Juni 2008

Liebe Leserinnen und Leser,

das 53. Heft des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik – tà katoptrizómena – beschäftigt sich mit dem Thema „Intimität“. Die Gastredaktion dieses Heftes lag in den Händen von Frauke A. Kurbacher, die nicht nur das Thema entwickelt hat, sondern auch die Fachautorinnen und Fachautoren für das Heft eingeladen hat. Zusammen mit Karin Wendt hatte sie die Heftredaktion. Zum Themenheft schreiben Frauke A. Kurbacher und Karin Wendt:


Intimität steht für die Erfahrung des Unmittelbaren und der unvermittelten Verbundenheit, die Intimsphäre für den Raum eigenen, sehr persönlichen Erlebens, welcher besonderen Schutz gewährt und verlangt. Nicht erst seit der medialen Durchdringung des Alltags bedeutet „intim“ und „öffentlich“ nicht unbedingt einen Widerspruch. So kann der Blick und das Zeigen auf das Intime als das Ergebnis eines grundlegenden Verlusts oder aber als Kennzeichen unserer menschlichen Verfasstheit gewertet werden. Besonders in der jüngeren Kunst geht es häufig nicht um die eigene Intimität, sondern das Phänomen selbst wird zum Material, mit dem unser Bedürfnis nach authentischer Begegnung und unser Umgang mit Nähe thematisiert werden. Auch in religiöser Perspektive spielt Intimität eine Rolle. So wird mit der Offenbarung eine Bewegung des unbedingten Offenlegens beschrieben, und nicht nur die christliche Mystik beschreibt das Gottesverhältnis als Weise der persönlichen Annäherung und Nähe.

Bereits Ende der 60er und Anfang der 70er kritisierten Richard Sennett und Hannah Arendt den Verlust von Öffentlichkeit in politischer Perspektive und prophezeiten einen zwangsläufig nachfolgenden Verlust von Privatheit. In Zeiten, die von Überlappungen und Verschränkungen des Privaten mit dem Öffentlichen bis hin zu deren vollständiger Auflösung gekennzeichnet sind, stellt sich die Frage nach Intimität neu: Wo kann sie liegen, wenn unter Umständen Entgrenzungen das Beharren auf dem Unterschied zwischen „privat“ und „öffentlich“ haben obsolet werden lassen? Intimität muss sowohl in sozialphilosophischer als auch in struktureller Hinsicht reflektiert werden. Inwiefern konstituieren sich über Intimität persönliche, aber auch gesellschaftliche Verhältnisse oder das Verhältnis zum sich selbst? Dass Intimität eine Grenze verkörpert, wird deutlich, wenn man diese überschreitet und mit Scham konfrontiert wird. So wird die Frage nach Intimität gerade derzeit wieder verstärkt im Rahmen der sozialen Frage diskutiert (Stephan Marks, Scham – die tabuisierte Emotion). In welcher Weise der Tod und Sterben Intimes berührt oder aber entgrenzt, liegt nicht zuletzt daran, wie wir das Humane perspektivieren. So ist in der Vorstellung des Heiligen gerade das Intimste das, was alles umfasst. Das eigenartige Changieren des Phänomens zwischen hermetischer Unsagbarkeit und vertrauter und auch ersehnter Erfahrung findet vor allem Ausdruck in menschlichen Verhältnissen und Beziehungen, mögen sie liebender, freundschaftlicher, alltäglicher, gesellschaftlicher, ästhetischer, religiöser oder pathologischer Art sein.  

Im aktuellen Heft finden Sie unter VIEW strukturelle Überlegungen zur interindividuellen Verhältnishaftigkeit des Einzelnen von Frauke A. Kurbacher. Marion Oechsler untersucht Intimität als ethische Leistung. Manos Perrakis befasst sich mit der intimen Botschaft der Musik bei Nietzsche und Claudia Lieb mit der pathologischen Intimität um 1900. Roland Galle geht Stationen der Intimität in einem Roman von Rousseau nach. Sebastian Schulze beschäftigt sich anhand eines Romans von Robert Walser mit der Intimität des Kleinseins. Karin Wendt hat künstlerische Reflexionen zum Innenraum zusammengetragen. Andreas Mertin nimmt eine von Gregor Schneider angekündigte Ausstellung zum Anlass, um über die Intimität des öffentlichen Sterbens nachzudenken. Felix von Boehm macht angesichts der kritischen Diskussion des Öffentlichen und Privaten bei Hannah Arendt Mut zur Intimität.

Unter RE-VIEW stellt Sabine Runde den Schmuck des Künstlers Gerd Rothmann vor. Sie finden einen Text über den „Liebestod“ eines Schriftstellerpaares von Tatjana Noemi Tömmel. Frauke A. Kurbacher stellt Photographien der Künstlerin Ji Yeon Heo vor. Christoph Fleischer rezensiert zwei Publikationen aus dem Bereich Wirtschaftsethik und Sozialethik.

Unter POST nimmt Andreas Mertin Stellung zu verschiedenen Meldungen in Kirche und Gesellschaft.

Mit freundlichen Grüßen

Frauke A. Kurbacher und Karin Wendt


Mit herzlichen Grüßen

Andreas Mertin, Horst Schwebel und Karin Wendt