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Magazin für Theologie und Ästhetik


Kunstschätze

Museen virtuell

Andreas Mertin

Der Streit um die Realität der Virtualität ist müßig. Natürlich kann man Werke der Bildenden Kunst nur vor Ort wirklich erfahren, kann sich von der Farbkomposition einen Eindruck verschaffen, von der Materialität der Farben, von der konkreten Arbeitsweise des Künstlers. Noch längere Zeit wird es keine Simulationen geben, die den Anblick eines Gemäldes adäquat reproduzieren könnten.

Von all den Kopien, Nachahmungen, Duplikaten und Nachschöpfungen, die es von Gemälden gibt, sind die virtuellen, d.h. die Fotos aus dem Internet, die unbefriedigendsten. Um sie zu Hause in einer einigermaßen zufrieden stellenden Form zu Papier zu bringen, bedürfte es einer Auflösung, die selten im Netz zu finden ist. Und selbst wenn, garantiert nichts die Farbtreue des Bildes, nichts ist vergleichbar zur Oberflächenstruktur eines Ölgemäldes oder eines Aquarells.

Trotzdem gibt es Vorteile der Fotowelten wie auch der digitalen Vergegenwärtigung. Niemand kann – außer in seiner Erinnerung – Gemälde mit sich herumtragen. Und in kaum einem Museum der Welt kommt man so nahe an die Gemälde heran, dass man wirklich alle Details angemessen studieren könnte. Da sind großformatige Fotoreproduktionen schon ein großer Fortschritt, dessen sich ja zahlreiche Bände zu Werken berühmter Künstler mit zahlreichen Detailaufnahmen ja in der Regel auch bedienen. Ich erinnere mich jedenfalls gut an entsprechende Bücher etwa über den Isenheimer Altar, die einem die Bilderwelt des Mathis Grünewald in geradezu wortwörtlicher Weise nahe brachten.

In neuerer Zeit sind es nun DVDs, die einem Kunstwerke eines Künstlers oder eines Museums auf entsprechende Weise vermitteln. Ich hatte verschiedentlich schon auf die herausragende DVD des Pariser Louvre hingewiesen, die einem einen virtuellen Besuch des Museums mit einer Vielzahl seiner Exponate ermöglichen.

Kunsthistorisches Museum Wien

Auch das Kunsthistorische Museum Wien bietet seit neuestem eine derartige DVD an. Sie arbeitet etwas anders als die DVD des Louvre, die mit Quicktimefilmen auf fotorealistischer Basis operiert. Die DVD aus Wien simuliert dagegen die Räume in zugleich abstrakter wie konkreter Weise und das ziemlich perfekt. Nach dem Besuch des Museums konnte ich jedenfalls jeden meiner dortigen Schritte genau rekonstruieren. Das heißt, die DVD hat einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Es machte tatsächlich Spaß, noch einmal den eigenen Museumsbesuch nachzuvollziehen und die Werke ein zweites und drittes Mal genauer zu betrachten und weitere Informationen zu den Bildern abzurufen.

Wenn man die DVD startet, baut sich vor einem – nach einem kurzen Informationsbildschirm - der Grundriss des Museums auf und man kann dann einen der verschiedenen Säle aufrufen oder gezielt nach einem Künstler oder einem Werk suchen oder sich auch einer der angebotenen Führungen anschließen. Wer sich zunächst für einen der Räume entscheidet, landet mit einem Klick auf den Grundriss des Saals direkt im Raum vor den Bildern. Die Steuerung in den Räumen erfolgt mit der Maus. [Hier wäre eine ergänzende Steuerung mit den Pfeiltasten hilfreich gewesen, denn nicht jeder agiert geschickt mit den notwendigen Maus-Gesten.]

Man kann sich dann mit der Maus im Raum bewegen. Sobald man mit dem Mauszeiger über ein Gemälde fährt, erscheint ein Informationsfenster, der Doppelklick aufs Bild bringt dann die Informationen und die Möglichkeit, sich – sofern vorhanden – einen Audioguide anzuhören oder in das Bild hineinzuzoomen. Die dabei genutzte Auflösung ist hervorragend, so dass man wirklich alle Bilddetails betrachten kann.

Wenn allerdings kein Audioguide vorhanden ist, sind die Informationen zum jeweiligen Bild spärlich. So erfährt der Betrachter etwa über Albrecht Altdorfers Werk „Lot und seine Töchter“ nur das Entstehungsjahr 1537, das Format 107,5x189 cm und die Technik Öl auf Leinwand. Das ist mehr als nichts, aber für eine genauere Information natürlich unzureichend. Hier hätte man von dem Museum, in dessen Besitz das Bild ja nun seit langer Zeit ist, mehr erwarten dürfen. Andere kunsthistorische Quellen im Netz pflegen hier – obwohl sie frei angeboten werden – eine bessere Information zur Verfügung zu stellen und diese sogar z.T. in das Bild als jpg-Kommentar einzufügen. Die Bildqualität ist aber – verglichen mit anderen im Netz verfügbaren Abbildungen – außerordentlich gut.

Dass „Kultur“ auch „Ware“ bedeutet, wird einem spätestens dann deutlich, wenn man die betrachteten Werke ausdrucken möchte. Schon beim Betrachten im vergrößerten Modus prangt ein hässliches K H M auf dem Bild. Eine Druckfunktion fehlt jedoch vollständig. Warum eigentlich? Vergleichbare Angebote wie die 25.000 Meisterwerke der Digitalen Bibliothek erlauben doch auch, die Bilder zu übernehmen. Und die auf der DVD des Kunsthistorischen Museums Wien präsentierten Bilder sind ja alle „gemeinfrei“. Denn auch für die plane fotografische Reproduktion besteht – zumindest nach Auffassung des deutschen Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2000 – kein Urheberrecht. Das Kunsthistorische Museum reklamiert auf dem Booklet ein Copyright für die Bilder. Man wüsste gerne, worauf sich das bezieht und wie es sich begründet. Ich finde es fatal, wenn Bilder, die ein Teil des kulturellen Erbes der Menschheit darstellen, nicht für die weitere Nutzung zugänglich gemacht werden. [Notiz: Selbstverständlich kann jeder, der die DVD besitzt, durch einfache Änderung der Dateierweiterung im entsprechenden Verzeichnis der Bildmedien die Bilder übernehmen und für den Privatgebrauch nutzen. Irfanview erkennt die Bilder automatisch als „falsch benannte“ jpg-Dateien, PaintShopPro weist sie als jpg-Dateien aus. Was aber bewegt die Produzenten der DVD, den komplizierten Weg der Umbenennung von jpg-Dateien in dat-Dateien vorzunehmen? Einen Sinn kann ich darin nicht erkennen, es sei denn, den Nutzern den Zugriff auf das Bildmaterial zu erschweren.]

Irreführend sind meines Erachtens auch die technischen Hinweise auf dem Booklet. Da wird als Mindestspeicher 128 MB angegeben und für die Grafikkarte mindestens 65.000 Farben. Das Programm reizt aber allein die 128 MB meiner Grafikkarte bis an die Grenzen aus. Ob das Programm daher auf einem PC mit 450 MHz in zufrieden stellender Geschwindigkeit läuft, ist zweifelhaft. Im 3D-Modus beansprucht es mehr als 50% der Systemleistung meines 3 GHz-Computers und lagert zugleich bis zu 500 MB-Daten auf die Festplatte aus. Von daher sollte ein schneller Computer mit guter Grafikkarte schon vorhanden sein, um das Programm zu nutzen.

Trotz dieser Einschränkungen kann ich die DVD jedem sehr empfehlen. Sie eröffnet einem den virtuellen Zugriff auf eines der wichtigsten kunstgeschichtlichen Museen der Welt mit beeindruckenden Werken. Man kann nur hoffen, dass alle großen Museen der Welt dem folgen.


© Andreas Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 44/2006
https://www.theomag.de/44/am205.htm

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