Bilderstreit

Ein Déjà-vu

Andreas Mertin



Info Andreas MertinOffenkundig ist die religiöse Großwetterlage immer noch so, dass man lieber Kultur begrenzt, kritisiert und verbietet, als Kultur zu ermöglichen. Anfang Februar 2008 gibt es innerhalb weniger Tage folgende drei Meldungen:

  • Die christlichen Kirchen fordern unisono mit dem Bundesfamilienministerium eine Indizierung des anti-religiösen Kinderbuchs „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“. Die Diözese Stuttgart-Rottenburg stellt gar Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Die Staatsanwaltschaft sieht freilich keine Anhaltspunkte für eine Straftat.
  • Kardinal Meisner wiederholt seine Kritik an einer kirchenfernen Kunst: sie sei beliebig. Aufgabe der Kunst sei es aber, die richtige Wahrheit in Christus zu finden. Wahrheit des Evangeliums gegen Beliebigkeit der Kunst – das sind altvertraute Töne.
  • Mehr als 200.000 Muslime fordern in einer Online-Petition, Bilder des Propheten Mohammed aus der englischsprachigen Version Web-Enzyklopädie Wikipedia zu entfernen. Monatelang hatten sie versucht, die Bilder durch wiederholte Eingriffe in den Lexikonartikel zu entfernen, bis der Artikel zur weiteren Bearbeitung gesperrt wurde.
Das Bilderbuch

Beworben wird das Kinderbuch mit folgendem Text: „Das kleine Ferkel und der kleine Igel hatten immer geglaubt, es könnte ihnen gar nicht besser gehen. Doch dann klebt jemand über Nacht ein Plakat an ihr Häuschen, auf dem geschrieben steht: ‚Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas!’ Also machen sie sich auf den Weg, um Gott zu suchen ... Wo bitte geht's zu Gott?, fragte das kleine Ferkel klärt Kinder auf humorvolle Weise über die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam auf. Die Frage, ob einem religionsfreien Kind ‚etwas fehlt’, wird dabei aus der Perspektive des weltlichen Humanismus beantwortet: ‚Und die Moral von der Geschicht': Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht ...’“ Halten wir aus dieser Produktbeschreibung fest: Es geht nicht um fundamentalistische Tendenzen, die es in allen drei beschriebenen Religionen gibt, vielmehr beansprucht das Buch „Kinder auf humorvolle Weise über die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam aufzuklären“. Gleichzeitig beansprucht man das Etikett des weltlichen Humanismus für sich. Nehmen wir das einmal ernst, wie sie das Weltbild der Religionen aus dieser Perspektive aus und vor allem, wie stellen sich diese dar? Zunächst einmal personalisiert das Buch die Frage nach den Religionen: Was der Inhalt der drei großen Buchreligionen ist, wird anscheinend nicht von deren Heiligen Schriften, sondern von deren institutionalisierten Vertretern repräsentiert. [Man könnte sich im Gegenzug natürlich fragen, ob man dann zu Lenin und Stalin als Vertretern des weltlichen Humanismus pilgern müsste, um angemessen über diesen informiert zu werden.] Alle Vertreter der Religionen erweisen sich als peinlich intolerante und gewaltbereite Ideologen. Das wird auch in der karikaturenhaften Darstellung der Charaktere deutlich.

Dennoch wird man Henryk M. Broders Ausführungen im Deutschlandradio folgen können, dass es sicht nicht um Antisemitismus, sondern eben nur um Religionsschmähung handelt, die ein verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung mit umfasst.

In der Sachdarstellung ist das Buch erkennbar vorreflexiv. Es will ganz offensichtlich nicht zum Nachdenken anregen, sondern Propaganda betreiben. Insofern schadet es einem weltlichen Humanismus mehr als dass es ihm nutzt. Wäre weltlicher Humanismus wirklich so, wie er sich in diesem Buch präsentiert, wäre er eine Beleidigung der kritischen Intelligenz.

Dummheit aber sollte nicht strafbar sein, sie ist ein Menschenrecht. Dummheit muss aber kritisiert und aufgedeckt werden. Wollten die Kirchen daher offensiv mit diesem Buch umgehen, sollten sie es aufgreifen und sowohl medial wie sachorientiert präzise analysieren und kritisieren. Also nicht: auf einen groben Klotz einen groben Keil, sondern sorgfältige Medienanalyse, saubere Sachargumentation, die zeigt, wes Geistes Kind weltlicher Humanismus heute immer noch ist bzw. sein kann. Während die biblischen Religionen in den letzten 100 Jahren viel dazu gelernt haben, hat es der atheistische Humanismus offenkundig nicht. Er schwelgt immer noch in den platten Attitüden des 19. Jahrhunderts. Das ist schade. Mir wäre eine veritable Religionskritik lieber, mit der man sich wirklich auseinandersetzen könnte.

Aschermittwoch für Künstler

Nichts Neues aus Köln – so könnte man die Nachrichten aus der Diözese kommentieren. Der Aschermittwoch für Künstler, der dort seit vielen Jahren begangen wird, hat eine auf den ersten Blick ambivalente Botschaft. Der Künstler Georg Meistermann meinte gesprächsweise einmal dazu, dieser Termin sei vielleicht zustande gekommen, weil die Kirche die Künstler für besonders gefährdete und lose Menschen halte, die ostentativ des Aschekreuzes bedürften. In Wirklichkeit ist die Genese eine etwas andere, wie die Seite der Künstlerseelsorge des Erzbistums Köln ausführt: „Nach dem II. Weltkrieg wurde zum ersten Male auf Anregung von Paul Claudel in Paris ein ‚Aschermittwoch der Künstler’ ins Leben gerufen. Der mit Claudel befreundete zeitgenössische Kölner Stadtdechant Dr. Robert Grosche griff diesen Gedanken auf und regte eine ähnliche Initiative für Köln an.“ Dieser wurde in Köln 1950 zum ersten Mal begangen. „Inzwischen werden in mehr als hundert Städten der Welt solche Besinnungstage gehalten. Ziel ist eine religiöse Standortbestimmung der Künstler, die Begegnung mit dem jeweiligen Bischof und der Künstler untereinander, das fürbittende Gedenken für die im vergangenen Jahr verstorbenen Künstler und (in Köln seit 1953) das Setzen kultureller Schwerpunkte.“

Kardinal Meisner predigte am 6. Februar vor den Künstlern über gelingendes Leben. Was macht das Leben aus? Und kann der Mensch als Kunstwerk bezeichnet werden, als Werk des besten Künstlers - nämlich Gottes? Und welche Konsequenzen hat das? Mit Gott komme die Wahrheit ins Spiel. Aber es gelte ebenso: auch mit der Freiheit komme Wahrheit ins Spiel. Heute aber orientierten sich viele Menschen in unserer Gesellschaft eher an Pilatus als an Jesus. Die Auflösung der einen objektiven Wahrheit in viele subjektive Wahrheiten diene der Unwahrheit. Statt dessen gelte es wieder am Wahren, Guten und Schönen anzuknüpfen. Heute dagegen werde die Wahrheit durch Mehrheiten zu bestimmen gesucht. Künstler aber müssten die Wahrheit in der Kunst suchen und diese mündet notwendig im Glauben der Kirche. In diesem Jahr war man natürlich gespannt darauf, was Kardinal Meisner nach all den Ereignissen des letzten Jahres zur religiösen Standortbestimmung der Künstler sagen würde. Dabei kam nun wenig konkretes heraus, es waren homiletische Floskeln, die dort ausgebreitet wurden, kein Blick über den Tellerrand. Die Künstler, so führte Meisner aus, seien auch Mitarbeiter an der vorstehend skizzierten eindeutigen Wahrheit, sie sollten und dürften keinen Relativismus dulden. Insofern die Wahrheit aber als christliche vorab definiert wurde (und keine andere zugelassen wurde), predigte Meisner ein klassisches Programm der Heteronomie. Die Profilierung der christlichen Wahrheit gegen jede andere ist aber natürlich kein katholisches Privileg. Berufenere haben Ähnliches schon vor Jahren vertreten. Aber es wird durch Wiederholung nicht plausibler. Als Eberhard Jüngel vor vielen Jahren die Wahrheit des Evangeliums gegen die Wahrheit der Kunst in Anschlag brachte und die Kunst eschatologisch begrenzte, stieß er auf entschiedenen theologischen Widerspruch, der darauf verwies, dass in einer freien Gesellschaft nur Wahrheitsansprüche geltend gemacht werden können (Vgl. dazu Horst Schwebel, "Wahrheit der Kunst - Wahrheit des Evangeliums. In: Mertin, A./Schwebel, H. (Hg.). Kirche und moderne Kunst. Eine Dokumentation. Frankfurt 1988. S.135-145.)

Die Mohammed-Darstellungen in der Wikipedia

Die religiös inspirierte Diskussion um die Darstellbarkeit Mohammeds in einem Lexikon berührt ungleich stärker als die beiden vorherigen Beispiele die Grundfeste unseres Gemeinwesens. Simpel geht es darum, ob eine Religion über ihre Darstellung in einer freien Enzyklopädie bestimmen darf und ob Angehörige einer Religion mit Verweis auf die Verletzung religiöser Regeln bzw. religiöser Gefühle eine Veränderung der Darstellung erzwingen dürfen. Die Folgen für die Gesellschaft gehen weit über die Frage der Darstellbarkeit Mohammeds hinaus.

Screenshot Wikipedia-Artikel Mohammed86 Wikipedia-Ausgaben führen einen Artikel zu Mohammed (bzw. sind von der deutschen Seite aus auf entsprechende Artikel verlinkt). Manche davon umfassen gerade einmal ein paar Zeilen, andere sind ausführliche Abhandlungen von mehr als 30 Seiten. [Am Interessantesten ist übrigens der Artikel auf Malayisch, insofern er gleich den Lobpreis des Propheten im Titel und in der Artikelformulierung aufnimmt: Nabi Muhammad s.a.w. (sallallahu aleihi wassalam).] 42% aller Wikipedia-Ausgaben zeigen Mohammed mit Personen-Bildern, der überwiegende Teil verzichtet darauf. Bei den 42%, die Mohammed zeigen, stellt ihn ein Drittel ohne explizite oder mit ausgewischter Gesichtsdarstellung vor, ein Drittel aller Ausgaben aber stellt Mohammed anhand historischer muslimischer Bilder mit Gesicht dar. Am offensivsten ist dabei übrigens die deutsche Wikipedia, die Mohammed gleich einleitend als ganzfigurige Darstellung zeigt, eine Arbeit aus dem Jahr 1436 aus Herat in Afghanistan.

In aller Regel beginnt ein entsprechender Artikel mit einem Bild von einer Kalligraphie des Namens des Propheten (das scheint ein common sense aller Wikipedia-Ausgaben zu sein, die mehr als nur eine Zeile zum Thema bieten). Ein guter Teil der Wikipedia-Ausgaben ist mit einer Bearbeitungssperrung versehen – ein Indiz dafür, dass weltweit ein Editwar um die korrekte Darstellung des Propheten tobt, nicht nur wegen der Bilder.

Das Interessante an der Debatte (in der englischsprachigen Wikipedia) um die Mohammed-Bilder ist, dass sie in aller Systematik, die der angelsächsischen Kultur eigen ist, die Argumente sammelt, die für und gegen die Platzierung der Bilder sprechen … um sich dann für die Bilder zu entscheiden. Und das mit guten Gründen. Anders als bei den dänischen Karikaturen von Mohammed, über die man triftig streiten kann, geht es hier um ein elementares Freiheitsrecht. Es geht um die Frage, ob eine (säkulare) Kultur sich den proklamierten Gefühlen einer religiösen Gruppierung fügen muss. Und hier lautet die definitive Antwort: Nein! Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Hindus oder welche religiöse Gruppierung auch immer, haben kein Recht, dass man außerhalb ihres religiösen Ritus ihre Gefühle schützt! Es mag das - zweifelhafte – Recht einer Religionsgemeinschaft sein, Angehörige auszuschließen, die einen anderen Umgang mit religiöser Symbolik pflegen, als es den Ritualen einer religiösen Gemeinschaft traditionell entspricht. Eine säkulare Gesellschaft interessiert das nicht – und darf es auch nicht interessieren. Die damnatio memoriae, die durch die Auslöschung derartiger kultureller Tatbestände entstünde, wäre ungleich fataler, als die Berücksichtigung der religiösen Gefühle.

Als Christ reformierter Prägung, der sich am Kultbildverbot der jüdisch-christlichen Überlieferung orientiert, ist mir jedes Jesus- und Gottesbild ein Gräuel. Aber welche Folgen hätte das, würde ich daraus ableiten, Jesus-Darstellungen dürften in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit oder in der Wikipedia nicht mehr dargestellt werden? Welch eine kulturelle Barbarei! Ich weiß für meine eigene religiöse Tradition, dass Christusbilder für den Glauben belanglos und irreführend sind – aber ich würde für Andere daraus keine Richtschnur machen. Denn ich weiß, dass für große Teile des Christentums diese Erkenntnis nicht gilt, ganz im Gegenteil: sie halten Christusdarstellungen für unverzichtbar, ja, wenn wir der orthodoxen Tradition des 8. Jahrhunderts folgen, sogar für heilsnotwendig. Das muss ich akzeptieren. Man mag das als kulturellen Relativismus bezeichnen – aber das ist im Interesse eines humanen Zusammenlebens unverzichtbar.

Analoges gilt für die Darstellungen Mohammeds. Und es würde auch gelten, wenn es keine muslimische Darstellungen der Person Mohammeds gäbe. Denn die Regeln der muslimischen Religion gelten nur für Muslime. Für mich ist Mohammed eine bedeutsame Person einer anderen Religion – so wie es die Person des Buddha auch ist. Aber die Regeln dieser Religion gelten für mich nicht. Ich kann lesen, warum es diese Regeln gibt – binden können sie mich und auch ein säkulares Lexikon natürlich nicht.

Wäre es höflich und human(istisch), dennoch auf derartige Abbildungen zu verzichten? Ich glaube nicht. Ich glaube zwar, dass die deutsche Wikipedia den falschen Weg geht, wenn sie figurativen Darstellungen Mohammeds so prominent platziert – das mag dem Widerwillen gegen religiöse Bevormundung geschuldet sein. Besser wäre es, die Darstellungen Mohammeds dort einzubringen, wo sie dem sachlichen Kontext geschuldet sind. Dort aber gehören sie zweifellos hin. Auf sie zu verzichten, hieße, etwas von der kulturellen Vielfalt des Islam zu verschweigen – und es hieße, die Unabhängigkeit der Wikipedia zu gefährden.

Denn tatsächlich ist das Ganze der Versuch, auf die Inhalte der Wikipedia im Interesse bestimmter Gruppierungen Einfluss zu nehmen. Das geschieht täglich – nicht nur von Muslimen, sondern von Angehörigen nahezu aller religiöser Gruppen. Aber es ist der Versuch, religiöse Normativität an einer Stelle durchzuführen, wo sie nicht hingehört. Eine Lexikonseite muss eine Religion unabhängig und korrekt darstellen – aber sie muss sich keinesfalls den religiösen Regularien unterwerfen.

Strittig ist im Wesentlichen nach Aussage der Kritiker ein Bild. Und wenn ich das Kultbildverbot im Islam recht verstehe, ist dies vielleicht aus muslimischer Perspektive wirklich ein strittiges Bild. Denn es zeigt Mohammed als herausragenden Lehrer, als primus inter pares. Die Frage ist natürlich, ob es dazu einlädt, Mohammed kultisch zu verehren?

Die Argumentation gegen die Bilder im Mohammed-Artikel ist in aller Regel eine abstrakte. Für Muslime seien alle Bilder Mohammeds verboten. In der Wikipedia gäbe es aber solche und diese würden die Gefühle der Muslime verletzen. Daher sollen sie entfernt werden. Die Argumentation ist jedoch in sich widersprüchlich. Denn wenn die bildlichen Darstellungen Mohammeds aus kultbildkritischen Gründen verboten sind, können sie keine religiösen Gefühle verletzen, ja despektierliche Darstellungen würden gerade den Zweck der Kultbildkritik erfüllen: nämlich zu verhindern, dass man die Bilder kultisch verehrt. Darauf verweisen auch die Editoren der Wikipedia: „The traditional reason given for the Islamic prohibitions on images of prophets is to prevent the images from becoming objects of worship as a form of idolatry, where the image becomes more important than the subject it represents. However, Wikipedia uses the images of Muhammad as examples of how Muhammad has been depicted by various Islamic sects through history and not in a religious context. Therefore, there might be less concern that the presence of the images on the articles will result in the practice of idolatry among Muslims.“ Anscheinend hat sich aber das ursprüngliche kultbildkritische Bilderverbot religiös verselbständigt und dient nun nicht mehr der Verhinderung der Idolatrie, sondern ist ein autonomer religiöser Wert geworden. Ja, man muss es noch präziser sagen: Der Schutz des Bilderverbots dient nun nicht mehr Allah, sondern überhöht den Propheten. Unter der Hand wird so der ursprüngliche Sinn des Bilderverbots in sein Gegenteil verkehrt.

Wenn es in der Sache selbst kaum plausible Argumente für die Entfernung der Bilder gibt, so gibt es gesellschaftspolitisch und kulturell gute Gründe, ihrer Entfernung zu widerstehen. Und diese haben wenig mit dem Islam oder den Muslimen zu tun, sondern sind grundsätzlicher Natur. Es geht um die Abwehr der Tyrannei der verletzten Gefühle. Die Reklamation „verletzter Gefühle“ ist zu einer Plage geworden, weil sie sich bewusst der rationalen Argumentation und Überprüfbarkeit entzieht. Ob jemand wirklich verletzt ist oder sich nur der Gefühlsverletzung als rhetorischer Keule bedient, kann man kaum überprüfen.


Man kann die geäußerten Reaktionen nach verschiedenen Möglichkeiten aufgliedern:

  • Zum einen kann man unterstellen, der Protest geschähe tatsächlich in der Hauptsache aufgrund der Verletzung religiöser Gefühle von einigen Muslimen, wenn nicht gar der Muslime. Danach ist generell die Darstellung Mohammeds ein derartig schwerwiegender Verstoß, dass er unterbleiben sollte. So wie man keine kinderpornographischen Bilder im Artikel über Kinderpornographie hat, sollten auch keine provozierenden Bilder in anderen Artikeln stehen. Die gesellschaftliche Reaktion auf dieses Ansinnen, das ja vernünftig nachvollziehbar ist, muss nun davon abhängen, welche Folgen sie für eine freie und säkulare Gesellschaft hat.
    • Zunächst müssten alle religiösen Gefühle gleich behandelt werden. Es kann keine Privilegierung einer bestimmten Gruppe geben, nur weil sie sich lautstark verhält. Das heißt, es müssten dann auch all jene Artikel in der Wikipedia korrigiert werden, bei denen eine hinreichende Zahl von Nutzern nachvollziehbar artikuliert hat, dass sie sich von der Darstellung verletzt fühlen. Das würde sicher für den Artikel über Serranos „Piss Christ“ in der englischsprachigen Wikipedia geltend gemacht werden, der den Erlöser in Urin getaucht zeigt. Aber auch alle Bilder von Jesus Christus selbst müssten aus der Wikipedia entfernt werden, da für eine ausreichend große Zahl von Nutzern (z.B. den Reformierten) jegliche Gottesdarstellung verboten ist. Und gemäß der Zwei-Naturen-Lehre ist jede Christusdarstellung notwendig immer auch eine Gottesdarstellung.
    • Aber die Einsprüche wegen Verletzung religiöser Gefühle betreffen nicht nur Abbildungen (dies ist eher ein Spezialfall der am Bilderverbot sich orientierenden religiösen Gruppierungen). Der Regelfall wird eher die Verletzung durch sprachliche Darstellung sein. Und hier wird es oft auch einander ausschließende Reaktionen geben: Was für den einen religiös zwingend erforderlich ist, wird für den anderen eine Verletzung seiner Gefühle sein. Ein am Konsens orientiertes Modell, müsste also alles entfernen, was für jede beteiligte Gruppe anstößig ist. Und hier ist der religiösen Gefühlswelt kaum eine Grenze gesetzt. Erinnert sei daran, dass früher allein die Behauptung, die von Gott geschaffene Erde stünde nicht im Zentrum der Welt, als Verletzung religiöser Grundsätze aufgefasst wurde. Auch im Blick auf die Evolutionstheorie dürfte man da einige Diskussionen erwarten. Wenn die Vernunft erst einmal aus- und die Gefühle vor-geschaltet sind, dürfte ein Modell das grundsätzlich der Verletzung religiöser Gefühle aus dem Weg geht scheitern. Ein guter Teil unseres kulturellen Wissens könnte nicht mehr verbreitet werden.
  • Zum zweiten könnte man unterstellen, es gehe im vorliegenden Fall gar nicht um die Verletzung religiöser Gefühle, sondern um eine Art der Evaluation demokratischer Wissensbildung im Blick auf religiöse Fragen. Wer darf über die Darstellung einer Sache entscheiden? Und was ist, wenn man feststellt, dass sich in der Darstellung einer Sache Differenzen zwischen Außen-Perspektive und Binnen-Perspektive auftun? Ja, wenn man das Gefühl hat, hier werde einseitig eine westliche / säkulare / atheistische / .... Sicht vorgetragen und man werde daran gehindert, dies klarzustellen.
    • In Frage stünde dann, wie vieler Stimmen es bedarf, um einen Lexikoneintrag in einer freien, aber von der Allgemeinheit erstellten Enzyklopädie zu ändern und welchen Regeln das unterliegt. Normalerweise werden (in der Wikipedia) derartige Konflikte so gelöst, dass man die Sicht beider Seiten in den Lexikonartikel einträgt. Das geht bei zentralen Werten aber nicht mehr. Wenn Serranos „Piss Christ“ eine unter keinen Umständen hinnehmbare Verhöhnung des Schöpfers dieser Welt darstellt (und eben nicht ein Kunstwerk ist, das nach einem anderen Sprachspiel beurteilt wird), dann kann man nicht das Werk abbilden, den Kritikern erlauben, ihre Kritik in den Artikel einzutragen und anschließend behaupten, es sei allen Recht geschehen. Das stimmt nicht. [Wie ich ja auch nicht jemanden einfach beleidigen kann unter Verweis auf den Umstand, dass er ja jederzeit erklären können, dass die ihm zugeschriebenen pejorativen Eigenschaften unzutreffend seien.]
    • Tatsächlich wird man aus diesem Dilemma nicht ohne einen Schaden herauskommen. Einen Schaden aus übergeordneten Gesichtspunkten zu dulden - genau das nennt man Toleranz. So definiert die Wikipedia selbst Toleranz: "Toleranz ist der Verzicht auf die Option, ein gegen sich gerichtetes Übel abzustellen. Daher kann nur toleriert werden, was 1. ein Übel darstellt (Gutes, Positives oder Berechtigtes kann demnach nicht toleriert werden.) 2. gegen sich gerichtet ist (Was einen selbst nicht betrifft oder nichts angeht, kann man nicht tolerieren.) 3. man muss über die Option verfügen, das Übel, statt es zu tolerieren, genauso gut auch abstellen zu können. (Wer diese Wahlmöglichkeit nicht hat, der kann logischer Weise sein Erdulden nicht als freiwillige Hinnahme des Übels, also als Toleranz bezeichnen). Wer beabsichtigt, Toleranz auszuüben, muss sich also fragen: 1. Handelt es sich tatsächlich um ein Übel? 2. Geht das als Übel Festgestellte mich überhaupt etwas an? 3. Habe ich tatsächlich die Möglichkeit, statt Toleranz zu üben, das Übel abzustellen?“ [Wikipedia, Art. Toleranz] Die Frage ist, wer den Schaden auf sich nehmen muss, wer also tolerant sein soll. Sollte die Wikipedia tolerant gegenüber den Muslimen sein? Soll also die Wikipedia auf die Meinungsfreiheit verzichten und die Gefühle der Muslime tolerieren? Oder sollten die Muslime tolerant gegenüber der Wikipedia sein? Sollen sie also die Bilder als Ausdruck der Meinungsfreiheit trotz des Darstellungsverbots tolerieren? Bleibt allerdings noch die Frage: Kann man Toleranz einfordern? Und kann Toleranz auf demokratischem Wege gefordert werden?
  • Zum Dritten könnte unterstellt werden, es gehe im vorliegenden Streit um Darstellungen Mohammeds weder um die Verletzung religiöser Gefühle (jedenfalls nicht vorrangig) und auch nicht um die Erörterung einer demokratischen Wissensbildung und ihrer Kriterien, sondern es ginge um das konsequente Durchsetzen der je eigenen Ideologie, Weltanschauung bzw. Religion im Rahmen globaler Auseinandersetzungen, m.a.W. es ginge um eine bestimmte aktuelle Form des Clash of Zivilisation auf dem Terrain der Wikipedia. Tatsächlich gibt es einige Indizien, die genau in diese Richtung deuten.
    • Die Auseinandersetzung um die Mohammed-Darstellungen wäre dann eine Art Testballon, mit dem festgestellt werden soll, wie stark man die Welt der Wikipedia beeinflussen und als Instrument der Verbreitung der eigenen Ideologie nutzen kann. Die malayische Seite der Wikipedia, die den Point-of-view (POV) schon in der Titelgebung des Artikels artikuliert, ist ein klassisches Beispiel dafür. Es ginge dann auch darum, zu erkunden, inwieweit der öffentliche Diskurs im eigenen Interesse gesteuert bzw. verändert werden kann.
    • Auch die Art der Proteste spricht für einen bewusst ideologisch angegangenen Konflikt. Die zahlreichen Muslime aus Pakistan, die mit ihrer Unterschrift gegen die Darstellungen Mohammeds in der englischsprachigen Wikipedia protestiert haben, nutzen diese Ausgabe der Wikipedia in ihrem Alltag vermutlich nicht, es gibt schließlich eine eigene pakistanische Wikipedia-Ausgabe mit einem eigenen Mohammed-Artikel. Zwar ging der Protest ursprünglich von einem britischen Muslim aus, aber dann wandte er sich ins Grundsätzliche: es galt zu verhindern, dass Mohammed überhaupt irgendwie, irgendwo und irgendwann dargestellt wird. Die Protestierenden würden konsequenterweise auch mir und jedem Anderen eine Darstellung Mohammeds verbieten und eine Wahrnehmung einer derartigen Darstellung zu verhindern trachten. Und das gilt auch rückwirkend und deshalb muss auch die Vergangenheit verändert werden, wenn in ihr Mohammed-Darstellungen vorgekommen sind. Es geht also nicht um Respekt vor einer Religion (dieser Gedanke ist an sich schon absurd angesichts der interreligiösen Realitäten in der muslimischen Welt), sondern um die keinesfalls freiwillige Einschränkung der kulturellen Wahrnehmungsmöglichkeiten anderer.
    • Ein strategischer Lösungsvorschlag der beteiligten Muslime war es, die Bilder auszulagern in einen Artikel „Bilderverbot im Islam“ oder „Darstellungen Mohammeds“. Kaum waren die entsprechenden Artikel angelegt (ohne dass sie gleich im Mohammed-Artikel gelöscht wurden), wurden sie allerdings sofort vom Vandalismus anderer Muslime heimgesucht, die nun genau diese Darstellungen zu verhindern suchten. Dieser Weg löst die Probleme daher nicht. Der alternative Lösungsansatz der Wikipedia-Editoren war es, eine technische Lösung anzubieten, die es Muslimen erlaubt, die Bilder auszublenden. Diese Möglichkeit gibt es nun, aber sie hat nicht zur Befriedung der Debatte geführt. Sie ist in sich auch zwiespältig, weil sie dem grundsätzlichen Anliegen eines Lexikons nicht gerecht wird. Wie man es dreht und wendet, es führt kein Weg an der Toleranz vorbei.

Blicken wir abschließend kurz in die typischen Diskussionsabläufe. Zum Beispiel im Februar 2007, als der Nutzer ALM zunächst darum bittet, die Bilder zu entfernen, später dann vorschlägt, wenigstens eine ausgewogenes Verhältnis von kalligraphischen und porträthaften Bildern zu wählen und auf keinen Fall ein Mohammed-Bild an den Anfang des Artikels zu stellen. „Hence our stand is to have first 3-4 pictures of caligraphy before having any other potrait.“ Die klare Antwort lautet: What policy based argument do you have not to have it as a lead image? I know it offends you, but you know that is not a reason. Es wird schnell klar, dass die Differenz darin besteht, ob es sich um einen Artikel über die historische Person des Mohammed handelt oder um einen über Mohammed aus muslimischer Sicht. Letzteres ist der Artikel nicht, daher muss er gestaltet werden wie jeder andere Artikel über eine historische Person auch.

Der modifizierte Einwand lautet nun, dass die Zahl der porträthaften Abbildungen unverhältnismäßig im Blick auf die kulturelle Tradition sei. Aus der nur kurzen Geschichte der bildhaften Darstellungen Mohammeds werde so unangemessen viel Material entnommen. Auch hier gibt es eine klare Antwort: „The due-weight argument is unpersuasive. I think it is a pretext for religiously-motivated removal of images, or expresses a desire stabilize the page by accomodating those who will otherwise edit-war to remove the image. Neither of those motives, understandable though they are, are consistent with the community view and policy on religious censorship.“ Nächster Vorschlag: Bilder ja, aber nicht von Mohammed. „There can be other important pictures in the article. Like Muhammad court, First mosque Muhammad made, The hill he first time preach from etc.“ Das wird ironisch zurückgewiesen.

Nun geht es in zähen Verhandlungen darum festzulegen, welches Bild wo hinkommt. Schließlich kommt es am 6. März scheinbar zu einem ersten Kompromiss. Zähneknirschend müssen die Wikipedianer eine bzw. mehrere Kröten schlucken – um des lieben Friedens willen. Einer schreibt dementsprechend: „No more, ALM okay-- Wikipedia does not treat Muhammad special. In every other article, we include however many images we want, at whatever size we want, wherever we want, until it gets to be so many images that it violates spam. We put his handwritten name at the top even though we've never done anything like that before anywhere else on wikipedia. Then we put a veiled image at top, even though we've never done anything like that before. Then we deleted it down from four images to three. Every one of those actions violates NPOV because it treats Muhammad differently than we usually treat the subjects of biographies. Now that's IT. This is your Munich Agreement-- if deleting the Miraj image is your LAST demand for the price of peace, I can try to live with it. I don't know that I can even sell that honestly-- but that is IT. There is not a single shread of policy to support our treating Muhammad so gingerly. I'm going to lunch and will be back in an hour and will look over this page when I get back. If this is really supported by consensus, fine. If not, I apologize for violating policy by deleting the veiled image earler today, I will self-revert and bring the article back in line with existing policy, and keep it that way until either Arbcom, a new policy, or a STRONG consensus compells us to change it.“

An dieser Stelle der Lektüre der bis heute etwa 320 Seiten umfassenden Diskussion um die Bilder war ich echt gespannt, wie lange der so beschriebene Kompromiss halten würde. Ich wusste, es konnte nicht gut gehen, denn ich hatte gerade erst 66 der 320 Seiten gelesen. Es musste also noch viel passieren und es mussten noch viele Diskussionen stattfinden! Und dennoch scheint Mitte März der erste Konfliktsturm abgeebbt zu sein und für fast ein halbes Jahr etwas Ruhe eingekehrt zu sein. Jedenfalls bleibt es bei der Darstellung der Bilder und damit der figuralen Abbildung des Propheten in der englischsprachigen Wikipedia.

Am 12. März schreibt einer der Beteiligten noch einmal seine bisherigen Erfahrungen mit der Auseinandersetzung um die Mohammed-Abbildungen in einem so genannten comical screenplay nieder, indem er (sich nicht ohne ironische Anspielung auf den Konflikt von Kreationisten und Evolutionisten) einen Deletionisten (also Bildergegner) und einen Inclusionisten (also Bildbefürworter) miteinander diskutieren lässt:

Deletionist: Hi. Um, these images really offend me. You should delete the images.

Inclusionist: I'm sorry. I'm not trying to offend you, I just wanted to write a good article, and your personal religious beliefs aren't justification for deleting images.

Deletionist: Well, these images really offend Muslims everywhere, and they'd be illegal in lots of countries. You should delete the images.

Inclusionist: I'm sorry. I'm not trying to offend Muslims, but Wikipedia is not censored. It's a policy-- I can't delete them.

Deletionist: Alright, fine. But I'm concerned people aren't going to know about the caligraphy which is more traditional. You should delete the images.

Inclusionist: I'm sorry. I wasn't trying to not let people know about caligraphy-- I want people to know about islamic art. Let's add a bunch of caligraphy so people will learn about that part of tradition.

Deletionist: Alright, fine. But I'm concerned people are still going think that Muhammad is usually shown unveiled in islamic art. So, you should delete the images.

Inclusionist: I'm sorry. I wasn't trying to not tell people about the use of the veil -- I really do want people to know about islamic art. Let's add a veiled image and talk about how islamic art used veils sometimes.

Deletionist: Alright, fine. But I'm concerned people are still going get the wrong idea about islamic art. You should delete the images.

Inclusionist: <frustrated sigh> I'm sorry. Let's make a whole section about islamic depictions of Muhammad and have a whole separate page just to talk about it.

Deletionist: Alright fine. But I'm concerned that people might see the images without reading that section, so you should delete the images.

Inclusionist: <aggrevated> Okay! How about THIS. What if we put a GIANT sign next to EVERY single image with flashing neon letters that say 'Warning: Islamic Art doesn't usually use images of Muhammad, they usually use caligraphy'. And every time we show you an image, we show you that GIANT sign, so that there is absolutely NO way, whatsoever, that anyone could POSSIBLY get the wrong idea about islamic art.

Deletionist: No. I'm concerned people might find that confusing. You should just delete the images.

Inclusionist: Look, I can't delete the images. They're useful and helpful to the readers and Wikipedia isn't censored. I'm truly not trying to misrepresent islamic art, I'll do anything you want to help people get the right idea about islamic art. Now is there anything you can think of that would resolve your concerns?

Deletionist: Yes.

Inclusionist: <hopeful> Good! I really, truly, sincerely don't want anyone to be misinformed about islamic art. Now what can we do to teach people about Islamic art?

Deletionist: You can delete the images.

Inclusionist: <comical dispair> Oh, good grief!

Eskalation

Ende September und dann endgültig Ende Dezember eskaliert die Auseinandersetzung erneut und zwar mit einer systematischen Kampagne. Zunächst schreibt am 21. September 2007 ein anonymer Nutzer: „Muslims strongly believe that Muhammad (Salal la ho Alay hi Wasallam)is the last messenger of Allah, all mighty. No one is allowed to make pics of Muhammad (Salal la ho Alay hi Wasallam) or make any sketch that relates to Muhammad (Salal la ho Alay hi Wasallam) (No, Muslims aren't allowed). It is humbly requested to remove these pictures from the article as it can cause serious reactions from the muslim community.“ Das beinhaltet die Ansicht, dass zum einen auch Nicht-Muslime Mohammed nicht darstellen dürfen und dass diejenigen bedroht sind, die es dennoch tun. Die Editoren der Wikipedia weisen den Einwurf entschieden zurück. Daraufhin meldet sich eine Woche später ein anderer Nutzer: „I think that pictures should be removed instantly because they are offensive to Islam and to Muslims. Besides, whoever wrote the article should be a Muslim expert or at least a muslim for that matter! I strongly suggest the pictures showing our beloved Prophet Muhammad's face must be removed. If a strong-powered Muslim defender sees this article, there might be some problems that will face Wikipedia and its owners. This is not a threat! This is a something to make you think of what may happen if these pictures are kept on the article further more. Please keep this in mind, and I hope you remove them as fast as possible.“ Das verschärft die Forderung dahingehend, dass nur noch Muslime in einem säkularen Enzyklopädie-Projekt über Mohammed schreiben dürfen und wiederholt die Drohung mit den unabsehbaren Folgen für die Wikipedia und deren Betreiber.

Im Dezember 2007 meldet sich dann Faraz Ahmad, ein in Glasgow lebender Pakistani, zu Wort, der sehr schnell die Diskussion mit der Einführung des Freund-Feind-Schemas anheizt: „you people are just pushing a anti Islamic agenda under these banners. I regard it as a attempt to stain the Islamic values and history, and show new students only western view Islam and its Prophet.“ … „i believe you Christians are doing this in to provoke a uprise within Muslims and wikipedia in a place for knowledge not to fight so cool your religious or offensive motives and remove the illustrations.“ … „i know Muslim editors are in minority on Wikipedia and non Muslim editors are pushing to express there view of Islam under the non sensor and policies banner. this is misleading and i can't let it happen“.

Gleichzeitig veröffentlicht er auf einer Petitionsseite einen Appell, die Bilder sofort zu entfernen. Und er schreibt dazu: „In Islam picture of Prophet Muhammad (PBUH) and other Humans are not allowed. But Wikipedia editors are showing illustrations with face illustrated and face is veiled or white washed. But still they are offensive to Muslims. I request all brothers and sisters to sign this petitions so we can tell Wikipedia to respect the religion and remove the illustrations.“ Innerhalb von nur 2 Monaten unterschreiben 300.000 Menschen diese Petition – oftmals, wie ihre hinzugefügten Kommentare erkennen lassen, ohne auch nur die geringste Kenntnis des Gegenstandes (wenn sie etwa die dänischen Cartoons im Mohammed-Artikel vermuten).

Ein völlig entsetzter Editor der Wikipedia, der sich u.a. mit der mittelalterlichen Kultur des Islam beschäftigt, schreibt dazu: „This petition is really a depressing indicator of the state of Islam today. Muslims should be glowing with pride over this work, since it is exemplary evidence of how Islamic culture was the world's most advanced in the 14th century, both in terms of science and arts, but also in terms of society and religious tolerance. When that image was made, Islam was indeed the religion of peace and tolerance. A 24-year-old Pakistani web programmer hanging out in Glasgow might not be aware of this, but the 300,000 signatures (even if significantly generated by bots) show a truly pathetic image of the Muslim world today. We need our Islamic editors to invest effort in creating articles about works like Al-Âthâr al-bâqiya, not indulging in puerile disruption.

In Folge der Petition treten dann gebetsmühlenartig Interventionen in der Wikipedia auf. Die Bilder müssten entfernt werden, sofort entfernt werden, warum die Seite gesperrt sei, man wolle die Bilder sofort löschen usw. Oder es wird vorgeschlagen, die vorhandenen Bilder einfach zu übermalen oder auszulagern. Da sie aus muslimischer Geschichte und Quelle stammen, werden die betreffenden Muslime einfach als Sekte, Randgruppe – jedenfalls als marginal und unerheblich – abgestempelt. Die kulturelle Indifferenz der intervenierenden Muslime ist erschreckend. Die Tatsache, dass die französische Nationalbibliothek im Besitz eines ottomanischen Artefakts mit einem Bild von Mohammed aus dem 15. Jahrhunderts ist, macht aus dem Artefakt sogleich entweder eine Fälschung oder ein französisches und damit westliches Produkt.

Faraz Ahmad, der die Sache im Dezember erneut angeheizt hatte, suchte übrigens auch an anderer Stelle in der Wikipedia Konflikte zu initiieren. So schlag er vor, im Artikel über Adolf Hitler einen Abschnitt über Hitler als Helden einzufügen, da ja in vielen Gegenden der Welt Hitler tatsächlich so eingeschätzt würde. Das führte dann zu seiner dauerhaften Sperrung. Vielleicht ging es ihm aber auch nur darum, an einem völlig missglückten Beispiel zu zeigen, dass nicht nur er Zensur fordert, sondern auch an anderer Stelle von der Wikipedia selbst Zensur ausgeübt wird. Dieser Versuch aber musste scheitern.

Insgesamt zeigen sich die Editoren der Wikipedia zwar genervt, aber unbeeindruckt vom Protest. Sie halten an der Differenz von muslimischer Perspektive und enzyklopädischer und damit säkularer Darstellung fest. Und im Zuge der Auseinandersetzung entwickeln/nutzen sie einen Bildbegriff, der das Bild an die Repräsentanz und nicht an tautologische Abbildlichkeit koppelt. Und sie verweisen auf die kulturgeschichtlichen Funktionen von Bildern. In einer ikonophoben oder anikonischen Kultur mag die Illustration des Mohammed-Artikels tatsächlich befremden. Aber wir leben heute in keiner anikonischen Kultur, weder in den westlichen Gesellschaften, noch in den asiatischen. Es sind mit Bildern gesättigte Kulturen, die auch das porträthafte Darstellen von religiösen Führern intensiv pflegen. Statt dessen geht es um die Durchsetzung eines religiösen Dogmas in jeden nur erdenklichen Kontext hinein.


Als der Kunsthistoriker Martin Warnke vor 35 Jahren schrieb, Bildersturm habe heute Bedeutung nur noch auf dem Niveau der politischen Praxis von Entwicklungsländern, ahnte er nicht, welche Renaissance der Bildersturm noch einmal erleben würde (Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks. Hg. M. Warnke, München 1973).

Der Bilderstreit, der sich am Mohammed-Artikel der Wikipedia entzündet, ist jedoch keine Neuauflage der klassischen religiösen Bilderstreitigkeiten aus der Geschichte. Diese entzündeten sich jeweils an der kultischen Funktion der Bilder – sei es der Ikonen in Byzanz, sei es an den Altarbildern in der Zeit der Reformation. Niemals ging es um die Existenz der Bilder an sich. In Byzanz wurden an die Stelle der Ikonen Jagdszenen gesetzt, in der Zeit der Reformation entwickelte sich die Landschaftsmalerei und in deren Folge die abstrakte Kunst. Im aktuellen Streit geht es um etwas anderes. Paradoxerweise wird das Abbildungsverbot Mohammeds plötzlich selbst zu einer Ikone, die die Heiligkeit(!) des Propheten sichern soll. Wer die emphatischen Äußerungen der Wikipediakritiker über Mohammed liest (his influence is pure miraculous because there is not other human, before or after him“), bekommt eine über allem und allen stehende Kultfigur vor Augen geführt, deren ikonisches Merkmal die Nicht-Abbildbarkeit ist. Der Sinn des Bilderverbots – so denn ein solches im Islam angenommen wird -, wird in sein Gegenteil verkehrt: es dient der kultischen Verehrung einer Person. Insofern behält die Abbildung aus dem 15. Jahrhundert noch einmal ironisch recht.

Ich schrieb einleitend: Offenkundig ist die religiöse Großwetterlage immer noch so, dass man lieber Kultur begrenzt, kritisiert und verbietet, als Kultur zur ermöglichen. Es steht zu befürchten, dass sich auch Anhänger anderer Religionen ein Beispiel an der Mohammed-Diskussion nehmen werden und versuchen, die Kultur in ihrem Sinne zu begrenzen und bestimmte abweichende kulturelle Phänomene zu tabuisieren. Bilderstreit ist nicht Geschichte geworden, seine moderne Form beginnt erst gerade.

Links

http://en.wikipedia.org/wiki/Muhammad

http://en.wikipedia.org/wiki/Depictions_of_Muhammad

http://www.thepetitionsite.com/2/removal-of-the-pics-of-muhammad-from-wikipedia

http://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Wikipedia_Signpost/2008-02-11/Muhammad_image

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/52/am241.htm
© Andreas Mertin 2008