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Magazin für Theologie und Ästhetik


Im Labyrinth XXIX

Erscheinungen im Cyberspace

Andreas Mertin

Digitale Bilderwelten

Im Werbeclip 1000 Songs der Firma Apple für den ipod und iTunes wird dem Betrachter demonstriert, wie sich die Weltwahrnehmung eines imaginierten iPod-Nutzers aus immer wieder neu kompilierten 1000 Albumcovern zusammensetzt. Diese Cover generieren komplette Welt-Bilder, Skylines und virtuelle Landschaften. Tatsächlich ist trotz aller seit Jahrzehnten beschriebenen Überflutung mit Bildern (die ja eigentlich zu einer Nivellierung ihrer Bedeutung führen müßte) das Bild immer noch von grundlegender Bedeutung in der Gegenwart. Ohne Bilder, ohne aussagekräftige Bilder geht es nicht. Noch der beste Slogan, noch das beste Buch, noch die beste Inszenierung bedarf der unterstützenden Bilderwelten. "Aufmerksamkeit ist aktuell eine der knappsten Ressourcen überhaupt" befand schon vor Jahren der Fotograf Horst Wackerbarth und tatsächlich sind es Bilder, die heute in der Regel Meinungen "bilden" und Meinungsumschwünge herbeiführen. Stimmungen und Gefühlswelten sind in einem hohen Maße bildabhängig. Dabei bedarf es nicht notwendig innovativer Bilder. Der visuelle Retro-Kult der letzten Jahre zeigt, dass das geschickt re-inszenierte Bild ausreicht.

Gleichzeitig sind in den virtuellen Welten die Bilder so nahe und so verfügbar wie selten. Auch wenn aus Kapazitätsgründen Bilder selbst in Zeiten von Breitbandverbindungen nur selten in ausreichender Auflösung zur Verfügung stehen (schließlich verlangen 10 Bilder in vernünftiger Auflösung den gleichen Speicherplatz wie das Gesamtwerk von Immanuel Kant), so ist doch die Fülle des Angebots geradezu unüberschaubar. Für die Bildende Kunst gilt, dass nahezu alle Werke der bis 1936 verstorbenen Künstler (also jenseits der urheberrechtlichen Bindung) onli-ne greifbar sind. Niemand muss beispielsweise zum Studium der Bilder von Giotto in der Scrovegni-Kapelle heute noch lange in Bibliotheken suchen, allein die Wikimedia-Commons bieten eine ausreichende Zahl von Abbildungen in guter Qualität von der WebGallery of Art ganz abgesehen.

Inzwischen kann jeder nahezu alles finden (wenngleich immer nur in begrenzten Auflösungen). Das will ich im Folgenden an einem Beispiel überprüfen, nämlich im Blick auf Architektur-Fotos von Madrid.

Beispiel: Architektur in Madrid

Madrid ist im Kontext der europäischen Geschichte eine junge Metropole mit einer fortdauernden Entwicklung im Bereich der Architektur. Mit der Verlegung des Parlaments in die Stadt im Jahr 1561 und der Residenz aus dem nahe gelegenen und wesentlich älteren Toledo durch Felipe II. im Jahr 1588 begann der Aufstieg. Von den ersten königlichen Bauten bis zu den postmodernen Bauten der letzten Jahre und auch den aktuell im Bau befindlichen Wolkenkratzern sollte also genügend Material für eine Recherche zur Verfügung stehen. Ich wähle in diesem Fall nicht spezialisierte Architekturdatenbanken, sondern allgemein zugängliche Bildsammlungen und Bildsuchmaschinen.

Wikimedia-Commons

Erste Bildhinweise bietet natürlich schon der Wikipedia-Artikel zur Stadt Madrid selbst, zugleich aber auch deren Quelle, die so genannten Wikimedia-Commons. Hier finden sich unter der so genannten GNU-Lizenz stehende Bilder, die Nutzer der Community zur Verfügung gestellt haben. In unserem Fall finden sich mehr als 100 Bilder von Gebäuden oder Gebäudeteilen. Die Struktur ist nicht auf den ersten Blick einsichtig, denn es wird zwischen der Kategorie Madrid und dem Artikel Madrid unterschieden. Dennoch finden sich hier alle wichtigen Gebäude vom königlichen Palast bis zu den Kio-Buildings und den im Bau befindlichen Wolkenkratzern wie dem Torre Espacio (mit geradezu tagesaktuellen Bildern). Was fehlt, sind bei diesen Bildersammlungen exaktere Daten zu den einzelnen Gebäuden, aber hier wird man auf spezialisiertere Quellen zurückgreifen müssen. Aber immerhin wird bei jedem Bild angezeigt, welcher wikipedia-Artikel von diesem Bild Gebrauch macht, so dass man hier evtl. weiter kommt.

Google-Bilder

Wäre man - wie vermutlich die meisten Nutzer - mit der Bildersuche bei Google eingestiegen, so hätte die Abfrage "Madrid Building" gut 2000 Treffer ergeben, "Madrid Architecture" immerhin noch knapp die Hälfte. Der Vorteil der Bildersuche bei Google ist, dass die Bilder natürlich jeweils in einen Kontext eingebunden sind, den man sich anzeigen lassen kann und so weitere Informationen erhält. Auf der anderen Seite sind die urheberrechtlichen Fragen bei der allgemeinen Suche wesentlich komplizierter. Jedenfalls bekommt man auch mit der Bildersuche bei Google viele gute Treffer, allerdings nicht ganz so gute wie bei den wikimedia-commons. Dafür kann man die Bildersuche durch weitere Stichworte eingrenzen, so dass man schnell zu Abbildungen etwa des Picasso-Hochhauses oder des bereits erwähnten Torre Espacio gekommen wäre.

Woophy

Eine völlig andere Zugriffsform ist woophy, eine stadt-orientierte Bilddatenbank mit mehr als 120.000 Fotos. Beim Start schaut man auf eine Weltkarte mit nahezu 15.000 Punkten, die jeweils eine Stadt repräsentieren. Man kann nun die Region selektieren, die einen interessiert oder direkt die Bilddatenbank über das Suchformular auf der rechten Seite abfragen. Ich habe selten eine Bildersammlung gesehen, die derart ausgezeichnet ist wie woophy! Ich wähle also rechts die Suchkategorie Cities und gebe Madrid ein. Die Landkarte zeigt mir nun an, dass es zweite Städte dieses Namens gibt, ein amerikanisches Madrid (mit 6 Fotos) und die spanische Hauptstadt (mit 221 Fotos). Ich klicke auf letztere und auf der rechten Seite öffnet sich ein Band mit Thumbnails der vorhandenen Werke. Wenn man auf ein Foto klickt, legt sich ein Layer mit einer Art steuerbaren Diashow über die Landkarte. Klickt man auf ein dort gezeigtes Bild, öffnet es sich großformatig in einem neuen Fenster. Die Qualität der Bilder ist sehr gut, allerdings ist es in unserem Fall schwieriger bestimmte Gebäude zu finden. Sehr gute Abbildungen fand ich vom Debod-Tempel, aus dem Kristallpalast, vom Hotel America und von der City bei Nacht. Allerdings überwiegen in der Regel künstlerisch ambitionierte Fotografien. Urheberrechtlich scheinen die Bilder - soweit vom Fotografen nicht ausdrücklich nicht anders angegeben - für den Privatgebrauch frei zu sein. In jedem Fall ist woophy immer eine Betrachtung wert (ich empfehle, mit den Bildern von Venedig einzusteigen!)

Zoomr

Eine Enttäuschung ist das noch junge Bildportal Zoomr, nicht wegen seiner Konstruktion, die ich für durchaus zukunfstsweisend halte, sondern wegen des mangelhaften Bildangebots. Positiv ist an dieser Adresse, dass die Bilder anhand von GoogleMaps mit GeoTags versehen werden können. Das heißt einerseits, man kann beim Hochladen der Bilder immer präzise angeben, wo man sie gemacht hat, und andererseits kann man immer sehen, welche Bilder von einem bestimmten Punkt aus gemacht wurden. Das setzt natürlich voraus, dass sich die Leute dieser Mühe auch unterziehen. Leider gab es zum Thema Madrid nur vier Treffer, woraufhin die Datenbank geradezu verzweifelt nachfragte: "Meinst Du vielleicht Married?" Zudem war der Seitenaufbau extrem langsam. Dennoch könnte diese Art der Zuordnung von Ort und Bild außerordentlich produktiv sein. Wenn eine Fotodatenbank wie Flickr (s.u.) mit diesen GeoTags versehen wäre, wäre das sensationell.

Nebenbei bemerkt: Das kostenlose Picasa von Google ermöglicht in ähnlicher Weise das so genannte GeoTagging der eigenen Urlaubsfotos. Wenn Sie diese in Picasa geladen haben, können Sie jedes einzelne mit Hilfe des ebenfalls kostenlosen Programms GoogleEarth mit einem GeoTag versehen, das heißt, die Bildinformationen werden mit den Koordinaten des Fotografierstandpunktes ergänzt. Dazu zoomen Sie bei jedem Bild in GoogleEarth zu dem Standort, von dem aus Sie das Bild ausgenommen haben. Beim Zeigen der Bilder kann dann gleich zur Satellitenaufnahme bei GoogleEarth gesprungen werden.

Sevenload

Sevenload ist eine junge neue deutsche Foto- und Videocommunity mit einem allerdings zur Zeit noch sehr begrenzten Angebot (nicht nur zum Thema Madrid.) Gerade mal 9 Fundstellen werden zu Madrid ausgewiesen. Das zeigt, dass die Regionalisierung des Angebots in Zeiten des globalen Zugriffs nicht unbedingt sinnvoll ist; anders gesagt: nur die Masse machts.

View

View - das Magazin des Stern hat eine gleichnamige Fotocommunity mit künstlerischen Ambitionen. Die besten Fotos der Community werden sogar bei der Printausgabe View veröffentlicht. Von der Möglichkeit der Publikation eigener Fotografien wird eifrig Gebrauch gemacht. Daher findet sich zu beinahe jedem Thema etwas. Die gefundenen Bilder kann man sich in einer Diashow anschauen oder - sofern man Mitglied der Community ist - herunterladen. Die Suche nach dem Stichwort "Madrid" ergab in dieser deutschen Fotocommunity freilich nur 60 Bilder, die allerdings von durchweg guter Qualität waren. Allerdings fehlen oft elementare Informationen zum Inhalt des Bildes, so dass man allenfalls indirekt über die Stichworte (Tags) den Inhalt bestimmen kann. Hier wäre eine Verpflichtung für die Teilnehmer zu mehr Metadaten sinnvoll. Eine besonders intensiv genutzte Eigenart dieser Community ist die Kommentierungsfunktion, die es eingetragenen Mitgliedern erlaubt, sich zur Qualität oder zum Inhalt eines Bildes zu äußern oder auch Tipps für weitere Fotos zu geben. Das Angebot zu unserem Thema war insofern dürftig, als gute Architekturfotos der bedeutenden Bauten von Madrid fehlten. Das erklärt sich natürlich insbesondere durch die eher regionale Zielgruppenorientierung. Die Stärke von View liegt wohl eher bei anderen Themen.

Photobucket

Sehr persönlich wird es bei Photobucket. Gibt man das bloße Stichwort "Madrid" ein, dann stößt man vor allem auf Urlaubs-Bilder, bei denen Besuchergruppen vor irgendwelchen Gebäuden posieren. Ergänzt man die Stichworte durch "Architecture" kommen nur noch vier mittelmäßige Bilder. Das ist definitiv zu wenig.

DeviantArt

DeviantArt - where art meets application - heißt es so schön bezeichnend auf der Kopfzeile des Webfensters beim Aufruf. Das deutet schon an, wohin die Reise geht: zu Fotos, die mit Photoshop weiter bearbeitet wurden, mit dramatischen Effekten versehen oder zu komplexen Inszenierungen komponiert wurden. Wie die wikipedia schreibt, kann grundsätzlich "jede digitalisierbare Form der Kunst veröffentlicht werden, wobei der Schwerpunkt auf der Photographie sowie der digitalen Photomanipulation liegt. Andere Kategorien behandeln die Bereiche der traditionellen Malerei, Anime, Flash-Animationen, Vektor- und Pixel-Kunst, Dichtung, Prosa und Stock-Photographien." Sicher ein ambitioniertes Projekt, aber hilft es auch bei unserer Suche? Die Eingabe des Wortes "Madrid" ergibt mehr als 3000 Treffer, "Madrid Architecture" immerhin noch 103, von "Madrid Building" 136. Unter den Treffern sind dann allerdings auch Mittschnitte aus der Fernsehberichterstattung vom Brand eines Hochhauses. Die Bilder in der Kategorie "Madrid Architecture" sind von guter Qualität, es ist allerdings mühsam sich zwischen den Bildern hin und her zu bewegen, hier wäre etwas mehr Funktionalität angebracht. Auch hier ist es möglich, durch Eingabe weiterer Stichworte präzisere Ergebnisse zu bekommen. Insgesamt schien mir das Angebot zur Thematik zu klein zu sein.

Flickr

Die besten Funde bei der Recherche gab es schlließlich bei der Fotocommunity Flickr. Wie die wikipedia schreibt, ist Flickr "eine teils kommerzielle Web 2.0-Webanwendung, die es Benutzern erlaubt, digitale Bilder mit kurzen Kommentaren auf die Webseite und so anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen." Dabei können die Bilder mit Stichworten (Tags) versehen werden, was ihre Katalogisierung und vor allem die Abfrage enorm erleichtert. Die Eingabe von "Madrid" als Stichwort bringt 110.000 Bilder, die Ergänzung um das Stichwort "Architecture" immerhin noch 1247 Fotos ("Building" hätte dagegen nur 537 Ergebnisse gezeitigt). Auch hier bringen ergänzende Tags präzisere Ergebnisse, etwa "Picasso" um das entsprechende Hochhaus zu finden. Besonders gut ist die Möglichkeit, die gefundenen Bilder auf solche unter der creative commons Lizenz stehen, d.h. bei nichtkommerzieller Nutzung unter Namensnennung genutzt werden dürfen. Von den 1247 Fotos zur Architektur in Madrid sind immerhin ein gutes Viertel unter dieser Lizenz abrufbar. Die Qualität der Bilder ist weitgehend gut. Was besonders hervorsticht, ist, dass die Bilder in der Regel in verschiedenen Formaten (mit bis zu über 2500 Pixeln in der Breite) angeboten werden. Das ermöglicht einen guten Eindruck vom fotografierten Objekt. Würde es bei Flicks noch die Möglichkeit geben, die Bilder mit Geotags zu versehen, wäre es wirklich perfekt. Man könnte unterschiedliche Aufnahmen am selben Ort unter unterschiedlichen Bedingungen schnell und effizient vergleichen.

Fazit

Das Angebot an Bildern zu einem zufällig gewählten spezifischen Thema ist mehr als reichlich, die Arten des Zugriffs äußerst unterschiedlich, die Qualitäten ebenfalls. Globale Angebote sind gegenüber regionalen infolge der Größe des Angebots im Vorteil, hier findet man eher, was man sucht. Sicher wäre man bei einem Thema wie Architektur in Madrid bei einer spezialisierten Datenbank besser aufgehoben, insbesondere, was die neuere Architektur betrifft. Trotzdem hat mich der Besuch bei den verschiedenen Foto-Communities überzeugt - insbesondere das Angebot von Flickr. Und so steht am Ende ein Foto aus dem Pool von Flickr, das unter der creative commons Lizenz steht. Angefertigt hat es Arnoldo Lara Giménez, er ist - wie sein Profil bei Flickr ausweist - ein 36jähriger Computerwissenschaftler mit einem Faible für Fotografie.

Puerta de Europa (c) Arnoldo Lara Giménez
Puerta de Europa, Madrid © Arnoldo Lara Giménez, Madrid/Spain


© Andreas Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006
https://www.theomag.de/42/am193.htm