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Magazin für Theologie und Ästhetik


Zur kulturellen Nutzung von Kirchenräumen

Überlegungen am Beispiel der Altonaer Hauptkirche St. Trinitatis

Jörg Herrmann


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Die Kirche

Wenn man aus dem Hamburger Westen kommend durch das dicht bebaute Ottensen am Altonaer Rathaus vorbei die Königstrasse weiter Richtung Reeperbahn fährt, ragt, wenige hundert Meter nachdem man das Rathaus rechter Hand passiert hat, die Hauptkirche St. Trinitatis Altona auf. Es ist eine große Kirche, die dort frei auf einem Grünzug steht, weithin sichtbar, aber zugleich auch ein wenig unverbunden mit dem urbanen Altona. Man fragt sich unwillkürlich, wie eine so große Kirche dort hin kommt, wo sich sonst wenig Bebauung anschließt und auf den ersten Blick auch wenig urbanes Leben sichtbar wird. Die Antwort findet, wer die Kirche (sie gehört zu den wenigen täglich zwischen 10 und 18 Uhr geöffneten Kirchen) betritt und die kleine Fotoausstellung betrachtet, die gleich links vom Eingang präsentiert wird.

Die Fotos zeigen, dass die Hauptkirche St. Trinitatis vor 1943 integraler Bestandteil einer dichten urbanen Bebauung war, dass dort, in unmittelbarer Nähe des damaligen Altonaer Rathauses (heute steht dort eine Tankstelle), ursprünglich einmal das urbane Zentrum Altonas war.

Im Juli 1943, ziemlich genau 200 Jahre nach der Einweihung der nach Plänen des Architekten Cai Dose 1743 fertig gestellten Kirche, wurde sie fast völlig zerstört. Das Gebäude blieb nach der Bombennacht vom 24. Juli 1943 als Ruine zurück, das Dach war vollständig zerstört, der Turm zu großen Teilen, die barocke Innenraumgestaltung vernichtet. Aber nicht nur die Kirche hatte es hart getroffen, der gesamte Kernbereich der Altonaer Altstadt war eine einzige Trümmerlandschaft, es hatte zahllose Tote und Verletzte gegeben.

In den ersten Jahren nach der Zerstörung kam das Gemeindeleben fast völlig zum Erliegen. Aber bereits 1946 stand für den Kirchenvorstand fest, dass die Kirche wiederaufgebaut werden sollte. Das geschah dann allerdings erst ab 1958. 1969 wurde der Bau wieder in Gebrauch genommen.

Die Gestaltung des Wiederaufbaus war von den Architekten Horst Sandtmann und Friedhelm Grundmann geleitet worden. Sie orientierten sich dabei im Blick auf die Außengestalt am barocken Stil des historischen Gebäudes. Das Konzept für den Innraum hingegen folgte nicht der Logik der Wiederherstellung, sondern war stark von den Wünschen des damaligen Pastors Bruno Jordahn bestimmt, dem die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes besonders am Herzen lag und dessen theologische Sichtweisen für die Innenraumgestaltung bestimmend wurden. "Zu einer Gemeinde", schrieb er, "gehört eben ein heiliger Mittelpunkt, in dem das Wort verkündigt und die heiligen Sakramente gespendet werden". Dieser "heilige Mittelpunkt" wurde durch die zentrale Stellung des neuen Altars zum Ausdruck gebracht, womit zugleich eine bestimmte Auffassung von der Bedeutung des Abendmahls als Zentralmoment im gottesdienstlichen Zusammenhang formuliert war. Der vielleicht fünf mal fünf Meter große quadratische Altar mit Mamortisch, Liturgenbank und Halterung für ein Vortragekreuz in der Mitte der Kirche definiert den Kirchenraum seither vor allem als Ort eines liturgisch-sakramentalen Geschehens.

Das Umfeld der Kirche wurde nach dem Krieg nicht in dem gleichen Umfang wie die Kirche wieder aufgebaut. Der Gemeindebezirk blieb darum gegenüber der Vorkriegssituation erheblich verändert zurück, damit auch die Gemeinde selbst. Diese war schon unter dem Einfluss des seit dem 19. Jahrhundert sich vollziehenden Strukturwandels in Altona geschrumpft (1892 wurde der Sitz des Propsten von St. Trinitatis nach St. Johgannis verlegt). Aber 1925 hatte die Hauptkirchengemeinde noch 24.317 Gemeindeglieder. Anno 2006 sind es nur noch gut 1.700.

Die Kirche ist, so der heutige Altonaer Propst Horst Gorski, "mit einer kleinen Gemeinde in einem sozialen Brennpunkt übrig geblieben". Eine kleine und nicht besonders finanzkräftige Gemeinde (eineinhalb hauptamtliche Stellen) muss hier mit einer - an ihren Bedürfnissen gemessen - viel zu großen Kirche zurechtkommen. Die alte Hauptkirchentradition und die heutige Situation klaffen auseinander. Klar ist, dass die alten Zeiten der im Zentrum Altonas gelegenen Hauptkirche mit einem entsprechenden Gottesdienst- und Gemeindeleben Vergangenheit sind und bleiben. Dennoch beinhalten die Größe der Kirche, ihre exponierte Lage und die Geschichte von Kirche und Gemeinde eine Herausforderung, den weithin sichtbaren Kirchturm auch zu einem geistlich-kulturellen Leuchtturm zu machen und am Ort von St. Trinitatis Altona ein übergemeindliches Profil zu entwickeln, das die religionskulturelle Landschaft Altonas mit besonderen Akzenten bereichert.

Kulturdialoge

Zunächst einmal war es das große Kirchengebäude, das immer wieder Anlass zu Überlegungen gab, wie man es über die gemeindliche Nutzung hinaus mit Leben erfüllen könnte. In diesem Zusammenhang entstand die Idee, die Kirche zu einem Schwerpunkt kirchlicher Kulturarbeit im Kirchenkreis Altona zu machen, deren Umsetzung mittlerweile mit einer zunächst zeitlich befristeten Projektstelle unter dem vorläufigen Titel "Kulturdialoge an St. Trinitatis Altona" in Angriff genommen wurde.

Damit wurde nicht zuletzt die Einladung der EKD-Kulturdenkschrift aufgegriffen, "Räume zu gestalten, in denen Religion und Kultur mit einander ins Gespräch kommen".[1] Die angestrebten Dialoge sollen neue Zugänge sowohl zur christlichen Tradition wie auch zur kulturellen Gegenwart eröffnen und Religion und urbane Kultur vor allem am Ort von St. Trinitatis, aber mit einem Spielbein des Projektes auch auf der Kirchenkreisebene stärker miteinander vernetzen.

Im Blick auf St. Trinitatis soll dabei ein Profil erarbeitet werden, das die Besonderheiten und Potentiale des Ortes und seiner Geschichte aufnimmt. Zu diesen aufzugreifenden Potentialen und Herausforderungen gehören der schon beschriebene Kirchenraum, eine von religionspolitischer Toleranz und nicht zuletzt von jüdischer Präsenz geprägte Altonaer Geschichte, einer der ältesten jüdischen Friedhöfe Europas direkt gegenüber der Kirche, ein ausgesprochen multireligiöser Kontext, brennende soziale Fragen.

Auch die im Kirchenkreises sich vollziehenden Gemeindefusionen und die damit einhergehenden Veränderungen des religionskulturellen Umfeldes sollen im Blick bleiben. Die Kulturdialoge wollen diese Besonderheiten von Kirche und Gemeinde im Rahmen von religionskulturellen Veranstaltungen unterschiedlichen Typs aufgreifen - ortsbezogener oder überregionaler ausgerichtet, die Integration von Ortsgemeinde und Kulturgemeinde anstrebend.

Möglichkeiten und Grenzen des Raumes

Zu den spezifischen Voraussetzungen des Projektes gehören die Möglichkeiten und Grenzen des Kirchenraumes. Dabei geht es zunächst um den Kircheninnenraum, der durch die oben schon beschriebe Zentralstellung des quadratischen Altars bestimmt ist. Die an drei Seiten um ihn herum angeordneten Bankreihen ruhen auf Betonsockeln, die nicht verschiebbar sind. Das leuchtende Rot der Bänke ist dabei für den Raumeindruck bestimmend.

Im Blick auf die Projektarbeit stellt sich die Frage, für welche Arten von Veranstaltungen sich der so beschriebene Kirchenraum eignet. Zunächst lässt sich anknüpfend an vorhandene Erfahrungen sagen, dass er auf jeden Fall für Ausstellungen von Bildern oder Fotos, die an den weißen Innenwänden gehängt werden können, gute Voraussetzungen bietet. Hier könnte allein der starke rote Farbakzent der Bänke und einer hölzernen Balustrade, die das Taufrund hinter dem Altar vom Chorbereich abtrennt, als störend empfunden werden. Die Grenzen des Raumes zeigen sich, wenn man an Ausstellungen von Installationen, Objekten oder auch etwas aufwendigeren Stellwänden denkt. Für solche Vorhaben bleibt zwischen den Bankreihen und den Außenwänden zu wenig Spielraum, der sich leider aufgrund der feststehenden Bänke nicht vergrößern lässt. Für Theater- oder Filmveranstaltungen ist der Raum ebenfalls ungeeignet. Der Altarbereich lässt sich wegen seiner Stufigkeit und vor allem wegen des unverschiebbaren Mamortisches nicht zu einer Bühne umfunktionieren. Für Filmvorführungen ist der Raum auch darum ungeeignet, weil er sehr hell ist und man darin erst bei Dunkelheit befriedigende Projektionsbedingungen erreicht. Hinzu kommt, dass Leinwand und Projektor aufgrund des raumteilenden Altars nur im vorderen Bereich der Kirche aufgestellt werden könnten und damit ungefähr zwei Drittel des Kirchenraumes ungenutzt blieben – eine richtige "Kinokirche", in der sich die Tiefe des Kirchenraumes in die Tiefe eines Zuschauerraumes verwandelt, lässt sich also nicht realisieren.

Schon diese wenigen Überlegungen zeigen, dass der Kirchenraum vor allem für solche Kulturveranstaltungen geeignet ist, die mit den Medien des Gottesdienstes arbeiten: mit der Orgel, dem Chor und dem gesprochenen Wort einzelner Redner.

Denn auch im Blick auf die Medien der Stimme und des Wortes werden Grenzen sichtbar: die Bühne für eine Podiumsdiskussion fehlt. Ein Podium müsste zwischen dem Altar und den ersten Bankreihen platziert werden, wie praktikabel das ist, wird man sehen müssen.

Insgesamt zeigt sich, dass auch für die Hauptkirche St. Trinitatis Altona die Einsicht gilt, dass kontextuell bestimmte Räume sich nur sehr begrenzt für andere Nutzungformen eignen. Wo diese Grenzen genau verlaufen, was gut oder weniger gut möglich ist, soll mit einer ersten Sequenz von Veranstaltungen im Herbst diesen Jahres erprobt werden. Vor dem Hintergrund der dann vorhandenen Erfahrungen wird zu sehen sein, ob Gemeinde und Kirchenkreis sich mit dem, was sich dann als möglich erwiesen hat, zufrieden geben wollen oder ob sie durch eine Veränderung des Innenraumes (Reversibilität der Einbauten, Flexibilität der Bestuhlung) die Voraussetzungen für eine Erweiterung der kulturellen Nutzungsmöglichkeiten schaffen wollen, ob also die zu inszenierenden Kulturdialoge nur partiell in und an der Hauptkirche St. Trinitatis stattfinden können und das Gespräch zwischen Religion und Kultur daneben und darüber hinaus auch an anderen Orten des Kirchenkreises geführt werden muss oder ob die Hauptkirche St. Trinitatis zu einem entsprechend deutlicher profilierten Schwerpunkt der kirchlichen Kulturarbeit in Hamburg-Altona entwickelt werden soll.

Anmerkungen
  1. Kirchenamt der EKD (Hg. im Auf des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Präsidiums der Vereinigung Evangelischer Freikirchen)k, Raum der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift der EKD, Gütersloh 2002, 9.
© Jörg Herrmann 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006
https://www.theomag.de/42/jh13.htm