Intimität der Oberfläche

Zu den Photographien von Ji Yeon Heo

Frauke A. Kurbacher

Abwesend und anwesend zugleich, in verwirrender Oszillation von Nähe und Ferne, Intimität und Kälte begegnen Ji Yeon Heos photographische Werke dem Betrachter. Die Arbeiten der in Deutschland lebenden Koreanerin und Schülerin von Thomas Ruff durchschütteln verhalten, irritieren nachhaltend und berühren auf ironisch-melancholische Weise. Dies alles scheint in Heos Photographien versammelt: Sophie Calle-artige Detektivarbeit, Mutanten- und Mutationskraft, Science fiction-mäßige Androidität – „They are cyborgs - but that’s okay“.

Zwei – oder wenn man so will – drei Werkgruppen mit einem einzigen Bild-Gegenstand und Thema: nämlich Schaufensterpuppen gliedern die photographischen Arbeiten.

Da sind einmal die Szenerien (teilweise mit Puppenpaaren, teilweise nur mit angeschnittenen Puppenteilen) und zum anderen die Portraits, die Puppenportraits wohlgemerkt. Doch auch hier ist zu stutzen, zu menschlich, zumindest anthropomorph schauen sie und doch für Menschen wiederum zu puppenhaft. Die hohe Auflösung der Bilder läßt das ebenmäßige Plastik des photographischen Objekts porös und haptisch erscheinen, wie menschliche Haut. Aber gerade die Täuschung erzeugt eine Fragilität, die nach Berührung zu schreien scheint. Die Unschärfe eines Blicks erweckt so den Eindruck, nicht durch Technik, sondern durch eine emotionale Bewegung motiviert zu sein.

So werden verschiedene Blickwinkel und Perspektiven des schönen und toten, unbelebten Materials, teils frontal, teils seitlich im (Halb-)Profil oder nachdenklich, melancholisch zu Boden gewandt abgelichtet. Sie halten Zwiesprache mit dem Betrachter, stiller Blicktausch, Gespräch ohne Worte von unendlicher Stille und Schönheit, aber immer wieder gebrochen durch Provokation desselben Blicks, durch Schrilles und Steifes. Aus diesem Changieren wird der Schauende nicht entlassen, scheint mit hinein genommen in eine Cindy Sherman ähnliche Inszenierung des Portraits, nur ist hier das alter ego selbst zur (auswechselbaren) Puppe mutiert. Es ist, als ob die Künstlerin Heo damit einen Ausdruck, ein Bild und Bilder für das potentiell unabschließbare Spiel ästhetischer Anschauung gefunden hätte.  

Die verschiedenen Typen von: ‚Mädchen von nebenan‘, die kleine Skaterin vom Parkplatz vor dem Nachbarhaus oder die stille Schönheit in einer Vorstadtboutique, die selbstbewußte Dame oder Silikonschöne – sie alle werden Ikonen seltsamer, sehnsuchtsvoller Schönheit, Androiden, die sich nach Menschlichem sehnen, während ihr Betrachter sich unter Umständen nach menschenferner Unendlichkeit sehnt. Wie hinfällig jedoch selbst die ‚beauté‘ der Puppenschönheiten ist, scheint die Farbgebung zu verraten, die teils wie auf Polaroids zu krass in den Farben ist, von denen wir wissen, daß sie vergehen, oder die bereits in Ansätzen wie verblichene, gelbstichige billige Abzüge aus vergessenen Familienalben wirken. Der unaufhaltsame Zahn der Zeit nagt sichtbar auch in diesem Zwiegespräch, das Betrachter und Bilder eingehen und verleiht ihm eine leichte Traurigkeit, von der Feinheit und Dichte eines Nieselregens, der überraschend fallend lächeln macht, und sich in der Diesigkeit der Bildoberfläche wiederfindet.

Diese Art der Melancholie eines Wong Kar Wai-Films findet sich auch in den großen collagierten Photoarbeiten, die teils Szenerien mit ein oder zwei Puppen zeigen, und zuweilen auch plastisch einzelne Phototeile dreidimensional, ähnlich einer Theaterinszenierung mit mehreren Bühnen oder einem Papierpuppenspiel, oder wie ein Relief mit Profilleisten in den Raum hineinragen lassen.

In den Arrangements von Heo werden die starren Augen der von uns in ‚freier Wildbahn‘ angetroffenen Schaufensterpuppen wohl nur selten als schön, sogar eher als häßlich empfunden, plötzlich zu sehnsuchtsvollen, traurigen, fragenden. Im Dialog der Puppen ist diese Art ‚Heoscher‘ Anthropomorphisierung am stärksten zu spüren, während die Raumsituation einerseits vermeintlich Intimität erzeugt, vor allem durch Details – eine aufgeschlagene Fernsehzeitschrift am Nachttisch, eine verrutschte Tagesdecke oder eine neutrale bis geschmacklose Tapete. Und zugleich sorgt auch hier eine erst auf den zweiten Blick deutliche perspektivische Verunklarung der Raumsituation durch widersprechende Angaben für eine dem Puppengesichtsausdruck korrespondierende Irritation. Abstände, die zu kurz sind, einzelne Phototeile und -stücke, die je aus anderen Blickwinkeln aufgenommen wurden, und zusammen auf dem Bild mehrere Fluchtpunkte ergeben, deren Zentren aber nicht auszumachen sind. Genauso unklar bleiben die zwischen Hitchcock, film noir und Liebesdrama angesiedelten Szenerien selbst.

Niemand weiß, was die beiden Puppen in einem Hotelzimmer zusammengebracht hat (außer dem Dekorateur oder der Künstlerin), oder was sie gerade wieder trennt, welche Bedeutung die Umarmung eines Puppenpärchens hat, oder wohin die Dame auf nächtlicher Straße will, deren Handgelenk mit Tasche das einzige Indiz ihrer Anwesenheit auf dem Photo überhaupt ist. In „blow up“-artiger Rätselhaftigkeit thematisiert Heo so auf einer Ebene, obwohl ihre Bildgegenstände allesamt unbelebtes Material zeigen, nichts anderes als Menschlichkeit und die Sehnsucht danach – auch für die, die es sind: ‚We all are cyborgs...‘.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/53/fk8.htm
© Frauke A. Kurbacher, 2008
Alle Abbildungen: Courtesy of Galerie Schuster Photo