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Magazin für Theologie und Ästhetik


Über Gott und die Sonne

Andacht als Spiel mit erwachsenen und kindlichen Symbolen

Ein praktischer Versuch

Christian Kahrs

Lied EG 449

1: Die güldne Sonne / voll Freud und Wonne / bringt unsern Grenzen / mit ihrem Glänzen / ein herzerquickendes liebliches Licht. / Mein Haupt und Glieder / die lagen danieder, / aber nun stehe ich / bin munter und fröhlich, / schaue den Himmel mit meinem Gesicht.
2: Mein Auge schauet, / was Gott gebauet / zu seinen Ehren / und uns zu lehren, / wie sein Vermögen sei mächtig und groß / und wo die Frommen / dann sollen hinkommen, / wann sie mit Frieden / von hinnen geschieden / aus dieser Erde vergänglichem Schoß.
3: Lasset uns singen, / dem Schöpfer bringen / Güter und Gaben; was wir nur haben, / alles sei Gotte zum Opfer gesetzt! / Die besten Güter / sind unsre Gemüter; / dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder, / an welchen er sich am meisten ergötzt.
4: Abend und Morgen / sind seine Sorgen; / segnen und mehren, / Unglück verwehren / sind seine Werke und Taten allein. / Wenn wir uns legen, / so ist er zugegen; / wenn wir aufstehen, / so lässt er aufgehen / über uns seiner Barmherzigkeit Schein.

Im Wohnzimmer steht ein großer Tisch. Eine Familie: 2 Kinder, Mutter, Vater. Sie sitzen gerade gemeinsam beim nachmittäglichen Teetrinken. Die Sonne scheint. Die geschliffen Fensterscheiben brechen das Licht, so dass es sich regenbogenfarbig über den Tisch ergießt. Es ist erst Anfang Februar, doch ein erster Hauch von Frühling zieht schon durch das offene Fenster.

„Papa...? Der Stephan, der hat Angst, dass die Sonne abends auf die Erde fällt.“ Fragend antwortet der Vater: „Weil das so aussieht, als ob sie auf die Erde fällt?“ „Ja, aber das stimmt gar nicht!“ „Genau, aber warum denn nicht?“ „Na weil die Sonne am Himmel festgebunden ist!“ „Aha, ... wie denn das?“ „Hm.., da ist der Himmel, und da dran ist ein Haken und die Sonne ist da mit einem Strahl dran festgebunden. Soll ich das mal malen?“ „Au ja, mach doch mal!“ Der Junge, fünf Jahre alt ist er gerade geworden, geht und holt sich Stifte und Papier und malt zielstrebig los.

Herausgekommen ist dieses Bild:

Wie ist das Bild entstanden? Nun: zuerst ist der Himmel gemalt worden..., dann die Sonne ..., dann der Haken, der braune kleine Kreis ..., und dann der alles entscheidende Strahl, der da mit dem kräftigen Querstrich ..., und dann die restlichen Sonnenstrahlen.

Und dann ..., ohne das Malen irgendwie zu unterbrechen, malt unser Fünfjähriger in die Sonne hinein so etwas wie ein Fenster, eine Öffnung oder ein Haus, in derselben gelben Farbe, wie die Sonne. Und in dieses Haus hinein wird eine Figur platziert, auch in sonnengelb. Kommentar des Malers: „Gott ist in der Sonne!“ Rückfrage des Religionspädagogen: „Warum in der Sonne?“. Klare Antwort des Fünfjährigen: „Der macht jeden Morgen das Licht an. Da ist ein Schalter drin!“

Gott macht das Licht an. Haben wir das nicht gerade eben gesungen? „Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsren Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder die lagen danieder, aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht. / Mein Auge schauet, was Gott gebauet ...“ Ja ..., wie sollte ich schauen können, was Gott gebauet hat, ohne dass Gott morgens das Licht anschaltet? Wir Menschen in unseren Grenzen können das nicht, wir brauchen das von außen kommende herzerquickende Licht, wir brauchen den Gott in der Sonne. „Wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen, über uns seiner Barmherzigkeit Schein.“

Gott macht das Licht an! Was kann Schöpfungstheologie anderes sagen?

Jetzt war ich motiviert. Ich wollte es genauer wissen. Wenn Gott also in der Sonne sitzt, da frage ich mich doch, was macht denn der den ganzen Tag, nachdem er das Licht angeschaltet hat. Klare Frage, klare Antwort: „Das Essen kochen. Und nicht einmal sieben Minuten und das Essen ist fertig. So heiß ist die Sonne!“

„Mein Auge schauet, was Gott gebauet zu seinen Ehren und uns zu lehren, wie sein Vermögen sei mächtig und groß.“ Wer in sieben Minuten das Essen fertig hat, dessen Vermögen ist mächtig und groß. Und überhaupt, das alles mitten in der Sonne, und die ist mindestens feuerheiß, wenn nicht gar tausend-heiß! Plausibilitäten eines Fünfjährigen.

Und wir? Welche Aussage wagen wir über Gott? „Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Ob etwas dran ist, an unserem Bekenntnis? Was denkt sich wohl unser Fünfjähriger, wenn er mich diesen Satz im Gottesdienst sprechen hört?

Das Bild ist aber noch nicht fertig. Jetzt bekommt Gott Haare, braune Haare. Und Ohren in der gleichen Farbe. Kommentiert werden aber nicht die Haare, sondern etwas ganz anderes. Die Farbe Gottes. „Der muss so gemalt sein, wie die Sonne, sonst wäre er ja nicht der Gott!“ Und wieder drängt es mich nachzufragen: „Was denn sonst?“ „Na, ein normaler Mensch!“ Der Fünfjährige spricht es als sei selbstverständlicher nichts auf der Welt, kümmert sich nicht weiter um meine Fragerei und malt seelenruhig die Sonne lila aus. Dann bekommt Gott einen roten Hintergrund. Und weil zum sonnigen Himmel offenbar auch die Erde gehört, wird noch ein Baum gemalt. „Der wächst, weil die Sonne scheint“, wird mir erklärt. „Und das Auto?“ „Das ist ein Bus. Damit fahren wir in die Bretagne.“

Damit ist die Episode beendet: Ihren Ausgang nahm sie beim Untergang der Sonne, führte weiter zur Frage nach dem Wesen Gottes und mündete ein in die Erinnerung an unseren letzten Urlaub. Insgesamt eine Lektion in praktischer Theologie.

Wir Erwachsenen tun uns da schon schwerer. Wir wissen um das Problem der Erkenntnis Gottes, wir wissen, dass die Rede über unsere Welt und ihre Erscheinungen nicht so ohne weiteres mit der Rede über Gott ineinandergeschoben werden kann. Und wenn wir religionspädagogisch arbeiten, dann sind wir ständig auf der Suche nach wirkmächtigen Methoden der Vermittlung von Gott und Welt, Glaube und Erfahrung, Vernunft und Offenbarung. Unserem Fünfjährigen sind das alles fremde Erwägungen. Nicht, weil er das intellektuelle Niveau unserer Problemstellung noch nicht erklimmen kann, sondern einfach deshalb, weil das, was wir mühsam vermitteln wollen, bei ihm immer schon beisammen ist. Und doch ist er in der Lage, deutlich zwischen Gott und den Menschen zu unterscheiden. So fremd uns nun wieder die Gedanken des Fünfjährigen sein mögen, sinnlos ist seine Rede, in der er Welt und Gott munter miteinander verquickt, offenbar nicht. Ich jedenfalls habe in diesem Gespräch etwas darüber gelernt, wie es bei Gott zugehen kann.

„Ich hab erhoben zu dir hoch droben all meine Sinnen.“

So heißt es in der „Güldnen Sonne“

Lied EG 449

5: Ich hab erhoben / zu dir hoch droben / all meine Sinnen; / lass mein Beginnen / ohn allen Anstoß und glücklich ergehen. / Laster und Schande, / des Satanas Bande, / Fallen und Tücke / treib ferne zurücke; / lass mich auf deinen geboten bestehn.
6: Lass mich mit Freuden, / ohn alles Neiden / sehen den Segen, / den du wirst legen / in meines Bruders und Nähesten Haus. / Geiziges Brennen, / unchristliches Rennen / nach Gut mit Sünde, / das tilge geschwinde / von meinem Herzen und wirf es hinaus.
7: Menschliches Wesen, / was ist’s gewesen? / In einer Stunde / geht es zugrunde, / sobald das Lüftlein des Todes drein bläst. / Alles in allen / muss brechen und fallen, / Himmel und Erden / die müssen das werden, / was sie vor ihrer Erschaffung gewest.
8: Alles vergehet, / Gott aber stehet / ohn alles Wanken; / seine Gedanken, / sein Wort und Wille hat ewigen Grund. / Sein Heil und Gnaden, / die nehmen nicht Schaden, / heilen im Herzen / die tödlichen Schmerzen, / halten uns zeitlich und ewig gesund.


© Christian Kahrs 2007
Magazin für Theologie und Ästhetik 45/2007
https://www.theomag.de/45/ck1.htm