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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XX

Emotion of Color

Karin Wendt

Man könnte fragen, ob das, was wir von Bildern im Gedächtnis behalten, nicht vor allem Farbe ist, genauer ein bestimmtes Farblicht, mit dem wir subjektive Empfindungen verbinden. Anders gesagt, Sichtbares bleibt uns dann in Erinnerung, wenn wir es in einer vor allem durch Farbe charakterisierten Intensität erleben. Farben beeinflussen nicht nur unsere Stimmung, also die Art und Weise, wie wir Wirklichkeit erleben, sondern sie prägen das, was wir von der Wirklichkeit erfahren nachhaltig. Was für diese Inkorporierung von Farberlebnissen spricht, ist, dass wir umgekehrt, wenn wir Farben zu beschreiben versuchen, synästhetisch von ihrer Wirkung sprechen: von der Dunkelheit oder Helligkeit einer Farbe, ihrer Kälte oder Wärme, ihrer Entfernung oder Nähe, ihrer Dichte oder Leichtigkeit, ihrer Aggressivität oder Sanftheit, ihrem Klang oder ihrer Stille usw. Der 1940 in Richmond, Kalifornien, geborene Maler Phil Sims nimmt diese Beobachtung zum Anlass und macht die Farbe selbst zum Gegenstand der Anschauung. Die künstlerische Konzentration auf den Umgang mit Farbe beschreibt er selbst folgendermaßen: „Wenn Maler die Farbe auf die Faktizität der Oberfläche ausrichten, führen sie die Bedeutung auf die Syntax der visuellen Sprache zurück.“ Diese wiederum wird zum Sehfeld, in dem wir erneut unendlich viele Bedeutungsebenen hervorbringen (können).

Werke von Phil Sims der von 1977 bis 2000 überwiegend in New York wohnte und seitdem in Pennsylvania lebt, sind zur Zeit in der Ausstellung „Emotion of Color“ im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster zu sehen. Es sind monochrome Acrylbilder aus den Jahren 1999 bis 2005, die jeweils zu Gruppen in sechs Räumen gehängt sind. So bildet sich in jedem der Räume ein bestimmter Farbklang aus, der wiederum vielfältige Interaktionen zwischen den Bildern auslöst und wie ein Nachklang mitschwingt, wenn man in einen neuen Raum geht. Zudem ergeben sich Blickachsen zwischen den Räumen, einzelne Bilder können dann wie entfernte Kontrapunkte auf die Farbgruppen einwirken. Das Zentrum bildet ein Raum mit „drei machtvollen flachen Farb-‚ Körpern’, jeder über fünf Meter breit, der eine von dunklem, majestätischem Blau, der andere von verhalten energischem Rot und der dritte von zartem, gelblichem Grün.“ (Ausstellungstext) Wassily Kandinsky hat die Wirkung von Farben mit Klängen verglichen, die im Betrachter einen Widerklang auslösen. Werden wie in dieser Ausstellung großformatige monochrome Bilder in miteinander kommunizierenden Räumen gehängt, so ermöglicht dies nicht nur Seherfahrungen im Dialog mit einem Bild, sondern man bekommt zudem das Gefühl, man gehe durch ein dreidimensionales Bild mit frei schwebenden Farbelementen. Die vielfältige architektonische Funktion monochromer Malerei konnte man in erweiterter Form in den historischen Räumen des Münchner Lenbachhauses erleben, der ersten Station von „Emotion of Color“. Phil Sims hatte dort die Ausstellung mit Blick auf Proportione, Blickachsen und Lichtverhältnisse speziell für die Säle im Erdgeschoss entwickelt.

Gleichwohl liegt die Besonderheit der Bilder von Sims in ihrer singulären Präsenz. „Phil Sims zeigt das enorme optische Spektrum, welches der Malerei jenseits eines wieder erkennenden Betrachtens eigen ist. So betont er die materiellen Eigenwerte der Farben, er variiert den Pinselduktus und die Bewegungsrichtungen, welche in der Folge entstehen, er ergründet die Mischungsverhältnisse und lässt Bildträger und Farbe in ein spannungsreiches Verhältnis treten. Gleichzeitig erscheinen seine Bilder aber auch als Objekte, an deren Oberflächenstruktur sich das Licht des umgebenden Raums bricht.“ (Ausstellungstext) Der Künstler arbeitet immer in mehreren Schichten, um in unterschiedlichen Abstufungen eines Tonwerts die spezifische Farbintensität zu erreichen. So nimmt man, je länger man vor einem Bild steht, immer mehr Differenzierungen im scheinbar Monochromen wahr - Blau scheint durch Rot hindurch, Gelb durch Grün, so dass hochkomplexe Farbqualitäten sichtbar werden, die eine eindeutige Bezeichnung unmöglich machen. Es sind keine opaken Farbflächen, sondern durch die Pinselbewegung subtil akzentuierte oder großflächig austarierte, gleichsam atmende Farbkörper. In der Gruppe der „Navigator Paintings“ arbeitet Sims zusätzlich mit Sand und erdigen Beimischungen, so dass die Farbe organisch gesättigt erscheint. In einem Interview 1996 erläutert Sims, wann für ihn ein Bild vollendet ist: „Das Bild ist fertig, wenn zwei Dinge zusammenkommen: Die Farbe ist voll entwickelt und die Struktur ist so ausgearbeitet, dass sie die Farbe zu unterstützen vermag – die Farbe ebenso strukturiert wie moduliert ist. Was mich an der Strukturierung interessiert, ist, dass sich eine saturierte Farbhaut entwickelt, die ihre vielen Schichten widerspiegelt.“ Erich Franz schreibt im Katalogtext: „Die Werke von Sims sind nicht ‚Bilder’ sondern ‚paintings’, gemalte Farbe.“ Ihre sinnliche Intensität, so Franz, überwindet die primäre Einheit der Flächenform und ist vergleichbar mit Arbeiten von Maria Hafif oder Joseph Marioni. Mit ihnen gehört Sims zu einer Gruppe von Künstlern, die unter dem Begriff des Radical Painting seit Anfang der 80er Jahre international bekannt wurden. In der Tradition der monochromen Malerei kann man die Position von Sims als romantische einstufen, weil er der reflexiven Befragung von Farbe eine Auslotung ihres emotionalen Eigenwerts an die Seite stellt. Hierbei geht es geht ihm nicht um eine sinnliche Überwältigung durch Farbe wie etwa Barnett Newman. Das einzelne Bild erscheint vielmehr als in sich gestaltetes, atmosphärisches Gegenüber, das einen unendlichen Dialog, im Betrachter auszulösen vermag.

Phil Sims – Emotion of Color – Westfälisches Landesmuseum Münster 19.02 - 09.04. 2006

Literatur:

Phil Sims : emotion of color / Helmut Friedel [Hrsg.]. Matthias Mühling, Julia Höner [Bearb.]. München, 2005    19 Euro


© Wendt 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 40/2006
https://www.theomag.de/40/kw48.htm