Videoclips XXV"Wenn ich das Blut sehe, werde ich vorübergehen"Andreas Mertin |
Je te rends ton amour
Der heilige ErosI In den Liedern von Mylène Farmer ist diese fortdauernde ambivalente Beziehung von Eros, Gewalt, Tod und Religion immer spürbar. Auch wenn sie das Thema eher im Bereich des Populärkulturellen abhandelt (d.h. auf die kulturellen Erwartungen des Publikums eingeht), so belässt sie es doch nicht bei antithetischen Klischees, sondern lässt immer auch Lesarten zu, die als Gegenlesungen im Text verstanden werden können. Wenn schon die symbolische Antithetik von Religion und Eros sein muss, dann immer auch in der möglichen Lesart, dass dieser Konflikt ein innerpsychischer und kein nur institutioneller ist. Immer dann, wenn das Symbolsystem ihrer Videoclips einen geradezu einlädt, es als vulgärpsychologische Denunziation des Religiösen zu lesen, denn verändert sie das Zeichenset. Der Liedtext
Der ClipDer Clip zu Je te rends ton amour wird 1999 unter der Regie von François Hanss realisiert. Das einzige größere Regiewerk von Hanss ist der Film Corps à corps bzw. Body Snatch aus dem Jahr 2003. Wie die Biographie bei der Der Videoclip zu Je te rends ton amour gilt bis heute als so genannter Skandalclip, weil sich nach seiner Veröffentlichung einige Fernsehsender weigerten, ihn auszustrahlen bzw. ihn nur in einer gekürzten Fassung sendeten. Es war nicht der erste Clip von Mylène Farmer, der diesen Einschränkungen unterlag. Auch der aus dem Jahr 1986 stammende Clip zu Libertine wurde schon wegen - wie es so schön heißt - zu expliziter Inhalte indiziert. Und auch bei dem Clip zu Je te rends ton amour konnte man von vorneherein erwarten, dass es Proteste geben würde. Die Frage ist daher, ob der Clip in der vorliegenden Form nur im Blick auf die zu erwartenden Proteste und die damit zu erzielende Aufmerksamkeit produziert wurde, oder ob ihm inhaltliche Gestaltungskriterien zugrunde liegen. Denn die Tatsache der Indizierung macht einen Clip noch lange nicht zu einem guten Clip und der Umstand, dass Bürger gegen einen Clip protestieren, ist kein Qualitätsmerkmal. Das Ende der 90er-Jahre ist die zweite große Zeit der Videoclipkultur, mit Clips wie Until it sleeps von Metallica, wie Ray of light oder Frozen von Madonna, Ghosts von Michael Jackson, die Hauptzeit der Videoclipgroßmeister wie Chris Cunningham oder Mark Romanek. Alle in dieser Zeit entstandenen Videoclips standen unter einem extrem hohen innovatorischen und videoästhetischen Erwartungsdruck. Wer in der Welt von MTV und VIVA bestehen wollte, musste sich an diesen Vorbildern messen lassen und etwas Spektakuläres bieten. Beschreibung Der Videoclip beginnt damit, dass eine Frau tastend aus einer dunklen Höhle oder einem Keller ins Freie tritt. Im nächsten Schnitt sehen wir einen steinernen Monsterkopf. Die Frau tastet sich an Bäumen vorbei langsam weiter voran über eine Wiese. Offenkundig wird sie dabei ge- bzw. verfolgt von einer anderen, nur von hinten sichtbaren schwarzen Gestalt. Die Frau stolpert mehrfach und betritt schließlich eine alte Zisterzienserkirche (Der Clip wurde in der Die schwarze Figur ist ihr in die Kirche gefolgt und taucht ihre Finger (mit langen Fingernägeln, die freilich eher in Richtung Hexe als in Richtung Teufel respektive Priester deuten) in das Weihwasserbecken. Das Wasser scheint nach der Berührung zu dampfen (nach der Volksfrömmigkeit ein möglicher Hinweis auf einen Dämon bzw. etwas Dämonisches). Im Beichtstuhl öffnet die Frau ein mitgebrachtes Buch und wir sehen, dass es in Brailleschrift gedruckt ist. Damit wird klar, dass sie blind ist, was ihre anfänglichen Schwierigkeiten bei der Orientierung vor der Kirche erklärt (nicht aber, warum sie nach dem Verlassen der Höhle bzw. des Kellers kurz die Hand vor Augen hält). Um welches Buch es sich dabei handelt, ist nicht ersichtlich, für eine Bibel oder auch nur eine biblische Schrift ist es viel zu schmal [die komplette Bibel in der Einheitsübersetzung umfasst 48 Punktschrift-Bände und benötigt im Bücherregal rund 4 Meter Platz]. Zu denken wäre eher an ein Gebetbuch. Die Frau trägt einen Ehering an der Hand, ihre Finger tasten über die Schrift, während die Kamera zum Teil Bilder des Klosters erfasst. Wir sehen Skulpturen und das Kruzifix im Gegenlicht. Die schwarze Figur tritt durch eine hell erleuchtete Tür ein und wischt mit einer Handbewegung die Kerzen aus. Stühle fallen spektakulär um. Die Frau greift zu ihrem Ehering, zieht ihn ab und legt ihn auf das Buch. Im Gegenlicht erscheint wieder der Christuskorpus am Fenster vom Eingang der Kirche. Dann sieht am, wie die Hand mit den langen Fingernägeln die Tür zum Beichtstuhl schließt. Im Fenster des Beichtstuhls erscheint daraufhin das Gesicht eines Mannes bzw. einer Person hinter dem Gitter. Man sieht kurz die Fingernägel an den Gitterstäben, dann das Auge der Person, das blutrot unterlaufen ist. Der nächste Schnitt zeigt die linke Hand der Frau, auf deren Handballen sich ein Tropfen Blut bildet und später durch die Handfläche rinnt. Für einen kurzen Moment sehen wir die Gesichter beider Figuren ohne trennendes Gitter direkt Face-to-Face. Das Bild wirkt wie eine Spiegelung. In der nächsten Szene zieht sich die Hand der schwarzen Figur von der Stirn der Frau weg. Deren echte Hand fegt das Braille-Buch samt dem Ehering zur Seite und wir sehen Blut nicht nur über ihre Hand, sondern auch ihr Bein herunterfließen. Durchbrochen wird das Ganze immer durch Blicke auf den Kopf des Christuscorpus im wechselnden Lichtverhältnissen (Evtl ein Hinweis auf einen längeren Zeitraum des Geschehens). Die Hand der schwarzen Figur greift durch das Gitter nach dem Nacken der Frau und zieht sie an das Gitter heran und nach unten. Die Frau greift nach dem Vorhang im Beichtstuhl. Die Steinfigur eines Engels gerät ins Wanken und stürzt auf den Steinboden, wo sie zerschellt. Unter dem Vorhang des Beichtstuhls fließt nun immer mehr Blut hervor, so dass sich eine ganze Blutlache bildet. Unter aufstiebendem Staub (vermutlich durch den herabfallenden Engel) kommt eine (Grab-)Platte zum Vorschein, auf der griechische und lateinische Buchstaben zu sehen sind. Eine der Buchstabenkombinationen lässt sich zum Wort "D E M O N A S" (also die latinisierte Form des griechischen Wortes für Dämonen) zusammensetzen. Parallel dazu sieht man die Frau außerhalb des Beichtstuhls irgendwo in der Kirche gefesselt auf dem Boden hocken. Sie trägt ein Tuch um den Kopf und hat Blut an den Beinen. Wieder oder noch einmal fallen Stühle im Zeitlupentempo um. Der Fortgang des Geschehens ist nicht ganz eindeutig. Entweder kann sich die Frau, die nun auf einem Stuhl zu sitzen scheint, das Tuch um ihren Kopf abnehmen (den Schleier, der sie blind macht) oder aber ihr wird das Tuch von einer anderen Person abgenommen. Es sind zwei aufeinander folgende divergierende Szenen, wobei in einer mehr Hände zu sehen sind, als nur einer Figur zukommen würde. (Wenn es Absicht ist, was ich einmal unterstelle, dann ist es nur sehr bedingt zu erkennen und zu durchschauen. Und noch weniger lässt es sich präzise deuten.) Die schon in mehreren Zwischenszenen zu sehenden Stuhlreihen kippen immer weiter und immer wieder um. Die nächste Szene zeigt die Frau sitzend mit blutverschmiertem Becken (sie scheint aber noch etwas anzuhaben, jedenfalls zeichnen sich Kleiderfasern ab). Zwei Hände umgreifen sie. Die folgenden Szenen zeigen, wie sich immer mehr Blut aus dem Beichtstuhl ausbreitet, wie über die blutige Haut des Oberkörpers der zunächst liegenden Frau blutverschmierte Hände streichen, wie sie dann in aufgerichteter Stellung weiter mit blutigen Händen an den Beinen und den Brüsten angefasst wird. Offenkundig ist sie jetzt wieder mit blauen Seilen gefesselt. Dazwischen eingeschnitten sind nun wieder Szenen aus dem Beichtstuhl, des Beichtvaters und des im Gegenlicht zu sehenden Christuscorpus. Eine breite Blutlache hat sich nun im Beichtstuhl ausgebreitet, in dem die blinde Frau allerdings überraschenderweise immer noch vollangekleidet zu sitzen scheint, denn man kann ihre Kleidung deutlich sehen. In der nächsten Szene sehen wir einen Klosterbruder durch die Kirche schreiten. Das nächste Bild ist die nun vollständig nackte Frau, die im Gewölbe bzw. oberen Geschoss der Zisterzienserkirche in Kreuzigungshaltung am Gebälk hängt. Es ist eine klare Kreuzigungsadaption bzw. in anderer Lesart eine Christusidentifikation. Der Körper der Frau ist mit Blut beschmiert, ihre Hände sind mit Seilen an die Balken gefesselt. Durch eine Mauerdurchbrechung im Hintergrund bricht gleißendes Licht aus dem Hintergrund in die Szene ein. Wir sehen dann wieder das Weihwasserbecken vom Anfang des Clips, nur dass dieses Mal das Becken mit dickflüssigem Blut gefüllt scheint, in das die Hand der schwarzen Person getaucht wird, worauf von deren Fingern das Blut wieder in das Becken hinabtropft. Dann sehen wir die nackten Füße der blinden Frau aus dem Beichtstuhl heraustreten und durch die große Lache des Blutes schreiten. Der Blick der Kamera fährt langsam am Körper der nackten Frau hoch bis er sie voll erfasst. Der Körper ist - abgesehen von den Füßen - vollständig ohne Blutflecke! Wie sonst nur Aphrodite auf dem reinen weißen Meerschaum (der mythologisch den Samen ihres Vaters Uranos verkörpert) sieht man hier die Frau auf der roten Lache schreiten. Überblendet wird diese Szene mit dem Blick auf den Christuscorpus im Gegenlicht, der an den Fensterbalken hängt. Als die Kamera von der Christusfigur langsam wieder zurückfährt, sieht man die nun über und über mit Blut überströmte nackte Frau in gebeugter Haltung in der Blutlache knien. Wiederum im Gegenschnitt sieht man dann ganz überraschend ein schwarz gekleidetes Double der Frau scheinbar beschwingten Schrittes und mit wehendem Kleid durch die Kirche bzw. den Kreuzgang gehen (wobei sie am Ende, so als würde ihr schwindelig, etwas ins Straucheln gerät und sich an einer Säule festhalten muss). Sie verlässt die Kirche, geht über eine Wiese und entfernt sich von der Kirche(nruine). Der Blick zurück in der Kirche zeigt wieder die nackte blutüberströmte Frau. Sie liegt nun bäuchlings mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden (in der Nähe des Eingangs der Kirche) mitten in der großen Blutlache. Sie bildet damit - wie schon in der Szene zuvor im Gewölbe der Kirche - ein Double zum gekreuzigten Christus am Fenster. Während sie in der vorherigen Szene aber offenkundig eine erzwungene Haltung eingenommen hatte (insofern sie an das kreuz gefesselt wurde), handelt es sich hier um eine bewusst eingenommene Haltung. Sie muss sich in die Blutlache gelegt und die Kreuzeshaltung eingenommen haben. (Überliefert wird diese Haltung als Gebet u.a. für In der allerletzten Szene des Clips hat sie sich dann offensichtlich wieder erhoben und legt nun bewusst ihren Brautring mitten in die Blutlache. Dieses Schlussbild (= Schlüsselbild) ist nun besonders sorgfältig komponiert, denn man sieht nicht nur die blutige Hand der nackten Frau, die den Ehering in die Blutlache taucht, sondern man sieht auch, wie sich der Christus vom Kruzifix im Blut spiegelt. Dieses Bild ist nun besonders reich an Assoziationen: vom Blutstrahl der Gnade, über den Ring, die in das Blut eingetaucht wird, den Christus, den wir nun wie in einem Spiegel sehen - all das und natürlich noch viel mehr steckt in diesem Paneel. Wenn der Brautring (nach Luther) den Glauben symbolisiert, dann wird dieser hier in einer geradezu sakramentalen Handlung zurückgegeben. Wenn er die mystische Verbindung mit Christus symbolisiert [zu denken wäre hier an (Detail-) DeutungenEs ist die Frage, wie man mit der Dichte und der Fülle, der Rätselhaftigkeit und auch der Widersprüchlichkeit dieses Clips umgehen kann und soll. Offenkundig ist diese kaum zu entschlüsselnde Rätselhaftigkeit gewollt. Jede Deutung, die in eine bestimmte Richtung zielt, wird sofort durch andere Details dementiert oder zumindest korrigiert. Sicher ist in diesem Clip gar nichts. Weder, wie viele Personen eigentlich in der Kirche sind (zwei, drei, vier?), noch die zeitlichen Verhältnisse (werden hier Stunden, Tage, Monate oder Jahre gespiegelt?) noch die Adressaten und Kritikpunkte (katholische Kirche, innerpsychische Prozesse, anthropologische Fragen).
" Nach der Festnahme in Gethsemane und der Verschleppung vor Kaiphas sieht Jesus seinen Jünger Petrus unter den ansonsten Unbekannten am Feuer an. Wäre diese Bezugnahme die intendierte, dann handelte es sich bei dem Liedvers in der erste Strophe um eine Aussage der Frau über jemanden, der sie verrät: "Ich sah die Feuerstelle / All diese Unbekannten / Dich unter ihnen. Die Frage wäre dann, ob der Verweis auf den Verrat des Petrus direkt religiös oder eher metaphorisch gemeint ist. Schon in der ersten Strophe des Liedes wäre jedenfalls das Motiv des Verrates eines Menschen angedeutet. Im Sinne der vorletzten der oben geschilderten Szenen könnte es sich natürlich um eine weibliche Christusidentifikation handeln, die Petrus, den Fels auf dem die Kirche gründet, in den Blick nimmt. Der biblischen Überlieferung entsprechend ist Petrus einer der ersten Bekenner, aber auch der erste Verleugner Christi sowie einer der ersten Zeugen des Auferstandenen. Petrus ist so auch ein Symbol für die gesamte Ambivalenz der Kirche, ihre "schuldhaft verweigerte Kreuzesnachfolge". Auf dem abgebildeten Gemälde von Duccio di Buoninsegna (1255-1319) [zwischen 1308 und 1311 gemalt, heute im Dommuseum in Siena], das den Verrat des Petrus zeigt, ist eine entsprechende Situation abgebildet, die den Bezugspunkt des Liedverses darstellen könnte.
Bei aller Verbundenheit mit dem ordo des Mittelalters ordnet sich die Heiligenlegende der Katharina von Siena zugleich aber auch ein in die mittelalterliche Revolution von der Objektivität der Kirche zur subjektiven Aneignung des Heils: "Im Zusammenhang mit der religiösen Frauenbewegung seit dem späten 12.Jh. werden zahlreiche mystisch begabte Beginen und Nonnen bekannt (Maria von Oigniès, Lutgard von Tongeren, Hadewijch, Mechthild von Magdeburg, Angela von Foligno). Braut- und Leidensmystik, die eine »individualisierte« Gottesbeziehung voraussetzen, sind nur die auffälligsten Manifestationen einer allgemeinen Humanisierung, nicht im Sinne eines humaneren Umgangs, sondern als Verschiebung der Weltsicht mehr und mehr in die Subjektivität des Menschen, der sich als Zentrum der Schöpfung versteht. ... Angesicht der Zersetzung von weltlicher und geistlicher Herrschaft war aber auch der Rückzug in das »innere Reich« eine Reaktionsmöglichkeit auch für Laien. Das späte Mittelalter ist frömmigkeitsgeschichtlich so sehr die Zeit der Mystik, dass man speziell bei den weiblichen Heiligen des 14. und 15.Jh.s von einer »mystischen Invasion« spricht nur an Birgitta von Schweden (1302/31373) und Katharina von Siena (13471380) sei erinnert." [Artikel 'Mittelalterliche Kultur' im Evangelischen Kirchenlexikon (EKL) Bd. 3/8, S. 489ff.] Speziell im Blick auf Katharine von Siena notiert das Ev. Kirchenlexikon ergänzend: "Eine Reform der Kirche von oben wurde erstrebt, indem die jeweiligen geistlichen und auch weltlichen Herrscher unter Androhung des Zornes Gottes und durch Erinnerung an die grenzenlose Liebe des geopferten Christus dazu gedrängt wurden, die ihnen aufgetragene Rolle wahrzunehmen. In ihrer Korrespondenz, besonders aber in dem zwischen Oktober 1377 und Sommer 1378 entstandenen »Dialog der göttlichen Vorsehung«, der weitgehend als Zwiegespräch zwischen Katharina und der Gottheit konzipiert ist, entwickelte Katharina ihre spiritualistischen und ekklesiologischen Vorstellungen, in deren Zentrum die Erlösungstat Christi steht Ihre Orientierung am leidenden Christus führte zum Versuch, sich in Christi Opfer durch den »Herzenstausch« hineinzuversetzen. Katharina betonte dabei wie andere Mystikerinnen auch ihren »eucharistischen Hunger« und stellte die Kirche als einen Garten dar, der vom Blut Christi benetzt sei. Der Papst habe dieses zu verwalten, die Priester seien mit dessen Austeilung beauftragt, selbst dann, wenn sie sich ihrer Aufgabe als unwürdig erweisen sollten. [EKL Bd. 5, S. 314-315).
Blut ist nicht nur nach dem Satz des Mephistopheles im Faust ein ganz besonderer Saft, sondern im Videoclip zu Je te rends ton amour auch ein konstitutives Element der Bildargumentation. Anders als in den Videoclips manch anderer berühmter Popkünstler (etwa bei Madonnas Clip zu "Like a prayer", wo eine blutige Träne aus dem Auge der Heiligenstatue quillt, oder David Bowies "The hearts filthy lessons", wo Blut bei der Opferung nur symbolisch angedeutet wird) kommt Blut hier reichlich zum Einsatz. Andererseits sind Mylène Farmer und François Hanss auch weit entfernt von der Blut- und Gewaltorgie des Passionsfilms von Mel Gibson oder dem Orgien-Mysterien-Theater von
Das sich anschließende Bild mit Blut ist jenes, in dem Blut am Bein der Frau herunterläuft. Allgemein wird dies in der Rezeption des Clips als Symbol verletzter Jungfräulichkeit gedeutet. Zwingend finde ich das nicht. Es kann ebenso auf die Menstruation hinweisen oder eine Vergewaltigung. Jedenfalls aber verweist es auf die Frau als Wunde: "Die sich als Wunde fühlt, wenn sie blutet, weiß mehr von sich als die, welche sich als Blume vorkommt, weil das ihrem Mann in den Kram paßt." [Th. W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben] Im Videoclip fließt nach und nach immer mehr Blut. Es Blut fließt aus dem Beichstuhl in den Raum der Kirche und bildet dort eine große Lache. Mehr inhaltlich als ikonographisch entspricht das den Darstellungen des so genannten Blutstrahls der Gnade oder in einem ähnlich populären Bildtyp, dem Christus in der Kelter. Ähnlich martialisch wie im Videoclip von Mylène Farmer wird dabei Christus in eine Weinkelter gepresst, auf dass sein Blut das Heil in die Welt bringe. In einer modernen Adaption und Infragestellung zugleich finden wir das Motiv der Verbindung von Blut, Ritual und Religion im Orgien-Mysterien-Theater des österreichischen Künstlers
Anders als das vielleicht mancher einer aus der Hoch- wie Populärkultur heutzutage vermutet, ist die Darstellung einer Frau am Kreuz aber keinesfalls gleichbedeutend mit einer Kritik am etablierten Christentum und seiner Unterdrückung der Weiblichkeit bzw. der Frauen. Auch wenn ein christliches Bürgertum, das seine eigene christliche Ikonographie und Hagiographie nicht mehr kennt bzw. verdrängt hat, immer wieder protestiert, wo (nackte) Frauen am Kreuz oder Frauen in direkter Nachfolge der Passion gezeigt werden (z.B. bei entsprechenden Bildern des Fotografen Eine Vielzahl von Frauen ist nach der Hagiographie des Christentums gekreuzigt worden. Dazu zählen etwa Das Bildmotiv der gekreuzigten Frau selbst ist also keine Überraschung im Rahmen der europäischen Kunstgeschichte. In der Regel sind diese Darstellungen allerdings solche in der Nachfolge Christi. Davon kann bei Mylène Farmer nicht ausgegangen werden. Ich glaube aber auch nicht, dass ihre Inszenierung in der Tradition der Provokation mittels des Kreuzigungsmotivs liegt. In provozierender Absicht ist etwa eine Für Mylène Farmer geht es in ihrem Clip aber wohl mehr um den paradoxen Tatbestand, dass eine Religion, die im Zeichen des am Kreuz erlittenen Leidens entstanden ist, selbst so viel Leiden, Kreuz und Blut über die ganze Welt gebracht hat. Welche Relation, ja welche kausale Verknüpfung gibt es zwischen dem Schatten des Kreuzes des Galiläers zum realen Kreuz der Menschen in der Welt?
Mais j'ai vu ta main / Choisir Gaugin - Aber ich sah Deine Hand / Gauguin wählen - was soll der Hörer daraus schließen? Und welche Logik entwickelt sich im Blick auf die Auslegung des Liedtextes, der ja die Malerei als grundierende Metapher verwendet? Gauguin ist mehrfach mit der (katholischen) Kirche in Konflikt geraten und hatte auch Phasen der äußersten Gottesferne und Blasphemie. Das kann also nicht der Bezugspunkt sein. Seine Farben sind auch keinesfalls verdünnt und verharmlosend, ganz im Gegenteil wird bei und mit Gauguin eine bestimmte Farbigkeit neu entdeckt und entwickelt . Seine Inhaltlichkeit - gerade beim hier abgebildeten Spätwerk 'Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?' - ist eher kritisch bis zur Depressivität. Allenfalls sein Christusbild, zu dem sich ja schon Vincent van Gogh kritisch geäußert hatte, könnte einen Bezugspunkt darstellen. Aber eine Logik ergibt sich daraus nicht. Wer ist es also, der Gauguin wählte? Hier bleiben einem wirklich nur Spekulationen.
Die Arbeiten von Egon Schiele gehören, wie es der Direktor der Wiener Albertina formuliert, "zu den Gassenhauern der Kunstgeschichte ... Die große Leistung Schieles ist, neben der Selbstthematisierung, die Entdeckung der Sexualität und die Befreiung des sexuellen, erotischen Körpers aus den Niederungen der Karikatur und der erotischen pornografischen Fotografie ... Es ist gleichsam der Körper in seinen verschiedenen Ansichten explodiert und hat geholfen, die normierten Körperstellungen, die in den letzten 500 Jahren von der Renaissance bis zum Klassizismus, die Bilderwelt geprägt hat, zu revolutionieren." Und wie für Mylène Farmer gilt auch für Egon Schiele, dass er mit Identitäten und Befindlichkeiten spielt. "Er ist der Elegante, der Dandy, der Ängstliche, Gequälte, Unsichere, der Stoische und der Wütende." Insofern kann man zu Recht von einer Art Seelenverwandtschaft sprechen. |