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OrnamentDie Gegenaufklärung und der KirchenbauAndreas Mertin Dankwart Guratzsch hat in der Welt vom 23. Mai 2008 unter der programmatischen Überschrift „Prachtvolle Moscheen stechen karge Kirchen aus“ eine Philippika gegen die Aufklärung, die Moderne und den zeitgenössischen christlichen Kirchenbau gehalten. Seine in der Sache von jeder fachlichen Kompetenz ungetrübten Ausführungen sind deshalb interessant, weil sie vermutlich ein diffuses Gefühl in der Bevölkerung wie in beiden Kirchen spiegeln und zugleich dieses Ressentiment auch bedienen wollen. Äußerer Anlass seiner Überlegungen ist eine Tagung des kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen (KWI), das Sakralbauten und Moscheekonflikte zum Thema eines Kongresses machte und dabei speziell die Rolle der Architektur für die „Formgebung religiöser Freiheit“ auszuloten versuchte. Nach Guratzsch ging es dabei zugleich aber auch um die Macht der Bilder, in denen sich diese Konfrontation (von Christentum und Islam?) manifestiert. Für Guratzsch geht es jedoch um weitaus mehr als um die zeitgenössische Form, Religion welcher Provenienz auch immer architektonisch Gestalt zu geben. Für ihn stand gleich die ganze Moderne, ja die seiner Meinung nach überholte Aufklärung auf dem Spiel. Wer auf die Moderne und hier die ästhetische Moderne setzt, bleibt „mit dieser Sichtweise ... ganz in der sich selbst mahlenden Mühle aufgeklärten Denkens gefangen.“ Man muss das schon mehrmals lesen, um das Ungeheuerliche des Satzes zu fassen. Wer sich heute aufgeklärten Denkens bedient, sieht sich sofort dem Vorwurf ausgesetzt, in der Aufklärung gefangen zu bleiben. Abschied von der Aufklärung heißt aber letztlich auch, Abschied von den Menschen und Bürgerrechten, Abschied von den Freiheitsrechten (u.a. der Presse), vom Subjekt etc. So weit möchte Guratzsch sicher nicht gehen. Nun ist diese Trope von „der sich selbst mahlenden Mühle der Aufklärung“ ursprünglich ein romantisches Argument von Novalis aus seinem programmatischen Aufsatz Die Christenheit oder Europa und sie ist charakterisiert von all der Ambivalenz, die gerade die Romantik in ihrem Verhältnis zur Aufklärung auszeichnet, nämlich Nutznießer und Kritiker zugleich zu sein. Novalis steht bei seiner Formulierung erkennbar unter dem Eindruck der als Vollendung der Aufklärung sich begreifenden Französischen Revolution. Die Französische Revolution aber mit der Aufklärung als solcher in eins zu setzen, ist etwas gewagt. Vergessen werden sollte dabei nicht, dass es auch eine romantische Tradition gibt, die in der Abwendung von der Demokratie, im Antisemitismus und im totalitären Denken endete. Guratzsch geht es aber offensichtlich um die ästhetische Moderne und ihren kulturellen Implikationen, wie sie sich etwa im Bauhaus äußern. „Die Utopie, die dahinter steht, ist die alte Glaubensformel der Moderne. Gleichheit durch Entsymbolisierung, man kann auch sagen: durch Entschärfung. Wenn aus der Kirche eine Kiste wird, sind die Inhalte austauschbar und verlieren ihre spirituelle Eigenmacht.“ Das ist, nähme man es theologisch einmal ernst (was ich ganz gewiss nicht tue), ein vernichtendes Urteil über Gott und das Wirken des Heiligen Geistes. (Es ist geradezu ein Lehrstück, wie man Pneumatologie nicht betreiben sollte.) Denn es macht Gott und den Inhalt einer Religion von reinen Äußerlichkeiten abhängig. Man muss sich vom Gott des Christentums schon lange verabschiedet haben, um derartiges sagen zu können. Da fragt man sich doch, wie das Christentum jemals seine „spirituelle Eigenmacht“ - was immer das sein soll – bekommen haben soll, wenn es doch in den ersten drei Jahrhunderten eher eine Untergrundreligion war. Aber vermutlich meint Guratzsch eher das zur Staatskirche gewordene Christentum nach der konstantinschen Wende, das die Religionsfrage ja tatsächlich als Machtfrage behandelt hat und die Macht der Bilder in der Folge tatsächlich konsequent eingesetzt hat. Vielleicht äußert sich so der Versuch, Religion mit dem Staatstragenden zu verbinden – freilich nicht in kritischer Absicht, wie dies manche Aufklärer taten, sondern im Sinne der Gegenaufklärung. Dass das Christentum staatstragend die Werte des christlichen Abendlandes wie ein Banner vor sich her zutragen habe, ist das Credo mancher neokonservativer Politiker, aber es wird damit noch nicht zur christlichen Wahrheit, denn Religion würde damit zu dem, was die marxistischen Kritiker ihr immer vorgehalten haben: sie würde zum Opium für das Volk. Guratzsch' Argumentation ist dabei insgesamt etwas merkwürdig und widersprüchlich. Während die Muslime und der Islam sich zeitgenössisch in offensiver Symbolik geradezu barock-manieristisch präsentierten, ziehe sich die Kirche in die Moderne der Gesichtslosigkeit zurück. Abgesehen davon, dass sich dies mit dem Architekturbefund überhaupt nicht zur Deckung bringen lässt (es sei denn man argumentiere mit Äußerlichkeiten), fragt sich doch, warum die triumphierende Logik des globalisierten Kapitals sich weltweit mit genau jenen modernen Bauten re-präsentiert, die nun den Kirchen zum Vorwurf gemacht werden? Leidet der sich in den Bauten der Moderne und Post-Moderne darstellende internationale Kapitalismus an Erfolglosigkeit? Oder soll die Kirche neokonservativ als der Gegenentwurf zur Moderne festgeschrieben werden – gegen das Selbstverständnis des Protestantismus im 20. Jahrhundert und des Katholizismus nach dem II. Vaticanum? Was die Kirchen gegenüber manch anderen religiösen Bewegungen auszeichnet, ist ja, dass sie den Modernisierungsprozess erfolgreich durchlaufen hat, dass sie in der Gegenwart angekommen sind, dass sie die Bürger- und Menschenrechte mittragen, sich der historischen Kritik stellen usw. Wenn Guratzsch etwas an der muslimischen Symbolisierungsoffensive stört, dann der Umstand, das diese sich mit der Depravierung von Frauen verbindet. Nun würde ja nun jeder einigermaßen mit Verstand und Vernunft Begabte sich fragen, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen der Ornamentalisierung des religiösen Ausdrucks und der Unterdrückung von Frauen gibt. Und im Gegenzug: ob kulturelle Moderne und Emanzipation der Frau nicht enger zusammenhängen, als es dem Autor lieb ist. Denn zumindest die zweite große Emanzipationsbewegung entwickelt sich 1792 mit Mary Wollstonecrafts „A vindication of the rights of woman“ unter dem Eindruck der Französischen Revolution. Geschichte ist aber kein kulinarischer Selbstbedienungsladen, man kann nicht einfach 150 Gramm Aufklärung = Frauenemanzipation mit 200 Gramm Barock = Gegenaufklärung mischen, um dann ein wohlschmeckendes Bürger-Menu zu bekommen. Für seine Argumentation des triumphierenden Islam gegen ein sich selbstgenügsam zurückziehendes Christentum zieht Guratzsch nun das falscheste aller nur denkbaren Architekturbeispiele heran: Auf der einen Seite den von Paul Böhm entworfenen Kölner Moscheebau und auf der anderen Seite die katholische Herz-Jesu-Kirche in München nach dem Entwurf von Markus Allmann. Das ist an Realsatire kaum noch zu überbieten. Es funktioniert für den Leser der Zeitung Die Welt auch nur, weil der Münchener Bau im geschlossenen Zustand bei Regen abgebildet wird. Man hätte ja der Argumentation von Guratzsch noch folgen können, wenn er den dezidiert sich zurückziehenden Kirchenbau von Heinz Tesar in der UNO-City in Wien benannt hätte. Tesars beeindruckender Bau spielt nun tatsächlich mit dem Formenvokabular der Moderne, ironisiert und konterkariert es, ohne es freilich in Frage zu stellen. Aber der Bau von Markus Allmann in München ist nun wahrhaftig nicht der Rückzugsbau der ästhetischen Moderne, sondern eher schon geradezu triumphalistische Öffnung und Zeichensetzung in der Stadt bei gleichzeitiger Rückkehr zur theologischen Ordnung der theatralisch-priesterlichen Inszenierung vor dem II. Vaticanum. Das aber scheint Guratzsch gar nicht wahrzunehmen. Wie auch, wenn man religiöse Räume nur von außen anschaut ... Guratzsch verknüpft seine Darstellung nun mit einer Abrechnung mit Adolf Loos, die nun doch einigermaßen abenteuerlich ist, weil sie sich eher assoziativ an Buchtiteln und geflügelten Worten als an der Sache selbst orientiert. Und überhaupt. Als ob die erfolgreichsten Kirchen und religiösen Gebäude dieser Welt ausgerechnet die ornamentalen wären. Das ist absoluter Unsinn. Die Bauten der weltweit erfolgreichsten religiösen Gruppierung, der pfingstlerischen Gemeinden, zeichnen sich eher durch die von Guratzsch inkriminierte Schlichtheit aus, als dass sie durch Ostentation glänzten. Und die gestalterisch sicherlich eher ornamentalen orthodoxen Kirchen glänzen dadurch, dass sie zumindest in Europa die Gebäude mit der geringsten Besucherquote sind (Katholiken 43%, Muslime 40%, Protestanten 25%, Orthodoxe 8%!). Aber es geht in der Sache offenkundig nicht um Sachargumente. Es geht um die politische Theologie der Macht. Das wird deutlich, wenn es um den Guratzsch offenkundig vorschwebenden Kirchbautyp geht: die gotische Kathedrale. Diese ist aber dem Himmel – entgegen der Insinuation – nicht mehr verbunden als die Zelte der Erzväter oder die Bauten der Architektengeneration nach 1945. Da, wie Friedrich Schleiermacher es 1830 einmal formulierte, die Handlungen des Kirchendienstes an eine beschränkte Räumlichkeit gebunden sind, welche ebenfalls durch ihre Beschaffenheit einen gleichzeitigen Eindruck machen kann: so ist zu entscheiden, inwiefern ein solcher zulässig ist oder wünschenswert, und demgemäß Regeln darüber aufzustellen." Aber das wird Guratzsch nicht interessieren, denn es ist eben romantisches Denken in der Tradition der Aufklärung und nicht Denken gegen die Aufklärung. Es ist zugleich aber jene Theologie, die ins Herz des 20. und 21. Jahrhunderts führt. Zeichenbildung gehört unbestreitbar zu den wichtigen Elementen der Religionen und vor allem auch des Christentums. Dies habt zum Zeichen sagen die Engel zu den Bauern auf dem Felde und sie schicken diese nicht zu einem herodianischen Prachtbau, sondern zu einem Viehstall, in dem die Zeitenwende sich vollzieht. Wenn wir eines über diesen Gott wissen, der sich in Jesus Christus offenbart hat, dann ist es dies, dass er sich nicht am Ostentativen, sondern an dem von allen Übersehenen orientiert. Martin Luther hat dies in seiner Magnificat-Auslegung sehr präzise reflektiert: „Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich, zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Kunst, zu gutem Leben und allem, was groß und hoch ist, sich bemüht. Und wo solche Leute sind, denen hängt jedermann an, da läuft man hinzu, da dient man gern, da will jedermann sein und der Höhe teilhaftig werden ... Wiederum in die Tiefe will niemand sehen. Wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist, da wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht, da scheut, da lässt man sie und denkt niemand, ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, dass sie auch etwas sind.“ Die Verklärung des Gewöhnlichen, die die ästhetische Moderne auszeichnet, teilt sie – bei aller sonstigen Religionsferne – mit dem Blickwinkel Gottes. Das wandernde Gottesvolk braucht sicher keine irdischen Paläste, es bezieht Jahrtausende nach der Sesshaftwerdung weiterhin seine zentralen Impulse von einem Gott auf dem Weg: Ich werde sein, der ich sein werde. Dem könnte religiöses Bauen im 21. Jahrhundert durchaus entsprechen. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/53/am246.htm
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