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Magazin für Theologie und Ästhetik


VideoArt

Barcelona Loop 2005

Andreas Mertin

Seit 2004 findet in Barcelona die Veranstaltung LOOP - VIDEO ART statt, aufgeteilt in das LOOP-Festival , eine Präsentation von Videokunst verteilt über die gesamte Stadt Barcelona und unter Einbezug möglichst vieler und hetzerogener Präsentationsorte, und die LOOP-Fair, eine Videokunst-Messe im Barceloner Hotel "Barceló Hotel Sants", verteilt auf alle 52 Zimmer eines Stockwerkes, in denen jeweils ausgewählte Galerien einige ihrer Videokünstler vorstellen. Beide - LOOP-FESTIVAL und LOOP-FAIR - haben ihren eigenen Reiz. Der abendliche Spaziergang durch das herbstbedingt dunkle Barcelona lässt einen - ganz ohne explizite Suche - immer wieder auf Lokalitäten stoßen, an deren Tür nicht nur das grüne LOOP-Logo prangt, sondern in deren Fenstern gerade eine Videoinstallation präsentiert wird.

In einem Fall war das etwa im Raval-Viertel ein Eckhaus, in dessen Fenstern eine Art Schneewittchen-Video ablief. Man sah von außen auf verschiedene Monitoren, wie immer wieder an diversen Haustüren geklingelt wurde und den öffnenden Frauen jeweils ein Schuh zur Anprobe angeboten wurde. Der Assoziationsblaster zu diesem Vorgang ist natürlich komplex. Das Video bearbeitet einen spezifischen kulturellen Code, er wäre als Geschehen war weltweit lesbar, aber nur vor dem Hintergrund des Märchens deutbar. In Barcelona konnte wer wollte, einfach vorüber gehen, er konnte sich die Videoinstallation genauer betrachten oder vor Ort genauer informieren. Es waren nicht wenige Läden, Bars, Kneipen, Restaurants, Galerien, Museen und Kunstinstitutionen in Barcelona, die sich auf dieses Experiment eingelassen hatten.

Nicht überall war die Installation so aufmerksamkeitserheischend wie im gerade geschilderten Fall, manchmal waren die Inszenierungen auch eher dezent. Etwa bei Gino Ruberts Arbeit "Noc Noc" im Museu Nacional d'Art de Catalunya (MNAC), dem Museum für romanische Kunst Kataloniens, das darüber hinaus aber auch eine interessante gotische Abteilung hat und in dem aktuell auch eine interessante Carravaggio&Friends-Ausstellung lief. In diesem Wirbelsturm von interesseerweckenden Highlights hat es eine einzelne Videoarbeit natürlich schwer. Sie müsste sich eigentlich in den Weg stellen, muss auf sich aufmerksam machen, muss zeigen: Schau mich an! Blick auf mich! Es gibt keine anderen Kunstwerke neben mir. Das tat die Inszenierung von Gino Rubert aber nicht, sie stand still und bescheiden in einer Seitennische des Eingangsbereichs des Museums und entging so der verdienten Aufmerksamkeit der Besucher. Dabei ist Gino Ruberts Arbeit nicht nur witzig, sondern auch tiefsinnig, insofern wir durch sie evident am eigenen Leib erfahren, was es heißt: "Jeder auf mich gerichtete Blick manifestiert sich in Verbindung mit dem Erscheinen einer sinnlichen Gestalt in unserem Wahrnehmungsfeld" (J.P. Sartre).

Konzentrierter und spezifischer für ein Fachpublikum ging es auf der LOOP FAIR 2005 zu. Natürlich ist es für das Bildgedächtnis schon eine ziemliche Herausforderung in einer begrenzten Zeit mehr als 100 Videoarbeiten aufzunehmen. In 52 Hotelzimmern zeigten die ausstellenden Galerien in der Regel mindestens eine Arbeit per Beamer großformatig im Zimmer und eine weitere Arbeit mit Fernseher und DVD-Player im Bad. Beides hat natürlich etwas Intimes und Tabu-Verletzendes. Wer geht schon auf die Toilette eines fremden Hotelzimmers, um sich Kunstvideos anzuschauen. Andererseits blieb für großartige Video-Installationen angesichts der bedrängenden Enge herkömmlicher Hotelzimmer auch gar kein Platz. Der Gang von Zimmer zu Zimmer mit den davor hockenden/stehenden Galeristen oder Galerieangestellten hatte jedenfalls schon etwas Pornografisches im Sinne der werbenden Attraktion zum Verkauf.

Anders als auf der Art Cologne oder verwandten Messen, bei denen die Bilderflut wenigstens ab und an durch eine Skulptur oder eine kontemplative Installation bzw. durch Malerei unterbrochen wird, ist die Flut der Bilder dieser Messe quasi gnadenlos. Trotzdem gelingt es der LOOP FAIR 2005, dem Besucher einen Einblick zu verschaffen in den aktuellen Stand eines bestimmten Segments der Videokunst. Die Bandbreite der von einer Kommission ausgewählten Galerien war groß und die Zusammenstellung international. Computerkunst im Sinne des rein digital erzeugten oder weitreichend digital bearbeiteten Videos sah man allerdings selten bis gar nicht. Zwar hatten manche Galeristen derartige Werke im Gepäck, zeigten sie aber nur auf Verlangen. Zu sehen war vor allem klassisch-cineastisch inspirierte Videokunst. Und so waren die Mehrzahl der Arbeiten sehr narrativ, sozialdokumentatorisch oder meditativ. An interaktive Kunstwerke im Sinne eines aktiven Eingriffs des Betrachters in das Bildgeschehen erinnere ich mich nur an eines.


Außerordentlich aufschlussreich waren schließlich noch zwei der so genannten Roundtable-Gespräche. Das eine sorgte sich um The Future Of Video Art? und das andere sollte sich um Best Practices In The Trade Of Video Art kümmern, handelte dann aber doch über weite Strecken von den verzwickten Rechtsproblemen rund um den Handel mit Videoarbeiten.

Das erste Roundtable-Gespräch begann furios mit einem Fundamentalangriff zweier Medienprofis auf die versammelte Galeristenschar. Auftritt: Andreas Broeckmann, der künstlerische Leiter der transmediale, dem Festival for Art and digital culture Berlin, und Gerfried Stocker, Artist-Director der ars electronica. Fasst man es etwas holzschnittartig zusammen, dann lautete die Kritik: mangelhafte Präsentation durch die Galeristen, Vorherrschen des merkantilen Interesses im Widerspruch zu den distributiven Möglichkeiten des Mediums, veraltete Kunstausdrucksformen, die zudem über Gebühr cineastisch geprägt seien. Und wie immer bei derartig zugespitzten Urteilen steckte ein gutes Stück Wahrheit in den Vorwürfen. Da half auch der entschuldigende Einwand nichts, auf der Messe würden ja quasi nur Demo-Vorführungen zu sehen sein, die nur bedingt etwas mit den komplexen Videoinstallationen der Künstler zu tun hätten. Denn wenn der Werkcharakter der Exponate dadurch berührt wird, ist das ein gravierender Vorgang, wenn aber nicht, dann muss man trotzdem oder gerade auf adäquate Präsentation achten. Die Kritik der merkantilen Ausrichtung verkannte aber - vermutlich mit Absicht - den Ort, an dem sie artikuliert wurde, nämlich eine Kunstmesse: "Eine Messe im wirtschaftlichen Sinne ist eine zeitlich begrenzte, wiederkehrende Veranstaltung, die es Herstellern oder Verkäufern einer Ware oder einer Dienstleistung ermöglicht, diese zur Schau zu stellen, zu erläutern und zu verkaufen." [wikipedia] Eine Kunstmesse ist eben kein Futurelab. Wirklich treffend aber war wohl der dritte Vorwurf: des Veralteten der gezeigten Videokunst, also das hier ein Vergangenes als Gegenwart oder gar als Zukunft verkauft würde. Und tatsächlich war an dieser Kritik ja angesichts der gezeigten Arbeiten etwas dran. In die Zukunft der Videokunst blickte man bei dieser Messe nicht, sie bot eher konventionelle Lösungen. Freilich boten die alternativ angebotenen Lösungen auch keine Perspektiven für die versammelten Galleristen, denn sie zielten letztlich auf die Unterminierung des merkantilen Status der Veranstaltung. Und auch die Ausführungen über das Ende der Bilder oder ihre digitale Auflösung hörte man in letzter Zeit schon oft, ohne dass man dem wirklich Glauben schenken könnte oder möchte. Für die Zukunft der LOOP FAIR wäre es dennoch besser, es würden verstärkt Videokunstformate integriert, die diese in digitaler Perspektive erweitern würden. Wer in ostentativer Geste auf der alten Technik beharrt, sie dann aber doch in digitaler Form, sprich DVD, unters Volk bringt, trägt einen Widerspruch in die Kunstform ein, die diese als zweifelhaft erscheinen lassen kann. Stanley Kubricks Protest gegen die Digitalisierung und Videotisierung des Kinos in Eyes Wide Shut bezieht seinen Charme ja gerade durch den ohnmächtigen Protest gegen einen sich unerbittlich abzeichnenden Untergang einer Produktionsform. Mit der Videokunst sollte es ander gehen. Die zentrale Frage, die in dem Roundtable-Gespräch aufgeworfen wurde, was denn die gezeigten Videokunstarbeiten von cineastischen Kurzfilmen unterscheide, wurde nicht beantwortet. Nun könnte man ja guten Gewissens auf die Form des Kunstfilms verweisen, der eine Schnittstelle beider Bereiche bildet. Dennoch müssen auch diese Arbeiten sich durch eine künstlerische Durchformung auszeichnen, was einigen Arbeiten auf der LOOP FAIR nicht gelang. Auch bei den Arbeiten, die nur Performances des betreffenden Künstlers dokumentierten und ohne weitere ästhetisch-künstlerische Bearbeitung des Videomaterials sind, stellen sich derartige Fragen.

Noch dramatischer - aber in ganz anderer Hinsicht - verlief das zweite Roundtable-Gespräch, das sich eigentlich der Zukunft und der Praxis des Handels mit Videokunst widmen sollte, dann aber doch vor allem um Rechtsfragen kreiste. Noch harmlos der Disput darüber, ob es nicht einen impliziten Widerspruch zwischen technischer Form und faktischer Vermarktung gebe, und zwar in dem Sinne, dass die technische Form eine verlustfreie nahezu unbegrenzte Reproduktion der Werke zulasse, was aus kommerziellen Gründen aber auf wenige Exemplare beschränkt werde. Rudolf Frieling vom ZKM "Medien Kunst Netz" forderte, wenigstens für Bildungs- und Dokumentrationszwecke sollte es ausgewiesene DVDs geben, die außerhalb der Verwertungssphäre zirkulieren und betracht werden können. Manche Künstler machen dies heute schon, in dem sie die technischen Normen ihrer Dokumentations-DVDs herabsetzen, aber das ist für Institutionen, die Medien- und Videokunst vermitteln und dokumentieren, eine mehr als unbefriedigende Lösung. Hier herrscht ein dringender Handlungs- und Klärungsbedarf. Kritischer wurde es im Roundtable-Gespräch dann, als der an der Diskussion beteiligte Anwalt für Urheberrecht darauf hinwies, dass bei einigen der auf der ART FAIR gezeigten Videokunstwerken vermutlich Urheberrechte Dritter verletzt seien, etwa durch den Einsatz von Musik, Bildern von anderen Kunstwerken oder Texte und Fotos, für die keine urheberrechtliche Genehmigung eingeholt wurde. Kritisch ist das für Galeristen, insofern sie evtl. DVDs verkaufen, die anschließend öffentlich gar nicht gezeigt werden können, weil ein Rechteinhaber gegen die öffentlich Aufführung Einspruch einlegt. Kritisch ist dies aber auch für Käufer, insofern sie über den Rechtsstatus des erworbenen Kunstwerks nie ganz sicher sein können. Die Lösung, die Stephan Urbaschek von der Sammlung Goetz vorschlug, nämlich den Künstler vertraglich versichern zu lassen, alle Rechte eingeholt zu haben, verlagert das Problem nur um eine Instanz. Auch für die Künstler müsste es klare Rechtsregeln geben. Noch nervöser könnten dagegen Kunstsammler werden, wenn sie hören, dass nicht einmal geklärt ist, welche Rechte sie eigentlich mit dem Kauf einer Kunst-DVD erwerben. Dürfen sie eine Sicherungskopie anlegen? Nein, meinten einige Galeristen, dafür müsse man sich wieder an die Galerie wenden. Und wenn diese nicht mehr existiert? Und was ist der Garant der Originalität eines Werkes bei einer DVD, also einer Ansammlung digitaler Daten? Ist es das Zertifikat, das die Galerie ausstellt? Denn nur dieses ist in begrenzter Menge vorhanden und beweist im Besitz des Originals zu sein. Aus der DVD ist das dagegen nicht ersichtlich. Die viel drängendere Frage aber war: Erwerbe ich mit dem Kauf der Videokunst-DVD ein Ausstellungsrecht des Kunstwerks und vor allem, in welcher Form? Für traditionelle Kunst ist das gewährleistet ohne explizit Bestandteil der Vereinbarung beim Kauf eines Kunstwerks zu sein. Wenn ich einen Horst Antes kaufe, kann und darf ich ihn auch ausstellen. Das scheint aber bei Videokunst nicht ohne Weiteres der Fall zu sein. Aber wenn ich das Aufführungsrecht habe, welche Bindungskraft haben dann die Inszenierungsanweisungen des Künstlers? Stephan Urbaschek verwies auf einen seitenlangen Vertrag, der diesbezüglich jeweils zwischen der Sammlung Goetz und dem Künstler geschlossen werde und alle derartigen Fragen verbindlich kläre. Vielleicht kann, so regte die Frankfurter Galeristin Anita Beckers an, der Bundesverband Deutscher Galerien unter Verwendung vorliegender Vertragsentwürfe einen Mustervertrag erstellen, der Künstlern, Galeristen und Sammlern Rechtssicherheit gibt. Als Nam June Paik 1965 sich eine Videokamera zulegte und aus dem Taxi heraus Papst Paul VI. beim Besuch New Yorks filmte und damit der Legende nach das erste Videokunstwerk schuf, war das noch ein unproblematischer Akt. Der Papst war eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte und die Videokunst in ihren Anfängen. Heute ist das Ganze nicht mehr so einfach.

Die Zukunft der Videokunst kann sicher nicht die von den Vertretern der neuesten digitalen Kunst betriebene oder wenigstens doch reflektierte Auflösung der Bilder sein. Dazu ist der Videokunst die Beziehung zum Film und damit zur Narrativität viel zu tief eingeschrieben. Es kann aber auch nicht die bloße Spiegelung des cineastischen Films in den Kunstbereich sein. Aber irgendwo dazwischen liegt die Antwort. Die Arbeiten des LOOP FESTIVALS waren da durchaus interessant, als sie überraschende Kontextualisierungen zuließen, die ironisch oder perspektivierend waren. Und sie waren - zumindest in Ansätzen - der Falle der Kommerzialisierung entronnen.

Der Berichterstatter selbst war auf der LOOP 2005 auf der Suche nach einem unbekannten Meisterwerk für eine Kunstausstellung im Jahr 2007. Und tatsächlich habe ich es gefunden: auf der ART FAIR. Um welchen Künstler und welche Arbeit es sich handelt, kann man dann 2007 in Kassel in der kirchlichen Begleitausstellung zur documenta XII sehen. So viel Geduld muss sein.


© Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 38/2005
https://www.theomag.de/38/am171.htm