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Ereignis der AbstraktionBilder von Hans SteinbrennerKarin Wendt Meist liegt der optische Schwerpunkt mittig als heller Akzent, nie jedoch exakt im Sinne einer punktsymmetrischen Geometrie. Abgetönte halbtransparente Farben scheinen einander so zu überlagern, dass sich ein visuelles Rechteck aus winklig in- und aneinandergefügten Flächen ergibt. Es ist aber weniger der geometrische Flächencharakter als vielmehr eine spezifische sich im Sehen fortwährend intensivierende Leuchtkraft, die die Bilder des 1928 in Frankfurt am Main geborenen Künstlers Hans Steinbrenner auszeichnet. Helle Bereiche wirken weit und licht, dunkle Partien erscheinen wie unbestimmt entfernte Schattenzonen. Favorisiert man die Farbe als spezifische Schattierung einer Grundfarbe, so dominiert der Eindruck der Transparenz und mehrere Bereiche schließen sich zu winkligen Binnenfiguren zusammen. Konzentriert man sich dagegen auf die Individualität einer Farbe, so treten einzelne rechteckig umrissene Elemente stärker hervor, während die winkligen Partien zu nicht definierten Freiflächen werden. Weder die Winkelfigur noch das einzelne Carré lassen sich jedoch dauerhaft in einer Ebene fixieren und so als Teilbereich im Bild isolieren, sie finden ihren Ort nur temporär im Blick auf die benachbarten Formen und sind in ihrem jeweiligen Gewicht für die Gestalt des Bildganzen verantwortlich. Es sind vielmehr Vorgänge der Dehnung und der Kontraktion, die sich gleichsam stufenlos vollziehen, vergleichbar einem Atmen. Farbe und Form agieren nicht aporetisch sondern erschließen sich wechselseitig. Immer wieder findet das Auge zu einer Balance aller Bezüge. Mit der Suggestion von Nähe und Ferne geht ein spezifischer Wärmegrad einher. In Rottönen gegebene Partien wirken „glühend“, während Blautöne den Eindruck von „nächtlicher Kühle“ oder „morgendlicher Frische“ vermitteln, je nach dem Grad der Helligkeit. Trotz ihres streng flächenparallelen Aufbaus wirken die Bilder verhalten bewegt wie ein ‚lebendiges’ Gegenüber. All die beschriebenen Eindrücke ‚ereignen“ sich im Sinne der althochdeutschen Bedeutung des Wortes „irougen“, d.h. „vor Augen stellen, zeigen“ im Sehen. Erich Franz schreibt über die Bilder des Künstlers aus Anlass einer Schenkung der Sammlung Eva-Maria Fruhtrunk an das Musée Cambrai: „Hans Steinbrenner, der Bildhauer, [...] ist vielleicht der am wenigsten konstruktive Künstler innerhalb der Sammlung [...]. Die farbigen Rechtecke lassen kein verbindendes System erkennen, sondern bleiben in Ausdehnung und farbigem Gewicht individuell trotz ihrer farbigen und formalen Ähnlichkeit. Sie fügen sich im Nachvollzug von Sich-Aufrichten und Lasten, von Zurücktreten und Hervorkommen einzeln zusammen. Aus dieser Individualität jeder Teilwahrnehmung errichten sie einen geistigen Bau, der ganz langsam, aber unbeirrt die Konsequenz eines zusammenstimmenden Gefüges gestaltet."[1] Der Verzicht auf ein zugrundeliegendes Maß zugunsten einer intuitiven Ordnung prägt auch die plastischen Arbeiten von Hans Steinbrenner. Als Schüler von Hans Mettel und Toni Stadler beginnt er mit figürlichen Skulpturen. Ab den 50er Jahre findet er in Auseinandersetzung mit Brancusi und Henri Laurens zu einer mehr biomorphen Formensprache. „Zwischen 1957 und 1960 entsteht der Großteil dieser aus weichen, runden Formen gebildeten und vom Raum umspülten, vom Raum durchdrungenen Arbeiten, die meisten davon aus Holz, mit denen Hans Steinbrenner erste internationale Aufmerksamkeit erregt [...]. Zu Beginn der 60er Jahre setzt dann nochmals eine entscheidende Wende im bildnerischen Schaffen ein: Aus rhomben- und trapezförmigen Elementen gebildete, gestaffelte ‚Etagenfiguren’ entstehen, von denen eine monumentale auf der III. Documenta in Kassel gezeigt wird. Konsequent entwickelt sich das Werk Steinbrenners dann bis heute zu immer größerer, konstruktiver Strenge: Aus dem Holz- oder Steinblock, den er durch seine Bearbeitung rhythmisiert, dynamisiert und klar strukturiert, entstehen Steinbrenners ‚Figurationen’, die trotz aller Abstraktion das figürliche ‚Inbild’ sichtbar werden lassen.“[2] Steinbrenners konkrete Malerei gehört in den Kontext der Bildöffnungsstrategien nach 1945. Es ging darum, nicht nur die bildnerischen Mittel Form und Farbe von jeder Art der figuralen Indienstnahme zu befreien, sondern auch das Beziehungsgefüge des Bildes zu konkretisieren, Formen und Farben also so zueinander in Beziehung zu setzen, dass nicht Formen wie eine Figur im Bild erscheinen, sondern die Form selbst als Bild sichtbar wird. Steinbrenners Bilder sind Beispiele einer moderaten Einebnung der Bildgrenzen, die Idee des Bildes als in sich ausbalanciertes Ganzes bleibt letztlich unangetastet. Gleichwohl erreichen sie einen Grad der Konkretion, der nicht mehr als innerbildliche Komposition anschaulich wird. Voraussetzung der bildnerischen Balance ist vielmehr eine Asymmetrie aller binnenbildnerischen Bezüge. Steinbrenner, könnte man sagen, visualisiert eine Form der Integration, bei der das Moment der Individualität mit dem der kollektiven Bindung nicht konfligiert sondern beide als Merkmale von Zeitlichkeit zusammengehen. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/52/kw59.htm |