jener wunderbaren Heiligung und Vollkommenheit erheben, die sich im Christentum offenbart hat."[61]

Die göttliche Inszenierung als sublimierende Verwandlung der Natur scheint am deutlichsten in der Eucharistie auf. Die Begriffe der Transposition: "Wie die Natur, so entfaltet auch die Religion ihr Leben nur mittelst der Transposition und Transsubstantiation."[62] und eben der Transsubstantiation: "Die Transsubstantiation ist ein Mysterium, und zwar die immerwährende Erneuerung des ersten Mysteriums des Wortes, der Inkarnation."[63] markieren diesen für den Gläubigen erfahrbaren Ort der Freiheit in der Hingabe und Liebe. Das Bild Gottes soll durch den Kultus im Menschen auferbaut werden: "Jeder Kultus ist, weil Gott ehrend, den Menschen erbauend, das heißt das Bild Gottes auf dem Grunde der Natur im Menschen auferbauend."[64] Dies erinnert stark an die Anschauungsform der Andacht, die zuerst zerstört, um dann noch 'erhabenere Formen zur ewigen Dauer hinzustellen'[65]. Der Mensch wäre der Ort der Zerstörung jeglicher Vorstellung, um ein 'eminenteres' Bild Gottes in ihn einzutragen. Dabei stellt in logischer Folge der Charakter des Mysteriums, der dem Kultus eignet, hier die regulative Voraussetzung für die Erhabenheit der Formen dar. Der Teil der ästhetischen Erfahrung, die mit dem tremendum, also mit der religiösen Erfahrung, welche in der ästhetischen mitschwingt, bezeichnet wurde, scheint hier ihren genuinen Ort zu haben, wie es auch Deutingers Ausführungen zur Bedeutung der Eucharistie für die 'geistige Wiedergeburt' nahe legen.[66] Angesichts der erhabenen Formen in Bezug auf den Kultus kann davon ausgegangen werde, dass das fascinans hier zugunsten des tremendum zurücktritt. Ist der Kultus der Ort der Erneuerung der Inkarnation, so liegt der Schluss nahe, die christliche Kunst als cheiropoietische Orte zu bezeichnen, die in der Reinkarnation des Liebesgebotes im acheiropoietischen Sakrament gründen und diesem durch die Verführungsmacht des fascinans zur Reinkarnation verhelfen. In der Aneignung oder besser Annahme der eucharistischen Gaben erst liegt die Ermöglichung der Lektüre der Schöpfung in der den Stoff formierenden Verleiblichung in der Erfahrung der realen Fülle der trinitarischen Struktur von Sein, Erkennen und Wollen. Im Kultus sieht folglich Deutinger das Lebensprinzip an sich veranschaulicht: "Dass man sich über die sacramentale Wandlung in ihrer Lehre vom Opfer verwundert, ist nur ein Beweis, dass man das höchste Lebensprincip überhaupt noch nicht vollständig erkannt hat."[67]

Auch bezüglich Deutingers symbolisch verstandenen Sakramenten ist folglich die Liebe im Sinne von Opfer und Hingabe der zentrale Begriff. Ist nun die Liebe "letzter, geheimnisvoller Beweggrund alles freien Handelns"[68], so wird dadurch zugleich auf die ethische Relevanz der Sakramente hingeführt. Von einer ethischen Relevanz kann hier in der Erfahrung der Fülle als Umschlag von Naturzwang zu Freiheitsdrang in der Hingabe geredet werden, insofern er dazu stimuliert, dieses im eigenen Leben nachzuvollziehen. Diese Stimulation, welche auf die Wirkung der Liebe zurückzuführen ist, kulminiert in eines Nachfolgeethos oder in der gänzlichen Hingabe an das göttliche Liebesgebot: "Indem wir in die Liebe eingehen, geht ein neues, ein göttliches Leben in uns ein. Nicht mehr wir leben, sondern Christus lebt in uns."[69] Christus wird hier als Bild des Lebens in Hingabe verstanden, in dessen Proexistenz die Hingabe an den Vater und die Menschen anschaulich wird.[70] Ein solches Leben der Hingabe kann als Poetik des Lebens bezeichnet werden, welche im Sakrament anschaulich wird und zur Grundlegung einer persönlichen Kunst führt: In der Aneignung des Liebesgebotes in der Nachfolge wird der Mensch zum Kunstwerk Gottes, die Ästhetik der Hingabe und die Poetik der Gabe werden in einem Vollzug praktisch eingeholt. Voraussetzung dafür ist die Abnegation des Eigenwillens, welche damit dem göttlichen Liebesgebot, also dem erfüllten Willen Gottes, Raum zur Verleiblichung gibt.[71] Dabei scheint diese konzentrierte Innerlichkeit in der Äußerlichkeit[72] der christlichen Existenz auf und führt zu einer personalen – da Person trinitarisch begründet wird -, kerygmatischen, gleichnishaften Existenzweise des Christen, die sich am erfüllten Bild der kerygmatischen Existenz Christi ausrichtet.[73] Die Äußerlichkeit des Stiles wird gestützt von dem und liegt folglich in dem begründet, was durch ihn wirkt.

Dem Menschen eignet in logischer Folge die Disposition zum Kunstwerk oder zur Poesie Gottes in dem Sinne, als er zum Ort des aufscheinenden Umschlags von Naturzwang zu Freiheitsdrang aufgrund der Erfahrung der Fülle des Liebesgebotes in dessen Praktizierung werden kann. Dabei entsteht mit den dies begleitenden Formen der Hingabe eine Art Ästhetik oder Poetik christlicher Existenz: die Kunst der Verführung zum Glauben an das sich in der christlichen Existenz inkarnierte Liebesgebot Gottes, was der kerygmatischen Bedeutung der Formen christlicher Existenz gleichsam als Gleichnis Gottes gerecht werden würde.[74] Diese Attraktivität oder Verführung gründet im Charakter des mysteriums, das dieser Form eignet und sich paradoxerweise auf das Aufscheinen - lassen von Schwäche, Hingabe und Transzendierung des Eigenwillens beruft. Diesen Stil könnte man im Sinne des und in Anlehnung an Augustinus mit dem Begriff des sermo humilis bezeichnen,[75] des niederen Stiles, welcher im Rückzug noch in der christlichen Existenzform kerygmatisch das Gefühl der erfahrenen Erhabenheit in Form einer Spur vermittelt und anschaulich macht. Dieser lässt sich bei Deutinger im Begriff der Demut wiederfinden.[76] So ist der Begriff der Verkündigung mit dem der Erhabenheit eng verbunden. Darunter wird hier ein Aufscheinen-Lassen der formierenden Innerlichkeit göttlicher Fülle verstanden, das eine durch geistige Praxis konfigurierte Äußerlichkeit oder das ihr Äußerliche impliziert. Erhabenheit speist sich deshalb einerseits aus der Macht über das Material und andererseits aus der Materialsemantik.[77] Dass das unser Werk ist, was wir aus unserem Leben machen, bleibt immer zurückbezogen auf dieses Aufscheinen-Lassen.[78] Die kerygmatische Existenzweise konstituiert sich folglich aus dem sermo humilis und der Erhabenheit. Vermittelt wird dieses Paradoxon von Schwäche und Erhabenheit im schon von Augustinus so verstandenen, urchristlichen ästhetischen Gefühl der Rührung[79] und führt zu der dem sermo humilis nachgebildeten, kerygmatischen Praxisform der Christen. So wird aufgrund der Sakramente als institutionalisierte, vitalisierende Orte der Präsenz Gottes der Mensch zum lebendigen Organ der Liebe Gottes. Dieses Nebeneinander und Ineinander von sermo humilis und von der Spur der Erfahrung der Erhabenheit begründet letztlich die kerygmatische Existenzweise des Christen als eine eschatologische.

Die Sakramente als die Verdichtungspunkte der Institution Kirche verbleiben nicht nur auf der Ebene der das Material formierenden Innerlichkeit, da das Material diese Formkraft nicht zu bündeln imstande ist, sondern es scheint in diesem surplus der Durchfurchung des Materials eine befreiende Erinnerung dessen auf, der durch dieses surplus wirkt und die die Befreiung zum Leben in der erfüllten Geschöpflichkeit als Realität suggeriert. Damit ist der soteriologische Aspekt, der in dem o.g. hermeneutischen Schlüssel schon erwähnt wurde, eingeholt: Freiheitserfahrung kann nur in einem der menschlichen Verfügbarkeit transzendenten Sinne vollzogen werden und bezeichnet die der menschlichen Aktivität vorhergehende Passivität in der Abnegation des Eigenwillens als der Bedingung befreiten Handelns. Die gegebene, erfahrene Erhabenheit lässt hier wohl den Menschen zurückschrecken und die Erfahrung eigener Macht zurücknehmen. Damit übersteigt sich der Kreis hin zu einem offenen Kreislauf: das Subjekt wird mit dem Willen geboren, der sich schließlich in der Negation im Anschluss an den göttlichen Willen übersteigt. Aufgrund dieser Abnegation des Eigenwillens wird deutlich, dass Freiheit bei Deutinger transzendent verstanden wird und transzendental für die menschliche Freiheit ist.[80]

Ein kritisches Überdenken der Positionen Deutingers wird sicherlich manch Unhaltbares vor den Richterstuhl der Moderne oder Postmoderne zerren können.[81] Als Anregung jedoch für ein Weiterdenken könnte man an Deutingers Betonung der ikonischen Vitalisierung des Lebens als einer christlichen Lebensästhetik anknüpfen. Dann erweist sich natürlich auch die Frage, was denn heute überhaupt als christliche Kunst bezeichnet werden kann, als ein Dauerbrenner theologischer Ästhetik. Der kerygmatische Existenzstil des Christen im Sinne eines Widerstands gegen jeglichen Triumphalismus (auch den des Leidens) schließlich kann als ein Proprium in der theologischen Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik im Sinne einer Ästhetik der Existenz ohne ethischen Begründungscharakter bezeichnet werden, das rückgebunden bleibt an die materiale Mimesis der Institution Kirche.

Anmerkungen
  1. Generell wird man Deutinger nur verstehen können, wenn man sich ihm zuallererst als katholischem Philosophen seiner Zeit nähert. Sich von der damaligen Philosophie, welche der Idealismus repräsentierte und der sich im Fahrwasser Spinozas bewegte, und der sich abzeichnenden Neuscholastik gleichermaßen absetzend, versuchte er einer Religionsphilosophie den Grund zu geben, die der Lehre der Kirche und zugleich den Anforderungen der neuzeitlichen Philosophie gerecht zu werden versucht. Seine positive Philosophie versteht sich als Vermittlung dieser beiden Extreme, mit denen er die Kirche seiner Zeit konfrontiert sah. Auch eine Sicht von außen kann helfen, eine Verortung Deutingers in eine Denkbewegung zu ermöglichen. So schreibt Henri Bremond 1905 an Maurice Blondel: "Le plus beau est que vers 1840 un certain Deutinger professait à Munich le pur Blondellisme! ou du moins parlait en précurseur. C'est ma première rencontre avec ce brave homme qui fut mêlé dans l'agitation anti-ultramontaine, mais sans rien qui puisse trop compromettre sa théologie de l'action. Et ici même, à Fribourg, et à Tübingen, ils étaient une dizaine à entrevoir les mêmes idées, poussant leur enseignement théologique dans ce sens. Quelques hommes très remarquables et attachants, mais Deutinger est l'aigle." Henri Bremond / Maurice Blondel, Correspondance, 2ème tome, Paris 1971, S. 12; vgl. auch ebd. S. 16. Wir treffen hier auf einen Mann, den Bremond als einen 'précurseur' Blondels preist und von ihm an anderer Stelle als einem Denker spricht, der im selben Atemzug wie Henry Newman zu nennen wäre. Allerdings verläuft sich die Spur Deutingers im expliziten Denken Blondels im Sande, wie es mir während eines Forschungsaufenthaltes im Blondelarchiv klar wurde. Newman und Dechamps finden sich als Blondels Referenzen wieder, nicht jedoch Deutinger. Vgl. auch P. Henrici, Deutsche Quellen der Philosophie Blondels? in: Theologie und Philosophie 4 (1968), S. 550, Anm. 38.
  2. Diesen hat Deutinger 1833 in München gehört.
  3. Es existieren rund 20.000 Reproduktionen, darunter zahlreiche Photographien, die während seiner Kunstreisen entstanden und jetzt im Münchner Deutingerarchiv einer wissenschaftlichen Aufarbeitung harren.
  4. Siloah. Zeitschrift für religiösen Fortschritt inner der Kirche, 1/2 1850 f (im Weiteren: Siloah)
  5. Diese führten ihn in den 50er Jahren nach Mailand, Prag, Paris, Florenz und nach Köln. (Vgl. Martin Deutinger, Bilder des Geistes in Kunst und Natur, Bände 1 - 3, Augsburg 1850 f; (im Weiteren: Bilder)
  6. Deutingers Schriften zu diesem Thema sind: Das Verhältnis der Kunst zum Christentum, Regensburg 1843; Grundlinien einer positiven Philosophie als vorläufiger Versuch einer Zurückführung aller Theile der Philosophie auf christliche Principien, Regensburg 1843-1853, Band 4: Die Kunstlehre (im Weiteren: Kunstlehre) und Band 5: Die Dichtkunst (im Weiteren: Dichtkunst); Beispiel-Sammlung aus allen wesentlichen Entwicklungsstufen der Dichtkunst als zweite Abteilung der Lehre von dem höchsten Einheitspunkte der Künste in der Poesie, Regensburg 1846; Bilder; Über das Verhältnis der Poesie zur Religion, hg. von K. Muth, Kempten / München 1915 (im Weiteren: Poesie)
  7. Renan und das Wunder. Ein Beitrag zur christlichen Apologetik, München 1864 (im Weiteren: Renan)
  8. Der Titel des Beitrages, den Deutinger zu dieser Versammlung beisteuerte und der von der Versammlung mit Unverständnis aufgenommen wurde, lautet: Das Verhältnis der Freiheit der Wissenschaft zur kirchlichen Auctorität, in: P.B. Gams (Hrsg.), Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrter in München vom 28. Sept. bis 1. Okt. 1863, Regensburg 1863
  9. Max Ettlinger, Schlegel, Deutinger und Muth als Künder des religiösen Urgrundes aller Poesie, in: Wiederbegegnung von Kirche und Kultur. Eine Gabe für Karl Muth, München 1927, S. 71 – 76. Hier ist insbesondere auf die Orientierung Konrad Weiß' an der Poetik Deutingers hinzuweisen. (H. Grassl, Die Münchner Romantik, in: Der Mönch im Wappen, München 1960, S. 360)
  10. Lorenz Kastner, Martin Deutingers Leben und Schriften. Beitrag zur Reform der Philosophie und Theologie, München 1875, S. 7 und insbesondere Aris, der wiederholt in zweien seiner Abhandlungen, die auf Deutinger Bezug nehmen, auf diese zentrale Stelle zu sprechen kommt: Marc - Aeilko Aris, Wohltätige Stiftungen aus der Geschichte des Herzoglichen Georgianums und seiner Bibliothek, in: Kirche, Kunstsammlung und Bibliothek des Herzoglichen Georgianums, hg. v. R. Kaczynski, Regensburg 1994, S. 138; ders., Art. Deutinger, Martin, in: Metzler Lexikon christlicher Denker, hg. v. M. Vinzent, Stuttgart u.a. 2000, S. 200. Die theologische Interpretation bezieht sich auf folgende Metaphern: erstens legt das Bild des Wassers und die Terminologie der natürlichen Erkenntnis den Begriff der Verfügbarkeit nahe, als es hier um das geht, was sich dem menschlichen Zugriff darbietet. Mit dem Begriff der Unverfügbarkeit soll das bezeichnet werden, auf das Deutinger hofft und das sich seinem Zugriff entzieht. Weiter will er durch den Eingriff Gottes Erfüllung und Erlösung seiner Hoffnung erfahren, was die soteriologische und eschatologische Ausrichtung seines Erkenntnisinteresses betont. Das Ziel des Menschen entzieht sich seiner eigenen Verfügungsmacht und damit auch dem Zugriff auf die Erfüllung seiner Vermögen.
  11. Martin Deutinger, Grundlinien einer positiven Philosophie als vorläufiger Versuch einer Zurückführung aller Theile der Philosophie auf christliche Principien Band 2: Die Seelenlehre, Regensburg 1844, S. 35ff. (im Weiteren: Seelenlehre)
  12. Diese geschöpflichen Stufen orientieren sich zugleich am Baum des Porphyrios in der Rezeption des Raimundus von Sabunde und umfassen zuunterst den Bereich des esse, darüber das vivere, dann das sentire und als höchste Stufe das intelligere. Vgl. Raimundus von Sabunde, Theologia naturalis seu liber creaturarum, ed. F. Stegmüller, Sulzbach 1852, Tit. 1. Deutinger kennt Sabunde v.a. über die Rezeption des Cusaners, der ja auch in der Zeit des Idealismus, auf die Deutinger rekurriert, neu entdeckt wurde und in dessen Bibliothek in Bernkastel-Kues die Theologia naturalis des Sabunde zu finden ist.
  13. Hier steht auch zeitlich nicht so sehr Darwin, sondern eher Herder und Schelling im Hintergrund: nach Deutinger ist "jedes Eintreten eines höheren Lebensgesetzes für das untergeordnete" als Wunder zu bezeichnen. (Renan S. 129) Mehr noch: "Das Wunder bezeichnet das Eintreten eines neuen und höheren Lebensprincipes in die Natur, ist die volle Offenbarung der frei wirkenden Macht des persönlichen Willens in der unpersönlichen Natur." (Renan S. 132) Eine solche Einwirkung ist nun nur als eine von der göttlichen Macht gesetzte denkbar: "Wir nennen darum nicht jede Betätigung der Freiheit ein Wunder, sondern nur jene Wirkungen des persönlichen Willens, in welchen eine, die Grenzen der menschlichen Natur überschreitende Macht in der äußeren Natur offenbar wird." (Renan S. 105)
  14. nach Leo Scheffczyk (Hg.), Theologie in Aufbruch und Widerstreit. Die deutsche katholische Theologie im 19. Jahrhundert, Bremen 1965, S. 430
  15. Seelenlehre, S. 39
  16. Seelenlehre, S. 44. Vgl. die Idee des Organischen bei Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Teil II,1 (Vom Menschen).
  17. Bilder I, S. 254; Seelenlehre, S. 55.84.85.77
  18. Vgl. diesen Topos in: Raimundus von Sabunde (1852), Tit. 1.
  19. Seelenlehre, S. 100f.109. Diese trinitarische Struktur der Seele findet sich in einer für die weitere Denkgeschichte grundlegender Form bei Augustinus: De trinitate caput 10.
  20. Martin Deutinger, Grundlinien einer positiven Philosophie als vorläufiger Versuch einer Zurückführung aller Theile der Philosophie auf christliche Principien Band 6: Moralphilosophie, Regensburg 1851, S. 31 ff (im Weiteren: Moralphilosophie); Siloah, S. 945 ff; Martin Deutinger, Das Princip der neuern Philosophie und die christliche Wissenschaft, Regensburg 1857, S. 422 ff (im Weiteren: Princip). Die Opposition zu Fichte, bei dem das Ich das Nicht-Ich konstituiert, wird hier deutlich.
  21. Moralphilosophie, S. 34
  22. Princip, S. 454
  23. Vgl. den Hinweis auf den etymologischen Zusammenhang in: Immanuel Kant, Werke Band 8: Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. W. Weischedel, Darmstadt 1983, B 175 (im Weiteren: KU)
  24. Die eigentliche Pointe, die auch von Albertus Magnus gegen Gabirol ins Feld geführt wurde, dass nämlich das, was durch das menschliche Streben wirkt, natürlich die Vernunft sein müsse, kann Deutinger aufgrund seines antirationalistischen Affekts nicht nachvollziehen und wird von ihm durch das Bild der Liebe Gottes ersetzt.
  25. Poesie, S. 63f.
  26. Poesie, S. 61 f. Die Kunstproduktion hat ihren Ort in der immanenten Dialektik und relativiert damit Schellings Absolutsetzung des künstlerischen Ichs. Dieser konstituierte die Setzung des Ich im Reich der Objektivität, i.e. die Kunst, als schöpferische Produktivität, was in objektiver intellektueller oder ästhetischer Anschauung resultiert und die Subjekt-Objekt-Differenz aufhebt. Vgl. F.W. Schelling, Texte zur Philosophie der Kunst, ausgewählt und eingeleitet von Werner Beierwaltes, Stuttgart 1983
  27. Wolfhart Henckmann, Das Wesen der Kunst in der Ästhetik Martin Deutingers. Ein Beitrag zur romantischen Kunstphilosophie, München 1966, S. 211
  28. Bilder I, S. 15.151; vgl. auch Kant über die Dichtkunst, in: KU, S. 215
  29. Poesie, S. 49f.
  30. Bilder I, S. 297 f: "Jede Nachahmung ist kalt und schwach und zeugt von Armut des Geistes. Nur das nie Dagewesene will die Kunst darstellen.” Siehe auch die positive Bewertung des Neuen durch die Willenstätigkeit in: Poesie, S. 49: "Aber anders ist es mit dem Willen. Dieser ist die wahrhaft erneuernde Kraft in ihm. Täglich, augenblicklich kann der Wille Neues bilden. Durch ihn ist das Leben erst ein eigenes. Zu dem empfangenen Leben kommt im Willen ein selbst erzeugtes hinzu.” Vgl. auch Heinrich Fels, Martin Deutinger. Gestalt und Beurteilung, Lebenswerk, Ernte und Erbe, München 1938, S. 237.252. Dieser Topos schließt sich an die für die Nazarener programmatischen Aussagen Friedrich Schlegels an: "Nachahmen, im eigentlichen Sinne des Wortes, nachahmen soll der Künstler überhaupt nicht." In: ders., Kritische Friedrich – Schlegel - Ausgabe, Bd. 4, hg. von Hans Eichner, München u.a. 1959, S. 246.
  31. Seelenlehre, S. 85
  32. Henckmann (1966) S. 135ff
  33. Kunstlehre, S. 98. Auch in der Stellung der Kunstgattungen finden sich die Vorstellungen von Flächigkeit und Innerlichkeit: die Flächigkeit der Baukunst steht der Tiefe der Dichtkunst, welche der subjektiven Innerlichkeit verfügbar ist, gegenüber. Das geistigste Material korrespondiert am meisten der durch die Innerlichkeit des Bildes der Trinität durchformten, geistigen Kraft: der Wille vermag in der Dichtkunst am besten 'durch den Leib hindurchzuschimmern', ja kann auch gänzlich von ihm absehen. (Seelenlehre, S. 85) Die Poesie stellt damit die höchste und eigentlich christliche Kunstgattung dar. (Vgl. u.a. das Kapitel 'Deutinger, der spezielle Poetiker' in der bisher in der Deutingerliteratur nicht rezipierten Arbeit von Gerhard Schulze, Die Poesie im Urteil der deutschen Gehaltsästhetik von Schelling bis Vischer, Markranstädt 1916, S. 91-98.)
  34. Henckmann (1966) S. 222ff. Dies kann sogar solche Züge annehmen, dass Deutinger beispielsweise versucht, in einem Kunstwerk Dreiecke als trinitarische Strukturform auszumachen (vgl. dort dessen Interpretation von Rafaels 'Heiliger Familie').
  35. Dies als Verbindung von Kunstlehre, S. 55.139 und Kunstlehre, S. 98.
  36. Kunstlehre, S. 98
  37. Kunstlehre, S. 75: "In der Kunst offenbart sich die eigentliche Naturreligion, die Zurückspiegelung des im persönlichen Glauben aufgefassten, übernatürlichen Lebens in dem im Menschen mit jener persönlichen Erhebung unmittelbar verknüpften Naturgrunde. Der Glaube als subjektives Leben der Religion muss aber stets als erster Grund der Liebe zum Göttlichen in der Kunst festgehalten werden, weil von dem Persönlichen das blos Natürliche als solches nie geliebt, also auch nicht geglaubt werden kann." Ebenso: S. 96f; Bilder I, S. 150f. Aufgrund der Verortung der Kunst in der Verfügbarkeit, d.h. in dem, was sich dem menschlichen Zugriff anbietet, und des Charakters des Ins-Werk-Setzens mit den je zur Verfügung stehenden Mitteln (cheiropoieton), wobei es sich damit eben nicht um eine creatio ex nihilo handeln kann, bei der ja dahingehend radikal neu geschaffen wird, als Virtualität und Realität, Wollen und Können nicht mehr zu unterscheiden sind (acheiropoieton), kann Deutinger das Kunstwerk als natürliche Offenbarung bezeichnen.
  38. Dies entspricht der dem Künstler natürlichen Empfindung für das Göttliche. So Bilder I, S. 144-151: "Die Aufnahme eines jeden Kunstwerkes geschieht durch das Gefühl. Das Gefühl für das Schöne ist aber nur die Möglichkeit des wahren Genusses. [...] In einem wahren Kunstwerk werde ich des Geistes und seiner notwendigen und natürlichen Offenbarungsformen mir bewusst, ich erfasse den Geist in seiner inneren Einheit und die möglichen Stufen seiner Offenbarung in der Geschichte. In einem Kunstwerke, in dem ich dies alles zugleich auf besondere und individuelle Weise dargestellt erblicke, eröffnet sich nur eine unendliche Reihe von Anschauungen in einer bestimmten Einheit klar und licht zusammengestellt. Die Kunst ist ein Auge des Geistes, Kunst und Wissenschaft sind die beiden Augen, aus denen die Geschichte der Menschheit klar und licht uns anschaut. In einem wahren Kunstwerke erblicke ich ein Einfaches und doch wieder ein Unendliches. Die klarste Einheit bei der höchsten Mannigfaltigkeit gibt die höchste Schönheit." Die beiden Augen lassen den Verdacht äußern, dass es sich dabei um eine Reminiszenz an die zwei Augen der theologischen Wissenschaft bei Döllinger handelt. Vgl. auch zum Verhältnis von Gefühl und Ästhetik als einer cognitio sensitiva die Ausführungen Frankes in: HWPh Bd. 3, S. 82 ff.
  39. Kunstlehre, S. 15ff
  40. Henckmann (1966) S. 119 - 130
  41. KU, § 8
  42. a.a.O.
  43. Die Korrelation, Kontraktion und Konzentration der Peripherie in Form der Verweisung auf einen Fülle versprechenden, material jedoch benennbaren Mittelpunkt wird so Henckmann zufolge zur ästhetischen Kategorie. (Henckmann (1966) S. 135 ff)
  44. Wie man sich dies vorzustellen hat, illustriert Deutinger am Beispiel des Hohenliedes: "[...] das Hohelied [ist; der Verf.] aber ein romantisches Epos, mit dem entschiedenen Charakter der Vergeistigung des natürlichen Lebens und der Schilderung geistiger und ewiger Liebe in den Bildern natürlicher Empfindungen. Unmöglich kann das Verlangen der menschlichen Seele nach der innigsten Vereinigung mit Gott schöner und glühender ausgedrückt werden, als dies in der Schilderung des nächtlichen Suchens der Braut nach dem verlorenen Bräutigam im Hohenliede geschieht." (Poesie, S. 81 f)
  45. Kunstlehre, S. 59. Die Verbindung von Kerygma und Gleichnis im christlichen Kunstwerk stellt dessen letzte Konsequenz dar: "Die Kunst muss rein bildend sein, und indem sie das Äußere bildet zum Gleichnis und Ausdruck des Inneren, bildet sie eben dadurch den Menschen, indem sie das Innere und die Sehnsucht nach dem Ewigen lebendiger erregt, die Äußerlichkeit in ihrer an sich seienden Ohnmacht offenbart, und zeigt, wie alles Äußere und alle Natur und alle Gestalt nur etwas ist, insofern es die Hülle eines Anderen ist, und dadurch den Sinn des Menschen für das Höhere entflammt, ja eben diese Liebe durch die Schönheit weckt und nährt, weil in wirklicher Empfindung des an sich Schönen ein beseligendes Gefühl den Menschen durchzieht, das ihm die Macht des höheren und geistigen Lebens offenbar macht, und zu der Erkenntnis der Hoheit des Göttlichen die lebendige Empfindung hinzufügt, von der die Liebe ihre Beseligung nimmt. So sollen wir das, was wir nicht sehen, lieben lernen durch das, was wir sehen, und wenn die Kunst nicht diese Liebe in uns erweckt, so hat sie ihre höchste Wirksamkeit verfehlt." (Kunstlehre, S. 53)
  46. In Anlehnung an: Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1997, der darunter "nicht nur das Wunderbare, sondern auch das Wundervolle” (S. 42) verstand.
  47. "'Geistige Wiedergeburt' [...] bedeutet, dass das besondere Kunstwerk, das dem Betrachter äußerlich gegeben ist [...], nach und nach in das geistige Leben des Betrachters übersetzt wird, bis alle Potenzen, die irgend im Werk enthalten sind, in geistige Tätigkeit verwandelt worden sind. Vor dem inneren Auge allein kommt das Kunstwerk zur geistbestimmten Wirklichkeit. Das Innere hat das Äußere völlig in sich aufgenommen: der Ort der Erscheinung der Schönheit und Wirklichkeit der Kunst ist die Innerlichkeit des Menschen, der sich die Kunstgestalt einbildet." (Henckmann (1966) S. 216)
  48. Auch diese begriffliche Anlehnung speist sich aus dem Religionsverständnis Ottos. Otto versteht darunter die Furcht die der Mensch vor Gott fühlt und die "mehr als Furcht ist" (Otto (1997) S. 15).
  49. Vorgreifend und im Anschluss an das tremendum und die conversio könnte man dies bereits an dieser Stelle mit dem Begriff des Erhabenen belegen.
  50. Kunstlehre, S. 55.139
  51. "Wie das Feuer alle Gestalt verzehrt, und doch wieder alle Gestalt durchdringt und belebt, und durch seine bildende Kraft alle lebendige Form aus der gestaltlosen Erde hervorwachsen lässt, so verzehrt die wahre, feurige Andacht des Herzens zuerst alle einzelne beschränkende Form, um dann in letzter Bildungskraft alle Gestaltungen und Formen des Lebens in geistiger Wiedergeburt neu zu schaffen." (Siloah, S. 454) Dies drückt sich auch in der Art der Anschauung wahrer Kunst aus, die Deutinger eben der Andacht nachgebildet sieht und sich gegen Hegel und auf das richtet, was durch die künstlerische Kraft wirkt: "Vor jener Kraft aber, die eine innere Lebensharmonie in wohlklingenden Akkorden der herrschenden, produktiven Gewalt des Geistes über den Stoff anschlägt, in der der Geist mächtig und unsterblich die Kräfte des Daseyns zum Bilde des ewigen Seyns, zur Lichtgestalt himmlischer Ideen umgestaltet, da beugen wir ehrfurchtsvoll das Knie, und verehren den Ewigen, der dem menschlichen Geiste solche Kräfte verliehen." (Seelenlehre, S. 130 f) Das, was durch die künstlerische Kraft wirkt, und nicht das Kunstwerk als solches scheint also der wahren Anschauung wert zu sein.
  52. a.a.O.
  53. Princip, S. 453
  54. Auf der Ebene der Geistigkeit erhalten die Begriffe Opfer, Liebe und Hingabe eine synonyme Bedeutung. (Princip, S. 453)
  55. Henckmann (1966) S. 94, Anm. 138.
  56. Fels, (1938) S. 240, wo klar wird, wie sehr Deutinger das Sich-Hingeben-Können des Künstlers an dieses innerlich geschaute Bild wichtig ist.
  57. Poesie, S. 63f
  58. Seelenlehre, S. 85
  59. Martin Deutinger, Die christliche Ethik nach dem Apostel Johannes, Regensburg 1867, S. 361 (im Weiteren: Ethik). Vgl. auch die 'johanneische Philosophie' des späten Schelling.
  60. Kunstlehre, S. 79
  61. Martin Deutinger, Das Reich Gottes nach dem Apostel Johannes Band I, Freiburg / Br. u.a. 1862, S. 71
  62. Princip, S. 453 f
  63. Princip, S. 453
  64. Kunstlehre, S. 76 ff
  65. frei nach Martin Deutinger, Wallfahrt nach Oberammergau, hrsg. von Johannes Fellerer, München 1934, S. 16 (im Weiteren: Oberammergau); Vgl. auch: Kunstlehre, S. 75; Princip, S. 384; Fels (1938) S. 242.257.260ff.
  66. Martin Deutinger, Über die geistige Wiedergeburt des Christen durch das heilige Messopfer, Augsburg 1850
  67. Princip, S. 454. So ist das Passionsspiel von Oberammergau dementsprechend die der Hingabe am meisten entsprechende Form des geistigen Spiels, welches Deutinger trotz darstellerischer fauxpas als ein Kunstwerk bezeichnet. (Oberammergau)
  68. Ethik, S. 361
  69. Ethik, S. 355 f
  70. Diese Proexistenz führt Chrstus ans Kreuz, als dem genuinen Ort der Abnegation des Eigenwillens in der Hingabe, welcher im Ausruf: "Dein Wille geschehe!" oder "In deine Hände gebe ich meinen Geist." in diesem Sinne kommentiert wird. Vgl. zum Topos der Proexistenz auch: H. Schürmann, Gottes Reich – Jesu Geschick. Jesu ureigener Tod im Lichte seiner Basileia – Verkündigung, Freiburg / Br. 1982, S. 40ff.
  71. Kunstlehre, S. 55.139
  72. Eine Verbindung von Kunstlehre, S. 98 und Seelenlehre, S. 85
  73. In Anlehnung an: Kunstlehre, S. 53.59.98. Vgl. das Postulat Jean-Yves Lacostes nach "urgence kérygmatique et délais herméneutiques" in: ders; Le monde et l'absence d'oeuvre, Paris 2000, S. 131ff.
  74. In logischer Folgerung aus: Kunstlehre, S. 59
  75. Jean – Pierre Wils, Ästhetische Güte. Philosophisch - theologische Studien zu Mythos und Leiblichkeit im Verhältnis von Ethik und Ästhetik, München 1990, S. 315ff.
  76. M. Deutinger, Das Evangelium nach dem Apostel Johannes, Freiburg i. Br. u.a. 1862f, Band I, 22.371ff; ders., Die christliche Ethik nach Johannes, Regensburg 1867, 46; H. Fels, Martin Deutinger. Gestalt und Beurteilung, Lebenswerk, Ernte und Erbe, München 1938, 268 (hier wird die Demut eng mit dem schon fokussierten Begriff der Andacht verknüpft.) und 288. Vgl. auch kritisch dazu: Dominik Bertrand-Pfaff, Eine Poetik der Gabe. Kerygmatische Lebensform im Anschluss an Martin Deutingers Kunst- und Moraltheorie, Fribourg i. Ue. 2004, S. 203ff.230ff.
  77. Dies käme der Vorstellung nahe, die Schiller vom Gefühl des Erhabenen vertritt: "Das Gefühl des Erhabenen besteht einerseits aus dem Gefühl unsrer Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen, andererseits aber aus dem Gefühl unsrer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsre sinnlichen Kräfte unterliegen." (Friedrich Schiller, Sämtliche Werke Band V, München 91993, S. 362) Schon Henckmann hat Schiller betreffend auf die Nähe zu Deutinger hingewiesen: "Deutingers Vorstellung von der Schönheit des idealen Kunstwerks käme Schillers Einheit von Anmut und Würde am nächsten, der jedoch noch die spezifisch christliche Dimension fehlt, die ihr durch Deutingers Auffassungsweise eingetragen wird." (Henckmann, (1966) S. 222)
  78. So in Poesie, S. 49 f.
  79. Vgl. Oberammergau; und in Bezug auf Augustinus: Wils (1990) S. 315ff.
  80. Die Vorgängigkeit dieser transzendenten Freiheit holt das cogitor Baaders (Herbert Tuebben, Die Freiheitsproblematik Baaders und Deutingers und der deutsche Idealismus, Würzburg 1929), dem Deutinger bei aller Subjekttheologie (Stefan Berger, Zur Grundlegung einer Theologie der Subjektivität. Martin Deutingers philosophisch - theologische Subjekttheorie, Frankfurt / Main 1985) treu bleibt, ein und zeigt die Konsequenzen auf der praktischen Ebene auf. Deutingers grundlegendes Axiom ist ja, dass sich das Subjekt gänzlich in die trinitarisch begründete Person aufhebt.
  81. Dazu wäre der, trotz anders lautender Ausführungen Dempfs, latente und unaufgelöste Dualismus von Natur und Geist zu rechnen, welcher in einer Abwertung des Leiblichen endet (Vgl. Alois Dempf, Erneuerung und Umbildung des Cartesianismus in der christlichen Philosophie des 19. Jahrhunderts, in: Cartesio nel terzo centario del Discorso del metodo, Mailand 1937, S. 285 – 292). Desgleichen der damit einhergehende Opferbegriff, auf den Liebe und Hingabe hingeordnet sind (paternalistischer Liebesbegriff). Ob sich nun das Kunsturteil auf Dreiecke oder den Mittelpunkt im Kunstwerk beziehen soll, wird man kaum noch als ein konstitutives Interesse des modernen Kunsturteils bezeichnen können (Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Gütersloh 101983). Ist die Innerlichkeit denn eine geeignete Kategorie für das Kunsturteil, ja für ein Urteil überhaupt? Kann Deutinger mit seinen Voraussetzung überhaupt das einzelne Kunstwerk wahrnehmen? Fördert Deutinger durch seinen von einem gemäßigten Traditionalismus geprägten Ansatz einer Depotenzierung der Vernunft nicht die Autoritätsgläubigkeit? Liegt nicht die Gefahr für den Selbststand des Ich in jeglicher Konzeption des leeren Subjekts, das sich nicht zugleich auch als ein materiales Erfahrungssubjekt verstehen kann?

© Bertrand – Pfaff 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 37/2005
https://www.theomag.de/37/dbp1.htm