Nicht ohne Verletzungen

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Die Kapelle von Günter Uecker im Deutschen Bundestag

Andreas Mertin

In der Bundesrepublik Deutschland gab es lange Zeit keine Künstlerkapellen und keine herausragenden Räume mit interreligiöser Ausrichtung. Das änderte sich erst, als der Bundestag in das Reichstagsgebäude in Berlin einzog und Günther Uecker gebeten wurde, den Raum künstlerisch zu bearbeiten. Die so neu entstandene Kapelle im Reichstag ist ein wegweisendes Modell einer künstlerischen Bearbeitung eines religiösen Raumes.

Auf den Seiten des Bundestages heißt es dazu:

Der Andachtsraum auf der Südseite der Plenarsaalebene ist von dem Künstler Günther Uecker gestaltet worden. Ihm ist es gelungen, auf der Grundlage theologischer Überlieferungen mit sparsamen bildnerischen und architektonischen Ausdrucksmitteln einen Raum zu gestalten, der zu Meditation und innerer Einkehr anregt. Durch den Einbau einer zur Seite hin offenen Zwischenwand vor den Fenstern führt Uecker das Licht indirekt in den Raum, der auf diese Weise die mystische Aura einer frühmittelalterlichen Krypta gewinnt. Der zurückhaltend ausgestaltete Raum erhält seine Akzentuierung durch kraftvolle skulpturale Elemente.

Christina Beinke beschreibt in Blickpunkt Parlament den Raum so:

Die wenigen Objekte im Raum sind vieldeutig. So erinnert der sandgestrahlte Quader aus Granit ebenso an einen Altar wie an einen Opferstein. Seine besondere Akzentuierung erhält der Raum aber durch den Tafel-Zyklus, ein Kunstwerk, das mit seinen Motiven und Materialien christlichen Themen nahe steht. Sieben hohe Holzbildtafeln sind in leichter Schräge an die Wände gelehnt. Lange Nägel, die wichtigsten Gestaltungsmittel des Künstlers, Farbe, Sand, Asche und Steine verbinden sich auf den Tafeln zu kraftvollen suggestiven Bildern von Sinnes- und Seinserfahrungen. Für eine meditative Stimmung sorgt eine zum Innenraum hin offene Zwischenwand vor den seitlichen Fenstern, so dass das Licht indirekt in den Raum fällt.

Insgesamt entsteht so ein stimmiger Raum mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Durch die Bestuhlung wird der Gottesdienstcharakter etwas stärker in den Vordergrund gestellt als es notwendig wäre. Der Raum könnte eben auch als durch und durch eigenständiger Raum meditativer, religiöser und ästhetischer Erfahrung zugleich verstanden werden und nicht als religiöser Funktionalraum.

Trotzdem oder gerade deshalb ist der Raum nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Was für den einen Besucher das besonders Herausragende des Andachtsraumes ist – seine grundsätzlich einladende Offenheit -, kann für den anderen Besucher als Verlust an Eindeutigkeit erfahren werden. Konzipiert war der Raum als interreligiös zu nutzender Raum, der jeden zur Meditation und inneren Einkehr willkommen heißt. Jeder soll ihn nutzen und sich dort heimisch fühlen können. Und genau deshalb gab und gibt es auch kein fest installiertes Kruzifix. Ein schlichtes Holzkreuz wird vor christlichen Gottesdiensten aus einer Vitrine geholt und auf den Altarstein gelegt. Ebenso kann eine kleine Orgel, noch aus Bonner Zeiten, hervorgerollt werden. Auf dem Boden markiert aber auch eine Kante die Richtung gen Mekka für die Gebete der Muslime. Für den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Peter Ramsauer (CSU), war das ein derartiges Unding, dasss er in der Bildzeitung öffentlich dagegen protestierte. "Im Parlamentsgebäude eines Landes, das sich der christlich-abendländischen Kultur verpflichtet fühlt, muss das Kreuz einen festen Platz haben", fordert er und vermutete einen Kotau vor der Multi-Kulti-Kultur.  Die Konsequenz wäre aber entweder, dass man den religiösen Minderheiten die Zeichensetzung der Mehrheitsreligion aufzwingt oder für jede im Parlament vertretene Religion einen eigenen Andachtsraum schafft und die die Räume gestaltenden Künstler zu religiösen Kunsthandwerkern herabwürdigt. Das wäre nicht gut gewesen.

So fordert die von Günther Uecker gestaltete Kapelle im Bundestag die Parlamentarier dazu auf, religiöses Zusammenleben und Feiern exemplarisch und experimentell vorzuleben.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/54/am253.htm
© Andreas Mertin, 2008