Blick zurück nach vorn


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Suprematism rewind

Oder: Wie erklärt man dem Menschen die Gegenstandslosigkeit?

Karin Wendt

Was kann es heißen, Kunst unter den Bedingungen von Virtualität zu denken? Ist nicht Kunst selbst schon virtuelles Medium zur Vergegenwärtigung des Anderen, des Unsichtbaren, des Gegenstandslosen? Kann man die Geschichte der modernen Kunst noch einmal schreiben, neu schreiben? Kann man den Gedanken der Schöpfung so visualisieren, dass alles, was schon ist, darin erscheint und doch anders erscheint?

Mit seiner konzeptuellen Arbeit „Kristus Yoshiyuki – Second Life Second Art“ versucht der Medienkünstler Markus Kleine-Vehn die Entwicklung der Moderne zurückzuspulen. Kristus Yoshiyuki nennt er sein virtuelles Schöpfer-Geschöpf, dessen auto-poetische Entwicklung seit Anfang 2006 in einem Weblog festgehalten wird. Mit diesem Avatar lädt uns Kleine-Vehn ein, alles noch einmal wahrzunehmen, als gäbe es den leeren Raum, als gäbe es den Anfang eines neuen Lebens. Am Anfang steht der Entwurf. Die Idee an sich, die sich jenseits des Gewordenen, das seine Gestalt bereits in unser Gedächtnis geprägt hat, von der Abbildung befreien will, um schöpferisch sein zu können. „Das Wort ‚Avatar’ leitet sich aus dem Sanskrit ab. Dort bedeutet Avatāra ‚Abstieg’, was sich auf das Herabsteigen einer Gottheit in irdische Sphären bezieht.“ (Wikipedia]

Im ersten Eintrag stellt sich der Avatar selbst vor: „Durch mich gebiert das Netz die Kunst aus sich selbst heraus. Nicht schlicht reproduktiver Natur, repräsentiere ich vielmehr die kontinuierliche Evolution des Wortes, das sich Bahn brechen will aus der Gefangenschaft gestalterischer Experimente in die Freiheit des öffentlichen Raums. Vielleicht bald schon befreit aus den Fängen nackter Funktionalität, wird sich meine wahre Bestimmung in der Entwicklung eines freien Bewusstseins offenbaren.“

Nach der Kunst

Der russische Künstler Kasimir Malewitsch hatte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine vergleichbar visionäre ‚Mission’. Mit der Idee des Suprematismus wollte er die Kunst von jeder gegenständlichen Struktur befreien. Begriffe und Vorstellungen, mit denen wir versuchen die Welt zu begreifen, halten den Menschen in einem täuschenden Naturalismus[1], tatsächlich bewegen wir uns nur „von Erregung zu Erregung, von Ursprung zu Ursprung, vom Gegenstandslosen zum Gegenstandslosen – ein ewiger Kreis von Sinnlosigkeiten, angefüllt mit einer Kette verschiedener Sinngebungen, während am Anfang und Ende dieses Weges die Sinnlosigkeit steht.“[2] Das „Schwarze Quadrat“ war die Bildwerdung dieser von jeder Repräsentation befreiten Form.

Malewitsch begann sich nach 1927 jedoch erneut mit der traditionellen Malerei auseinanderzusetzen und entwickelte seine „Theorie des additionalen Elements in der Malerei“. Ausgangspunkt, so Gerd Steinmüller, „war die Vorstellung, dass der Künstler als eine Art ‚Seismograph’ zu verstehen sei, der den Rhythmus der kosmischen Erregung registriere und aufzeichne.[...] Dies geschah zunächst in der Weise, dass Malewitsch zwischen der Erregung einerseits und ihrem ‚Seismographen’, dem Künstler, andererseits eine Art Schaltstation einbaute, welche er als „additionales Element“ bezeichnete. [...] Es infiziere den Künstler und veranlasse ihn zu einer gewissen ‚Eigenartigkeit des Verhaltens gegenüber der Natur’, wobei die entstehenden neuen Gestaltungsformen mit den aktivierenden Inhaltsteilchen des jeweiligen Zusatzelements gleichzusetzen seien.“[3] Steinmüller schreibt weiter: „Übersieht man die spekulative Herleitung dieser Theorie zugunsten ihrer zentralen kunsttheoretischen Aussage, dann könnte darin aus heutiger Sicht eine Art Paradigmentheorie vermutet werden, die sowohl die Entstehung jeweiliger künstlerischer Ausdrucksformen begründet als auch deren Wandel, den Wechsel der Paradigmen, erfasst.“[4]

Die Idee ist es also, dass die Gestaltung lediglich ein additives Moment der künstlerischen Bildwerdung ist, also gewissermaßen ihr Träger, nicht aber ihr Ausdruck. So lässt sich die Entwicklung künstlerischer Formensprachen erforschen, ohne sie als Vergegenständlichung eben dieser Formen zu deuten.

Eine ähnliche Herangehensweise kann man vielleicht auch in dem Konzept von Kleine-Vehn erkennen. Sein Avatar ist gleichsam das Person gewordene additionale Element, mit dem alle bildnerischen Innovationen noch einmal abgerufen werden können, ohne dass sie als historische Abbildungen erscheinen. So schreibt er auf den Seiten von Rhizome zum Projekt: „kristus yoshiyuki is my avatar in second-life. my creature there for exploring second-life as a graphics-tool and a context for generating art.”

Was erlebt aber nun Kristus Yoshiyuki? Er bestimmt zunächst einen Ort seiner Geburt und rekonstruiert den Stall von Bethlehem auf dem Fresko „Jesu Geburt“ von Giotto in der Cappella Scrovegni in Padua (1304-06).

Er schafft die Möglichkeit der Entscheidung, indem er die Unterscheidung von weiß und schwarz trifft: „light. Í am the light“, „darkness. I am the darkness”. Er unterläuft seine geschlechtliche Identität. „Today i modified my appearance. I am a little girl now.” In einer technischen Spielerei lässt er ein leuchtendes Kreuz um sich herumfliegen. In einem frechen Remix beginnt er Momente der künstlerischen Moderne zu aktivieren, um sich spielerisch damit zu verbinden. Farbelemente des Colourfield docken sich an seine Augen und Ohren, der weiße Kubus dient ihm als Bühne für einen Salto, und das Schwarze Quadrat erweist sich als Plateau, unter dem er nun steht wie eine griechische Karyatide. Er schafft Modelle, in denen er alle Elemente implementiert und danach wieder auseindertreibt.

Kleine-Vehns Arbeit, die sich auf verschiedenen Kanälen wie You Tube und Flickr ihre Wege sucht, ist eine bezaubernde, teils ironische, aber auch verstörende Simulation der Kunst jenseits ihrer vertrauten Ordnung. Es ist Spiegel ihrer medialen Formenwerdung. Peter Halley schreibt in seinem Essay “The Frozen Land”: „But the key task of media culture is the final destruction of the old, ordered idea of chronological time. This is accomplished by grafting together the technology of recording and the idea of history. […] Our lives are filled with these fantastic images from the media that make it so hard for us to focus on dead.”[5] “Kristus Yoshiyuki“ ist nicht zuletzt ein Spiel mit dem Leben, mit dem, was wir dafür halten und daraus machen.

Anmerkungen

[1]    Gerd Steinmüller: Jenseits der Gegenständlichkeit, in: Diagonal, Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule-Siegen, Zum Thema: Grenzen, 1993, Heft 2, S. 153.

[2]    Kasimir Malewitsch: Suprematismus – Die gegenstandslose Welt, Köln 1962, S. 199.

[3]   Steinmüller, a.a.O., S. 155.

[4]   Ebd. S. 156.

[5]    Peter Halley, The Frozen Land, in: Collected Essays 1981-87, Zürich/ New York 1988 , p. 126.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/50/kw57.htm
© Karin Wendt 2007


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