Religiöse Räume |
Einladung zur ErfahrungDie Kapelle von Susanne Tunn in MindenAndreas Mertin EinleitungKapellen fristen in aller Regel ein Schattendasein im Rahmen eines Krankenhauses. „Die Kapelle mit der Möglichkeit zu Andacht und stillem Gebet finden sie im siebten Stock des Hauses am Ende des Flurs. Sie ist mit dem Aufzug zu erreichen“ lauten die Schilder normalerweise. Und so fühlt sich niemand wirklich eingeladen, diese Kapellen aufzusuchen. Wenn man sie außerhalb der Gottesdienstzeiten betritt, sind sie fast immer leer. Und das ist auch im Sinne ihrer Betreiber, verstehen sich diese Kapellen doch als Rückzugsräume, in denen Besucher zu sich selbst kommen sollen. Nun kann man derartige Räume auch anders konzipieren, nämlich als Erfahrungsräume, die dem Besucher durch veränderte Rahmenbedingungen eine andere Sicht auf die Dinge vermitteln sollen, die sinnlich-reflexiv das Gewohnte unterbrechen und neu sehen lassen. Das sind dann Räume, die man aus ganz anderen Gründen aufsucht, die man immer wieder aufsucht, weil es gerade nicht um das um sich selbst Kreisen geht, sondern um die Öffnung, um neue Wahrnehmungen und Erkenntnisse. Es gibt Kapellen, die fixieren Menschen in Krankenhäusern nicht, sondern muten ihnen neue Erfahrungen zu. Und das dürfen die Menschen auch erwarten. Zu dieser Art von Kapelle gehört die im Folgenden zu Beschreibende. Wer das neu erbaute Johannes-Wesling-Klinikum in Minden betritt, sieht gleich gegenüber dem Haupteingang an zentraler Stelle durch das Glas einen komplexen Holzaufbau durchschimmern. Man ahnt es am Anfang nur, sieht Holzbalken, die sich nicht in die Funktionalarchitektur einfügen. Das Wahrgenommene setzt sich in Material und Gestaltung bewusst von der Umgebung des Klinikums ab, ist eine Unterbrechung im Fluss der optischen Eindrücke. Das macht neugierig und so ist man herausgefordert, den Zugang zu diesem Objekt zu suchen. Dass es sich um eine Kapelle handelt, ist dabei zunächst einmal gar nicht klar. Es könnte auch ein außergewöhnliches Kunstobjekt sein, platziert im Zentrum des Eingangs des Klinikums, so wie es ja in derartigen Gebäuden sehr viel so genannte „Kunst am Bau“ gibt. Aber dieses durch das Glas gebrochen wahrnehmbare Holzobjekt fügt sich nicht in klassische Vorstellungen von Kunst am Bau, es ist eigenständig, geradezu solitär. Es ist, das wird deutlich, wenn man sich dem Fenster, das den Ausblick auf das Objekt eröffnet, weiter nähert, rundherum von Wasser umgeben, und es ist aus lauter gebogenen Hölzern aufgebaut. Man kann sich nicht erklären, was dieses Objekt in einem Klinikum zu suchen hat. Der Eingang zum Objekt liegt der zentralen Eingangstür des Klinikums direkt gegenüber, so dass man geradezu planmäßig dorthin geführt wird (wenn man nicht durch andere Termine im Klinikum gebunden ist). Vor dem Durchgang zum Objekt wird dann dessen Bestimmung deutlich: Herzlich willkommen in der Kapelle des Johannes-Wesling-Klinikums. Normalerweise wendet man sich dann ab, aber im vorliegenden Fall ist man schon so neugierig geworden, dass man durch den verwinkelten Gang zur Kapelle geht. RekapitulationDass es zu diesem Solitär innerhalb des Krankenhauses gekommen ist, hat eine längere Vorgeschichte. Auf der Webseite des Projektes ist nachzulesen, dass es im Juni 2002 auf Initiative der evangelischen Krankenhausseelsorge ein erstes Sondierungsgespräch gab, in dem die Kirchenvertreter ihr Interesse an einem Andachtsraum im neuen Klinikum anmeldeten. Im Grundsatz wurde dabei der Wunsch der Kirchen nach einem eigenen Raum akzeptiert und als Vorgabe für den Architektenwettbewerb aufgenommen. Normalerweise planen Architekten, die Krankenhäuser gestalten, nach den Vorgaben des Auftraggebers auch einen Kapellenraum mit ein. Schon im ausgewählten Erntwurf für das geplante neue Johannes-Wesling-Klinikum war der Kapelle ein zentraler Ort zugewiesen worden. Das ist eher ungewöhnlich, zumal in einem kommunalen Krankenhaus. Ebenfalls anders als in den gewohnten Fällen war auch, dass es nach ersten Beratungen darum ging, eine anspruchsvolle künstlerische Lösung für die geplante Kapelle zu finden, also über die von den Architekten geplante besondere Stellung des Raumes auch eine besondere künstlerische Form anzustreben. Auch das ist, wie bereits betont, gar nicht so selbstverständlich. Oft tendieren Seelsorger zum Emotional Design, also zu ästhetischen Gestaltungen, die die vorgebliche emotionale Befindlichkeit von Patienten, Besuchern und Personal aufnehmen und moderieren. Noch viel öfter findet man nur einfaches Kunsthandwerk oder 08/15 Arbeiten. Es ist als laute das Motto: Möglichst nichts Widerständiges oder Verstörendes, so als ob Menschen in medizinischen Notlagen, als ob Pfleger und Angehörige nur minderwertiger und seichter Ablenkung bedürften und nicht der Herausforderung durch eine besondere künstlerische Arbeit. Eine künstlerisch anspruchsvolle Lösung zu suchen heißt auch, der zeitgenössischen Kunst besondere Leistungen zuzutrauen, ihr zu vertrauen, darauf zu setzen, dass sie auch in der funktionalisierten Moderne mehr ist als nur Unterhaltung, Verschönerung oder willkommene Abwechslung im Alltag. Auf die Kunst sich einzulassen heißt, auf Erfahrung zu setzen und auch Irritierendes, ja vielleicht sogar Verstörendes zuzulassen. In jedem Fall verlangt es Offenheit für künstlerische Arbeit. Und umgekehrt setzt es Künstler voraus, die sich dieser für sie gar nicht so einfachen Aufgabe stellen. Der Künstler Alfonso Hüppi schreibt im Kunst-Bestandskatalog des Bundeswehr-Krankenhauses Ulm zur Herausforderung, die das Arbeiten des Künstlers in diesem Kontext bedeuten kann:
Hier den passenden Künstler zu finden, geht nicht ohne künstlerische Beratung. Es gehört zu den rührend-verstörenden Phänomenen in den christlichen Kirchen, dass sie oft meinen, im Bereich der Bildenden Kunst auf beratende Kompetenz verzichten zu können. Kunst, so wird argumentiert, sei ja doch nur eine Frage des subjektiven Geschmacksurteils und da braucht man keine Experten. Und so sehen die Mehrzahl der Kapellen und Andachtsräume dann auch aus. Ihre Halbwertszeit beträgt nicht einmal 20 Jahre, dann wirken sie wie zeitgeistgebundene Fossilien ihrer Entstehungszeit und dokumentieren eher den missratenen Geschmack der Auftraggeber als die künstlerische Zeitgenossenschaft. Künstlerische Beratung heißt aber, auf zukunftsorientierte Fachkompetenz zu setzen, auf Menschen, die sich auf die Gegenwartskunst spezialisiert haben und deren Kompetenz darin besteht, dass Vorübergehende vom Bleibenden unterscheiden zu können. Künstlerischer Berater für das Projekt im Klinikum Minden wurde Jan Hoet, der Direktor des Museums MARTa in Herford. Der 1936 geborene Jan Hoet ist belgischer Kunsthistoriker und Ausstellungskurator, der seit 1975 das Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (S.M.A.K.) in Gent in Belgien leitete. In Deutschland wurde er nicht zuletzt als künstlerischer Leiter der Documenta IX (1992) in Kassel bekannt, die er mit einem sinnenfälligen Konzept zu einem überragenden Publikumserfolg führte. Seit 2003 leitet er das MARTa Herford, ein Museum für zeitgenössische Kunst und Design in Herford. Wer die Arbeit von Jan Hoet verfolgt hat, weiß, dass er auf sinnenfällige und überzeugende Kunst setzt, dass die Kunstwerke selbst (und nicht der begleitende Kommentar) das entscheidende Argument sind. Auf einer Tagung einer Ev. Akademie wurde er einmal nicht ohne Ironie gefragt, ob er sich selbst als Prophet der Kunst sähe, und er hatte keine Probleme, das sofort zu bejahen, nicht ohne hinzuzufügen, dass man die Qualität eines Propheten am Eintreffen seiner Prophezeiungen messen müsse. So müsse er sich auch selbst daran messen lassen, ob die von ihm empfohlenen Künstler sich tatsächlich als so überzeugend erweisen würden, wie er es vorhersage. Jan Hoet jedenfalls begleitete das Projekt in Minden und er schlug neben einigen anderen Künstlern die Bildhauerin Susanne Tunn für das Projekt vor. Susanne Tunn, 1958 in Detmold geboren, ist eine deutsche Bildhauerin. Sie lebt und arbeitet in Alfhausen bei Osnabrück. Von 1980-1986 absolvierte sie ein interdisziplinäres Studium an der Universität Bielefeld in Kunst, Soziologie und Erziehungswissenschaften. Im Jahr 1991 erhielt sie ein Atelierstipendium des Landes Niedersachsen. 1995 erhielt sie ein Projektstipendium der Heitland Foundation und ein Arbeitsstipendium des Landes Niedersachsen. Seit 1992 ist sie als Professorin an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg tätig. Ihr Hauptarbeitsmaterial ist Stein aus Steinbrüchen oder anderen natürlichen Formationen. Auch Beton war Material, etwa bei der Arbeit zum Westfälischen Frieden: Peace and Noise 1998. Ferner gibt es Videoarbeiten, Fotografie, Textil- und Holzarbeiten. Wer sich nach dem Vorschlag von Jan Hoet konkret sachkundig machen wollte, konnte dies zum Beispiel in unmittelbarer regionaler Nähe anhand ihrer Skulptur vor dem Energie-Forum-Innovation in Bad Oeynhausen machen. Auf der Website des Unternehmens ist zu lesen:
Charakteristikum der Arbeiten von Susanne Tunn ist die konsequente Orientierung am Material, das Nachspüren der wahrnehmbaren Vorgaben. Deutlich wird, „wie wichtig es für sie ist, mit den Händen zu arbeiten, Materialien anzufassen und zu begreifen“. Man kann im Schweizer Online-Magazin recenseo in einer beeindruckenden Schilderung ihrer Arbeitsweise nachgehen. Dort heißt es zu ihrer Arbeit:
Klinikum und Kirchen in Minden schlossen sich jedenfalls dem Vorschlag von Jan Hoet an und so wurde Susanne Tunn gebeten, für das Klinikum in Minden einen Entwurf für die Kapelle vorzulegen. Dabei ging es nicht wie in vielen Fällen nur um die Gestaltung der so genannten Prinzipalstücke oder des Altarraumes, gefordert und gewünscht war explizit ein künstlerischer Gesamtentwurf der Kapelle. In diesem Sinne ist die gesamte Kapelle als künstlerisches Werk zu verstehen, in dem ein Detail auf das andere Bezug nimmt. Der Bauträger, die das Klinikum tragende Kommune stellte dazu einen spezifischen und architektonisch hervorgehobenen Raumkörper zur Verfügung, innerhalb dessen das künstlerische Werk seinen Platz finden sollte. Das KonzeptNach einem leider nicht realisierten frühen Erst-Entwurf, der eine Gesamtskulptur im Stil zweier unterschiedlich großer, ineinander verschränkter Kreise vorsah, entwickelte Susanne Tunn schließlich eine andere Lösung, die innerhalb des von der Architektur vorgegebenen Glaskastens eine offene Holzskulptur vorsah. Das Material für die Holzskulptur stammt von einem Dach einer 170 Jahre alten Reithalle aus Verden an der Aller. Susanne Tunn hatte es eingelagert in Maaslingen entdeckt. "Ich stapele die Bögen zu anderer Form", erläutert sie. Durch die Spalten fällt Licht von außen in die Kapelle ein. Als ein wesentliches Merkmal erschien ihr "die Höhe, die auf den Menschen einwirkt und ihn veranlasst, zu beten und zu meditieren". So werden sich denn gebogene Hölzer unter dem Dach rund 4,50 Meter hoch auftürmen und innerhalb des Raumes das Gefühl von Höhe und Tiefe verstärken. Die nebenstehende Abbildung vom Probeaufbau gibt schon früh einen Eindruck von Idee und Ausführung des Kunstwerks. Der Besucher, so wurde erkennbar, sieht zunächst das Äußere des Werks, kann durch die Abstände zwischen den Bohlen blicken und wird dann in das Innere geleitet, wo ihn der Raum umfängt. Er kann sich auf den Balken im Halbrund niederlassen und den Raum erkunden. Er ist dann umgeben von den alten Hölzern mit ihren Spuren, ihrer Geschichte und ihrer Neuformierung, die nun einen neuen Raum ergibt. Es gibt nahe liegende Metaphern, die man mit der Form des Kunstwerks assoziieren könnte, aber sie sind zu verführerisch und verstellen daher den Blick auf das konkrete Werk. Sicher gibt es eine Verbindung zu einem Schiff, einer Arche, einer Höhle oder auch zu sich schließenden Händen aber das sind meines Erachtens eher äußerliche Konnotationen. Statt dessen legt sich mir eher die Verbindung mit dem Holz als einem ebenso vitalen wie historischen Material nahe, einer Geschichte, die sich im Gegenstand verrätselt und mit den Fingern enträtselt werden will. Das Kunstobjekt AltarsteinUnabhängig vom Konzept der Kapelle stand dann zunächst nicht zuletzt aufgrund der Frage der Finanzierbarkeit die Frage des Altartisches zur Debatte. Hier ergaben sich erst neue Möglichkeiten, nachdem sich ein Großspender bereit erklärt hatte, einen wesentlichen Teil der Kosten für ein mögliches Kunstobjekt als Altarstein zu übernehmen. Nun ist die Frage des Altars als Kunstwerk bzw. des Kunstwerks als Altar keine unheikle Frage. Der Altar ist schon jenseits aller kontroverstheologischen Fragen ein historisch wie ästhetisch hochrangig besetztes Objekt. Jeder verbindet vor seinem inneren Auge bestimmte konkrete Ausformungen mit dem Begriff Altar. Und ein Blick in die jüngere Geschichte von Altären, die von bedeutenden Künstlern entworfen wurden, zeigt, wie different die denkbaren Lösungen sind. Und es zeigt zugleich, wie heikel die Frage nach der konkreten künstlerischen Gestalt ist. Auch zwischen den Konfessionen ist die Frage des Altars umstritten. Für Protestanten sollte möglichst jede Assoziation an das Opfer vermieden werden, weshalb diese in der Regel auch von Altartischen sprechen. Für Katholiken ergeben sich aber im Rahmen der Liturgie ganz andere Erfordernisse. Auf der anderen Seite zeigen die Altäre, die zeitgenössische Künstler in den letzten Jahren sowohl in evangelischen und katholischen Kirchen, aber auch in ökumenischen Kapellen gebaut haben, einen erstaunlichen Variantenreichtum. Erwähnt sei etwa der Altar von Karl Prantl in der katholischen Heiligkreuzkirche im österreichischen Langholzfeld, der zunächst mit bischöflicher Skepsis aufgenommen wurde, nun aber nach 10 Jahren in seiner ursprünglich vom Künstler geplanten Form in kirchlichem Gebrauch ist. Oder denken wir an den eigenwilligen Altar von Anish Kapoor in der Unterkirche der evangelischen Dresdner Frauenkirche, der im Zentrum des Altars eine elementare Wölbung nach innen bzw. unten aufweist und liturgisch sicher eine Herausforderung bildet. Beide Altäre unterwerfen sich keinen funktionalistischen Beschränkungen, beide sind Altäre zum Denken wie zum Anfassen, beide verleihen vor allem dem Material des Altars jene Aufmerksamkeit, die ihm zukommt. Wie Susanne Tunn die Frage des Altarobjekts angehen würde, konnte der erahnen, der ihre Arbeit Camino 2005 vor der Dettelbacher Wallfahrtskirche anlässlich des seinerzeitigen Bildhauersymposions wahrgenommen hat. Der dortige Stein machte die Materialorientierung und die Sensibilität gegenüber den natürlichen Vorgaben deutlich, die ja auch für die Beauftragung der Künstlerin für das aktuelle Projekt gesorgt hatten. Tunn übt gegenüber ihrem Material keine Gewalt aus, sie folgt den Spuren der Natur, arbeitet deren Verfahrensweisen heraus und macht diesen Vorgang haptisch nachvollziehbar. Die RealisierungIm Jahr 2007 / 2008 wurde dann das Projekt realisiert und die Kapelle aufgebaut. Dazu wurde zunächst die ovale Holzskulptur errichtet, dann der architektonische Rahmen gebaut und zum Schluss Anfang 2008 der Altarstein aufgestellt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Zuge der fortschreitenden Fertigstellung des Projektes kamen aber auch die ersten Spannungen auf, wie die Künstlerin auf einem Künstlersymposion in Augsburg Mitte 2008 berichtete. Teilen der Auftraggeber war der Altar nicht funktional genug. Man wollte die Künstlerin zwingen, entgegen ihrem charakteristischen künstlerischen Prinzip die Oberfläche des Altarobjekts plan zu schleifen. Es herrschte die Auffassung vor, im Blick auf den liturgischen Gebrauch sei die künstlerische Ausführung zweitrangig. Das deutet darauf hin, dass einige der Auftraggeber überhaupt kein Verständnis für das Wesen der Kunst und seine Bedeutung in der abendländischen Gesellschaft haben und dass streckenweise ein Kunstverständnis im Sinne des Designs und des religiösen Kunsthandwerks vorherrschte. Vielleicht war es aber auch nur die Angst vor der eigenen Courage. Wie die erwähnten Altar-Objekte von Karl Prantl und Anish Kapoor zeigen, ist es keineswegs erforderlich, dass ein Altar plan geschliffen ist. Eine kurze Recherche zeigt, dass es eine Vielzahl von Altären gibt, die konsequent dem künstlerischen Verfahren treu bleiben und die Autonomie der Kunst achten. Dass die evangelische Kirche der Künstlerin das Geld für Material und Honorar über eine längere Zeit vorenthielt, um sie zu einem Kompromiss in der Altarfrage zu nötigen, wie auf dem Kunstsymposion Mitte des Jahres zu hören war, gehört schon zu den größeren Skandalen im Verhältnis von Kunst und Kirche in der neueren Zeit. Ein anderer sich in dieser Zeit entwickelnde Konflikt war die Frage, ob die nun so entworfene Kapelle schon ein religiöser Raum sei oder noch zusätzlicher Zeichen wie Tabernakel, Opferstock, Kerzen, Kreuz etc. bedürfe, um ein „christlicher“ Raum zu sein. Auf diese Frage wird in dieser Ausgabe im Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Grundsätzlich stellt sich aber anhand dieses Konflikts die Frage nach dem Zutrauen, das die kirchlichen Auftraggeber zur zeitgenössischen Kunst haben. Was soll und was kann Kunst in ihrer Sicht leisten, wenn es noch äußerer Zeichen bedarf, um aus dem fertig gestellten Raum mit all seinen sinnlich-reflexiven Impulsen einen religiösen oder christlichen Raum zu machen? Ist die Einladung, die dieser Raum in der von Susanne Tunn geschaffenen Form ausspricht, nicht Zeichen genug? Zu den Zeichen, die der Künstlerin im Rahmen dieses Konfliktes abgerungen wurden, gehört ein 200 Jahre alter Korpus, der nun auf der linken Seite des Raumes hängt. Er stammt von einem Wegekreuz. Wenn man die kirchlichen Verlautbarungen zur Eröffnung der Kapelle liest, scheint es fast so, als ob dieser Korpus das Eigentliche der Kapelle sei. Im Bericht des zuständigen Superintendenten heißt es etwa: „Das Diözesanmuseum Paderborn stellt freundlicherweise als Dauerleihgabe ein ca. 200 Jahre altes Kreuz zur Verfügung, das durch seine Gestalt dem Raum besonderen Ausdruck verleiht.“ Nun ist es gerade kein Kreuz, sondern ein Korpus, der hier aufgehängt wurde (das ist ein gravierender Unterschied mit bedeutsamen Folgen), zum anderen steht die Hervorhebung des besonderen Ausdrucks dieses Korpus gegenüber der herausragenden Gesamtkonzeption der Kapelle in einem Missverhältnis sondergleichen. Als ob ohne dieses Fragment eines Wegkreuzes die Kapelle keinen besonderen Ausdruck hätte. Das ist absurd. Es gibt wenige Räume, die so eindrücklich sind, wie die Kapelle von Susanne Tunn. In der Kirchenzeitung der Diözese Paderborn, der Dom, heißt es noch verkürzender: „Es mutet an, wie ein großes Schiff. Die ovale Form des geschwungenen Kunstwerkes umfängt den Besucher wie ein Bootskörper. Dabei wendet sich der Blick unweigerlich zum ‚Bug’. Dort hängt anstelle des Ankers etwas anderes an der ‚Bordwand’. Eine Jesusfigur gibt der neuen Krankenhauskapelle im Mindener Klinikum ihre Ausrichtung.“ Das ist die verbalisierte ästhetische Barbarei, die mit dem Kunstwerk von Susanne Tunn aber auch nichts mehr zu tun hat. Aber es ist die implizite Gefahr von verkürzenden Visualisierungen, wie sie der Korpus darstellt. Vielleicht ist nicht jedem ersichtlich, welcher Wandel mit der Verwendung dieses Zeichens vollzogen wurde. Der Einsatz dieses Zeichens schließt nämlich gleich mehrere religiöse Gruppierungen von der Nutzung des Raumes aus. Weder Muslime, noch Juden noch reformierte Christen können ohne religiöse Belastung in diesem Raum meditieren, weil die skulpturale Ausformung der Jesusfigur den Bestimmungen ihres Glaubens zuwiderläuft. Karl Barth konnte im Band IV.3 der Kirchlichen Dogmatik knapp und präzise formulieren: "Die entscheidende Aufgabe der Predigt im Gottesdienst lässt die Anwesenheit von figürlichen Darstellungen Jesu Christi im Versammlungsraum der Gemeinde als nicht wünschenswert erscheinen". Insofern bekommt die Formulierung, die „Jesusfigur gibt der neuen Krankenhauskapelle im Mindener Klinikum ihre Ausrichtung“ ihre ernüchternde Brisanz. Ausrichtung meint hier ganz konkret Ausschluss bzw. Ausgrenzung. Das ist wirklich traurig und auch ein denkwürdiger Tatbestand im Blick auf die innerevangelische Ökumene. Was Reformierte denken, spielt für Lutheraner offenkundig keine Rolle mehr. Hier wäre das von der Künstlerin konzipierte und in einem Prototyp realisierte Kreuz für alle Religionen unproblematischer gewesen und es wäre gerade in einem kommunalen Krankenhaus, das sich der öffentlichen Wohlfahrt widmet, besser am Platz gewesen. Im Zuge der Realisierung des Projektes wurde im Durchgang zur Kapelle schließlich noch ein Schriftzug ergänzt, der dem Besucher eine Einstimmung in die Wahrnehmung des Raumes und ein Meditationsmotiv zugleich gibt: Bewahre die Stille, die Stille wird dich behüten. Das ErgebnisWer die Kapelle von Susanne Tunn heute in der von ihr konzipierten Form betritt, wird von der Materialität und Durchformung fasziniert sein. Man wird auf Menschen stoßen, die diesen Raum aufgesucht haben, um innezuhalten im Alltag der Klinik. Und man wird diese Menschen dabei beobachten, wie sie sich auf die seitliche Umrandung des Objektes setzen, wie ihre Finger über das Holz gleiten, alte abgeschliffene Nägel umfahren und Strukturen nachspüren. Man wird sehen, wie die Leute aufstehen, zum Altarstein gehen und dort der herausgearbeiteten Materialität des Steines folgen. Wo findet man das schon, dass Leute sich Zeit nehmen, der Stofflichkeit eines Altares nachzugehen. Mir fällt spontan vielleicht ein Altar von Tilman Riemenschneider ein, nur darf man den nicht anfassen. In die Kapelle des Mindener Klinikums gehen Tag für Tag weit über 100 Menschen und das nicht, weil sie explizit eingeladen wurden, sondern weil die Kapelle von Susanne Tunn diese Einladung selbst ausspricht. Stefan Lüddemann hat in der Osnabrücker Zeitung folgende Worte für die Arbeit von Susanne Tun gefunden: Sie „erweist sich mit dieser Arbeit erneut als Meisterin der ebenso lapidaren wie genau kalkulierten Form. Das Ergebnis: ein Resonanzraum der Stille, eine wahre Mandel der Meditation, die über ökumenische Ausgewogenheiten hinweg ein Ideal von fernöstlich anmutender Klarheit anvisiert … Ein solcher Ort ist Gehäuse für Gefühle und Gedanken von Menschen. Seine Form sollte deshalb eine Konzentration ermöglichen, die den Besucher zu sich selbst führt und ihn nicht in seine Umgebung ablenkt. Susanne Tunns Formgebung entspricht diesem hohen Anspruch vollkommen.“ Dass in Zeiten, in denen alles nur noch funktional betrachtet werden kann, Bildende Kunst dennoch eine intensive Wirkung ausüben kann, die für sich selbst steht, ist etwas Besonderes. Der Raum von Susanne Tunn ist aber nicht nur eine Einladung zu konzentrierter Wahrnehmung und zur konkreten haptischen Erfahrung der Welt anhand eines künstlerisch bearbeiteten Objekts. Er ist zugleich eine Einladung zur Religion, wenn Religion die neue Perspektiven eröffnende Deutung dieser Welt meint. Dass es sich lohnt, den Dingen nachzugehen, ihnen nachzuspüren, dass es sinnvoll ist, sich auch auf ungewohntes Material einzulassen und es zu sich sprechen zu lassen, das genau zeigt die Kapelle von Susanne Tunn im Johannes-Wesling-Klinikum in Minden. Ihre über die örtliche Resonanz hinaus gehende Bedeutung sehe ich darin, dass diese Kapelle ein Maßstab für künftige Projekte ähnlicher Art ist. Sie zeigt zudem, wie sinnvoll es ist, Kapellen von Künstlern als Gesamtkunstwerk entwerfen zu lassen und dies nicht einfach Architekten zu überlassen. Was wir brauchen ist gerade das Künstlerische der Arbeit, weil es sich wohltuend von jedem Design unterscheidet. Die überzeugende Kraft zur Einladung, die die Arbeit von Susanne Tunn auszeichnet, zeigt, dass den Menschen dieses Konzept einleuchtet, weil sie mit sinnlicher Evidenz und nicht mit rhetorischer Vereinnahmung arbeitet. Im September erscheint eine Publikation: Weitere Informationen unter: http://krankenhauskapelle.minden.googlepages.com/ |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/54/am252.htm
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