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Magazin für Theologie und Ästhetik


Fake

Ikonenmaler mit Photoshop

Andreas Mertin

Bilder sind soziale Konstruktionen, nichts ein für allemal Feststehendes, sondern gesellschaftlichen Kontextualisierungen und Bewertungen unterworfen. Das wird spätestens dann deutlich, wenn sie erkennbar so gefakt werden, dass sie bestimmte gesellschaftliche wie subjektive emotionale Reaktionen hervorrufen.


O.J. Simpson

Das war etwa der Fall bei dem berühmten Titelbild der Time, bei dem diese den Angeklagten O.J. Simpson einfärbte, was unbestreitbar einen vollkommen veränderten Bildeindruck hervorrief: "After Simpson was arrested, multiple publications carried his image. Notably, TIME magazine published an edition featuring an altered mugshot, darkening his skin and reducing the size of the prisoner ID number. This appeared on newsstands right next to an unaltered picture by Newsweek. Outcry from minority rights groups followed. The image was altered by TIME illustrator Matt Mahurin, who later stated that he 'wanted to make it more artful, more compelling'." [wikipedia] Künstlicher, aber sicher nicht künstlerischer wurde das Arrestfoto durchaus, aber es zielte mit Sicherheit mehr auf Ressentiment als auf Artifizialität. Der Vergleich der beiden Titelbilder von Newsweek und Time macht die assoziativen Verknüpfungen mehr als deutlich. Nun ist sicher auch das der Newsweek zugrunde liegende Titelbild eine soziale Konstruktion, eine mehr als deutliche Botschaft nicht erst in der Kombination von Brustbild und Registrierungsnummer. Aber erst die Manipulation durch das TIME-Magazine erschien in der Öffentlichkeit als problematisch.

Nun könnte man das TIME-Bild von O.J. Simpson mit vielen guten Gründen eher für ein είδωλο, d.h. ein Trugbild halten, eine Photoshop-Montage für den Betrug an Sinnen und Emotionen, als für eine Ikone und eine Ergebnis von Ikonenmalerei. Tatsächlich hängt das wohl aber von der Perspektive (= der Rezeption) ab. Derjenige, der für das TIME-Magazine die Photoshop-Montage anfertigte, hatte sicher ein Trugbild intendiert, ein Bild, das eindeutige und pejorative Konnotationen hervorrufen sollte. Diese Rezeption ist jedoch aufgrund des Bildes allein nicht zwingend. Denkbar wäre auch ein Kontext und eine Rezeption, die auf die in der Rassenzugehörigkeit liegende Vorverurteilung des angeblichen Täters abzielte und dieses herausstellt.


Ikonenmaler

Heute sind wir von Ikonen und vor allem von Ikonenproduzenten wie Ikonenmalern nur so umzingelt, nicht zuletzt weil wir entgegen dem Gründungsimpuls der großen monotheistischen Religionen längst alle zu Ikonodulen konvertiert sind. Und das in so gut wie jedem gesellschaftlichen Bereich.

Der inzwischen schon beinahe legendäre Bildblog zeigt regelmäßig, wie in der Bildzeitung mit Photoshop Ikonen produziert und gefälscht werden und damit Politik gemacht wird. Wie aus der Existenz des Bildblogs und seiner gesellschaftlichen Anerkennung deutlich wird, ist eine derartige manipulative Ikonentheologie noch nicht zur Selbstverständlichkeit geworden und wird daher - wenigstens von Einigen noch - der Kritik unterzogen.

Das ist in einem anderen Bereich inzwischen ganz anders. Jenseits der Dauerwerbesendungen von Popkulturfigurinen wie Jessica Simpson, die die kosmetische Veränderung des Aussehens zum verkaufsträchtigen Gegenstand haben, ist das Retuschieren von Modefotografien und damit "Ikonenmalerei" inzwischen zum gesellschaftlichen Standard geworden. Wir erwarten geradezu, dass uns keine Bilder der Normalität, sondern nur perfekte Ikonen vorgesetzt werden. Man kann davon ausgehen, dass nahezu jedes Foto eines der Topmodels nicht nur das Ergebnis kosmetischer Eingriffe, sondern auch das Resultat von Bildmanipulationen ist. Wie bei den vorher geschilderten Fällen geht es um Bildmanipulation im Interesse der Bevölkerungsmanipulation.


Ikonostase der Models

Ein Ikonenmaler dieser besonderen Art ist etwa Glenn C. Feron, ein Retuschierungsspezialist, der Model-Fotos in Ikonen verwandelt. Wer auf seine Promotion-Website kommt, kann sich von seinen Fähigkeiten zur Veränderung (weniger der Wirklichkeit, als vielmehr) der Bilderwelten überzeugen. Wenn man auf den Punkt "Portfolio" klickt, sieht man eine Art Ikonostase mit Fotografien von Models. Das ist nun noch nichts Außergewöhnliches. Wenn man allerdings auf eines der Fotos klickt, bekommt man das Bild vergrößert dargestellt und wenn man mit der Maus darüberfährt bekommt man durch einen "mouseover"-Effekt das Bild vor der Retuschierung zu sehen. Geht man davon aus, dass die Models schon bei der Aufnahme kräftig geschminkt waren, haben wir es hier mit der Retusche der Retusche zu tun. Diese Entwicklung ist nur konsequent. Denn schon vor Jahren schrieb der Dessoushersteller Palmers auf seiner Website: "Naomi Campbell, Cindy Crawford, Nadja Auermann, ... Tatjana Patitz - die Models sind die Ikonen der Achtziger und Neunziger. Sie lösen die Filmdiven ab. Model ist Star und Kult. Palmers hat die Ikonostase der Models schon ganz früh entdeckt ... Die Heroisierung des Subjektes als Kernaussage: Statt der Venus von Botticelli Nadja Auermann, statt der Maja von Goya Tatjana Patitz, statt Tizian als Maler Herb Ritts als Fotograf."

Bei dem Ikonenmaler Glenn C. Feron jedoch überrascht die Art, wie er seine Bilder perfektioniert. Den Ikonen analog, entrückt er die Bilder dem Betrachter, perfektioniert sie in einer Weise, die sie z.T. unmenschlich werden lässt. Sicher, manchmal ist es auch nur die Verstärkung der sexuellen Symbolik, die er einbringt, aber häufig geht es eben um die Entfernung all jener Details, die noch an Realität und Menschlichkeit erinnern. Gleichzeitig wird etwas von der Theologie der Bilder sichtbar, von den Anschauungen dieses mit Photoshop bewaffneten Ikonenmalers, wann und wie Bilder funktionieren und wann und wie nicht. Das ganze ist frauenverachtend bis ins letzte Bilddetail. Achselhöhle sichtbar - Frau mit Muskeln - zu flacher Po oder Busen - Falten in der Haut - Stoff verhüllt die Brüste? Welch ein Grauen! Weg damit! Photoshop ist das dogmatische Handwerkszeug mit der die Wirklichkeit der reinen Lehre des Models angepasst wird. Ich habe selten eine Seite gesehen, die so entlarvend Auskunft gibt über die Veränderbarkeit von Oberflächlichkeiten. Dabei hat das Ganze auch noch etwas Humanes. Niemand muss sich künftig mehr liften lassen. Ein Grafiker mit Photoshop reicht zur Ikonenbildung vollkommen aus.


© Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 38/2005
https://www.theomag.de/38/am169.htm