Rauchschwaden und Nebelwerfer

Caravaggio (Detail)

Ein Stirnrunzeln

Andreas Mertin

Info Andreas MertinManchmal reibt man sich ob der verzweifelten kirchlichen Nachrichtenlage doch verwundert die Augen. Während die Nachrichten-Magazine genüsslich das kontinuierliche Dahinsterben der Volkskirche beschreiben, ist man auch innerkirchlich auf der Suche nach Ursachen. Und die Bischöfin der größten evangelischen Landeskirche hat eine gefunden und dem größten deutschen Nachrichtenmagazin SPIEGEL kundgetan. Das wurde dann von anderen Nachrichtenagenturen übernommen und verbreitet.


Die konservative Nachrichtenagentur idea vermeldet es so:


Und beim reaktionären kath.net klang das dann so (interessant übrigens, wie bemüht kath.net das Wort ‚Bischöfin’ vermeidet):


So hatten wir es natürlich auch erwartet. Man gesteht kirchlicherseits Fehler ein, aber es sind die Fehler der anderen. Und haben wir es nicht schon immer gewusst? Der reformierte Theologe Karl Barth und seine aufgeklärte Theologie als Ursache für alle lutherischen Probleme mit dem Kirchenbesuch. Das ist schon beinahe so witzig wie die evangelischen Christen, die aus der Kirche austreten, weil der Papst was Falsches gesagt hat.

Nun kolportiert Frau Käßmann diese Geschichte, die sie dem SPIEGEL erzählte, nicht zum ersten Mal. Sie muss kurz zuvor ihre Bibelauslegung vom Kirchentag 2005 in Hannover über Maleachi 2,17-3,24 wieder gelesen haben, denn dort erzählt sie haargenau das gleiche (oder der SPIEGEL hat es von dort abgekupfert):

„Die wissenschaftliche Theologie nach 1945 hat versucht, den Menschen die Heiligkeit der Räume geradezu auszutreiben – das sehen wir bis heute an der Architektur jener Kirchen. Wie sollten Menschen die denn lieb gewinnen? Karl Barth soll einmal eine Zigarre in einer Kirche geraucht haben, um zu zeigen, dass es eben ein Ort wie jeder andere sei und Gottes Geist nicht durch Menschen verfügbar. Aber die "Volkstheologie" sozusagen, sie hat die Würde der Räume immer im Auge – oder sagen wir im Herzen behalten.“

Das sind interessante Gedankensprünge. Als ob die wissenschaftliche Theologie jemals auf die Architekturplanungsprozesse der Gemeinden Einfluss gehabt hätte. Nach 1945, auch das sollte Frau Käßmann als Bischöfin wissen, sind mit die bedeutendsten Kirchenarchitekturen gebaut worden (z.B. Egon Eiermanns Kaiser - Wilhelm - Gedächtnis - Kirche in Berlin). Was sie meint, sind die Prozesse in den 70er Jahren, die viel mit gesellschaftlicher Entwicklung – auch mit den Evangelischen Kirchentagen – und wenig mit wissenschaftlicher Theologie zu tun haben. Dass übrigens Menschen ihre Kirchen(gebäude) lieb haben sollen, liest sich bei Paulus etwas anders: „Wir aber sind der Tempel des lebendigen Gottes; wie denn Gott spricht: ‚Ich will unter ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein.’“ (2. Kor 6) - „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“ (1. Kor 6)

Der oben erwähnte Kirchentagstext hat übrigens noch andere Gräueltaten (neben dem Zigarre rauchen) zu bieten, die auf Gottes entschiedenes Missfallen stoßen: „Die Missachtung Gottes hat die Missachtung der Menschen zur Konsequenz. Genau das sagt der Text. Das ist eine bedrohliche Botschaft für unser Land, in der Tat. Denn unser Land vergisst Gott, rechnet nicht mehr mit Gottes Gegenwart. Oder wie wäre es, wenn wir was vor sich geht einmal unter Gottes Gesetz sehen: Sie achten mich nicht, wenn sie  … Ehen zerstören – bei 210 000 Scheidungen pro Jahr...“ Aber das steht offenkundig heute auf einem anderen Blatt. Und über Zigarren anderer lässt sich leichter reden als über die Rauchschwaden der eigenen Scheidung.

Man kann nun lange darüber nachdenken, was Margot Käßmann am Pfeifenraucher Karl Barth stört, dass sie diese Zigarren-Anekdote (für die sie im Netz die einzige Quelle ist) wiederholt kolportiert. Die Rezeption Karl Barths in der Generation, der Frau Käßmann angehört, war doch in der Regel die, dass er nahezu vollständig ignoriert oder des überholten Christozentrismus geziehen wurde. Dass Barth nun durch die Äußerungen Käßmanns in die Position gebracht wird, für die Missachtung der Kirchen und zudem noch für die Gemeindezentren in Deutschland verantwortlich zu sein, ist angesichts der theologischen Lebensleistung Karl Barths geradezu absurd und man sollte sich dergleichen von Lutheranern verbitten. Wenn es die von Frau Käßmann kolportierte Anekdote wirklich gegeben haben sollte, dann wäre sie doch eher als biblisch inspirierte Zeichenhandlung zu interpretieren. Sie steht in einer Linie mit Luthers Äußerung vom Kuhstall, in dem man auch predigen könne und seinem Aufruf zum Abriss von Kirchen, in denen nicht mehr gepredigt wird.

Theologisch wird man dagegen die Hervorhebung des wandernden Gottesvolkes mit allen dazu notwendigen baulichen Konsequenzen eher dem Neutestamentler Eduard Schweitzer mit seinem 1959 in Bad Boll gehaltenen Vortrag zurechnen dürfen, der allgemein als der Begründungstext eines nicht allzu wohnlich ausfallenden Kirchenbaus gilt. Und was ist theologisch falsch daran? Aber auch hier lässt sich fragen, welche Gemeinde denn je darauf Bezug genommen hat? Die Verhältnisse von Theorie und Praxis, Theologie und Gemeinde waren noch niemals die einer 1:1-Umsetzung, zu komplex ist die Entscheidungsfindung in architektonischen Fragen in der Volkskirche. Der Standardsatz in den Gemeinden lautet auch heute noch in der Regel „Ach kommen Sie mir doch nicht mit Ihrer Theologie“.

Aber machen wir uns nichts vor, eigentlich geht es um etwas völlig anderes. Man muss die Äußerungen von Margot Käßmann gegen den Strich lesen, man muss den Subtext mitlesen, um zu erkennen, um was es (ihr) geht.

Denn im Kern geht es um Rauchschwaden bzw. Vernebelungen. In der Sache sieht es doch so aus, wie jemand aus kirchlichen Kreisen bemerkte: „Barth raucht eine Zigarre in der Kirche, um die Profanität der Räume zu demonstrieren. Käßmann raucht in der Kirche (= bleibt nach Scheidung Bischöfin), um die Biegbarkeit der Institution unter Machtgesichtspunkten zu demonstrieren. So schimpft eine Raucherin auf einen Raucher.“ Die Frage bleibt eigentlich nur, welche Rauchschwaden einem lieber sind. Da Zigarren keine Nebelschwaden erzeugen, plädiere ich persönlich für diese.

Auffällig ist jedenfalls, dass die konservativen Gruppen in der Kirche positiv auf die Verlautbarung Margot Käßmanns reagiert haben. Man sollte ihre Äußerung – wie man es bei ihr ja auch gewohnt ist – als Medienstrategie und hier der Anpassung an die kirchenkonservative Klientel sehen. Dabei befolgt sie den alten politstrategischen Witz, demzufolge man immer dann, wenn die eigene Position in die Krise gerät, alle Schuld auf die Vorgänger schieben soll.

Mein Fazit: Lieber eine Zigarre in der Hand …

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/47/am215.htm
© Andreas Mertin